Polit-PR: Lampedusa als Marke

PDF der Druckfassung aus Sezession 57 / Dezember 2013

PDF der Druck­fas­sung aus Sezes­si­on 57 / Dezem­ber 2013

von Tho­mas Schmidt

Migra­ti­ons­ak­ti­vis­ten ver­su­chen im Rah­men ihrer Kam­pa­gnen, offe­ne Gren­zen für Armuts­zu­wan­de­rung vor allem mit den Mit­teln der Pro­pa­gan­da durch­zu­set­zen. Da mas­sen­psy­cho­lo­gi­sche Ein­fluß­nah­men an Wir­kung ver­lö­ren, wenn ihre Stra­te­gien und Metho­den trans­pa­ren­ter wären, behan­delt man die­se Abläu­fe ver­trau­lich. Sie wer­den nur in Aus­nah­me­fäl­len öffent­lich bekannt, wie etwa in einem ähn­li­chen Zusam­men­hang im Fall einer von Wiki­leaks ver­öf­fent­lich­ten Ana­ly­se der CIA, in der unter­sucht wur­de, wie euro­päi­sche Bevöl­ke­run­gen im Sin­ne der US-ame­ri­ka­ni­schen Afgha­ni­st­an­po­li­tik mobi­li­siert wer­den könnten.

Die Autoren unter­such­ten zu die­sem Zweck psy­cho­lo­gi­sche Ver­wund­bar­kei­ten ver­schie­de­ner Bevöl­ke­run­gen und stell­ten fest, daß die Anteil­nah­me am Schick­sal von Flücht­lin­gen, ins­be­son­de­re von Frau­en, bei vie­len Euro­pä­ern ein wich­ti­ges poli­ti­sches Motiv dar­stel­le. Die Exper­ten emp­fah­len, Schuld­ge­füh­le als psy­cho­lo­gi­schen Hebel ein­zu­set­zen. Euro­pä­er wür­den sich vor­aus­sicht­lich ver­stärkt zur Unter­stüt­zung der US-ame­ri­ka­ni­schen For­de­rung nach Ent­sen­dung zusätz­li­cher Trup­pen ent­schlie­ßen, wenn sie dadurch die zuvor gezielt auf­ge­bau­ten Schuld­ge­füh­le lin­dern könnten.

Sehr ähn­li­che Metho­den nut­zen pro­fes­sio­nel­le Akti­vis­ten in Deutsch­land auch in ihren Kam­pa­gnen. Die Akti­vis­ten kön­nen sich dabei auf direk­te und indi­rek­te staat­li­che Finan­zie­rung, eige­ne fach­li­che Exper­ti­se und die Unter­stüt­zung von Tei­len der Kir­chen, der Sozi­al­bran­che, der Medi­en, der Poli­tik und der Wirt­schaft stützen.

Kom­mu­ni­ka­ti­ons­exper­ten in Krei­sen der Akti­vis­ten set­zen in ihrer Kam­pa­gne vor allem dar­auf, die­se als Serie von »Flücht­lings­pro­tes­ten« erschei­nen zu las­sen. Um den Ein­druck von Authen­ti­zi­tät zu erzeu­gen, wer­den Ein­wan­de­rer bei den Akti­vi­tä­ten der Kam­pa­gne in den Vor­der­grund gestellt, wäh­rend Pla­nung und Orga­ni­sa­ti­on im Hin­ter­grund meist von ein­hei­mi­schen Unter­stüt­zern geleis­tet werden.

Wie pro­fes­sio­nell die­se Migran­ten-Lob­by­is­ten arbei­ten, zeigt ein Bei­spiel aus Wien. Dort haben Flücht­lin­ge die Beset­zung der Votiv­kir­che auf­ge­ge­ben und statt des­sen die Kunst­aka­de­mie besetzt. In einem Pres­se­be­richt heißt es:

In der Kunst-Uni beton­ten die Asyl­wer­ber nun, in Zukunft selbst für sich zu spre­chen. Allein sind sie des­we­gen nicht. Im Hin­ter­grund arbei­tet eine Grup­pe von (hei­mi­schen) Unter­stüt­zern auf Hoch­tou­ren, um das Asyl­dra­ma nach allen Regeln der PR-Kunst auf­zu­be­rei­ten. ›Kein Kom­men­tar zur Pres­se ohne Abspra­che‹, steht auf Pla­ka­ten an der Wand. Auf einem ist ein Orga­ni­gramm zu sehen: Eine Grup­pe soll sich um die Ver­hand­lun­gen mit der Uni küm­mern, eine um die Stra­te­gie (›Wie errei­chen wir ande­re Flücht­lings-Com­mu­ni­tys?‹), eine ande­re soll den Jah­res­tag des Pro­tests (am 24.11.) pla­nen. Die Asyl­wer­ber selbst waren Minu­ten vor der Pres­se­kon­fe­renz kaum von den Kunst­stu­den­ten zu unter­schei­den. Wenig erin­nert noch an die erschöpf­ten Män­ner, die in der Votiv­kir­che in Schlaf­sä­cken kau­er­ten. Sie tra­gen jetzt Snea­k­ers, farb­lich abge­stimmt auf das Shirt, quer­ge­streif­te Pull­over mit Hemd. Bär­te und Haa­re sind getrimmt. Hier wird nichts mehr dem Zufall über­las­sen. Auch nicht die Fra­gen auf der Pres­se­kon­fe­renz, die von den Unter­stüt­zern zum Teil selbst an das Podi­um gerich­tet wur­den – wie eine Akti­vis­tin vor der PK unvor­sich­ti­ger­wei­se zugibt. ›Es ist ein Akt der Eman­zi­pa­ti­on, daß die Asyl­wer­ber jetzt selbst für sich spre­chen‹, sagt dazu einer der Unter­stüt­zer. Er ist der Chef der eigens gegrün­de­ten Pres­se­grup­pe.« (Die Pres­se, 31. Okto­ber 2013)

Der­lei Akti­vis­ten­grup­pen agie­ren auch in der BRD. Der ent­schei­den­de psy­cho­lo­gi­sche Hebel ist dabei der Vor­wurf einer kol­lek­ti­ven Schuld der Deut­schen an der Situa­ti­on der ille­ga­len Ein­wan­de­rer. Nach dem Tod einer grö­ße­ren Zahl sol­cher Armuts­flücht­lin­ge bei einer Schiffs­ha­va­rie vor der Insel Lam­pe­du­sa wur­de der Name der Insel zur Chif­fre für die­se kol­lek­ti­ve Schuld gemacht: Jeder, der nicht für offe­ne Gren­zen ein­tre­te, sei mitschuldig.

Auf einer zwei­ten Ebe­ne wird außer­dem eine kol­lek­ti­ve Schuld aller Euro­pä­er an der wirt­schaft­li­chen und sozia­len Lage Schwarz­afri­kas und des Nahen Ostens behaup­tet. In die­sem Zusam­men­hang wird der­zeit der Begriff des »Kli­ma­flücht­lings« eta­bliert, für des­sen Situa­ti­on jeder Euro­pä­er durch sei­nen Lebens­stil ver­ant­wort­lich sei. Die­se Schuld gel­te es, durch das Ein­tre­ten für mehr Zuwan­de­rung und offe­ne Gren­zen abzutragen.

Die Anspra­che von Schul­dängs­ten erfolgt auch durch die Ver­wen­dung einer poli­ti­schen Spra­che, die gezielt Begrif­fe mit NS-Bezug ver­wen­det und an NS-Sym­bo­le anknüpft, wenn etwa von einer »Fes­tung Euro­pa« gespro­chen wird, deren Mau­ern ein­ge­ris­sen wer­den müß­ten. Bun­des­prä­si­dent Joa­chim Gauck unter­stütz­te die­sen Aspekt der Kam­pa­gne, als er bei einer Ver­an­stal­tung zur Erin­ne­rung an Opfer des NS Par­al­le­len zwi­schen den Pogro­men von 1938 und aktu­el­len Vor­be­hal­ten gegen Armuts­mi­gra­ti­on andeutete.

Flan­kiert wird die­ses Vor­ge­hen durch die sozia­le Iso­la­ti­on von Kri­ti­kern, deren Posi­tio­nen mit Begrif­fen wie »Ras­sis­mus« und »Haß« beschrie­ben wer­den, denen als sym­bol­haf­te Gegen­be­grif­fe »Offen­heit« und »Viel­falt« in zahl­rei­chen Vari­an­ten gegen­über­ge­stellt wer­den. Aus Armuts­flücht­lin­gen wer­den Mär­ty­rer­ge­stal­ten kon­stru­iert, die Deutsch­land durch ihre Prä­senz mora­lisch auf­wer­ten könn­ten, aber unter der »men­schen­un­wür­di­gen« Behand­lung durch Deut­sche zu lei­den hätten.

Da die­ser Vor­wurf schwie­ri­ger zu ver­mit­teln wäre, wenn die Frem­den die ihnen zur Ver­fü­gung gestell­ten Unter­künf­te nutz­ten, wer­den Zelt­la­ger auf öffent­li­chen Plät­zen errich­tet, in denen das ver­meint­li­che Elend insze­niert wird. Durch Hun­ger­streiks soll die­se Bot­schaft ver­stärkt wer­den – das Bild zeigt der­lei Strei­ken­de in der Wie­ner Votiv­kir­che. Beson­ders gesucht sind Bil­der kol­la­bie­ren­der Flüchtlinge.

Durch Kon­fron­ta­ti­on mit der Poli­zei sol­len zudem Bil­der von »Poli­zei­ge­walt« erzeugt wer­den, wel­che den mora­li­schen Gegen­satz zwi­schen »häß­li­chen Deut­schen« und migran­ti­schen Opfern unter­strei­chen sol­len. Um die erfor­der­li­chen Poli­zei­ein­sät­ze zu pro­vo­zie­ren, wer­den mili­tan­te Links­au­to­no­me in die Kam­pa­gnen ein­ge­bun­den, die auch dar­über hin­aus die Bot­schaf­ten der Kam­pa­gne gewalt­sam ver­stär­ken und gegen Kri­ti­ker vor­ge­hen sollen.

Die Lam­pe­du­sa-Kam­pa­gne stand von Beginn an auf­grund der für sie güns­ti­gen psy­cho­lo­gi­schen Aus­gangs­la­ge kei­nen beson­de­ren Her­aus­for­de­run­gen gegen­über. Die Orga­ni­sa­to­ren streb­ten daher beson­ders weit­rei­chen­de Zie­le an, als sie etwa in Ham­burg die all­ge­mei­ne Außer­kraft­set­zung von Geset­zen im Umgang mit der als »Lam­pe­du­sa in Ham­burg« bezeich­ne­ten Grup­pe von ille­ga­len Ein­wan­de­rern for­der­ten und die­ses Ziel weit­ge­hend auch erreichten.

Die Kam­pa­gne ver­dankt ihren Erfolg vor allem der durch jahr­zehn­te­lan­ge Vor­ar­beit gelun­ge­nen Durch­set­zung eines Huma­ni­täts­be­griffs, der jeden gegen das eige­ne Gemein­we­sen gerich­te­ten frem­den Anspruch mora­lisch legi­ti­miert und das Ein­tre­ten für Eigen­in­ter­es­sen dele­gi­ti­miert. Gesell­schaft­lich akzep­tier­ter Wider­stand gegen die Kam­pa­gne bewegt sich aus­schließ­lich im Rah­men die­ses Huma­ni­täts­be­griffs und weist etwa dar­auf hin, daß Zuwan­de­rung den Her­kunfts­staa­ten der Migran­ten scha­de, weil sie die­se poten­ti­el­ler Fach­kräf­te beraube.

Der fran­zö­si­sche Autor Jean Ras­pail bemerk­te dazu, daß eine Zuwan­de­rungs­de­bat­te, wel­che die­sen geis­ti­gen Rah­men nicht ver­las­se, dazu ver­ur­teilt sei, sich auf die Ver­hand­lung der Geschwin­dig­keit der eige­nen Ver­drän­gung zu beschrän­ken. Wer die­sen Rah­men jedoch ver­läßt, dem droht sozia­le Iso­la­ti­on, wes­halb sich nur ohne­hin iso­lier­te Akteu­re offen gegen die Kam­pa­gne stel­len und dabei ver­ein­zelt die von deren Orga­ni­sa­to­ren erwünsch­ten Bil­der »häß­li­cher Deut­scher« lie­fern. Eine erfolg­rei­che­re Gegen­be­we­gung müß­te statt des­sen min­des­tens das glei­che Maß an Pro­fes­sio­na­li­tät auf­wei­sen wie die pro­pa­gan­dis­ti­sche Arbeit des Migra­ti­ons­ak­ti­vis­mus in Deutschland.

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