Es ist einzigartig allein schon dadurch, daß es ist, genau wie jeder Mensch allein durch seine Existenz einzigartig ist, auch ohne über besondere Eigenschaften zu verfügen. Dies ist kein Selbstzweck, sollte aber der gelassene Ausgang einer weiteren Sinnfrage sein, um sie vor Selbstüberhöhung und Selbsthaß abzuschirmen.
Daß Volk als Phänomen „geschichtlich“ ist, bedeutet, daß es nicht in einer Formel oder einem Prinzip ausgedrückt werden kann. Wer könnte Schuld und Sühne in einer Gleichung ausdrücken oder die Essenz von Bachs Die Kunst der Fuge über einen Eigenschaftenkatalog definieren?
Wer diese Geschichte verstehen will, muß sie lesen. Wer das Stück verstehen will, muß es hören. Und wer ein Volk verstehen will, muß es als Vollzug er-fahren, was nicht am Reißbrett geht. Er muß seine Geschichte hören und bis zu einem gewissen Grad selbst Teil dieser Geschichte werden. Sie ist als Wesen des Volkes sein geistiger und körperlicher Niederschlag und insgesamt: Herkunft.
Indem sie Menschen um sich sammelt, Identität stiftet und zur Weitererzählung mahnt, bringt sie in Abgrenzung zu anderen Geschichten und Gemeinschaften logischerweise auch Abstammungsgemeinschaften oder besser Fortpflanzungsgemeinschaften hervor. Auch erfolgreiche Synthesen in der Ethnogenese, wie etwa die Italiker und Etrusker, bilden auf dauer eine solche.
Diese sind wesensnotwendig nicht vollkommen homogen. (Das war ein Irrtum des letztlich metaphysischen „Rassenidealismus“ des NS). Doch in ihnen besteht, wie der Ethnologe Wilhelm E. Mühlmann erkannte, ein „organisierendes Zentrum“, das Fremdes abgrenzt und ausschließt oder wenn möglich und gewollt assimiliert und in die Geschichte der gemeinsamen Herkunft einfügt.
Dieses „organisierende Zentrum“ ist weder rein geistig noch rein materiell, ebenso wie Denken oder Sprechen weder rein geistig noch rein materiell sind. „Geistig“ und „materiell“ erweisen sich vielmehr als nachträgliche Interpretationsmöglichkeiten an sich ungeteilter Phänomene und Erfahrungen.
Die Tatsache, daß Menschen in ethnokulturellen Großgruppen zusammenleben, die sich als Sprach- und Kulturgemeinschaften nach außen abgrenzen und nach innen homogenisieren, gehört ebenso wie Vermischungen, Synthesen und Aufspaltungen dieser Gruppen zu einem Grundphänomen des Daseins, das man nicht folgenlos leugnen kann, wie das unsere Politiker tun.
Das Volk und die Kultur sind und werden in den genialen Staatengründungen und Dichtungen Einzelner, in unbewußten Sedimentierungen von Bräuchen und Gewohnheiten, im Einfluß der Klimazonen und Gezeiten sowie der kulturellen Erschließung einer Landschaft, in der Wirkung der Diäten und Kochgewohnheiten aus den vorgefundenen Nahrungsmitteln sowie der staatlich-gewillkürten Bio- und Identitätspolitik, welche Typen und Ideen heranzieht, und der Typen und Ideen, welche diese Staaten gründen und tragen.
Die Grenze zwischen Körper und Geist verschwindet hier. Jeder von uns ist lebendige Geschichte, ein wandelndes Zitat seiner Eltern in einem Körper, dessen kleinste Makel und Stärken aus der Lebensführung endloser Ahnenketten in einer Sprach- und Kulturwelt aus dem tagtäglichen Gebrauch unserer Vorfahren entstanden und gewachsen sind. Wir fügen ihr nur ein neues Kapitel hinzu. Am Ende „ist“ jedes Volk vielleicht im wesentlichen eine lebendige Frage nach Sinn, die sich aus vielen Einzelnen zu einer Sprache, Religion und Kultur steigert.
Jeder von uns ist Jahrhunderte alt. Das ist vom türkischen Kebabverkäufer bis zum deutschen Installateur den meisten „normalen Leuten“ dunkel bewußt. Die kindische Apperzeptionsverweigerung, Volk als geschichtliches, ethnokulturelles, identitäres Phänomen an zu erkennen, und das völlig selektive Jonglieren mit epistemologischen Kriterien und Seinsurteilen blieb auf die geistige „Elite“ beschränkt.
Die vorher zitierte Umfrage zeigt, daß trotz des Verdikts der Elite 49 Prozent der Deutschen finden, daß „deutsch sein“ etwas mit Herkunft und Tradition zu tun habe. Noch stärker triumphiert die phänomenale Wirklichkeit über die Ideologie der „Experten“ in der Meinung der „Neubürger“. 79 Prozent der muslimischen Jugendlichen gaben in einer neuen und aufsehenerregenden Wiener Studie an, sich besonders stark zu ihrer Herkunftsgruppe zugehörig zu fühlen. Die ethnische Identität bedeutet für sie „Verbundenheit, Zugehörigkeit sowie das Intime, Private“, so der Autor der Studie. Die österreichische Paß-Identität steht für das „Rationale, Alltägliche“. Man darf sich fragen, wem im Ernstfall die Treue gilt.
Der absurde Versuch, das deutsche Volk so zu regieren, als „gäbe es kein deutsches Volk“, hat das Phänomen des Volks nicht abgeschafft, sondern einen Vielvölkerstaat geschaffen. Die uneingestandenermaßen ur-völkische Identität der antivölkischen Elite ist der Mythos der metaphysischen Kardinalschuld, in der Deutschland ewiger „Weltmeister“ bleibt. Diese bildet kein lebendiges „organisierendes Zentrum“, sondern macht das ganze Land dezentriert, atomiesiert und niedergeschlagen. Die Verschandelung seiner Kultur ist ein folgerichtiger Nebeneffekt. Die faktische Einwanderung von Millionen Fremden in diesen deutschen Zustand führte nur in einzelnen Zufällen zu einer kulturellen Einfügung, was eine Identifikation mit dem deutsche Narrativ voraussetzen würde.
Daher fühlen die meisten Migranten trotz hartnäckiger Versuche verzweifelter Deutschlehrer weder Schuld noch Stolz, wenn es um die deutsche Vergangenheit geht. Die emotionalen Wogen gehen in Migrantenklassen nur hoch, wenn Themen Palästina oder Kurdistan angesprochen werden. (Zur Verdeutlichung: Eine Einfügung in das österreichische und Wiener Narrativ würde etwa bedeuten, daß sich ein Einwanderer mit Stolz oder zumindest indifferentem Wohlwollen an die geschlagene Türkenbelagerung erinnert. Das tun die Polen in Wien. Die Türken hingegen wurden von Erdogan als die „Enkel von Kara Mustafa“ angesprochen, was ihnen sichtlich behagte.)
Der lächerliche und blasse Versuch der Erzählung eines „neuen, bunten Deutschlands“ wird ebenso ernst genommen wie die obligatorische Predigt eines Laienpriesters vor dem Suppenausschank an Obdachlose. Der Alltag des gemeinsamen Arbeitens und Konsumierens, die wenigen partypatriotischen Weihestunden zur WM und auch die standortpatriotische Ablehnung weiterer Einwanderung können nicht als Anzeichen einer echten Gemeinschaft dienen. Assimilation findet im Moment eher umgekerht statt: von Indigenen in die wachsenden Migranten-Enklaven statt, welche eine immer höhere Anziehungskraft entwickeln.
Um die Frage nach Assimilation wurde nicht nur wegen der dogmatischen Schuld-Identität ein großer Bogen gemacht. Jede Thematisierung der Assimilation hätte nämlich auch die Frage nach der begrenzten Assimilationskapazität. (Womöglich hätte man ein Quotenmodell nach dem Vorbild früher amerikanischer Einwanderungsgesetze in Betracht gezogen.) Nach so einer Debatte hätte die bisherige Masseneinwanderung niemals stattfinden dürfen. Stattdessen gab es ein allgemeines Tabu. Wir stolperten naiv und ohne Plan in das vielleicht größte Sozialexperiment der bekannten Geschichte. Es ist eine bittere Wahrheit, aber man muß sie aussprechen: Bis auf den Konsum gibt es kein gemeinsames Narrativ, der Migranten mit den „schon länger hier Lebenden“ eint.
Dahinter verbirgt sich ein tragischer Treppenwitz der Geschichte: Das ethnomasochistische Eliten-Narrativ will gar keine echte, stolze neue Einheit. Stattdessen sieht es die Migrationswellen wie Selbstgeißelungen, als lebendige, “historische Srafe“ für den deutschen „Größen- und Reinheitswahn“. Sie sind als “Lehre” für uns hier, damit wir – die Nachfahren der „Blut-und-Boden-Nazis“ – an der importierten Buntheitskur „genesen“ oder ersticken mögen. Vor allem sind sie aber “für uns” hier. Einige Migranten haben dieses absurde Spiel bereits durchschaut und rebellieren gegen diese Komparsenrolle im deutschen Selbsthaßspektakel.
Um das stumpfe und blasse Zentrum der eigenen Identität ist das deutsche Volk eine lose Konsumgemeinschaft geworden, die in zeitlosen Nichtorten, in Malls, Clubs und Lounges seit Jahrzehnten „Auszeit“ von der Geschichte nimmt. Die Migranten haben in den meisten Fällen starke nationale Identitäten, die in der Politik des faktischen Multikulturalismus sogar noch gefördert werden.
Aus dem deutschen Volk ist eine lose Konsumgemeinschaft geworden, die in zeitlosen Nichtorten, in Malls, Clubs und Lounges seit Jahrzehnten „Auszeit“ von der Geschichte nimmt.
Die Migranten haben in den meisten Fällen starke nationale Identitäten, die in der Politik des faktischen Multikulturalismus sogar noch gefördert werden.Der aufkeimende Wunsch, sich als „Deutsche ohne Migrationshintergrund“ bewußt zu werden, ist in einer Multiminoritätengesellschaft, in der es auch Deutsch-Türken, Deutsch-Albaner, Afrodeutsche, Deutsch-Tunesier etc. gibt, unvermeidbar. Wenn das „Deutsch-Sein“ nicht der zentrale positive Wert ist, an den sich Neuankömmlinge geistig und im Verlauf der Generationen auch „körperlich“ assimilieren sollen, dann muss es ja ein partikulares Interesse sein.
Warum sollen sich dann nicht auch die „Deutsch-Deutschen“ ihrer Gruppeninteressen bewußtwerden und ihre Kultur pflegen?
Daß diese, im Unterschied zu den förderungswürdigen, „interessanten“ und „exotischen“ Kulturen der Neubürger, eine nicht identitätsfähige „Konstruktion“ sei, ist natürlich keine ernsthafte Aussage mehr, sondern ethnomasochistisches Patientenmaterial. (Vom paternalistischen Rassismus, der in dieser Sonderbehandlung und positiven Diskriminierung der „edlen Wilden“ mitschwingt, ganz zu schweig en.)
Entweder ist Deutschsein das ethnokulturelle Zentrum Deutschlands, was eine klare Assimilationspolitik und entsprechende Regelung der Einwanderung erfordern würde, oder Deutschland ist ein Vielvölkerstaat, in dem die deutsche Volksgruppe dasselbe Recht auf Identität und Zukunft hat wie alle anderen auch. Tertium non datur.
Das letztere “kommunitaristische” Szenario wird aber schwer durchführbar sein. Daß auch die Demokratie und die vielbesungenen abstrakten „Werte“ so abstrakt gar nicht sind, sondern aus einer ethnokulturellen Ideengeschichte entspringen, zeigt sich spätestens da, wo der Rechtsstaat im importierten Tribalismus zerfließt wie Schnee in der Sonne und ein „Arabischer Frühling” Muslimbrüder an die Macht bringt.Das Gerede vom „starken Rechtsstaat“ und die Hymnen auf „das Grundgesetz“, die allerorts angestimmt werden sind entkernte Phrasen einer verendenden Bürokratie, die in wenigen Jahren von der Demographie vor „normative Fakten“ gestellt wird. Wer das nicht glaubt, blicke in die Gesichter der Nafris zu Köln und dann auf das demographische Datenmaterial.
Bei muslimischen Bevölkerungsmehrheiten können und werden alle Werte als das abgewählt werden, das sie sind: soziale Konstrukte. Auch das ist eine unangenehme Wahrheit, die jedem insgeheim bewußt ist. Die gemeinsame ethnokulturelle Identität und das geteilte Narrativ sind nicht nur ein „Wohlfühlfaktor“ oder die fixe Idee verträumter Idealisten. Ethnische Vielfalt und räumliche Nähe bedeuten ein mörderisches Konfliktpotential.
Zahlreiche Studien zeigen, was ohnehin jedem klar sein müßte: je multiethnischer und multikultureller eine Gesellschaft ist, desto schlechter funktionieren alle soziale Praktiken, die auf mutualem Vertrauen und dem Zusammengehörigkeitsgefühl aufbauen und desto stärker müssten bindende Narrative sein.
Dieser Text soll keinen möglichen Ausweg aus dem Dilemma aufzeigen. Er soll jedoch zeigen, welche Aufgabe vor uns liegt. Es geht nicht nur um das Drehen an ein paar Einwanderungszahlen. Es geht um die zentrale Frage nach Identität, die seit Jahrzehnten von unseren Politikern und Ideologen unterdrückt, vor sich hergeschoben oder gar kriminalisiert wird.
Diese Frage kann man heute nicht so stellen, als ob keine Einwanderung stattgefunden hätte. Auch wenn sie nicht Teil eines positiven deutschen Narrativs geworden ist, ist sie ein Teil der “deutschen Wirklichkeit”. Diese stellt heute jedoch nichts mehr als eine bohrende Frage da. Sie ist ein Zustand. Die Aufgabe aller freien (das heißt heute wohl: “rechten”) Denker in Deutschland läßt sich vielleicht in vier Punkten zusammenfassen:
- Die Überwindung und Entlarvung des ethnomasochistischen Eliten-Narrativs und des Großen Austauschs als die politische Konsequenz.
- Die Bewußtwerdung der „Deutsch-Deutschen“ als einer ethnokulturellen Gruppe mit Existenzanspruch, jenseits von Ethnomasochismus und Rassismus
- Die Frage nach einer möglichen Bedeutung und Aufgabe von „deutsch sein” in der Gegenwart, sowie nach Assimilationskapazitäten dieses neuen deutschen Narrativs. Darüber muss es eine offene und dogmenfreie Debatte geben in die alle im Land einbezogen werden.
- Nach dieser Debatte eine Politik der Leitkultur, Grenzschließung und Remigration, die den geistig und politisch grenzenlosen “deutschen Zustand” beendet.
Ich weiß nicht, wer diese Fragen stellen und wer sie beantworten wird. Sie sind schmerzlich und unbequem. Nichts wäre angenehmer, als sie zu umschiffen, auszublenden und abzutun. Das kann ich nach einem Jahr der „öffentlichen Vertretung“ einer patriotischen Bewegung aus eigener Erfahrung sagen. Aber sie müssen gestellt werden, sonst stellen sie uns. Ohne diesen 4 Schritten wird das Seinsurteil über das deutsche Volk und ganz Europa zur Wirklichkeit werden. Seine Existenz endet.
Das Volk ist kein Konstrukt, keine metaphysische Essenz, oder eine mathematische Formel sondern ein lebendiges Phänomen und eine ewige Aufgabe. Jeder, der Teil dieser Aufgabe sein will, muß sich den Fragen stellen. Und es könnte – trotz allem – noch eine großartige Geschichte werden.
Einar von Vielen
Hallo Herr Sellner,
wie gewohnt eloquent geschrieben. Aber ist es nicht viel einfacher zu beantworten? Ja, ‚Volk‘ IST eine soziale Konstruktion wie ALLES eine soziale Konstruktion ist. Der Mond ist ebenfalls eine soziale Konstruktion, ein Vorstellung die wir alle miteinander teilen von etwas, was so wie wir es uns vorstellen nicht existiert, denn der Mond ist wie jede Materie luftleerer Raum mit vergleichsweise winzigen nichtmateriellen Ladungen darin. Trotzdem ist der Mond Wirklichkeit genug, um im Wattenmeer zu ersaufen wenn man die Gezeitenfolge nicht beachtet. Mein Kaffee, ich selbst, alles ist konstruiert weil nur über Vereinfachung des wahrnehmbaren Teils der Wirklichkeit überhaupt erst Denken möglich ist.
Es kann hier also nicht um das SEIN oder NICHT SEIN des Konstrukts ‚Volk‘ gehen, sondern nur um seine Bedeutung für unser Handeln als maßgeblich oder nicht maßgeblich. Auch im Postfaktischen wird nicht einmal von den Volksverächtern behauptet, die Bedeutung des Konstrukts ‚Volk‘ wäre in der Vergangenheit nicht maßgeblich gewesen. Wie sagt es GK daher immer so schön, wer die Verhältnisse auf den Kopf stellen will ist in der Nachweispflicht, nicht umgekehrt. Folglich muss ‚nur‘ von den Volksverächtern der Nachweis geliefert werden, weshalb diese soziale Konstruktion ab heute nicht mehr maßgeblich sei. Das Charakteristikum des Konstrukts ist dabei nicht maßgeblich.