Mitte April blieb der Austausch stecken – Leggewie antwortete nicht mehr. Daß er genug gesammelt hatte, um daraus ein Süppchen zu kochen, ist mir seit gestern klar: Da las ich nämlich in jener Mappe, die mir einer meiner Mitarbeiter stets in der ersten Woche des Monats vorlegt und in der alle Artikel gesammelt sind, in denen es auf irgendeine Weise um uns geht.
Einen Beitrag, den die taz bereits im September veröffentlicht hatte, fand ich erst jetzt, als ich zurückblätterte: Ich hatte ihn bisher übersehen, er handelt davon, wie Claus Leggewie sein neues Buch im taz-Café präsentierte.
Die Überschrift: »Auf der Schwelle zum Faschismus«, die Unterüberschrift: »Radikale Identitäre bedrohen Europa« und über mich am Schluß fogender Absatz:
Schließlich sprach Leggewie noch von einem spannenden Mailwechsel mit dem AfD-Aktivisten und Rechtspublizisten Götz Kubitschek. Dieser sei vergleichbar mit der RAF-Terroristin Ulrike Meinhof: „Die Identitären, die AfD, stehen auf der Schwelle zum Faschismus.“
Von der Vorgestrigkeit dieses Vokabulars einmal abgesehen: Den Meinhof-Vergleich verbat ich mir im Brief vom 2. März, und weil Leggewie das alles so lückenhaft und tendenziös wiedergibt, muß nun der ganze Briefwechsel ans Licht. Hier ist Teil 1, Teil 2 folgt morgen.
Essen, 24. Februar 2016
Sehr geehrter Herr Kubitschek,
Beim Durchsehen der Publikationen und Veranstaltungen des IfS fällt mir der vermehrte Gebrauch des Wortes »Widerstand« auf. Geistige Opposition in der bestehenden politischen Kultur ist ihre Gruppe ja von vornherein und grundsätzlich, mir scheint aber, dass sich mit der bewussten Setzung dieses Begriffs nun eine aktionistische Komponente verstärkt, nachdem sie bislang eher rhetorischer Natur geblieben war. Drängen Sie jetzt zur Tat, weil sich die Verhältnisse aus Ihrer Sicht so entschieden verschlechtert haben, weil sich ebenfalls aus Ihrer Sicht die Bundesregierung genau wie der lokale Staat als unfähig erweisen? Oder bleiben Sie bei der bekannten Reserve der Konservativen Revolutionäre, etwa Ernst Jüngers, der Widerständiges in der programmatisch so genannten Zeitschrift Ernst Niekischs Der Widerstand publizierte und seine Ideen Adolf Hitler zusandte, sich aber mit der damals aufstrebenden nationalrevolutionären Bewegung dann doch nicht gemein machen wollte? Mit anderen Worten: Bleibt Widerstand bei Ihnen ein verbaler Radikalismus, der die Gedanken schärfen und zuspitzen soll, oder ist da die Versuchung, sich aktiver in den Tumult einzumischen, sei es nun in einer rechten Partei oder in einer außerparlamentarischen Bewegung, bei Straßendemonstrationen?
Gruß,
Claus Leggewie
Schnellroda, 29. II. 2016
Sehr geehrter Herr Professor Leggewie,
danke für Ihre Zeilen, wir sind also gleich beim neuralgischen Punkt. Vorweg: Daß unser – das rechtsintellektuelle – Milieu “von vornherein und grundsätzlich” in der bestehenden politischen Kultur “geistige Opposition” sei, stimmt insofern, als wir an Gesellschaftsexperimenten per se nichts Gutes finden können und in der kindischen Art der Gegenwartsdeutschen, sich in einem Post-Histoire zu wähnen und die Moral mit der Politik zu verwechseln, eine äußerst fahrlässige Fehlhaltung zu den Erfordernissen der Zeit sehen.
Mit Ihrer Annahme haben Sie recht: Man muß sich »verhalten« in einer solchen Zeit, und weil unser Ansatz schon immer ein engagierter, kein bloß beschreibender war, geraten wir nun wie von selbst in die Rolle eines nicht mehr nur grundsätzlichen, metapolitischen Akteurs. Aktiv zu werden, einzugreifen, mitzumachen, den Ball nicht nur zu beschreiben, sondern ihn zu spielen – das ist eine Chance zur Ausweitung. Wir werden sogar dazu aufgefordert, jetzt nicht abseits zu treten. Wir haben in unserem nicht kleinen Milieu den Ruf, maßgebend zu sein, experimentierfreudig, einfallsreich, tatsächlich setzend: Viele, die uns seit Jahren kennen und lesen, erwarten nicht länger nur unseren besonderen Ton und ein paar Umsetzungsideen, sondern politisches Eingreifen, Beteiligung, direkte Aktion.
Sie, Herr Professor, stellen Ihre Frage nun genau in der Phase, in der sich entscheiden wird, wie weit wir gehen. Das Vorzeichnen und Vordenken möglicher Widerstandsschritte, das Erarbeiten einer Studie zum grundgesetzlich verankerten Widerstandsrecht, die Klärung der Lage in einfachen Worten vor tausenden Demonstranten, eine Widerstandsakademie mit 130 Studenten in Schnellroda – es ist diese Mischung aus Wissenschaft, Struktur und Aktion, die uns als Taktgeber legitimiert und uns die notwendige Autorität verschafft. Wir halten unsere Köpfe hin, aber eben längst nicht überall und nicht für die gescheiterten Ansätze von vorgestern, und diese Beurteilungssicherheit wirkt ordnend und mobilisierend zugleich, das nehmen wir wahr.
Selbstbewußt ausgedrückt: Der Widerstand und die Verteidigung des Eigenen finden dort ihre angemessene, ausgewogene Form, wo wir uns beteiligen! Was meinen Sie? Ist das dann bloß Verbalradikalismus oder doch handlungsgedeckte Theorie?
Es grüßt
Götz Kubitschek
Essen, 1. März 2016
Sehr geehrter Herr Kubitschek,
danke für die Offenheit. Es ist gut Bescheid zu wissen, wenn Ihr Milieu erwägt, das „bloß beschreibende“, die Metapolitik verlassen und in direkter Aktion politisch eingreifen zu wollen. Sie nennen drei oder vier Eskalationsstufen von der staatsrechtlichen Studie zum Widerstandsrecht über die akademische Diskussion mit Gleichgesinnten bis zur Rede auf öffentlichen Plätzen, womit wohl auch Ihre eigenen Auftritte vor Pegida gemeint ist – Wissenschaft, Struktur, Aktion. Lagebeschreibung und Redeweise erinnern mich an analoge Situationen in einem anderen Milieu, das Ihnen ob seiner „Gesellschaftsexperimente“ (worauf ich noch zurückkommen möchte) zweifelhaft, ja abscheulich vorkommen dürfte. »Protest ist, wenn ich sage, das und das paßt mir nicht. Widerstand ist, wenn ich dafür sorge, daß das, was mir nicht paßt, nicht länger geschieht. Protest ist, wenn ich sage, ich mache nicht mehr mit. Widerstand ist, wenn ich dafür sorge, daß alle andern auch nicht mehr mitmachen.« Aufgeschnappt hat den Satz Ulrike Meinhof 1968 auf einem Teach-in von Black Panthern in Berlin, und sie verschärfte ihren Ton nach dem Mordanschlag eines Ultrarechten auf Rudi Dutschke, sie machte sich auf den Weg in den Untergrund in einen Widerstand, bei dem alsbald „natürlich geschossen“ werden durfte.
Das war gewiß nicht die Regel, aber eine gedankliche Abwägung, die seinerzeit viele bewegte, die sich später mehr oder weniger entschieden von der „Baader-Meinhof-Gruppe“ absetzten. Auch „68er“ beriefen sich auf jenen Art 20, Absatz 4, mit dem sich Ihre Winterakademie befasst hat und Ihr Milieu offenbar weiter beschäftigen will: »Gegen jeden, der es unternimmt, diese verfassungsmäßige Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.« Die in Deutschland stationierten Atomsprengköpfe waren später ein weiterer Anlass, Widerstandsrecht zu reklamieren oder, was etwas anderes ist, zivilen Ungehorsam.
Die APO hatte sich angesichts der Notstandsgesetzgebung der Großen Koalition in eine Situation hineinfantasiert, in der sie einen »Angriff auf die grundlegende Ordnung als solche« witterte (gegen die, noch eine Analogie?, sie grundsätzliche Einwände hatte) und alle anderen legalen Möglichkeiten einer Gegenwehr für ausgeschöpft erklärte, als stünde der Faschismus vor der Tür.
Wenn man Ihre Adressen an Dresdner Bürger und Burschenschaftler ernst nehmen soll, können sie eine ähnlich kapitale Fehlwahrnehmung und Selbstüberschätzung kaum ausschließen, und was mich atmosphärisch noch mehr interessiert ist, was Ihnen durch den Kopf geht, wenn Ihre Volks-Reden auf dem Neumarkt in Dresden das Stakkato »Widerstand, Widerstand!« auslösen?
Gruß,
Claus Leggewie
PS: Auf dem Weg nach Karlsruhe zum Parteiverbotsverfahren gegen die NPD, die eben Polizisten und Soldaten aufgefordert hat, darüber nachzudenken, wem ihre Solidarität gelten werde, wenn das deutsche Volk aktiven Widerstand demnächst gegen die Bundesregierung leiste. Die Partei erinnert an die Situation 1989 in der DDR, als es ähnlich gewesen sei. Ihre Rede?
Schnellroda, 2. III. 2016
Sehr geehrter Herr Professor Leggewie,
ich gehe davon aus, daß Sie sehr genau wissen, wie unstatthaft es ist, mein Handeln, meine Veröffentlichungen und meine Reden und Vorträge mit dem zu vergleichen, was Ulrike Meinhof als Theoretikern äußerte und später als Terroristin tat. Wenn Sie den fundamentalen Unterschied zwischen meinen massenhaft unterstützten, friedlichen und angemessenen Widerstandsschritten und einer mitmordenden RAF-Terroristin bewußt aufheben, müssen wir nicht weiterdiskutieren. Wenn Sie mich indes nur provozieren wollten, dann erkläre ich Ihnen meinethalben noch einmal, was Sie sowieso schon wissen: Innerhalb einer Situation planlosen Regierungshandelns gehöre ich zu denjenigen, die das Mindeste fordern und zu verteidigen bereit sind: die Rechtsordnung unseres Staates und vor allem seine Verfassungsidentität, die das deutsche Volk als nicht verhandelbaren Souverän vorsieht.
Also nochmal: Der Widerstand und die Verteidigung des Eigenen finden dort ihre angemessene, ausgewogene Form, wo wir uns beteiligen, das schrieb ich im vorherigen Brief bereits, und das bedeutet nichts anderes, als daß ich der Enthemmung der Auseinandersetzung um die Asylkatastrophe mit Grausen und Verzweiflung entgegenblicke: Sie war nicht notwendig, ist nun aber kaum mehr aufzuhalten (so zumindest meine Prognose). Die Verantwortungslosigkeit des Regierungshandelns sprengt alles, was ich mir vorstellen konnte, und selbst Sie werden verblüfft sein über die unbeeindruckte Art und Weise, mit der Merkel und andere sich über Gesetze und Verfahrenswege hinwegsetzen. Das ist arrogante Macht im Menschlichkeitsmäntelchen, oder? Dagegen muß das Volk machtvoll auftreten, und dem helfe unter anderem ich den Weg zu bahnen.
Wenn wir auf dieser Grundlage diskutieren können und ohne weitere unstatthafte Unterstellungen auskommen, kann unser Gespräch weitergehen. Die Angelegenheit ist zu ernst für künstliches Feuer, es brennt sowieso schon lichterloh. Die Entscheidung liegt bei Ihnen!
Es grüßt
Götz Kubitschek
Essen, 2. März 2016
Sehr geehrter Herr Kubitschek,
da Sie offenbar ein Nachtarbeiter und ich ein Frühaufsteher bin, kreuzen sich unsere Zeilen fast in Echtzeit. Zum Umgang miteinander eine Bitte: »unstatthaft« sollte in einem Dialog von Antipoden, die wir sind und bleiben, die aber die Argumente der anderen Seite respektieren und zu mehr Klarheit über die geistige Situation der Zeit drängen – unstatthaft sein. Allein die Tatsache, dass wir miteinander korrespondieren, gilt in meinem wie Ihrem Milieu als unstatthaft – sie schreiben sich ja mit dem Importeur (nicht Erfinder) des Begriffs »Multikulti«, was mich in den Augen mancher zum Unberührbaren macht. Und ich kämpfe, was die Reminiszenz an die RAF betrifft, schon lange den anscheinend vergeblichen Kampf eines Komparatisten, für den vergleichen eben nicht gleichsetzen ist, sondern heißt: die Unterschiede herausstreichen. Das ist kein künstliches Feuer, das ist der Königsweg der Erkenntnis.
Lassen wir also die Un-Person Meinhof aus dem Spiel und kommen zum Kern der Frage, die ich Ihnen gestellt habe. Sie betrifft den existenziellen und politisch-emotionalen Punkt, an dem Sie, wenn ich Kubitschek (via youtube) reden höre, doch ganz offenbar sind: Wie kommt man vom diskursiven Protest, vom verbalen Dagegensein, in den radikaleren, riskanteren Modus der verändernden Aktion, also zum tätigen Verhindern des Übels, das Sie (ich nicht) in der Verantwortungslosigkeit des Regierungshandelns erblicken?
Mein zeithistorischer Exkurs in die Sechziger Jahre ging ja genau in die Richtung, dass es die Propaganda der Tat nicht ist, also auch nicht ein Terror von rechts, wie ihn der unsägliche NSU inszeniert hat, oder Vorläufer, die mit Morden und Schrecken ein Fanal setzen wollten, also auch nicht die „Aktion Widerstand“, die sich 1970 im Verfallsprozeß der NPD bildete, um die Brandtsche Ostpolitik zu verhindern. Das war für die damalige Rechte ein ebenso verantwortungsloses Regierungshandeln, wie sie es heute bei Merkel entdecken. Da das kaum noch jemand in Erinnerung hat (die Besprechung der aktuellen Lage ist insgesamt völlig unhistorisch), sei daran erinnert (und bitte: wieder nicht gleichgesetzt!), dass sich bei dem Besuch von DDR-Ministerpräsident Willi Stoph in Kassel aus einer Demonstration eine kleine Gruppe Widerstandswilliger heraus-entwickelte, die „mehr“ wollten als Parolen, nämlich Widerstand leisten. Das war ein Sammelbecken alter Nazi-Haudegen wie Arthur Ehrhardt, aber auch der Impuls zu Gründung der „Jungen Nationaldemokraten“, die aktionistisch ausgerichtet und dabei deutlich von der Studentenrevolte inspiriert waren. Als auch das im Sande verlief, bildeten sich die genannten NSU-Vorläufer, Kühnen, Busse et al. Auch Manfred Roeder, der in den Untergrund ging.
Mit Armin Mohler habe ich das Verhältnis von rechten Intellektuellen zu Tätern diskutiert und er sagte mir damals: „Dem Manfred Roeder gegenüber habe ich oft ein schlechtes Gewissen gehabt, auch seine tollkühne Art bewundert, die er hatte. Hätte ich ihn kennengelernt, wäre ich vor seiner Unbedingtheit aber sicher zurückgeschreckt. Ich mache mir nichts vor: ich bin kein Tat-Mensch.“ Heute könne man, „höchstens versuchen, geistig stramm zu sein.“ So interpretiere ich Ihre Hoffnung, richtungsweisend zu sein und zusammen mit dem Beharren auf „friedlichen und angemessenen Widerstandsschritten” und der Distanzierung, die Sie bei Ihrer Pegida-Rede im Oktober, ersichtlich etwas contre-coeur, angebracht haben: von denjenigen, „die einen gewalttätigen Aufstand des Volkes fordern oder sich daran berauschen, daß man zu den Waffen greifen sollte. Ich bitte Euch dringend: Wehrt solche Forderungen ab, verbietet solchen Aufwieglern den Mund, von Verrückten oder von Provokateuren lassen wir uns nichts sagen.“ Hören die Leute auf Sie? Alle?
Damit ist das geistige Anbahnen wohl abgesteckt: friedlicher ziviler Ungehorsam auf der normativen Basis des Art 20 (4) GG, aber eben auch mehr als ein Leitartikel in der FAZ oder der Jungen Freiheit? Über den Zwischenraum, die riskante Grauzone, sollten wir uns etwas genauer unterhalten.
Gruß,
Claus Leggewie
Schnellroda, 3. III. 2016
Sehr geehrter Herr Professor Leggewie,
Sie irren sich: In “meinem Lager” gilt es nicht als unstatthaft, daß ich mit Ihnen korrespondiere, sondern als überfällig. Man wünscht sich ja keine Gegner von der Preisklasse Bednarz, Giesa, Speit und Augstein, sondern Kontrahenten, die Verständnislücken stopfen und Graubereiche ausleuchten wollen Und ob Sie nun den Begriff “Multikulti” importiert haben – geschenkt: Unser Land ist voll von ideologischem Ramsch. Ihr Import ist nicht das einzige fahrlässige Experiment, vor dem die plaudernde Klasse nun sitzt und leugnet, was sich der Versuchsanordnung wieder und wieder nicht einfügen lassen will: Identität, Durchsetzungswucht, Glaube, Unverträglichkeit, historische Existenz, Irrationalität.
Die Komparatistik lassen wir also sein, Kubitschek mit Meinhof zu vergleichen, die “Neue Rechte” mit der RAF, ein Fahrrad mit einem Fisch – das trägt nichts aus. Aber Ihre Kernfrage trägt etwas aus, die Frage nämlich, was jemand wie ich riskiert, wenn er nicht mehr nur schreibt, sondern verändernd agiert. Sie nennen die Zone, in der ich mich neben anderen aufhalte, die »riskante Grauzone«, und ich habe diesen Bereich in vielen Beiträgen und Reden abgesteckt, nannte ihn irgendwann Die Spurbreite des schmalen Grats.
Zunächst nun historisch, gerade weil das immer wieder als Denunziationsbegriff auf uns angewendet wird: Viele tragende Persönlichkeiten der »Konservativen Revolution« haben sich im Nachgang gefragt, warum die eigenen, im Vergleich zum Nationalsozialismus maßvollen, also konservativen Ideen und Gesellschaftsordnungspläne sich nicht durchsetzten, sondern eben der NS. Der Grund ist, daß Hitler die Wiederaufrichtung der Nation nach Versailles massenkompatibel und letztlich am billigsten verkaufte, während die Ansätze der KR in ihrer Differenziertheit ein Eliteprojekt blieben. Hinzu kommen die Durchsetzungswucht und die Skrupellosigkeit, mit denen die NSDAP agierte. Ein Beispiel: Als in den letzten Monaten des Jahres 1932 eine Regierungsübergabe an Hitler immer wahrscheinlicher wurde, erarbeitete ein KR-Kreis für General v. Schleicher das Konzept einer Präsidialrepublik, die in der Verfassung so nicht vorgesehen war, aber einen maßvollen nationalen »Führer« mit der auf die Reichswehr gebauten Macht ausgestattet und so den Kampf gegen die Abschaffung der Republik durch radikale Kräfte wirkungsvoll gemacht hätte. Frucht dieser letzten Versuche, Hitler zu verhindern, ist unter anderem die Schrift Legalität und Legitimität aus der Feder Carl Schmitts. Aber: Das Legitime zu tun, um den Staat vor dem Totalitarismus zu retten, ging gegen das Gewissen und die Rechtstreue der KR-gefütterten Politik, und nach dem 30. Januar 1933 bewies dann der NS, wie gnadenlos man aus der Verfassung heraus agieren konnte (Ermächtigungsgesetz usf.).
Ich vergleiche das nun mit unserer Lage: Dutzende Juristen (bis hin zu ehemaligen Verfassungsrichtern) bezeichnen das Regierungshandeln der letzten anderthalb Jahre als »schleichenden Staatsstreich«. Die massenhafte, planlose, illegale Einwanderung gefährde in hohem Maße die Verfassungsidentität Deutschlands, das Volk (der Souverän) sei eben keine konstruierbare, beliebig ergänzbare und austauschbare Masse, sondern eine historisch und ethnokulturell umrissene Größe und Solidargemeinschaft, die das Demokratieprinzip gerade aufgrund ihrer relativen Homogenität verwirkliche, undsoweiter.
Die Frage lautet: Wie verhalte ich mich, wenn ich den schleichenden Staatsstreich nicht nur kommentierend begleiten will, weil ich weiß, daß dieses Kommentieren nicht hinreichen wird? Wie verhalte ich mich, wenn ich sehe, daß Bewegungen wie die Pegida oder Parteien wie die AfD kriminalisiert, jedenfalls auf eine einer Demokratie so unwürdigen Art bekämpft werden, daß von staatlicher Neutralität keine Rede mehr sein kann? Wie verhalte ich mich, wenn der Staat zur Beute jener geworden ist, die seinen inneren Frieden und seine Staatlichkeit an sich in so hohem Maße gefährden? Und wie verhalte ich mich, wenn ich weiß, daß die experimentierfreudige Klasse selbst stets alle Schäfchen im Trockenen hat, daß also diejenigen, die uns allen die Suppe einbrocken, nie dort sind, wo sie ausgelöffelt werden muß? Was ist Verantwortungsethik, was Gesinnungsethik in unserer Lage? Und zuletzt: Was ist, wenn der angemessene Widerstand wiederum unterliegt, weil er zu zaghaft war, und dann tatsächlich ein gewalttätiger, punktuell brachialer und enthemmter Widerstand gegen die Regierungspolitik sich Bahn bricht?
Das ist die Verhaltensfrage innerhalb der Grauzone, in der ich mich bewege: Nicht das Notwendige zu tun, wäre verantwortungslos, und dieses Notwendige hat eben eine doppelte Frontstellung. Es ist zum einen notwendig, den schleichenden Staatsstreich zu verhindern und es ist zum andern notwendig, dies der Lage angemessen und friedlich zu tun, also zu verhindern, daß der Widerstand genau dort landet, wo ihn die Betreiber des Staatsstreichs haben möchten: In gewalttätigen, häßlichen, maßlosen Ausbrüchen Einzelner oder ganzer Gruppen, die den Nutznießer der Lage (den Asylant) mit dem Verantwortlichen (der Regierung) verwechseln.
Ich war vor einem Jahr konsterniert über die Verleumdung einer so friedlichen Bürgerbewegung wie der Pegida und ich nehme heute fassungslos die Enthemmung der Sprache und der Feindmarkierung durch linke Kräfte wahr. Ein Jakob Augstein kann im Spiegel einfach schreiben: “Rechts und intellektuell, das passt schlecht zusammen. Bei den Rechten werden Bücher eher verbrannt als gelesen.” Bitte: Was soll ich auf eine solche ironiefrei vorgetragene Bosheit, zu einem solchen zündelnden Jüngelchen noch sagen? Mir bleibt die Überzeugung, daß selbst in einer solchen Atmosphäre ein besonnenes Wort doch etwas ausrichtet. Daß unsere Gegner das Besonnene für Taktik halten, gehört zu deren Tribunalmentalität. Indes, ich meine es ernst: Die kleine Ordnung verletzen, um die große Ordnung zu retten – das ist die Quintessenz einer meiner Widerstandsreden, die Quintessenz der Beschäftigung mit dem 20/4er GG, und ich bekomme die zugleich mobilisierende wie ordnende Wirkung dieser massentauglichen Formel sehr oft bestätigt. Und wenn die Leute dann »Widerstand, Widerstand« rufen, dann ist das für mich ein Zeichen dafür, daß die notwendige Entschlossenheit neben der Friedfertigkeit ihren angemessenen Platz einzunehmen beginnt.
Es grüßt
Götz Kubitschek