Kunst hat die Aufgabe zu kräftigen

Als Publizist ist Sebastian Hennig ein umtriebiger Willensmensch, der sich einer strengen Zeitökonomie unterwirft. Als Künstler trotzt er dem Genie- und Produktivitätskult auf dem Kunstmarkt. Seine Bilder sind still, frei von den Gebärden selbstherrlichen Machens und Erfindens.

Anstatt den Weltenschöpfer zu geben, schult er die Empfänglichkeit für das Anwesende. Und er weiß, dieser ersehnte Zustand tritt nicht ein, bevor auch die Absicht, absichtslos zu werden, erloschen ist.

Seitdem Sebastian Hennig in den späten achtziger Jahren zu malen und zu zeichnen begonnen hat, verweigert er sich dem künstlerischen Überbietungswettbewerb um die Aufmerksamkeit eines abgebrühten Publikums. Heute reagiert dieses Publikum allerdings nur noch mit fahrigen Reflexen auf Kraßheiten, Anzüglichkeiten, Skandalisierungen, Illusionierungen, Einschüchterungen und Anspielungen auf unsere Lüsternheit, Karrieregeilheit und Abstiegsangst. Seine Auffassungskraft ist ausgelaugt. Für die Erschöpften haben Bilder der Sammlung, Entrücktheit und Versonnenheit womöglich größere Sogwirkung als Anreize zu weiterer Verausgabung und Grenzüberschreitung.

Unbewegliche Objekte öffnen sich leichter dem inständigen Blick als bewegliche (Menschen, Tiere, Fahrzeuge), die auf dem Bild zum Stillstand kommen. Vielleicht deswegen waren bis ins erste Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts menschenleere Landschaften, Denkmäler, Industriebauten und Stilleben die bevorzugten Motive Sebastian Hennigs. Als Landschaftszeichen, deren verborgene, gleichsam gespeicherte Intensität durch farbliche Kontrastierung entbunden wird, beginnen sie bei ruhiger Betrachtung zu leuchten. Ähnliche Motive finden sich auch in den Bildern der letzten Jahre. Sie tragen Titel wie »Radebeuler Häuser«, »Pappelallee in Karzig«, »Trümmer in Karzig«, »Riesa an der Elbe«, »Meißen über der Elbe«.

Mit dem Spätimpressionismus verbindet diese Landschaftsmalerei der Gebrauch der Farbe als sinnliche Fügung und plastische Wahr-Nehmung. Sie unterscheidet sich von ihm durch die Einbettung der einzelnen Natur- und Stadtelemente in eine visionär gewonnene Gesamtschau des Ortes.

Sebastian Hennig malt nun aber auch Menschen und Tiere in die Landschaft. Mir erscheinen diese Gestalten ebenso entrückt wie die verschwommenen Felder, Baumgruppen, Straßen, Brücken, Gebäude, Gewässer und Gestade. Wie aus Erinnerungen treten sie hervor, wie Wesen aus Geschichten, die mit der Formel »Es war einmal« einsetzen. Mit Ausnahme des verendeten Tiers im Bild mit dem Titel »Der Abbau Dresdens« richtet keines dieser Geschöpfe den Blick auf den Betrachter. Sie drängen sich uns nicht auf. Sie sind eingetroffen. Fragen nach der Bedeutung ihrer Gegenwart erübrigen sich. Die Gestalten sind von selbstverständlicher Seltsamkeit. Sie holen das Triviale ins Wunderbare zurück.

Auch für das Dresden-Bild mit dem toten Tier im Vordergrund und der Baustelle an der Elbe sowie der Zwingerkuppel im Hintergrund gibt es keine Deutung – außer einer Auskunft des Künstlers, wonach die Eingebung von jenem zaubrischen Tierwesen aus zu einem Schuttberg oder Gesteinsbrocken glitt, von diesem zur Wiederaufbaustelle und von dieser zum Begriff des Abbaus von Dresden. Keine Worte, auch nicht der Titel, repräsentieren das Bild. Im übrigen besitzt Sebastian Hennig zufolge die Welt ihre eigene Sprachlichkeit. Der Maler liest in ihr, indem er sie einbildet.

So wie einen Schuldstolz gibt es auch einen Katastrophenstolz. Auf globalem Niveau trägt er den Namen Anthropozän. Daß der Planet Erde mittlerweile ein menschengemachter Planet sei, wird damit belegt, daß wir drauf und dran seien, ihn durch CO2-Emission und Überdüngung unbewohnbar zu machen. Und wer kann uns vor diesem Schicksal retten? Nur der Mensch selbst. Der Fortbestand des Planeten, schlußfolgern wir, ist abhängig von unserem Tun und Lassen. Demnach ist die Erde wohl ganz und gar unsere Welt geworden.

Dieser Stolz – wir begegnen ihm auch in der Gentechnik und im Dekonstruktivismus, das heißt in der Vorstellung, jede Welterkenntnis entstamme einer menschengemachten Simulation der Natur, wir seien also gar nicht fähig, unserer schuldhaften Allmacht zu entkommen – dieser Stolz ist wenig mehr als blinde Hybris. Denn alle Stoffe und Kräfte, die wir verbrauchen, anwenden, potenzieren und einsparen, haben wir bereits vorgefunden. Zauberlehrlingsmäßig pfuschen wir mit ihnen herum.

In der zeitgenössischen Kunst gleicht die Weltenschöpferhybris einem permanenten Festival der Vermengung aller möglichen Stile, Stoffe und Verfahren. Hauptsache, man geht »neue Wege« – aber wie und wovon hebt sich das Neue noch ab? Nahezu alle Maler, Grafiker, Bildhauer und Videokünstler posieren als Konstrukteure irgendwelcher Aggregate, sogenannter Welten, aus dem Nichts. Sie verwechseln dabei die grundlegende, unüberwindliche Exzentrik des Menschen mit Beliebigkeit. Der Preis, den sie dafür bezahlen, genauer: längst entrichtet haben, ist hoch. Sie sind weltblind geworden. Sie verschwenden ihre Befähigung zur Einkehr ins Unvordenkliche.

Sebastian Hennig ist sich dessen bewußt. »Ich verachte eine Kunst, in welcher der Künstler sich als Demiurg feiert«, sagt er. Zwar spricht er gern über Kunst, aber nur widerwillig über seine eigenen Arbeiten. Lieber wolle er »mit Anmut scheitern«, sagt er, als mit brachialer, herrischer Geste aufzutrumpfen. Was ihn so sprechen läßt, ist weniger Bescheidenheit als Einsicht in die fortdauernde Abhängigkeit der Kunst vom Unverfügbaren. Sich selbst nennt er einen »musikalischen Sensualisten«, keiner malerischen Tradition mehr zugehörig, doch in Hochachtung vor Künstlerpersönlichkeiten, die sich in ständiger Mühsal dem bestürzenden Geschenk, der Gnade, offengehalten haben – Caspar David Friedrich, Arnold Böcklin, Carl Schuch, Pierre Bonnard.

Sebastian Hennig sträubt sich dagegen, seine Arbeit als eine beliebig wiederholbare Tätigkeit zu beschreiben. Als eine Leistung, die jederzeit abrufbar wäre. Was sie nicht ist. Aus demselben Grund bestreitet er, mit seinen Bildern irgendeinen gesellschaftlichen Auftrag zu erfüllen, etwa den durch Photographie, Fernsehen und Internet geförderten Realitäts- und Wahrnehmungsverlust zu kompensieren. Kunst sei kein Instrument für gute Absichten, auch nicht für Kulturkritik. Jedoch sagt er ebenfalls, zu meiner nicht geringen Überraschung: »Kunst hat vor allem die Aufgabe, zu kräftigen.« Ich bat ihn um Aufschluß, und er deutete an, der Künstler erschließe sich selbst und den anderen die Quellen der Inspiration, das heißt, eine Art passiver Schöpferkraft, die sich durch Übung und Geschick zwar einladen, aber nicht beherrschen und instrumentalisieren lasse. In künstlerischer Arbeit trete etwas von außen hinzu – oder eben nicht. Auch wenn die einheitliche Sicht auf die Welt verlorengegangen sei – und mit ihr strenggenommen der Gegenstand als das fraglos Vorhandene –, ohne das Vertrauen des Künstlers auf die Einheit der Welt wachse ihm nicht die Fähigkeit zu, Medium für Visionen zu sein.

So wappnet sich Sebastian Hennig gegen die große Zerstreuung und Zerstreutheit, der uns die Bildschirmmedien ausliefern, indem er beteuert, daß der Einfluß dieser Medien überschätzt werde. Keine Rede davon, daß wir in einem Chaos gegenläufiger Inszenierungen umherirren und in elektronischer Allgegenwart an unserer eigenen Präsenz irrewerden. Kulturpessimismus liefert ein Alibi dafür, daß nicht getan wird, was getan werden kann. Der Künstler gibt mit dem Werk, zu dem er Anlauf nimmt, eine Antwort auf die große Zerstreuung, verweigert sich folgerichtig der Kulturkritik. Er beklagt nicht den Verlust der Werte des Abendlands, sucht nicht nach Ruhe bei Eremiten, Asketen und anderen frommen Menschen oder bei edlen Wilden oder der großen Mutter.

Nur in greifbarer Nähe, nur in dem, was Eingang ins Bild nden kann, erlaubt sich Sebastian Hennig die Bilanzierung von Verlusten, die sich im Ortsverlust bündeln. Mich fesselt an seinen unaufdringlichen Bildern, daß sie weder in Bodenlosigkeit und Willkür schwelgen, noch Rückkehr und Heimkehr beschwören. Diese Bilder schlagen in Bann, weil der Künstler für und gegen uns die unfaßbare Gegenwart der Dinge aushält.

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