verschiedene Terrorallianzen rücken auf die letzten Regierungsbastionen vor, die Armee ist ausgeblutet. Denn seit über vier Jahren führen neofundamentalistische Sunniten (Takfiris) aus der ganzen Welt einen barbarischen Krieg gegen den Staat des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad, einen Krieg gegen das syrische Volk, das trotz importierter Spaltungsversuche seit Beginn der Krise beeindruckend loyal zum syrischen Einheitsstaat steht.
Einige der sog. Rebellen kämpfen und morden unter dem Label „Islamischer Staat“ (IS), andere als „Nusra-“ oder „Islamische“ Front, wieder andere als „Freie Syrische Armee“.
Unterstützt werden sie von den üblichen Verdächtigen Saudi-Arabien, Katar, Muslimbruderschaft und anderen regionalen Ideologieexporteuren. Unterstützt werden sie aber dabei seit Anbeginn der Konflikte in Syrien auch von westlichen Akteuren – und von deren willfährigen Hofberichterstattern, den bundesdeutschen Journalisten.
Offenkundig ist dabei die Kollaboration „linker“ und „liberaler“ Medien, wenn es um die dezidiert neokonservative Deutung der Auseinandersetzungen im Nahen und Mittleren Osten geht. Von Jungle World bis zur Springer-Presse wird einseitig und in höchstem Maße unreflektiert gegen den gewiß autoritären, aber säkularen Staat Assads Stimmungsmache betrieben. Trotz der Tatsache, daß sich das Gros der Vorwürfe gegen die syrische Kriegführung früher oder später in regelmäßigen Abständen als haltlos erweist oder die Urheber von Kriegsverbrechen in den von westlichen Journalisten angepriesenen „Rebellengruppen“ zu suchen sind: Umdenken sucht man bei den Bellizisten vergebens.
Kein Wort des Bedauerns über abgeschlachtete Christen, gefolterte Alawiten oder geköpfte Schiiten in den Blogs der selbsternannten „Nahostexperten“, dafür täglich zynische Jubelmeldungen, wenn wieder eine syrische Regierungseinheit von Terroristen umschlossen, aufgerieben und ausgelöscht worden ist. Das absolutistische, wahabitische Saudi-Arabien wird gar dafür gelobt, in Israel nicht mehr den Hauptfeind zu sehen – da kann man auch über den saudischen Angriffskrieg im Jemen und die konstante Terrorunterstützung in Syrien und im Irak hinwegsehen.
Aber selbst für die Verhältnisse dieser bundesdeutschen Medien ist es absurd, wenn einer dieser „Experten“ aus dem sicheren Home-Office aus die realen Gegebenheiten ganz genau zu kennen glaubt und – ohne die Folgen für Christen, Alawiten, Assad-treue säkulare Sunniten und andere Feinde der Dschihadisten auch nur ansatzweise zu bedenken – den in bälde erwarteten Fall der legitimen syrischen Regierung herbeiphantasiert. Man erspare sich ausführliche Exegese der westlichen Berichterstattung, pars pro toto steht ein „Konfliktreporter“, der in der Bild-Zeitung recht freimütig und ohne jeden Anflug von Scham seine groteske Arbeitsweise vorstellt:
Auf diese Weise berichte ich von weltweiten Konflikten, vor allem über die Kriege in Syrien und der Ostukraine. Diese Konflikte sind so gefährlich, dass sich kaum ein Journalist in die Regionen wagt.
Deshalb werte ich Augenzeugenvideos (unter anderem von YouTube und Facebook) am Computer zu Hause aus. Die detaillierte Analyse dieser Bewegtbilder kann so entscheidende Erkenntnisse liefern.
Wie gesagt: Ein Beispiel reicht aus, denn nicht nur zitierter Julian Röpcke arbeitet so, sondern zahlreiche „Berichterstatter“ seiner Zunft. Eine wohltuende Ausnahme stellt Karin Leukefeld dar. Schade, daß die Ethnologin und Islamwissenschaftlerin fast exklusiv an entlegenem Ort für die radikal linke Tageszeitung junge Welt berichtet, denn ihre dort publizierten Vor-Ort-Recherchen und ‑Analysen sind stets lesenswert und informativ. Sie hat diese nun auch in einem Buch verarbeitet: Flächenbrand. Syrien, Irak, die Arabische Welt und der Islamische Staat (Köln 2015) sollte dringend als wohltuendes Gegengift zur täglichen Dosis „westliche Berichterstattung“ gelesen werden und ist das notwendige Gegenstück zu Daniel Gerlachs unsäglichem Syrien-bashing (Herrschaft über Syrien, Hamburg 2015).
Leukefeld widerlegt die Mär von “gemäßigten” Rebellengruppen und erinnert unter anderem daran, daß der IS und andere Terrorbanden keineswegs urplötzlich entstanden. Denn natürlich kommen straff organisierte und bestmöglich ausgerüstete Terrororganisationen nicht aus dem luftleeren Raum. Hinter ihnen stehen regionale und überregionale Akteure, die eigene geostrategische Ziele – etwa die Ausschaltung des „schiitischen Halbmonds“ (Iran, Irak, Syrien, Hisbollah + Amal/Libanon) zugunsten eines prowestlich-marktwirtschaftlichen, US-genehmen sunnitischen Blocks – verfolgen und die sunnitisch-neofundamentalistischen Kräfte gegen unliebsame Gegner – etwa das widerspenstige souveräne Syrien – als Rammbock nutzen.
Krieg in Syrien – Propaganda und Wirklichkeit
Immer wieder werden Geschäftsleute und Politiker aus Kuwait, Katar und Saudi-Arabien als zwielichtige Finanziers der IS-Terroristen benannt. Nachweislich wurden die Fundamentalisten von Saudi-Arabien unterstützt. Deren Ziel: Zerstörung des syrischen Nationalstaates, Zerschlagung des erwähnten schiitischen Selbstverteidigungsblocks, Schwächung des regionalen Gegenspielers Iran. Mittlerweile beteiligt sich die Golfmonarchie aber an der US-geführten Anti-IS-Allianz und bombardiert vereinzelt Stellungen der – wie sie – wahabitisch ausgerichteten Terrororganisation. Außerdem werden nun andere, den IS bekämpfende neofundamentalistische Gruppen (Bündnis ‘Armee des Islam’) gefördert. Dieses Spiel geht – unter den Augen und dem Schweigen der westlichen „freien Welt“ – auf Kosten des syrischen Volkes in seiner Gesamtheit.
Das leidet heute wie noch nie in seiner wechselvollen, harten Geschichte. Vor dem Krieg gab es freilich erhebliche Mißstände, doch
trotz all dieser Probleme [Vetternwirtschaft, Geheimdienstmißbrauch, Vorzug alawitischer Kreise; Anm. B. K.], von denen Bashar al-Assad etliche von seinem Vater Hafez geerbt hatte, herrschte keine direkte Not in Syrien. Es gab kostenlose Gesundheitsversorgung […]. Die überwiegende Mehrheit der Syrer konnte lesen und schreiben, niemand musste Hunger leiden. Syrien war ein Entwicklungsland, das stets über eine Getreidereserve für zwei Jahre im Voraus verfügte. 2010 war Syrien ein Land, das Fortschritte machte und schuldenfrei war. Heute – nach vier Jahren Krieg – ist es hoch verschuldet, vielerorts fehlt es am Nötigsten. (Leukefeld, S. 45).
Man muß hier noch zusätzlich ergänzen: Heute sind zahlreiche Städte zerstört, Millionen Menschen sind auf der Flucht, Hunderttausende tot, wiederum Millionen unter der Herrschaft von dschihadistischen Fanatikern.
Mittlerweile ist es hinlänglich bekannt, daß die NATO-Staaten, allen voran die USA, schon vor Jahren einkalkulierten, daß sich derartige Entwicklungen vollziehen werden, daß ein sunnitisches „Kalifat“ in Syrien entstehen wird. Sie förderten alles und jeden, der bereit war, gegen Präsident Assad zu Felde zu ziehen. US-Vizepräsident Joe Biden mußte im Oktober 2014 bei einem Vortrag an der Harvard-Universität in einer vorläufigen Rückschau einräumen, daß „unsere Verbündeten unser größtes Problem waren.“ Der bemerkenswert offenherzige Biden nannte konkret „die Türken, die Saudis, die Emirate“, die „so entschlossen waren, den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad zu stürzen und einen Stellvertreterkrieg zwischen Sunniten und Schiiten zu initiieren“, daß sie gar „Hunderte Millionen US-Dollar und Tausende Tonnen Waffen an jeden lieferten, der gegen Assad kämpfen wollte.“ (zit. n. Leukefeld, S. 207 f.)
Die Einsicht kommt spät, und mit den neusten Unterstützungen für die mörderische IS-Konkurrenz von Nusra und Co. durch die USA deutet wenig auf einen tatsächlichen Sinneswandel oder Lerneffekt der US-Amerikaner hin. Und selbst wenn einst die Unterstützung für neofundamentalistische Terroristen (“Rebellen”) eingestellt werden sollte, stellt Knut Mellenthin dazu treffend fest (in Hintergrund 1/15, S. 9):
Daß die Dinge der US-Administration aus dem Ruder gelaufen sind, ist mit guten Gründen anzunehmen. Es befreit sie aber nicht von Schuld.
Aufgabe bundesdeutscher, sich selbst als „kritisch“ verstehender Reporter wäre es nun, unbequeme Fragen zu stellen, etwa: Weshalb ist Saudi-Arabien westlicher Alliierter, Syrien aber „Schurkenstaat“? Weshalb sehen sich die syrische Armee und ihre Verbündeten mit ihrer teils veralteten Ausrüstung hochmodern ausgestatteten Terroristenarmeen gegenüber, deren Waffensysteme offenbar aus westlichen Beständen stammen? Welche Nachkriegsordnung soll einst in einem Syrien ohne Assad eingeführt werden? Was wird aus den nichtsunnitischen Bevölkerungsteilen nach dem Kollaps der syrischen Nation infolge eines (Teil-)Sieges des IS (oder Nusras, oder der ‘Armee des Islam’ etc.)? Wie kann man das Leben von Millionen Christen, Alawiten, Schiiten, Drusen, kurz: aller nicht „rechtgläubigen“ Sunniten retten, wenn man ihr letztes Schutzschild – die syrische Armee und ihr nahestehende Milizen – vernichten läßt?
Auf solche Fragen wartet man freilich vergeblich. Syrien soll fallen, der nächste failed state werden. Die deutsche Journaille wird jubeln. Und alsdann die sofortige und vollständige Aufnahme all jener Menschen fordern, die flüchten werden müssen. Ein zynisches Spiel mit Menschenleben, ganz bequem mit MacBook auf dem heimischen Sofa.
Karin Leukefeld: Flächenbrand. Syrien, Irak, die Arabische Welt und der Islamische Staat (= Neue Kleine Bibliothek 208), Papyrossa: Köln 2015, 284 S., 14,90 € – hier bestellen
t.gygax
Der Schweizer Friedensforscher Daniele Ganser hat in verschiedenen Texten nachhaltig dargelegt, welche Ziele und welche Strategien von den Herrschenden angewendet werden, wenn ein Land wie Syrien und ein Staatsoberhaupt wie Assad ausgeschaltet werden soll. Was kaum jemand weiß: unter Assad hatte die christliche Minderheit einen Freiraum, den es sonst in keinem anderen islamischen Land gibt. Die Leute, die Assad weghaben wollen, sind Verbrecher,und zwar ohne wenn und aber. und es sind die Gleichen, die das seit 50 jahren immer wieder an anderen Stellen der Erde mehr oder weniger erfolgreich praktiziert haben.