Wolfram Siemann: Metternich. Stratege und Visionär – eine Rezension

Rezension aus Sezession 72 / Juni 2016

von Harald Seubert

Wolfram Siemanns Metternich-Biographie ist nicht nur ein Opus magnum von magistralen Ausmaßen,... 

sie kann auch auf detail­lier­te Archiv­stu­di­en, unter ande­rem in Prag und Wien, zurück­grei­fen und hat Aspek­ten Beach­tung geschenkt, die bis­her weit­ge­hend über­se­hen wurden. 

Met­ter­nichs kon­zep­tio­nel­les Den­ken, sein Grand Design wird dabei beson­ders her­aus­ge­ar­bei­tet. Sie­mann schreibt aller­dings stän­dig, und mit­un­ter gera­de­zu ver­bis­sen, gegen die noch immer ein­fluß­rei­che Dar­stel­lung von Hein­rich von Srbik an. Dies kommt der Sou­ve­rä­ni­tät sei­nes Wer­kes nur bedingt zugu­te. Srbik sah die Schwä­che Met­ter­nichs vor allem in der Ver­ken­nung der Natio­na­li­tä­ten­fra­ge. Dem­ge­gen­über betont Sie­mann, daß Met­ter­nich in über­na­tio­na­len, impe­ria­len Kate­go­rien gedacht habe. Natio­nen hät­ten in die­ser Kon­zep­ti­on, sowohl beim Wie­ner Kon­greß als auch in der spä­te­ren Sicher­heits­po­li­tik, durch­aus eine Rol­le gespielt, jedoch nicht als Sprach- und Abstam­mungs­ein­hei­ten, son­dern pri­mär als Rechtsgemeinschaften.

Ein­drucks­voll arbei­tet Sie­mann die ratio­na­le Prä­gung Met­ter­nichs her­aus. Sein am früh­neu­zeit­li­chen Gleich­ge­wichts­kon­zept ori­en­tier­tes Den­ken gewann dem­nach bereits früh und dank sei­ner Main­zer und Straß­bur­ger Stu­di­en­zeit Kon­tu­ren. Bemer­kens­wert ist auch, daß der jun­ge Met­ter­nich zum Antritt sei­ner jewei­li­gen Gesandt­schafts­pos­ten in Dres­den bzw. Ber­lin umfang­rei­che Denk­schrif­ten vor­leg­te, die sowohl die geo­stra­te­gi­schen als auch die his­to­ri­schen Prä­gun­gen ein­drucks­voll ana­ly­sie­ren. Stark ist Sie­mann dort, wo er die Affi­ni­tät Met­ter­nichs zum bri­ti­schen Kon­zept Euro­pas und ins­be­son­de­re die gro­ße Über­ein­stim­mung mit Cast­le­re­agh wür­digt. Er macht zudem deut­lich, daß Met­ter­nich aus einer bedeu­ten­den Fami­lie stamm­te, die all­mäh­lich in die Bel­eta­ge des Adels auf­stieg. Lan­ge inter­agier­te der Fürst, der als ers­ter die Spit­ze der Rang­py­ra­mi­de erreich­te, eng mit sei­nem Vater Franz Xaver.

Struk­tur­ge­schicht­li­che Quer­schnitt­ka­pi­tel über Met­ter­nichs Ver­hält­nis zu Krieg und Frie­den mit ein­drück­li­chen Äuße­run­gen zu den Schre­cken des Krie­ges, das enge Netz­werk mit ver­schie­de­nen Mätres­sen und Freun­din­nen, denen er sich in sei­nen Brie­fen erstaun­lich öff­ne­te, aber auch über Met­ter­nich als pri­va­ten Unter­neh­mer erwei­tern das Spek­trum. Gera­de hier erliegt Sie­mann bei aller pro­so­po­gra­phi­schen Detail­kennt­nis aber immer wie­der fal­schen Aktua­li­sie­run­gen und macht sich teil­wei­se unkri­tisch und scha­blo­nen­haft Gen­der­per­spek­ti­ven zu eigen. Die glanz­vol­le Spra­che der Met­ter­nich-Brie­fe, das Wis­sen um die Unwäg­bar­keit des Daseins und die Zuflucht zu einer nur ver­nünf­ti­gen Reli­gi­on kon­tras­tie­ren eher höl­zer­ne Kom­men­ta­re des Historikers.

Merk­wür­dig blaß bleibt Bona­par­te als gro­ßer Gegen­spie­ler: Er erscheint als wan­kel­mü­ti­ger Cha­rakter, zwi­schen Takt­lo­sig­keit, Belei­di­gung und Schmei­che­lei schwan­kend. Zwi­schen Met­ter­nich und ihm zeich­ne­te sich indes eine Ver­bin­dung ab, die das alte Dik­tum vom Feind, der die eige­ne Fra­ge als Gestalt ist, recht­fer­tigt. Nüch­ter­ner ope­riert Sie­mann in der poli­ti­schen Ana­ly­se. Er macht sich das Dik­tum zu eigen, daß die napo­leo­ni­schen Krie­ge fak­tisch Welt­kriegs­cha­rak­ter gehabt hät­ten. Er zeigt das tak­ti­sche Geschick Met­ter­nichs, die Qua­dru­pel­al­li­anz zusam­men­zu­hal­ten. Zugleich rekon­stru­iert er ein­drucks­voll die Umris­se der Wie­ner Ord­nung und der Reor­ga­ni­sa­ti­on der Gesamt­mon­ar­chie bereits in der frü­hen Bot­schaf­ter­zeit. Durch sie­ben Epo­chen reich­te nach Sie­manns Dar­stel­lung das Leben Metternichs.

Bis zuletzt war er, ent­ge­gen man­chen Vor­ur­tei­len, fähig, auf ver­än­der­te Situa­tio­nen zu reagie­ren. Sie­mann betont ent­ge­gen der berühm­ten Sot­ti­se vom »tan­zen­den Kon­greß« die hohe Effi­zi­enz der Ver­hand­lun­gen und den Ernst der Sache: die Gene­ra­tio­nen­er­fah­rung von Krieg, Not und den dar­aus her­vor­ge­hen­den vul­ka­ni­schen Ten­den­zen. Ent­schie­den zuwe­nig Ver­ständ­nis bringt der Bio­graph für die natio­na­le Fra­ge auf. Es ist sein gutes Recht, den Fana­tis­mus und Gesin­nungs­ter­ro­ris­mus des Kot­ze­bue-Atten­tä­ters Sand kri­tisch zu glos­sie­ren. Doch kon­tra­punk­tisch soll­te man auch die Gren­zen des dynas­ti­schen Prin­zips und nicht zuletzt die Gren­zen von Met­ter­nich selbst in den Blick neh­men. So kor­ri­giert die­se Bio­gra­phie man­che Fehl­ur­tei­le der Ver­gan­gen­heit, kommt aber selbst nicht ohne Fehl­ur­tei­le oder zumin­dest Ein­sei­tig­kei­ten aus.

Wie bei vie­len Gro­ßen wur­de auch Met­ter­nichs Tod von den Zeit­ge­nos­sen als »Fort­zie­hen der alten Zeit« ver­stan­den. Dies rela­ti­viert doch die teil­wei­se fast hagio­gra­phi­schen Züge die­ser Bio­gra­phie und ihre Ver­ein­nah­mung Met­ter­nichs als des »Post­mo­der­nen aus der Vor­mo­der­ne«. Mit sol­chen Epi­the­ta bleibt Sie­mann unter sei­nem Niveau. Die­se ers­te umfas­sen­de Met­ter­nich-Bio­gra­phie nach neun­zig Jah­ren besticht gleich­wohl durch ihren glo­bal geo­po­li­ti­schen Blick und ihre her­vor­ra­gen­de Quel­len- und Lite­ra­tur­ken­nt­nis. Gro­ße Geschichts­schrei­bung ist sie schon sti­lis­tisch nicht, und ihre Zeit­be­dingt­heit aus anti­na­tio­na­lem Affekt wird ver­mut­lich von einem Spä­te­ren genau­so kor­ri­giert wer­den, wie Sie­mann Srbik korrigierte.

Wolf­ram Sie­mann: Met­ter­nich. Stra­te­ge und Visio­när. Eine Bio­gra­phie, Mün­chen: C.H. Beck 2016. 983 S., 73 Abb., 34.95 € – hier bestel­len. (Zu einer Aus­wahl der in Sezes­si­on 72 bespro­che­nen Lite­ra­tur geht es hier ent­lang.)

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