In memoriam Dominique Venner

Der Mann, der vor mir stand, war schlank, mittelgroß, hatte kurzgeschnittenes Haar und trug ein Lächeln auf den Lippen: »Dominique Venner« (er sprach es aus, wie es die Italiener machen, indem sie die doppelten Konsonanten trennen: »Ven-ner«). Er war gerade aus dem Gefängnis entlassen worden, wo er aufgrund politischer Aktivitäten gesessen hatte, die unter das Delikt des »Wiederaufbaus verbotener Gruppierungen« fielen und auch sonst von einem sympathischen Illegalismus geprägt waren. Dieses Treffen betrachte ich als Beginn einer Freundschaft, die mehr als ein halbes Jahrhundert andauern sollte.

Der Mann, der vor mir stand, war schlank, mit­tel­groß, hat­te kurz­ge­schnit­te­nes Haar und trug ein Lächeln auf den Lip­pen: »Domi­ni­que Ven­ner« (er sprach es aus, wie es die Ita­lie­ner machen, indem sie die dop­pel­ten Kon­so­nan­ten tren­nen: »Ven-ner«). Er war gera­de aus dem Gefäng­nis ent­las­sen wor­den, wo er auf­grund poli­ti­scher Akti­vi­tä­ten geses­sen hat­te, die unter das Delikt des »Wie­der­auf­baus ver­bo­te­ner Grup­pie­run­gen« fie­len und auch sonst von einem sym­pa­thi­schen Ille­ga­lis­mus geprägt waren. Die­ses Tref­fen betrach­te ich als Beginn einer Freund­schaft, die mehr als ein hal­bes Jahr­hun­dert andau­ern sollte.

Ven­ner hat­te sei­ne erzwun­ge­ne Ruhig­stel­lung genutzt, um sich wei­ter­zu­bil­den, über die Lage nach­zu­den­ken, sei­ne Ideen bei den Mit­häft­lin­gen zu ver­brei­ten und meh­re­re Grund­la­gen­tex­te zu ver­fas­sen, deren berühm­tes­ter Pour une cri­tique posi­ti­ve (Für eine posi­ti­ve Kri­tik) war, den er im Juli 1962 im Gefäng­nis »San­té« schrieb und der einen ent­schei­den­den Einfluß auf vie­le von uns aus­üben soll­te. Er hat­te auch zahl­rei­che Pro­jek­te in Pla­nung, allen vor­an die Grün­dung einer Zeit­schrift. Dar­aus ent­stand Euro­pe-Action, deren ers­te Num­mer im Janu­ar 1963 erschien. In Mémoi­re vive, dem Erin­ne­rungs­buch, das ich 2012 bei Ber­nard de Fallois ver­öf­fent­lich­te, erzäh­le ich detail­liert, was die Euro­pe-Action tat­säch­lich war – ein ins­ge­samt ziem­lich kurz­le­bi­ges Aben­teu­er, das jedoch in den Köp­fen derer, die es erlebt hat­ten, dau­er­haft nach­wirk­te, obwohl es kaum mehr als fünf Jah­re exis­tier­te. Domi­ni­que Ven­ner war vom Anfang bis zum Ende ihr unnach­gie­bi­ger, freund­li­cher und genia­ler Kopf. Die nahe­zu bedin­gungs­lo­se Bewun­de­rung, die wir ihm ent­ge­gen­brach­ten, hat­te jedoch nichts mit einem »Füh­rer­kult« zu tun, zumal Domi­ni­que sich nie­als ein sol­cher in Sze­ne setz­te, son­dern stets als ein Akti­vist unter ande­ren auf­trat. Sagen wir ein­fach, daß wir in ihm den Pro­to­ty­pen des idea­len mili­tan­ten Revo­lu­tio­närs sahen, der wir alle sein wollten.

Und doch kam es zwi­schen uns Stu­den­ten und den radi­ka­len Akti­vis­ten der Euro­pe-Action-Unter­stüt­zungs­zir­kel nie zu einer voll­stän­di­gen Fusi­on. Nach den zwei stür­mi­schen Jah­ren 1963 und 1964, die einem ver­zeh­ren­den, ja tota­len Radi­ka­lis­mus gewid­met waren, kris­tal­li­sier­ten sich gewis­se Ori­en­tie­rungs­un­ter­schie­de her­aus, und zwar zwi­schen einem Kreis, der sich mit Domi­ni­que Ven­ner mehr der poli­ti­schen Ebe­ne ver­pflich­ten woll­te, und jenen, die – wie ich – ihre Prä­fe­renz für eine ver­stärkt »kul­tu­rel­le« Arbeit äußer­ten. Die »Bewe­gung« um Domi­ni­que stürz­te sich fol­ge­rich­tig in eine poli­ti­sche Flucht nach vor­ne, die ihr zum Ver­häng­nis wur­de. Ende 1965 wur­de die Ent­schei­dung getrof­fen, die Unter­stüt­zungs­aus­schüs­se von Euro­pe-Action in eine poli­ti­sche Bewe­gung namens Mou­ve­ment natio­na­lis­te du pro­grès (Natio­na­lis­ti­sche Bewe­gung des Fort­schritts) zu über­füh­ren. Als »rélis­tes« (ein Begriff, der auf den Rea­lis­mus anspielt!) war­fen sie sich mit aller Kraft in den Wahl­kampf und erlit­ten im Zuge der Par­la­ments­wah­len vom März 1967 eine her­be Nie­der­la­ge. Das führ­te zu einer Finanz­kri­se, die die Infra­struk­tur der Bewe­gung zusam­men­bre­chen ließ und zum Ver­schwin­den von Euro­pe-Action führ­te.

Drei Wochen spä­ter ver­ließ Domi­ni­que Frank­reich für einen kur­zen Auf­ent­halt in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten. Spä­ter erzähl­te er mir von der Ver­zweiflung, die ihn damals ergrif­fen habe. Sei­ne Ent­schei­dung, die ich gänz­lich bil­lig­te, war eine regel­rech­te Erleich­te­rung für mich. Ohne sie hät­te ich mich zwei­fel­los nicht frei gefühlt, mein eige­nes Leben neu zu ori­en­tie­ren, hin zu dem, was ich ab Ende 1967 mach­te: die Zeit­schrift Nou­vel­le Éco­le zu grün­den und GRECE maß­geb­lich zu gestal­ten. Im Gegen­satz zu dem, was oft gesagt oder geschrie­ben wur­de, hat Domi­ni­que Ven­ner nie zu den Grün­dern der »Nou­vel­le Droi­te« gehört. In den Jah­ren 1968/1969 stand er der Opti­on einer aus­schließ­lich auf das Gebiet der Ideen kon­zen­trier­ten Arbeit äußerst reser­viert gegen­über, was ihn jedoch nicht dar­an hin­der­te, uns in einer Nach­richt viel Erfolg zu wün­schen. 1969 grün­de­te er das Insti­tut d’études occi­den­ta­les (Insti­tut für abend­län­di­sche Stu­di­en), wofür er die Schirm­herr­schaft Thier­ry Maul­niers gewin­nen konn­te. Das IEO orga­ni­sier­te eini­ge Kol­lo­qui­en (ich hielt dort einen Vor­trag) und publi­zier­te die von Jean-Clau­de Bar­det ver­ant­wor­te­te Zeit­schrift Cité-Liber­té, die nach nur sie­ben Num­mern ein­ge­stellt wur­de; das Insti­tut been­de­te sei­ne Arbeit bereits 1971.

Von die­sem Datum an begann Domi­ni­que Ven­ner eine gänz­lich ande­re Kar­rie­re. Er änder­te sicher­lich nicht sei­ne Per­sön­lich­keit, aber er füg­te ihr neue Facet­ten hin­zu. Er, der in sei­ner Jugend von einer Kar­rie­re in der Armee geträumt hat­te, auf die er spä­ter ver­zich­ten muß­te, begann eine stol­ze Anzahl von Büchern zu schrei­ben, die der Mili­tär- und Waf­fen­ge­schich­te gewid­met waren: eine gera­de­zu klas­si­sche »Ver­schie­bung«. Par­al­lel zur Ent­wick­lung sei­nes bemer­kens­wer­ten Schreib­stils wur­de er im Lau­fe der Jah­re zum Waf­fen- und Jagd­ex­per­ten; er selbst jag­te lei­den­schaft­lich ger­ne. Er begann auch mit der Publi­ka­ti­on von Geschichts­bü­chern. Sein ers­tes hieß Bal­ti­kum. Les corps­francs de la Bal­tique (dt. Söld­ner ohne Sold. Die deut­schen Frei­korps 1918–1923, Berlin/Wien 1974), das im Jah­re 1974 bei Robert Laf­font erschien. Wie man weiß, folg­te dar­auf eine Men­ge wei­te­rer Bücher.

Im Lau­fe die­ser gut 30 Jah­re, in denen sich Domi­ni­que gewis­ser­ma­ßen aus der Öffent­lich­keit zurück­zog, habe ich den Kon­takt mit ihm nie unter­bro­chen. Mit Ver­gnü­gen erin­ne­re ich mich heu­te dar­an, wie er inmit­ten der Ereig­nis­se des Mais 1968 bei mir in Paris leb­te. Er ver­folg­te die Ent­wick­lung der »Nou­vel­le Droi­te« und las unse­re Ver­öf­fent­li­chun­gen, an denen er gele­gent­lich mit­ar­bei­te­te. Wir aßen vier- oder fünf­mal pro Jahr gemein­sam zu Mit­tag oder zu Abend. Wis­send um sei­ne Bewun­de­rung für Ernst Jün­ger, über den er spä­ter ein Buch schrieb (Ernst Jün­ger. Un aut­re destin euro­pé­en, Mona­co 2005), hat­te ich ihm bereits 1997 mei­nen eige­nen Essay über den Autor des Wald­gangs (frz. Trai­té du Rebel­le – Trak­tat über den Rebel­len) gewid­met.

Da wir uns ver­schie­den ent­wi­ckel­ten, waren wir nicht immer einer Mei­nung. Domi­nique blieb »rechts­las­ti­ger« als ich und des­halb The­men ver­haf­tet, unter die ich bereits einen Schluß­strich gezo­gen hat­te. Außer­dem hat­te er – wie so vie­le Män­ner der Rech­ten – kei­nen über­trie­be­nen Respekt vor Intel­lek­tu­el­len! Wäh­rend ich mich von 1966 an, also dem Datum, an dem de Gaul­le Frank­reich aus dem Kom­man­do der NATO lös­te, immer mehr als »Gaul­list« fühl­te – in einem ähn­li­chen Sin­ne wie ein Jean Cau, ein Domi­ni­que de Roux oder ein Jean Par­vu­les­co –, heg­te er eine dau­er­haf­te Ani­mo­si­tät gegen­über dem Gene­ral, die nicht allein im Alge­ri­en­krieg begrün­det lag. Als sein Buch De Gaul­le. La gran­deur et le néant (De Gaul­le – Die Grö­ße und das Nichts, Mona­co 2004) erschien, gab uns das
die Gele­gen­heit, in den
Élé­ments freund­schaft­lich die Klin­gen zu kreu­zen (Früh­ling und Som­mer 2005). Eben­falls 2005, eben­falls in den Élé­ments (Win­ter 2005), strit­ten wir um die Bewer­tung der heu­ti­gen Rech­ten, im Ton­fall etwas hart, aber stets im Geis­te der Freundschaft.

Es ist die his­to­ri­sche Refle­xi­on, die bei Domi­ni­que Ven­ner schließ­lich die Wand­lung vom Akti­vis­ten zum »medi­ta­ti­ven His­to­ri­ker« bewirkt hat, um die For­mel auf­zu­grei­fen, die er ger­ne zur Selbst­be­schrei­bung benutz­te. Die Über­nah­me der Lei­tung der Zeit­schrift Enquête sur l’histoire und schließ­lich, ab 2002, auch der Nou­vel­le Revue d’Histoire half ihm, ein Publi­kum wie­der­zu­fin­den, das »poli­ti­scher« war als die Leser­schich­ten, die er mit Büchern über Waf­fen oder Jagd errei­chen konn­te. Eben­falls ab 2002, nach Erschei­nen sei­nes Essays His­toire et tra­di­ti­on des Euro­pé­ens, sah man ihn immer häu­fi­ger Stel­lung zu aktu­el­len The­men und Debat­ten bezie­hen. Es ist zwei­fel­los die­ser »spä­te« Ven­ner, des­sen Bild die meis­ten heu­te vor Augen haben.

Seit sei­nem Frei­tod in Not­re-Dame am 21. Mai 2013 scheint mir die Gestalt Domi­ni­que Ven­ners eine – im bes­ten Sin­ne des Wor­tes – mythi­sche Dimen­si­on ange­nom­men zu haben. Obwohl sich der größ­te Teil sei­nes Lebens abseits jedes poli­ti­schen Enga­ge­ments voll­zog, erken­nen sich heu­te zahl­rei­che Jun­ge in ihm wie­der. Ich bin dar­ob nicht über­rascht, da er immer ein Rebell sein woll­te. In sei­nem per­sön­lichs­ten Buch, Le cœur rebel­le (1994), sag­te Domi­ni­que, »rebel­lisch zu sein« bedeu­te, »sich selbst den eige­nen Maß­stab zu geben. Sich selbst treu zu blei­ben, egal was es kos­tet. Dar­auf zu ach­ten, nie­mals sei­ne Jugend zu ver­ges­sen. Sich eher die gan­ze Welt zum Feind zu machen, als sich auf den Boden zu wer­fen. … Und umge­kehrt, nie­mals den Wert eines ver­lo­re­nen Kamp­fes in Fra­ge zu stel­len.« Die­se Sät­ze darf man nicht miß­ver­ste­hen. »Sich selbst den eige­nen Maß­stab zu geben« bedeu­tet nicht, sich hoch­mü­tig in den Mit­tel­punkt des Uni­ver­sums zu stel­len, und noch weni­ger bedeu­tet er eine Legi­ti­ma­ti­on des Indi­vi­dua­lis­mus. Son­dern dem treu zu blei­ben, das man wer­den woll­te, und sich nicht selbst zu ver­leug­nen. Die »Hal­tung« hängt von der Ethik ab, folg­lich vom Stil.

Für Domi­ni­que, der mehr als jeder ande­re Wert auf Hal­tung leg­te, drück­te sich der Stil durch ein­fa­che Grund­sät­ze aus: Auf­recht zu leben und zu ster­ben. Nie­mals zuerst nach sei­nem per­sön­li­chen Gewinn zu trach­ten. Nie­mals intri­gie­ren, nie­mals aus­wei­chen. Sich nie­mals bekla­gen, nie­mals erklä­ren. Und auch der üblen Nach­re­de, dem Geschwätz, dem Klatsch und Tratsch fern­zu­blei­ben. Das auf­zu­su­chen, was erhebt, und alles zu ver­mei­den, was hin­un­ter­zieht. Da Ven­ner kein gro­ßes Auf­se­hen um sei­ne Per­son mach­te, zeig­ten sich die­se Din­ge nur jenen, die ihn gut kann­ten. Die ande­ren hiel­ten ihn für reser­viert oder gar dog­ma­tisch. Es stimmt, daß die­ser Mann manch­mal steif erschien. In einem hal­ben Jahr­hun­dert habe ich ihn nicht ein ein­zi­ges Mal laut­hals aufla­chen sehen! Wir haben uns auch nie­mals geduzt.

Für ihn bedeu­te­te Hal­tung auch immer Zurück­hal­tung. Domi­ni­que Ven­ner grau­te es vor Betrü­gern, vor Bes­ser­wis­sern, die kei­ne Taten fol­gen las­sen, vor allen, die ande­ren Rat­schlä­ge ertei­len, die sie selbst nicht befol­gen. Er inter­es­sier­te sich für Ideen, aber wie ich bereits erwähn­te, war er kein Intel­lek­tu­el­ler. Er bevor­zug­te jene, die Bei­spie­le geben, gegen­über jenen, die Vor­le­sun­gen hal­ten – er selbst hin­ter­ließ weni­ger eine Dok­trin als ein Bei­spiel für eine Hal­tung. Des­halb tat er sich auch schwer, ohne Vor­be­halt das Werk eines gro­ßen Autors zu schät­zen, der sich im täg­li­chen Leben als ziem­lich klein­ka­riert erwie­sen hat­te! Da ich für mei­nen Teil dazu nei­ge, Leben und Werk zu tren­nen, also die Qua­li­tät eines Wer­kes unab­hän­gig von der Per­sön­lich­keit des Autors zu schät­zen, haben wir in die­ser Bezie­hung mehr als eine lei­den­schaft­li­che Dis­kus­si­on geführt. Domi­ni­que war über­zeugt, daß Euro­pa eines Tages aus sei­nem »Win­ter­schlaf« erwa­chen wer­de. Im Gegen­satz zu vie­len Leu­ten, die wir ken­nen, lehn­te er den Pes­si­mis­mus und mehr noch den Fata­lis­mus ab. Er war glei­cher­ma­ßen weit ent­fernt von der Ideo­lo­gie des Fort­schritts (Auf­klä­rung) wie jener des Ver­falls (Speng­ler oder Evo­la). Die gro­ße Leh­re, die er aus sei­nen his­to­ri­schen Betrach­tun­gen gezo­gen hat­te: daß die Geschich­te immer offen ist. Die Geschich­te sei unvor­her­seh­bar, wie­der­hol­te er oft. Um ihn zu necken, wies ich ihn dar­auf hin, daß, wenn die Geschich­te unvor­her­seh­bar sei, man auch nicht aus­schlie­ßen kön­ne, daß sie uns das denk­bar schlech­tes­te Ergeb­nis vor­be­hal­ten habe …

Ich erin­ne­re mich, daß Domi­ni­que Ven­ner in Euro­pe-Action-Zei­ten den Selbst­mord strikt ver­ur­teil­te, was mich äußerst erstaun­te. Er sah in ihm eine Flucht vor dem Leben. Die­se Mei­nung änder­te sich, und er wur­de rasch zum Bewun­de­rer des Frei­to­des, dar­in den alten Römern ähn­lich. Die Tex­te, die er in den Jah­ren vor sei­nem Tod geschrie­ben hat, las­sen in die­sem Punkt kei­nen Zwei­fel zu: Er hat­te das Bei­spiel Mishi­mas, Mon­t­her­lants und vie­ler ande­rer im Kopf. Da man eines Tages ohne­hin gehen müs­se, sag­te er, bestehe die größ­te Frei­heit dar­in, selbst über den Zeit­punkt zu ent­schei­den. Des­halb bin ich, nicht viel anders als sei­ne Ange­hö­ri­gen, nicht durch sei­nen Selbst­mord, son­dern durch die Wahl des Datums und des Ortes über­rascht worden.

Fest steht auf jeden Fall, daß er gestor­ben ist, wie er gelebt hat: im Wider­spruch zu jeder Ver­zweiflung, zu jeder Feig­heit. Domi­ni­que hat es selbst gesagt. Er beschloß, sich zu opfern, »um uns aus der Lethar­gie zu rei­ßen, die uns gefan­gen­hält«: »Ich ver­zich­te auf den Rest Leben, der mir noch bleibt, für einen Akt des Pro­tes­tes und der Grund­le­gung.« In die­sem Satz ist offen­sicht­lich das Wort »Grund­le­gung« das ent­schei­den­de. Eini­ge Stun­den zuvor hat­te er geschrie­ben: »Wir gehen einer Zeit ent­ge­gen, in der man Wor­te durch Taten bekräf­ti­gen kön­nen muß«. Am 11. Janu­ar 2013 hat­te Domi­ni­que Ven­ner am Fried­hof Père-Lachai­se die Grab­re­de für sei­nen alten Freund Fer­di­nand Fer­rand gehal­ten, der eini­ge Tage zuvor ver­stor­ben war. Zu die­sem Zeit­punkt wuß­te er zwei­fel­los, daß es nicht mehr lan­ge dau­ern wer­de, bis auch für ihn eine Rede an die­sem Ort gehal­ten wer­den müs­se. Ich den­ke an die Wor­te, die er an die­sem Tag sprach, und ich kann mir vor­stel­len, was er dabei fühlte.

Ich bin eine der weni­gen Per­so­nen, die nach Domi­ni­ques Tod einen Brief von ihm erhiel­ten. Er wur­de eini­ge Stun­den, bevor er sich töte­te, bei der Post auf­ge­ge­ben. Er woll­te dar­in die Bedeu­tung bekräf­ti­gen, die unse­re Freund­schaft für ihn besaß. Als ich auf dem Umschlag sei­ne klei­ne, regel­mä­ßi­ge Schrift erkann­te – die­se Schrift, die sich zeit sei­nes Lebens nie­mals geän­dert hat­te –, schien mein Herz zu zer­sprin­gen. Mein Atem stock­te, ich fühl­te, wie in mir ein Schluch­zen auf­stieg. Und dann habe ich mir Domi­ni­que vor­ge­stellt. »Kom­men Sie, neh­men Sie sich zusam­men.« Ich habe nicht geweint.

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