Und, gemessen an den Häuschen und niedrigen Hallen und kleinen Betrieben, schreiende Werbeschilder.
Das Rittergut Schnellroda vermittelt kaum den Eindruck, als throne im tiefsten Osten der „dunkle Ritter“ persönlich und halte geheime Zirkel ab. Eine gute Mischung aus Demeterbauernhof, Bildungsbürgerhaushalt und professionellem Verlagslager erwartet die Besucher. Nimmt man den Ort der Akademie hinzu (knapp 160 Teilnehmer passen ja nicht in Kubitscheks und Kositzas Bibliothek), darf man den Eindruck um die Erinnerung ans örtliche „Kulturhaus“ ergänzen. Vielleicht kommt diese aber auch durch die gute Hausmannskost und vor allem durch den beständigen Braunkohlegeruch des dicken Kachelofens ins Gemüt gezogen.
Am vergangenen Wochenende zog es junge Leute in ihre geistige Heimat. Es eint sie eine politische Stimmung, eine innere Haltung, ein gemeinsamer Lesekanon aus Tradition und Antaios-Büchern. Fanatisch, spinnert, agitatorisch, sektiererisch, verklemmt rückwärtsgewandt ist da keiner. Die Leute kommen, weil sie melancholisch Zusammenhänge durchschauen und sanguinisch ständig neue Zusammenhänge suchen.
Wie in einer Familie gibt es Familienähnlichkeiten: Burschenschaftler und Libertäre haben das Geschniegelte gemeinsam, hochbegabte Nerds und Aussteiger haben das Unmoderne gemeinsam, Kampfsportler und Schwule haben das Körperbetonte gemeinsam, blondbezopfte Mütter und Gediente haben das Traditionale gemeinsam, die Gitarre eint YouTuber und Jugendbewegte, Gepiercte und Langbärtige haben das Freakige gemeinsam, AltRighter und IBster das Internetaffine, Nokiahandybesitzer das Gegenteil. Wenn man das nicht diversity nennen sollte, was dann?
„Gewalt“ war das Thema, vorher sprach man grinsend von der „Gewaltakademie“. Wie unterschiedlich die Zugänge sind, mögen zwei Vortragende bezeugen: Marc Jongen, ätherischer Parteiphilosoph der AfD und bald auch deren baden-württembergischer Bundestagsabgeordneter, und Jack Donovan, Amerikaner, Tribalist, „uncucked as fuck“, Autor von „Der Weg der Männer“.
Jongen entfaltete seine bekannte These von der „Thymosregulierung“ anhand der Migrationsproblematik. Der Thymos galt den alten Griechen neben dem Logos (Verstandesvermögen) und dem Eros (Begehrungsvermögen) als dritte Seelenkraft, die Zorn, Stolz, Eifer und Mut enthält (bei Platon heißt er der „muthafte Sinn“). Uns – in der Moderne ohnehin, aber nach 1945 den Deutschen noch einmal mehr – ist ein tiefgehendes Verharmlosungstraining zugemutet worden. Die Folge: Abfall der Thymosspannung. Nun aber: „Invasion der Stressoren“ aus der hochthymotischen Kultur des Islam. Soviel Zähmung der „Bestie Mensch“ kann man sich, so Jongen, nicht mehr leisten, es gelte, ein kulturelles Formierungslevel wiederzuerlangen, eine zivile Wehrhaftigkeit. Jongens Gewaltkonzept ist selber ausgesprochen kultiviert, ohne Formgebung ist Gewalt für ihn seelisch nicht zu bewältigen.
Donovan brüllte seinen Vortragstitel in die verschüchterte Zuhörerschar: „Violence Is Golden!“. Muskulöser Nietzscheaner und Anführer einer Horde „Wolves of Vinland“, verkörpert er im wahrsten Sinne seine These: „Don’t let the slaves’ narrative influence our narrative!“ forderte er, und nahm das Publikum mit in die gute alte Herrenmoral hinein, das sich darin etwa Hälfte, Hälfte endlich mal zutiefst verstanden, oder gänzlich abgestoßen fühlte – und die Hälftenteilung verlief beileibe nicht allein zwischen Mann und Frau. Gewalt sei eine harte, goldene Währung, jede noch so institutionalisierte, rechtsförmige oder pädagogische Regel laufe am Ende darauf hinaus, daß physische Gewalt ihre ultima ratio sei. Und die ist bei aller politischen Korrektheit nie ganz verschwunden, wegkultiviert, aberzogen, sondern schlummert im Manne, bereit, herausgelassen zu werden.
Zu bemerken ist: es gibt Frauen in Schnellroda! Das ist ein relativ neues Phänomen, letztes Jahr waren auch schon Frauen da, aber noch deutlich weniger. Die Anwesenheit von Frauen erzeugt per se eine subtile Spannung. Ein reiner Männerbund ist auf Dauer unerquicklich, außer die Horde durchstreift die Wälder. Lustig ist das “Frauenthema” dann, wenn Donovan vorträgt, und nachher sich eine junge Dame meldet und fragt, er habe ja jetzt für Männer vieles gesagt, aber was er denn für Frauen zu sagen hätte. Na gar nichts, ist doch logisch!
Aber weiter:
Martin Sellners Gewaltlosigkeitsvortrag wurde absolut begeistert aufgenommen, und zwar, wie mir schien, einesteils der unwiderlegbaren These wegen (es gibt argumentativ einfach keine funktionierende Begründung für gewaltsamen Aktionismus), andernteils weil die Akademieteilnehmer wirklich innerlich so drauf sind. Der „gewaltbereite Nazi“ ist ein Strohmann, der „Haß“ ein Phantom, die Spiegelbildlichkeit mit der Antifa eben das, was Spiegelbilder sind: Projektion.
Ein spontanes Zwiegespräch zwischen Götz Kubitschek und Martin Sellner, das später stattfand, an Benedikt Kaisers klugen Sorel-Vortrag angeschlossen, zeigte aber auch ein thymotisches Problem der Gewaltlosigkeit. Es ist das Problem des rechten Selbstverständnisses. Das darf einfach nicht in politischer Strategie, argumentativer Absicherung und „Selbstverharmlosung“ (Kubitschek) aufgelöst werden. Eine menschenfreundliche Utopie von rechts zu stricken, wie es Sellner manchmal vorzuschweben scheint, stößt hart mit dem zusammen, was die Antaiosleserschaft genauso im Herzen trägt: diesen grundsätzlichen „Mangel an Versöhnung“ (Gottfried Benn).
Wie bringt man René Girard und Kubricks „ A Clockwork Orange“ zusammen? Beide Themen sind weiß Gott keine rechten Bestände, mit denen die Zuhörer rechnen konnten, außer sie kennen Martin Lichtmesz. Girards Überlegungen zum Sündenbock rühren an tiefe Schichten menschlicher Gewaltabwehr. Alex’ behavioristische Zurichtung zum „guten Christen“ im Film verläuft ungleich aggressiver als die christliche Erzählung vom Opfer Christi. Die Opferperspektive hat kulturell Raum gegriffen, die Täterperspektive der Gewalt bleibt in der unterdrückten Phantasie, herrlich zu sehen im perversen Mienenspiel des Gefängniswärters und in der fröhlichen Bestie Alex.
Um in der gegenwärtigen politischen Lage ebenfalls eine Sündenbockstrategie am Werke zu sehen, braucht man für weitere Details nur in Lichtmesz’ aktuelles Kaplakenbändchen zu schauen. Darauf, daß der Opfermythos nur allzuleicht zum Identifizieren taugt (jeder fühlt sich gern als Opfer der Verhältnisse), sind die Teilnehmer vor Ort nicht hereingefallen. Offensichtlich hat Lichtmesz es geschafft, ihnen zu vermitteln, daß das „Heilige der Gewalt“ nicht zum Jammern paßt.
So viele richtig kluge junge Zuhörer auf einem Haufen sind selten. Verglichen mit philosophischen Fachtagungen, da ist ebenfalls reichlich Intelligenz im Raume, und Studienstiftungsakademien, da kommt zur Intelligenz auch noch soziale Fitneß hinzu, hatten wir es in Schnellroda mit Klugheit zu tun. Man muß schon ganz schön anders sein und anders sein wollen als die anderen, um überhaupt dort hinzufahren. Es erfordert Blicke unter den Verblendungszusammenhang, dann Bekenntnis, dann den Versuch, eine Haltung zu erringen und zu halten. „Den leichten und bequemen Weg zu verlassen zugunsten der Entbehrungen“ helfe dem Thymos auf, erklärte Marc Jongen in seinem Vortrag.
Einmal in Schnellroda angekommen, liegen die Entbehrungen in weiter Ferne, zu gut sind Vorträge, Gespräche, Wein, Bier, komische Cola und komische grüne Brause, Essen und ein gewisser böser Humor, der immer ein Anzeichen von Intelligenz ist, statt von Gewaltbereitschaft.
Am Sandsteinviadukt und den Werbeschildern (was ist hier noch typisch wofür?) vorbei geht es wieder in die Außenwelt. Man nimmt sich Heimat mit nach Hause. Nachlesen kann man die Vorträge übrigens im neuen Sezession-Heft, Thema “Gewalt”, just erschienen, hier bestellbar.
Sven Jacobsen
Man muss gar nicht viel Zeit aufbringen für einen Vergleich der intellektuellen Qualität der Beiträge und Vorträge hier bei der Sezession, der Beiträge beispielsweise in einem beliebig ausgewählten Forum bei Facebook, Google+ oder anderer Internetpräsenzen, um festzustellen, wie gesittet es hier zugeht und wie abstrus die Unterstellungen der Medien oder die der tapferen Antifaschisten vor dem Rittergut sind. Ich freue mich auch, dass immer mehr Damen die Kreise hier beehren. Daraus kann nur Gutes erwachsen.