Vor dem Bücherschrank (VI): 75 Jahre Marmorklippen

PDF der Druckfassung aus Sezession 61 / August 2014

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

Am 30. August 1939 betrach­tet sich der 44jährige Ernst Jün­ger in sei­ner Leut­nants­uni­form »nicht ohne Iro­nie« im Spie­gel. Der Mobil­ma­chungs­be­fehl beruft ihn nach Cel­le ein. Wie vie­le Welt­kriegs­ve­te­ra­nen, »die nie­mals dar­an dach­ten, wie­der Dienst zu tun«, muß sich Jün­ger erneut »in die Uni­form ein­le­ben«. Ein Tele­gramm, das ihn zum Haupt­mann beför­dert, erleich­tert die­se Übung. Jün­ger nimmt die­se Tat­sa­che als »ein Zei­chen, daß Ares mir inzwi­schen nicht abhold gewor­den ist«. Wobei ihn Ares aller­dings etwas behin­dert, ist die letz­te Kor­rek­tur­durch­sicht des Romans Auf den Mar­mor­klip­pen: »Aus der Mühe, die es berei­tet, die Wen­dung haar­ge­nau zu tref­fen, ist schon zu mer­ken, wie Ares den Musen feind­lich ist.« Den­noch gelingt die­se Auf­ga­be, und Jün­ger notiert spä­ter nicht ohne Stolz die Merk­wür­dig­keit, daß er die­se Arbeit »zum Ter­min«, zum Kriegs­aus­bruch, been­det habe.

Sein Tage­buch ver­merkt noch den Abschluß der Rein­schrift am 12. August und ein Gespräch mit dem Bru­der Fried­rich Georg als dem ers­ten Leser der Mar­mor­klip­pen in Kirch­horst am sel­ben Tag. Die Brü­der spra­chen damals die Figu­ren des Romans durch, die dabei Züge ent­wi­ckel­ten, »an die ich«, so Ernst Jün­ger, »wäh­rend der Nie­der­schrift nicht gedacht hat­te, und die mir den­noch ein­leuch­te­ten«. In typi­scher Dik­ti­on heißt es wei­ter: »So tren­nen die Gebil­de sich vom Autor und wach­sen an Orten wei­ter, die er nicht kennt. Doch dazu muß Unge­form­tes, muß Urstoff in der Spra­che sein, sonst wel­ken sie gar bald dahin. Sie müs­sen Erde mit­brin­gen.« Am 6. Okto­ber, Jün­ger hat mit sei­ner Kom­pa­nie mitt­ler­wei­le nach Hal­ber­stadt ver­legt, erreicht ihn der »ers­te, fer­ti­ge Band« der Mar­mor­klip­pen mit der Post.

Die Leser beka­men mit den Mar­mor­klip­pen einen unge­wöhn­li­chen Jün­ger zu Gesicht. Er leg­te kein Kriegs­buch vor, auch kei­nen Essay – Gen­res, auf die Jün­ger in der öffent­li­chen Wahr­neh­mung abon­niert war –, son­dern einen Roman, ein fik­tio­na­les Werk also. Spra­che, Hand­lung, Per­so­nen und Orte sind dar­in mit Andeu­tun­gen und Sym­bo­len über­frach­tet, es gibt meh­re­re Zeit­ebe­nen, und Jün­ger spricht die Leser direkt an: »Ihr alle kennt die wil­de Schwer­mut, die uns bei der Erin­ne­rung an Zei­ten des Glü­ckes ergreift.« Der Erzäh­ler erin­nert sich an jene Zei­ten, als »Bru­der Otho« und er abge­schie­den in der Rau­ten­klau­se am Ran­de der Mar­mor­klip­pen, ober­halb der Mari­na leb­ten und sich ganz dem Stu­di­um der Natur ver­schrie­ben hat­ten. Die Mari­na ist ein gro­ßer Bin­nen­see, des­sen Nord­ufer von Städ­ten gesäumt wird – eine fried­li­che, musi­sche Regi­on. Im Süden schließt sich die Alta Pla­na an, ein Hoch­land, in dem freie Völ­ker leben, gegen die vor sie­ben Jah­ren ein Feld­zug statt­fand, an dem die Brü­der als »Pur­pur­rei­ter« teil­nah­men. Nörd­lich der Mari­na befin­den sich die Mar­mor­klip­pen, die eine Gren­ze zur anschlie­ßen­den Cam­pa­gna, dem Wei­de­land der Hir­ten, bilden.

Nörd­lich der Cam­pa­gna beginnt mit einem Sumpf der Über­gang zum Hoch­wald, in dem der »Ober­förs­ter« herrscht. Er taucht gleich auf Sei­te zwei des Buches als jemand auf, vor dem man »auf der Hut« sein müs­se. Den Grund dafür erfährt der Leser, wenn Jün­ger die Schin­der­stät­te Köp­pels-Bleek vor­stellt – eine Lich­tung, auf der der Ober­förs­ter fol­tern und mor­den läßt. Die bei­den Brü­der selbst stam­men aus dem Hohen Nor­den, der noch jen­seits des Hoch­wal­des lie­gen muß. Sie haben als Mit­glie­der des poli­ti­schen Ordens der Mau­re­ta­nier eine mili­tä­ri­sche Ver­gan­gen­heit und ken­nen den Ober­förs­ter seit jener Zeit. Längst haben sie dem poli­ti­schen Akti­vis­mus abge­schwo­ren und sich in ein kon­tem­pla­ti­ves Leben zurück­ge­zo­gen. Der Ober­förs­ter hin­ge­gen ist dabei, an der Mari­na die Macht zu übernehmen.

Dazu beför­dert er den gesell­schaft­li­chen Auflö­sungs­pro­zeß und nutzt die Chan­ce, die ihm die zuneh­men­de Unsi­cher­heit bie­tet: Die Mari­na ist ihm im Grun­de hilflos aus­ge­lie­fert, weil sie auf Söld­ner­hee­re ver­traut hat. Der Ober­förs­ter nähert sich mit Hil­fe sei­ner Jäger und Förs­ter der Herr­schaft lang­sam an, indem er zunächst die Cam­pa­gna ins Cha­os stürzt. Die Situa­ti­on eska­liert, als zwei Per­so­nen in der Rau­ten­klau­se vor­spre­chen, weil sie den Ober­förs­ter auf­su­chen und töten wol­len. Es han­delt sich um den Fürs­ten von Sun­my­ra und sei­nen Gefähr­ten Braquemart. Sie zie­hen allein los und keh­ren nicht wie­der. Der Erzäh­ler sucht sie mit Bel­o­var und sei­nem Gefol­ge. In der Nähe des Köp­pels-Bleek, wo die Köp­fe der Atten­tä­ter auf­ge­spießt sind, kommt es zur Ent­schei­dungs­schlacht, der nur der Erzäh­ler ent­kommt. Gemein­sam mit sei­nem Bru­der Otho ver­läßt er dar­auf­hin die bren­nen­de Mari­na mit dem Schiff in Rich­tung Alta Pla­na, wo Freun­de, ehe­ma­li­ge Kriegs­geg­ner, sie erwarten.

Das merk­wür­di­ge Buch wird ein Ver­kaufs­er­folg. Ins­ge­samt druckt der Ver­lag 42000 Exem­pla­re. Nach­dem der Han­sea­ti­schen Ver­lags­an­stalt kein Papier für wei­te­re Aufla­gen zuge­teilt wird, springt die Wehr­macht als Ver­le­ger ein. 1942 erscheint das Buch in einer Aufla­ge von 20000 Exem­pla­ren in Paris. In der Schweiz gibt es eine Lizenz­auf­la­ge, Über­set­zun­gen erschei­nen zeit­nah unter ande­rem in Frank­reich und den Nie­der­lan­den. Für auf­merk­sa­me Leser dräng­te und drängt sich die Fra­ge auf, ob es sich bei den Mar­mor­klip­pen um einen Schlüs­sel­ro­man han­delt. Daß sich im Erzäh­ler und Otho die Gebrü­der Jün­ger spie­geln, liegt nahe.

Die Teil­nah­me an einem Krieg und die Abkehr von der Poli­tik, aber auch die Mit­glied­schaft im Mau­re­ta­nier-Orden (mit dem wohl die natio­nal­re­vo­lu­tio­nä­ren Zir­kel der Wei­ma­rer Repu­blik gemeint sind), wei­sen in die­se Rich­tung. Und natür­lich ist es nicht abwe­gig, im Ober­förs­ter bei­spiels­wei­se einen Hit­ler zu erb­lik­ken. Wer die­ser Spur folgt, wird das gan­ze Bür­ger­kriegs­ta­bleau der Wei­ma­rer Zeit ent­de­cken: die zögern­de Reichs­wehr, einen Kom­mu­nis­ten­füh­rer, einen wei­sen, aber hilflo­sen Reichs­prä­si­den­ten, even­tu­ell sogar Himm­ler, jeden­falls die schlei­chen­de Macht­über­nah­me radi­ka­ler Kräf­te bis hin zur offe­nen Skrupellosigkeit.

Es han­delt sich bei die­ser Les­art um die heu­te übli­che. Man kann das Buch aller­dings auch als eine anti­sta­li­nis­ti­sche Para­bel lesen. Das men­schen­ver­ach­ten­de Sowjet­sys­tem war zu jenem Zeit­punkt ungleich prä­sen­ter als das Hit­lers, das sei­ne schlimms­ten Tage ja noch vor sich hat­te. Indi­zi­en wären etwa, daß dem Ober­förs­ter die Far­be Rot bei­gege­ben ist (der Lieb­lings­hund heißt Chif­fon Rouge, also »rote Fah­ne«, sei­ne Stan­dar­te ist der rote Eber­kopf), daß er kei­ne Ach­tung vor dem Eigen­tum hat und vor allem den Bau­ern zusetzt. Und natür­lich gab es genü­gend Lite­ra­tur in Deutsch­land, die den roten Ter­ror beschrieb: Die Vor­gän­ge auf der Schin­der­stät­te Köp­pels-Bleek wer­den nicht Jün­gers Phan­ta­sie ent­sprun­gen sein.

Doch auch die­se Indi­zi­en blei­ben schwach, und der Rezep­ti­ons­ge­schich­te der Mar­mor­klip­pen kann man ent­neh­men, daß zwi­schen 1939 und 1945 nie­mand auf den Gedan­ken kam, das Buch aus­drück­lich anti­sta­li­nis­tisch zu lesen. Der ent­schei­den­de Hin­weis gegen die­se Les­art kommt sogar vom Autor selbst: Jün­ger mach­te in sei­ner aktio­nis­ti­schen Pha­se, die er mit dem Arbei­ter 1932 abschloß, kei­nen gro­ßen Unter­schied zwi­schen Natio­nal­so­zia­lis­mus und Bol­sche­wis­mus. Bei­de waren für ihn – struk­tu­rell gese­hen – Moder­ni­sie­rungs­pro­gram­me im Sin­ne einer »Tota­len Mobil­ma­chung«. 1933, nach sei­nem Rück­zug in die Pro­vinz, hat­te Jün­ger kei­nen Grund, neue Unter­schie­de zu machen. Bei­de Sys­te­me waren für ihn immer noch der­sel­ben Wur­zel ent­sprun­gen, nur daß Jün­ger dem Gan­zen jetzt distan­ziert gegen­über­stand. Das läßt sich schon an der zwei­ten Fas­sung des Aben­teu­er­li­chen Her­zens (1938) able­sen, in dem der Ober­förs­ter und die Mau­re­ta­nier ähn­lich beschrie­ben wer­den wie spä­ter in den Mar­mor­klip­pen.

Mitt­ler­wei­le hat sich, gegen Jün­gers Selbst­zeug­nis­se, die ein­sei­ti­ge Les­art als anti­fa­schis­ti­sches Wider­stands­buch weit­ge­hend durch­ge­setzt. Das Jün­ger-Hand­buch, das vor kur­zem in der bekann­ten und oft hilf­rei­chen Rei­he des Metz­ler-Ver­lags erschie­nen ist, macht da kei­ne Aus­nah­me. Der Bei­trag zu den Mar­mor­klip­pen ist einer der längs­ten und wur­de vom Her­aus­ge­ber, dem Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­ler Mat­thi­as Schö­ning, selbst über­nom­men. Schö­ning betont die kon­ser­va­ti­ve Per­spek­ti­ve und Ästhe­ti­sie­rung der Gewalt im Roman, um sich dann der Brei­te des Inter­pre­ta­ti­ons­spek­trums zuzu­wen­den. Lei­der setzt er dabei die kri­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung »mit auto­ri­tä­rer Herr­schaft« mit dem Natio­nal­so­zia­lis­mus in eins, notiert aller­dings, daß die Fra­ge unbe­ant­wor­tet sei, »in wel­cher Form sich der Text über­haupt auf die Zeit­ge­schich­te bezieht«. Denn es gehe Jün­ger um Typen, nicht um kon­kre­te Personen.

Das Buch kön­ne »nicht als Schlüs­sel­ro­man« gele­sen wer­den. Das Urteil von Schö­ning fällt ins­ge­samt salo­mo­nisch aus: »Der Text ist weder eine Ermun­te­rung zum Wider­stand, noch Aus­druck von des­sen Gering­schät­zung«, son­dern »eine kla­re Aus­sa­ge zur Pro­ble­ma­tik von Tyran­nen­mord und Wider­stand, die sehr gut ver­ste­hen läßt, wie­so sie in rea­len Wider­stands­krei­sen auf­merk­sam rezi­piert wur­de«. Lei­der weist Schö­ning die­se auf­merk­sa­me Rezep­ti­on der Mar­mor­klip­pen in rea­len Wider­stands­krei­sen nicht nach – einer von vie­len Bele­gen für eine gewis­se Oberfläch­lich­keit des Hand­buchs. Es gibt aber auch sehr gelun­ge­ne Arti­kel dar­in, die vor allem von Autoren stam­men, die sich mit der Mate­rie ein­ge­hen­der befaßt haben. Dazu zäh­len Hel­muth Kie­sel (In Stahl­ge­wit­tern), Sven Olaf Berg­götz (Poli­ti­sche Publi­zis­tik), Jan Robert Weber (Rei­se­ta­ge­bü­cher) und Micha­el Groß­heim mit sei­nem Bei­trag über die Begrif­fe »Kampf« und »Krieg« im Werk Jüngers.

Zu den gelun­ge­nen Arti­keln gehö­ren auch die über jene Per­so­nen, die im Zusam­men­hang mit der Deu­tung der Mar­mor­klip­pen die wich­tigs­te Rol­le spie­len: Fried­rich Georg Jün­ger (Ulrich Frösch­le), Hugo Fischer (Hei­ko Chris­ti­ans) und Ernst Nie­kisch (Dani­el Morat). Mit sei­nem Bru­der Fried­rich Georg war Jün­ger gera­de in der Abfas­sungs­zeit der Mar­mor­klip­pen aufs engs­te ver­bun­den. Der Phi­lo­soph Hugo Fischer, der in den Tage­bü­chern als »Magis­ter« auf­taucht und Anteil an der Figur des Nig­ro­mon­ta­nus aus den Mar­mor­klip­pen hat, war bis 1938, als er ins Exil ging, einer der wich­tigs­ten Gesprächs­part­ner und Lehr­meis­ter Jün­gers. Sehr wich­tig ist auch Ernst Nie­kisch, der seit 1937 im Zucht­haus saß und mit Jün­ger nach 1945 eine Kon­tro­ver­se über die Mar­mor­klip­pen führ­te.

1950 schrieb Jün­ger an Nie­kisch, der sich für die DDR entschie­den hat­te und Jün­ger sei­ne Kon­tem­pla­ti­on vor­warf: »Für mich ist die Lage des Wider­stan­des unver­än­dert geblie­ben; ich sehe nach wie vor zuviel Lei­den, Gewalt­tat und Unter­drü­ckung, als daß es mich ver­lock­te, mich irgend­wo zu betei­li­gen.« Damit unter­strich er die Kon­ti­nui­tät sei­ner Auf­fas­sun­gen in die­ser Fra­ge, die also auch in den Mar­mor­klip­pen nicht spe­zi­ell auf den Natio­nal­so­zia­lis­mus bezo­gen war. Jün­ger sub­su­mier­te sich rück­bli­ckend sogar gemein­sam mit der NSDAP unter die »neu­en Kräf­te in Deutsch­land von 1918 bis 1933«. In einem Brief an sei­nen Bru­der sprach er 1946 von der Münch­ner (Hit­ler), Ber­li­ner (Kreis um die Zeit­schrift Wider­stand mit Jün­ger und Nie­kisch) und Ham­bur­ger Schu­le (Wil­helm Stapel).

Ers­te­re habe den Sieg davon­ge­tra­gen, aber nur die Ber­li­ner hät­ten auch heu­te noch etwas zu sagen. Impli­zit heißt dies, daß der Natio­nal­so­zia­lis­mus nicht das Urbö­se, son­dern eine Mög­lich­keit unter vie­len gewe­sen sei. Das fügt sich in das Bild der Mar­mor­klip­pen, die ja die abwar­ten­de Hal­tung pre­di­gen und so etwas wie Pen­del­ge­set­ze in der Geschich­te nahe­le­gen. Jün­gers Ableh­nung des Atten­tats bezieht sich kon­kret auf den Besuch Hein­richs von Trott zu Solz (Bru­der des nach dem 20. Juli 1944 hin­ge­rich­te­ten Wider­stands­kämp­fers Adam von Trott zu Solz), der sich 1938 an Jün­ger wand­te und um des­sen Betei­li­gung an einem Atten­tat auf Hit­ler warb. Jün­ger war nicht nur aus nahe­lie­gen­den Grün­den, etwa Hit­lers Popu­la­ri­tät, gegen ein Atten­tat, son­dern auch aus grund­sätz­li­chen Erwä­gun­gen über den Geschichts­pro­zeß, der sich selbst voll­enden müs­se: Durch Atten­ta­te wer­de »wenig geän­dert und vor allem nichts gebes­sert«. In sei­ner unmit­tel­ba­ren Reak­ti­on auf das Atten­tat vom 20. Juli bezog sich Jün­ger dann aber auf die Mar­mor­klip­pen und sah sei­ne Schil­de­rung des Fürs­ten Sun­my­ra bestä­tigt, weil mit Graf Stauf­fen­berg »an sol­chen Wen­den die ältes­te Aris­to­kra­tie ins Tref­fen tritt.«

Jün­ger sah jedoch selbst in sei­nem Buch einen »geis­ti­gen« Wider­stands­akt, den er aber nicht spe­zi­ell gegen das Drit­te Reich oder über­haupt gegen sei­ne Zeit gerich­tet habe. Sei­ne Hal­tung zu den Mar­mor­klip­pen faß­te er 1946 in sei­nem Tage­buch zusam­men: »Bei Aus­bruch des Krie­ges erschien Auf den Mar­mor­klip­pen, ein Buch, das mit dem Arbei­ter das eine gemein­sam hat, daß die Vor­gän­ge in Deutsch­land zwar in sei­nen Rah­men paß­ten, es aber spe­zi­ell nicht auf sie zuge­schnit­ten war. Ich fas­se es daher auch heu­te nicht als Ten­denz­schrift auf. Den Schuh konn­ten und kön­nen sich man­che anziehen.«

Obwohl Jün­ger nach 1945 jeden Grund gehabt hät­te, die freund­li­chen Deu­tun­gen anzu­neh­men, um mit die­sem Kapi­tal zu wuchern, bleibt er sei­nem Mot­to »Wer sich selbst kom­men­tiert, geht unter sein Niveau« treu, so daß die Selbst­aus­sa­gen zu den Mar­mor­klip­pen spär­lich und unkon­kret blei­ben. Wenn man neben die­se Zeug­nis­se die zeit­ge­nös­si­sche Rezep­ti­on, Jün­gers Bio­gra­phie bis zum Erschei­nen die­ses Buches und die his­to­ri­schen Ereig­nis­se bis zum August 1939 legt, kann man die Mar­mor­klip­pen als eine anti­to­ta­li­tä­re Para­bel deu­ten, die auch nach 75 Jah­ren aktu­ell bleibt, weil sie kei­nen Schlüs­sel­ro­man und kei­ne anti­fa­schis­ti­sche Ten­denz­schrift darstellt.

Jün­gers Schrift ist eine Bot­schaft an die ver­streu­ten Brü­der im Geis­te gewe­sen. Die Anre­de im ers­ten Satz ist mit bedacht gewählt. Ziel war offen­bar die geis­ti­ge Abhär­tung gegen das, was bereits geschah und noch gesche­hen konn­te. Die Leh­re lau­tet: Der Mensch ist schwach, eine Hoch­kul­tur ist auf Dau­er nicht gegen Deka­denz gefeit, gegen Urge­wal­ten ist kein Kraut gewach­sen, die Welt erneu­ert sich nach dem Unter­gang wie­der, die geis­ti­ge Frei­heit ist der ein­zi­ge Rück­zugs­raum, der in tota­li­tä­ren Zei­ten bleibt. Die pas­si­ve Hal­tung der Brü­der führt schließ­lich dazu, daß sie das aus der Schin­der­stät­te gebor­ge­ne Haupt des Fürs­ten als das Wich­tigs­te bewah­ren und in einen neu­errich­te­ten Dom ein­pflan­zen können.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (0)

Für diesen Beitrag ist die Diskussion geschlossen.