Während sich der Bug langsam neigt, haben sie nichts als Verachtung für diejenigen, die die Havarie verhindern wollen: „Wovor haben Sie denn Angst?“ „Der Mensch besteht selbst zu 90% aus Wasser, wo ist das Problem?“ „Daß das Deck feuchter wird, hat nichts mit den Löchern zu tun. Bei Regen wird es auch naß.“ „Offenheit ist die beste Waffe gegen ein Leck.“
So oder so ähnlich würden die Aussagen der linken Universalisten – wie Künast, Augstein, Stegner, Göring und Roth – lauten, wenn man sie in diese Metapher überträgt. Das Lieblingsargument dieser Ideologen lautet aber: „Das Boot ist nur ein soziales Konstrukt.“
Die Mär vom „sozialen Konstrukt“ ist eine der Kernideen des linken Universalismus. Ihre relativistische Wucht ist der Preßlufthammer, der sich gegen alle bestehenden Identitäten und gewachsenen Strukturen richtet. Die Fragmente, die danach übrig bleiben, werden im Sinne einer abstrakten Ordnung neu zusammengefügt.
Die Idee, eine neue Ordnung und einen neuen Menschen schaffen zu können, der mit bisherigen anthropologischen Konstanten wie Kriegen sowie sozialen und kulturellen Unterschieden „aufräumen“ könne, ist das zentrale Merkmal der modernen Ideologien. Auf den Punkt gebracht, besteht sie aus zwei Ideen:
- Wir bewegen uns unaufhaltsam in Richtung einer „neuen, friedlichen, vereinten Welt“.
- Alle Grenzen, Unterschiede und Konflikte beruhen nur auf Irrtum, Aberglaube oder dem Egoismus einzelner Diktatoren.
„Aufklärung“ über diese Irrtümer müsse notwendig zur kommenden Welteinheit führen. Soweit die Theorie. Praktisch steht dieser Universalismus heute vor den Trümmern einer Utopie. Der angebliche „Menschheitsfortschritt“ zu einer postethnischen, multikulturellen Weltgesellschaft entlarvt sich als lokal begrenztes Sozialexperiment, dessen vorläufiges Ergebnis nur als kultureller Suizidversuch beschrieben werden kann.
Aller ideologischen Propaganda zum Trotz erkennen laut einer neuen Umfrage immerhin 53 Prozent der Deutschen, daß, „wenn immer mehr Einwanderer nach Deutschland kommen, das, was Deutschland war, allmählich verlorengeht“. Nur 30 Prozent widersprechen dem. Die „Köpfe“ des Landes stecken jedoch immer noch im ideologischen Wolkenkuckucksheim fest.
Trauriges Beispiel dafür war ein Kolloquium des Deutschen Bundestages anläßlich des 100. Jahrestages der Anbringung des Schriftzuges “Dem Deutschen Volke” am Reichstagsgebäude. Nach den ersten Minuten der Debatte wurde klar, daß sich alle relativ einig waren: das Volk sei eine Fiktion, ein Konstrukt, es „existiert als identitäres homogenes Phänomen nicht. […] Volk besteht vielmehr aus einer Vielzahl regionaler, ethnischer, ökonomischer, politischer, religiöser oder weltanschaulicher sowie durch Geschlecht, Alter, Bildung, Interessen, vielfach sozial differenzierter Gruppierungen. Diese sind durch das einigende Band der Geschichte, der Kultur und auch der Verfassung zu einer stets aufgegebenen Einheit zusammengefügt.“ So wird Rudolf Steinburg, emeritierter Professor der Uni Frankfurt, zitiert.
Ich will aus phänomenologischer Sicht auf diesen Satz eingehen und zeigen, auf welchen veralteten Prämissen und Widersprüchlichkeiten er beruht. Das Fundament für die Ansicht, daß es nur zwei relevante politische Ordnungsgrößen gebe, nämlich das einzelne Individuum und ein Kollektiv namens „Menschheit“, ist ein reduktionistisches Verständnis von Wahrheit.
Der zitierte Satz fällt, ohne es vielleicht zu wissen, ein „Seinsurteil“. Er spricht dem Volk eine gewisse Existenzform ab. Es gibt das Volk zwar, allerdings nicht „real“, nicht „fleischlich“, sondern als geistige Fiktion und damit willkürliche Festsetzung. Es ist ein rein begriffliches Bündel loser Fragmente. Es ist nichts, worauf sich eine Identität beziehen könnte, es ist kein „identitäres Phänomen“.
Diese Fiktion ist damit als barocker Zufall der Geschichte in einer höheren rationalen Ordnung, einer „defragmentierten“ Menschheit, aufzuheben. Dieses Seinsurteil über das Volk ist performativ vernichtend. Die Staatspolitik agiert so, als würden Völker „nicht existieren“, und vernichtet damit ihre Existenz. Ihre Zerstörung nimmt sie damit, wenn überhaupt, nur als Kollateralschaden ohne böse Absicht wahr (diese ist der Kulturpolitik jedoch durchaus zu unterstellen).
Die relativistische Kritik gegen das Volk verbirgt eine universalistische Grundhaltung. Sie verlangt eine klare und präzise Definition der „Essenz“ des Volks. Das Volk muß als geschichts- und zeitloser Gegenstand der Erkenntnis begreifbar sein, sonst wird ihm das Sein an sich abgesprochen: Was macht „deutsch sein“ im Kern aus? Kann diese Definition nicht geliefert und „auf den Punkt“ gebracht werden, ist das Volk damit als „Konstrukt“ entlarvt und der Vernichtung preisgegeben. Hier entlarvt sich aber in Wirklichkeit etwas ganz anderes.
Auf den Punkt gebracht und klar definiert werden kann nur das, was definierbar ist. Ein logisches Gesetz beispielsweise oder eine gesetzte Rechtsnorm. Ein Volk ist aber weder eine Norm noch ein Gegenstand der Mathematik noch ausschließlich der Naturwissenschaft. Selbstverständlich kann es nicht wie ein Mineralienbrocken, eine neue Käferart oder eine Teilchensorte untersucht, definiert und kategorisiert werden.
Das gilt aber nicht nur für das Volk, sondern für jedes kulturelle, soziale, politische und in letzter Konsequenz auch ökonomische Phänomen. Genausowenig wie wir beschreiben können, was die Essenz des Volkes ist, können wir die Essenz der „Menschheit“, der japanischen Teezeremonie, des Mittelalters, des Jugendstils oder Islams intersubjektiv exakt beschreiben und „auf den Punkt bringen“.
Das liegt nicht daran, daß diese Phänomene „weniger existent“ wären als etwa eine mathematische Formel. Sie sind nicht klar definierbar, aber sie „sind“ deswegen um nichts weniger. Sie haben schlicht eine andere Art der Gegebenheit, da sie im Grunde „Epiphänomene“ des menschlichen Daseins sind. Dieses ist, da wir es je selbst sind, wesensgemäß nicht „intersubjektiv“ zugänglich, weil es sich als bloße Existenz jeder statischen Definition (d.h. Umgrenzung) entzieht.
Das, was hier vergeblich umzäunt und zum begrifflichen Stillstand gebracht werden soll, ist ein Vollzug. Es ist gleichzeitig Auslegendes und Auszulegendes. Dieser hermeneutische Zirkel schafft eine Uneinholbarkeit, womit – hier lag auch Steinburg im obigen Zitat richtig – jeder bündelnde Begriff immer eine Aufgabe bleibt.
Diese besteht aber nicht nur für das Volk, sondern natürlich auch auf den Begriff der „Menschheit“, der Menschenwürde, des Menschenrechts und der Gleichheit. Sie werden heute aber mit einem fast schon religiösen Gestus kanonisch verankert und ihre angeblich objektiven politischen Konsequenzen wie Dogmen von den Lehrstühlen gepredigt.
Wenn man will, kann man jede Aussage, die nicht in den Bereich der Naturwissenschaft fällt, als „menschliches Konstrukt“ entlarven. Dieser Reduktionismus ist heute überall gang und gäbe und wird von einigen Rechten leider auch als angebliche Geheimwaffe gegen Kulturmarxismus gefeiert. Eine phänomenologische Herangehensweise verpflichtet allerdings dazu, auch die Phänomene der Kultur, Kunst, Religion und Philosophie in ihren jeweils eigenen Wahrheitskriterien und Gegebenheitsweisen ernst zu nehmen. Heidegger bezeichnet das Phänomen in einem berühmten Satz als das, „das Sich-an-ihm-selbst-zeigende“, also wie ein Ding sich von sich selbst her erfahrbar macht. Die “Ethik” der Phänomenologie, die die des Ethnopluralismus ist, bedeutet die Dinge nicht mit vorgegebenen Schablonen zu “überfallen”.
Das Volk verschimmt also dann zur subjektiven Idee wenn man es am Erkenntnisideal der Mathematik ausrichtet und Wahrheit ausschließlich als empirische Gewissheit, als „clara et distincta perceptio” (Descartes) versteht. Das Volk als metaphysische “Idee” wird dann genauso abgeschafft wie Gott, da sich beide nach Kant als „spekulative, über bloße Begriffe, über Erfahrung erheben” würden.
Derart wird aber nur ganz bestimmten politischen Begriffen zu Leibe gerückt. Volk und Volkszugehörigkeit als politische Faktoren sind nicht weniger „Konstrukt“ als die Menscheheit oder Gleichheit.
Es gibt hier einfach keine „offenkundige Wahrheit“, zur deren Lordsiegelhalter man sich erklären könnte. Die relativistische Kritik wirft dem Phänomen eigentlich die kontingente Art und Weise seiner Gegebenheit vor. Weil die Rolle der Frau, das Verständnis des Volkes, etc nicht immer und überall gleich war “gibt” es sie gar nicht. Weil diese Phänomene nicht den Kriterien einer metaphysischen Idee oder matehamtischen Formel entsprechen, die man seltsamerweise als Erkenntnisideal unterschiebt, existieren sie gar nicht und haben keine Relevanz.
Dieser Trick wird von den linken Universalisten aber sehr selektiv angewandt. Am allerwenigsten unterwerfen sie ihre eigenen universalistischen Ideale dem relativistischen Preßlufthammer. Der gesamte deutsch-europäische Schuldkult und die daran angeschlossene Multikulti-Utopie würden sich dabei rasch als unhaltbare Ungleichbehandlung und als interpolierter „Eurozentrismus“ entlarven.
Denn offenbar ist die weiße, europäische, christliche und männliche Identität “noch konstruierter“ und damit „weniger existent“ als z.B. die arabische, weibliche, nichteuropäische, islamische, welche in der Politik durchaus die Stellung „identitärer Phänomene“ genießen. Nur bei unserer Identität ist die Unmöglichkeit einer mathematischen oder metaphysischen Definition Anlaß, ihr die Existenz oder die Relevanz komplett abzusprechen.
Das Sein eines Phänomens ist aber nicht an sein Wahrheitskriterium gebunden und diese ist nicht auf ein einziges Erkenntnisideal zu reduzieren. Im Zuge der neueren Kritik der Bewußtseinsphilosophie und ihrer diversen Turns (linguistic, narrative etc.) hat sich längst ein breiteres Verständnis von Wahrheit etabliert. Die sprachliche und narrative Verfaßtheit, die kulturelle und geschichtliche Kontingenz aller Wahrheiten gehört zum Einmaleins jedes geisteswissenschaftlichen Erstsemesters. Seit Merleau-Ponty ist auch die “Leiblichkeit” jeder Erkenntnis im Gespräch. Beim Volk gilt das aber alles nichts mehr. Es ist „unlogisch“ und damit „inexistent“.
Aber das Volk “als” metaphyische Essenz oder “als” mathematische Formel zu “widerlegen”, heißt nicht es als Phänomen zu widerlegen.
Dabei ist „Volk“ nichts anderes als die formale Anzeige der vorpolitischen, gemeinschaftlichen Existenz des menschlichen Daseins. Volk ist Ausdruck der unhintergehbaren ethnokulturellen Existenz, die das Dasein nicht determinert, der man aber auch nicht ganz „entkommen“ kann.
Es ist der ethnokulturelle Verständnishorizont, in dem sich jeder Einzelne notwendig befindet. Wenn man an seinen Rand gerät, tun sich nur neue Horizonte auf. Auch eine negative oder gleichgültige Haltung stellt sich in bezug zur eigenen Herkunft. Jeder Mensch „ist“ bis zu einem gewissen Grad notwendig auch Volk, ob ihm das gefällt oder nicht. Er denkt “volkhaft” oder “völkisch” um Frauke Petry zu zitiert. Gerade die Deutschen die das am vehementesten ablehnen, sind am stärksten in ein ethnonationales Narrativ der Schuld eingebunden.
Dieser unhintergehbare Verständnishorizont, wurde als große Kränkung der universalistischen Dogmen von Denkern wie Herder, Kierkegaard, Schopenhauer und Nietzsche thematisiert. Er entlarvt, wie Alain de Benoist meisterhaft dargestellt hat, die ideologische Grundlage eines jeden Weltstaats als imperialistische Anmaßung, als geistigen Übergriff auf fremde Wahrheitsräume und Lebenswelten. Globalisierung und Multikulti entlarven sich als Vernichtung von Vielfalt.
Völker sind ethnische und kulturelle Gemeinschaften, die – ebenso wie das menschliche Dasein – nicht auf eine Seite ihres Phänomens reduziert, also biologisiert oder vergeistigt werden können. Auch unsere je eigene Existenz lässt sich nicht auf eine Summe an Zellen, oder eine statische persönliche Identität reduzieren. Die Herkunfts- und Abstammungsgemeinschaft ist wissenschaftlich untersuch- und nachweisbar, macht aber nicht das Wesen des Volkes aus. Das Volk hat keine „Essenz“ und keinen statischen Kern, sondern ist wesenhaft narrativ. Auch die Feststellung eines statischen metaphysischen „Volksgeistes“ ist fraglich, da sie dem oben beschriebenen hermeneutischen Zirkel unterliegt. Nietzsches „Kennzeichnung“ der Deutschen, daß bei ihnen die Frage, was „deutsch sein“ heißt, nicht ausstürbe, entspricht dieser Dynamik auf geniale Art und Weise.
Gerade weil das Dasein als formale Anzeige gleichursprünglicher Strukturmerkmale auf gewisse Weise „universal“ ist, die Menschen in ihrem weltweiten, konkreten Auftreten aber einzigartig, pluralistisch und agonal sind, ist es kein Widerspruch, daß diese Frage auch bei keinem anderen Volk der Welt ausstirbt. Die biologistische oder metaphyische Beschreibung sucht dagegen immer nach einer “einzigartigen Auszeichnung” eines Volkes, die es von allen anderen unterscheidet, die einen geistigen oder genetischen Trennstrich zwischen ihrer Essenz und „all die anderen“ zieht.