Richard Gebhart behauptet in der Zeit “in der Debatte um Akif Pirinçcis Schmähschrift” werde ein “intellektuelles Milieu sichtbar: bürgerlich, stramm elitär und ressentimentgeladen”.
Gemeint sind damit natürlich die “üblichen Verdächtigen”:
Von der nationalkonservativen Wochenzeitung Junge Freiheit über das radikallibertäre Magazin eigentümlich frei (ef) bis hin zum Online-Portal der Sezession, der Hauszeitschrift der Neuen Rechten, kommt Pirinçci zu Wort.
Diese drei haben nicht nur gemeinsam, daß “ihr Feind links steht”, wie Gebhart (der es ja wissen muß) richtig schreibt, sondern daß dieser ihr linker “Feind” einen erheblichen Feldvorteil, nämlich die Diskurs- und Definitionshoheit über sie fest im Griff hat, soweit es die breitere Öffentlichkeit angeht.
Wie die Insektenforscher gucken die linken Journalisten (“Intellektuelle” will ich sie wahrlich nicht nennen) durchs Mikroskop und belegen die rechten Käfer, die sie aufgestöbert haben, mit allerlei kommoden Adjektiven und Klassifikationen, was zuweilen zu recht skurrilen Einschätzungen führt. Daher sind Artikel wie dieser oder die jüngste Offensive des Tagesspiegels auch gespickt mit impliziten Aussagen darüber, wie diese Leute sich selbst und ihre Rolle in der Öffentlichkeit sehen.
Das Bild, das sie von den Rechten malen, dient in erster Linie dazu, ihr eigenes Komplementärgemälde umso glänzender erstrahlen zu lassen. Die Käfer selbst dagegen bekommen außerhalb ihrer Reservate so gut wie keine Chance zur Gegenrede und Selbstdarstellung. Wer, was und wie ein Käfer ist, bestimmen andere.
Bei der Käferbestimmung müssen die Schreibenden oft über Dinge spekulieren, die innerhalb ihrer Gedankenstrukturen schwer erfaßbar sind. Diesem Problem versuchen sie mit ein paar Standardphrasen beizukommen. Da fällt zum Beispiel im Zusammenhang mit den Rechten (egal welchen) immer das Wörtchen “stramm”, was wohl ein paar zusammengebissene Nußknackerkinnladen und einen Dauerstock im militärischen Arsch suggerieren soll.
Mit ebenso obsessiver Hartnäckigkeit ist in so gut wie allen Artikeln über die “Neue Rechte” seit Anno Bocksgesang immer wieder von “elitär” und “Elite” und so weiter die Rede. In all meinen bald zehn Jahren im Umfeld dieses “intellektuellen Milieus” ist mir nicht aufgefallen, daß dieser Begriff irgendeine besonders exponierte Rolle gespielt hätte oder daß er als Selbstzuschreibung so enorm wichtig gewesen sei. (Hier kann man ja die Stichprobe machen, und überprüfen, was für eine Bedeutung und für einen Stellenwert er hat.)
Wenn im Zusammenhang mit “Rechten” oder Konservativen von “elitär” die Rede ist, dann dient das wohl vor allem deshalb einer Art von Suggestivprosa. “Elitär”, das kennzeichnet Dünkel, Arroganz, monokeltragende Hochnäsigkeit, und eine protofaschistische Generalbeleidigung des demokratisch-egalitären Wohlfühlnarzißmus. Und dann erst “stramm elitär”! Was soll das denn überhaupt heißen?
Diener und Mitglieder der echten, der tonangebenden Eliten, wie etwa die Journalisten der Zeit, würden sich selbst nie als “Elite” bezeichnen, vermutlich weil sie glauben, daß dies im Gegensatz zur “Demokratie” stünde. Aber sie wissen natürlich genau, wo die hierarchischen Grenzen des Sandkastens verlaufen, und wo die auszugrenzenden Schmuddelkinder stehen.
Oder nehmen wir einen Begriff wie “bürgerlich”: Wenn er, wie hier, im eher abwertenden Sinne gebraucht wird, dann lebt er in erster Linie von der Aura längst verflogener linker Romantik, in der “bürgerlich” auch meistens “spießig” oder “konservativ” bedeutete und überhaupt den Feind schlechthin kennzeichnete. Das ist in Zeiten der Post-Post-Achtundsechziger-Bundesrepublik und des allgemeinen BoBo-Unwesens freilich schon lange obsolet. Inwiefern soll dieser Begriff also ernsthaft geeignet sein, um das besagte “intellektuelle Milieu” signifikant zu bestimmen?
Anders gefragt: wer bitte ist denn in Deutschland heute nicht “bürgerlich”? Die Abonnenten der Zeit, des Spiegels, der Süddeutschen Zeitung und die darin schreibende Intelligenzija etwa? Gestatten, daß ich schallend lache? Sind die Wähler der CDU heute etwa “bürgerlich” und diejenigen der Grünen “unbürgerlich”? Wer das noch glaubt, ist nicht zu retten. Dieser Begriff hat keinen klaren Inhalt mehr.
Hier sind weitere Seltsamkeiten, die sich aus einem offenbar nicht ausreichend adjustierten Wahrnehmungsraster ergeben:
Bemerkenswert wirkt dabei, dass das neue enfant terrible der Rechten dort gezielt gegen den bürgerlichen Knigge-Kanon verstoßen darf.
Aha, “Knigge-Kanon”, ich weiß zwar nicht, was das nun wieder sein soll, aber der herrscht natürlich in unserem “intellektuellen Milieu” mit scharia-artiger Härte. Nach einigem Grübeln, wie es möglich ist, daß Pirinçci trotzdem geschätzt wird (ähm, weil er… recht hat?), ist Gebhart zu folgender Lösung gekommen:
Es scheint überraschend, dass Pirinçcis Gossenjargon bei der auf Konventionen bedachten Rechten nur wenig Anstoß erregt. Doch traditionell neigt gerade die intellektuelle Rechte dazu, sich elitär über die eigenen Postulate zu erheben. In ihrer larmoyanten Selbstdarstellung als Opfer der Verhältnisse übertrumpft sie ihre politisch-korrekten Gegner spielend.
Eine absolut sinnlose Zusammenstellung von Sätzen. Wie erhebt man sich zum Beispiel “elitär” über die “eigenen Postulate”? Die Pirinçci-Kröte schlucken, obwohl ich das “F‑Wort” eher shocking finde, wäre dann eine “elitäre” Erhebung über meine “eigenen Postulate”? Warum “elitär”? Und die “politisch-korrekten Gegner” stellen sich also als “Opfer der Verhältnisse” dar? Das ist nun aber sehr interessant, was Gebhart hier einräumt!
Der Unterschied zu den Rechten ist allerdings, daß die “politisch Korrekten” mit und durch ihre angebliche “Opfer”-Rolle eine ungeheure Macht ausüben, und damit in einer grundsätzlich anderen Position sind als ihre Gegner, die ihr echtes oder eingebildetes Diskriminiertsein nicht zur moralischen Erpressung anderer verwenden können.
Und auch diese abgedroschene Melodie, die der emotionalen Erpressung und allgemeinen Vernebelung dient, ist bekannt: wenn die Rechten bestimmte Verhältnisse beschreiben und kritisieren, heißt es automatisch, sie seien “larmoyant” – sagen durchsichtigerweise diejenigen, die keinen Grund zur Klage haben, weil sie von diesen Verhältnissen fett profitieren und sie darum zementiert sehen wollen. Jeder, der sie kritisiert, muß aus ihrer Perspektive wie ein Quälgeist und Querulant wirken. Nigga please!
Ein paar weitere Schenkelklopfer:
Selbst die Lebensführung ihrer großen Geister würde bei Linken und Liberalen als Zeichen des Sittenverfalls ausgelegt. Nicht nur der exkommunizierte Katholik Carl Schmitt vertraute seinen Tagebüchern so manches Detail an, das auch einem Kommunarden der Studentenrevolte zur Ehre gereicht hätte. Der sinnenfreudige Ernst Jünger wiederum hätte auf seinen legendären LSD-Trips mit seinen Käfern über Heideggers Sein und Zeit philosophieren können.
Drollig! Das höre ich zum ersten Mal, daß bei uns eine solche Hyper-Tugendboldigkeit herrschen soll. Soweit es mich angeht, ist der etwaige private “Sittenverfall” der Linken und Liberalen nun wirklich das allerletzte Problem, das ich mit ihnen habe.
Und abgesehen von der Tatsache, daß für Schmittisten nichts weniger interessant sein könnte, als daß Schmitt (wegen Wiederverheiratung!) “exkommuniziert” wurde: erzähl uns doch bitte etwas Neues, Meister Richard! Über Schmitts Laster! Über Jüngers Tripkumpanen! Und seine Empfehlungen an hehre Jünglinge! Über Moellers Dandytum! Über den konservativen Rausch! (Und Heberto Padillas Gedicht über Günter Maschke will ich gar nicht erst zitieren…)
Die Boheme-Biografien der “preußischen Anarchisten” weisen mannigfache Beispiele für die nur allzu menschlichen Inkonsistenzen des Privaten auf. Bezeichnend ist nur, dass die Rechte ihre Sonntagsreden über den Moralverlust halten kann, ohne ständig süffisant zu grinsen.
Woher Gebhart das nun hat, weiß wohl nur seine Whiskeyflasche. Ich habe jedenfalls mein Lebtag noch niemals einen Rechten eine “Sonntagsrede über Moralverlust” halten hören, ob mit oder ohne “ständigem”, “süffisantem” Grinsen. Auch diesen Pappkameraden darf der Autor gern wieder abräumen.
Eine Sprache wie jene Gebharts kann nur jemand benutzen, der weiß, daß er die Macht in seinem Rücken hat. Es ist der satte, selbstzufriedene Sound dessen, der sich auf der Siegerseite wähnt, und der nichts anderes mehr zu tun hat, als den Status Quo zu verteidigen und etwaige Insurrektionen niederzuschlagen und aufkommendes Gemurre in den Kajüten zu ersticken.
Für diese Leute gibt es scheinbar keine Krise, keine Probleme, keine Fehlentwicklungen, jedenfalls keine, die irgendetwas mit ihrer Agenda und ihren Glaubensgrundsätzen zu tun hätten. Alles scheint tiptop zu laufen in ihrem schönen neuen Deutschland, mit Ausnahme von ein paar Querulanten und “Rechten”, die abwechselnd als Krokodil, abwechselnd als Hohn- und Haßobjekt herhalten müssen.
Die Zeiten des heroischen Journalisten, der den Mächtigen mit lästiger Investigation und Kritik zusetzt, sind wohl leider lange vorbei. Insbesondere der linksgerichtete Journalist ist heute nichts weiter als ein Wachhund der Macht, der entscheidet, worüber diskutiert werden darf.
Letzten Endes sind linke Journalisten heute die strammsten (höhö) “Systemkonservativen”, die es gibt, und als solche rümpfen sie (und nicht etwa die “Rechten”) ja auch tüchtig die Nase über Pirinçcis “Bushido-Stil”, weil ihnen sonst nichts dazu einfällt, jedenfalls keine echten Argumente. Pirinçcis Sprache dagegen ist die klassische Waffe der Underdogs, der Oppositionellen, der Machtlosen, denen nur mehr die Provokation bleibt, um Gehör zu finden.
Vor ihrem Aufstieg ins Establishment hat die deutsche Linke davon reichlich Gebrauch gemacht: Obszönitäten, Tabubrüche, Fäkalwörter galten in den Sechziger und Siebziger Jahren als politisch “progressiv” und absolutes Muß im Kulturkampf. Nun, da sie eine systemerhaltende Funktion innehat, sieht das freilich anders aus. “Ohnehin changiert der rechte Habitus seit je zwischen Reputation und Revolte”, schreibt Gebhart, damit trefflich seine eigene Mischpoke charakterisierend.
“Fluchend, pöbelnd, hemdsärmelig, rachsüchtig” (Tagesspiegel über Pirinçci) gilt der Linken natürlich immer noch als super und progressiv, wenn es gegen ihre Feindbilder geht, aber wenn sie selbst davon betroffen ist, können ihre Vertreter gar nicht feinsinnig und “differenziert” (an dieser Stelle ein Euphemismus für “schwammig”, “unklar”, “unentschieden”) genug tun.
Immerhin hat Gebhart eines mitbekommen: daß die verbliebene intellektuelle Rechte sehr wohl ein Bewußtsein ihrer Machtlosigkeit hat und auch ihre Lage realistisch einschätzt. Um das zu zeigen, zitiert er aus Analysen von Karlheinz Weißmann (siehe etwa Sezession 57/2013 und 55/2013).
Man kann nun aus Absätzen wie dem folgenden auch andere Schlüsse ziehen, als Gebhart es vielleicht beabsichtigt:
Die bisherigen Erfolge der intellektuellen Rechten sind bescheiden. Schon das 1981 veröffentlichte Heidelberger Manifest von (alt-)rechten Professoren und Intellektuellen konnte mit seiner dramatischen Warnung vor der “Unterwanderung des deutschen Volkes durch Zuzug von vielen Millionen von Ausländern und ihren Familien” letztlich den demografischen Wandel nicht aufhalten.
Gebhart gibt hier implizit zu, daß die Autoren des Heidelberger Manifestes recht behalten haben; alles, was sie bereits 1981 über den “demografischen Wandel” geschrieben haben, ist eingetroffen. Es ist bezeichnend für den Autor, daß er hier (immerhin) eine Art Tragödie der Rechten, also aus unserer Sicht: die Ohnmacht der Kassandren, erkennen kann, nicht aber das Eigentliche: die tiefe Tragödie Deutschlands und des deutschen Volks.
Wessen Geistes Kind Gebhart ist, verrät er schließlich in einem Satz:
Die Rechte ist gegenwärtig nicht die Avantgarde, sondern die Nachhut. Sie verstärkt vor allem den Protestlärm, der die zaghafte Modernisierung des Einwanderungslandes Deutschland begleitet.
Die “zaghafte Modernisierung” des “Einwanderungslandes” Deutschland nennt er einen beispiellosen Prozeß, der Deutschland (gewiß eines der “modernsten” Länder der Welt) nun schon seit Jahrzehnten radikal umpflügt, und in nicht allzu ferner Zukunft seine historische Gestalt völlig vernichtet haben wird! Was sich dieser Entwicklung entgegenstellt, ist ihm und seinesgleichen nichts als Nebbich, “Protestlärm”, Kollateralschaden.
Der Siegeszug der Geschichte wird all dies plattmachen, Deutschland in ein “modernisiertes” Einwanderungsland umwandeln, ein paar Verlierer gibt es bei solchen Prozessen immer, und die Hüter des Status Quo werden auf der Dampfwalze thronen wie auf einem Triumphwagen, taub für die Schreie all jener (natürlich “Larmoyanten”), die unter ihren Rädern zerquetscht werden (woher kennen wir bloß diese Denkungsart?).
Aber soweit wird die Vorstellungskraft des Zeit-Autors kaum reichen. Sätze wie der zitierte zeugen ebenso wie die erheiternden Spekulationen über den Moralinsäuregehalt der Rechten von einer verblüffenden Harmlosigkeit und Biederkeit im Geiste, gepaart mit Ahnungs- und Verantwortungslosigkeit. Das sind dieselben Leute, die glauben, man rufe den “Ernstfall” aus, wenn man das böse, so “stramm” klingende Wort nur ausspricht oder seinen Inhalt bedenkt. Das ist beleibe nicht untypisch für die ganze Kaste, der Gebhart entstammt.
Ich kann nur wiederholen, was ich bereits gesagt habe: Überall suchen sie nach Erklärungen und Ursachen, nur nicht in der Wirklichkeit, nur nicht in sich selbst, niemals in sich selbst. Schon allein deswegen haben sie einen, zwei, drei, tausend Pirinçcis verdient, und kein Tonfall ist inzwischen zu scharf für sie.
Nils Wegner
Also ich find' den ZEIT-Artikel eigentlich ziemlich lustig. Da wird hundertprozentig offensichtlich, daß die linksliberale Café Latte-Lektüre in Sachen rechter Dissidenz argumentativ noch immer auf dem Stand von vor 20 Jahren ist; teilweise sogar wortwörtlich. Das kann man mit ein, zwei aktuellen Zitaten auch nicht kaschieren.
M.L.: Ja, das habe ich mir auch gedacht... und der unvermeidliche "Ethnopluralismus" ist auch wieder dabei. Yeah!
Wer einen innerlichen Luftsprung macht, bloß weil die geballte Online-Wurstigkeit plötzlich auf SiN verweist, sollte sich ein paar Fragen stellen. Vgl. Herrn Klonovsky: "Jede Seite ist die falsche."