Wenn man in Kiew die Wladimirstraße vom Goldenen Tor her an der vielkuppeligen Sophienkathedrale vorbeigeht, stößt man auf den Andreevskij Spusk, der steil hinunter in den Stadtteil Podol ans Ufer des Dnepr führt. Auf diesem Abhang, wo heute Maler und Kunsthandwerker aller Art ihre Produkte zum Verkauf anbieten, be ndet sich das Elternhaus Michail Bulgakows, das in seinem ersten Roman Die weiße Garde eine herausragende Rolle spielt. Vierzehn Machtwechsel durchlebte Kiew nach Bulgakows eigener Zählung in jenen Monaten am Ende des Ersten Weltkrieges, als deutsche Truppen, zarentreue Weißrussen, ukrainische Nationalisten und Bolschewiki um die Stadt rangen. In dieser von Straßenkämpfen, Zwangsrekrutierungen und willkürlichen Erschießungen geprägten Atmosphäre überlebten die »Turbins«, wie Bulgakow die seiner eigenen Familie nachempfundenen Protagonisten des Romans nennt, allein durch die ewigen vorpolitischen Werte des familiären Zusammenhalts, der Freundschaft und der Kameradschaft.
Nur den ersten Teil dieses als Trilogie angelegten Werkes vollendete der Dichter, sein Handlungsbogen spannt sich von der Eroberung der Stadt durch die Nationalisten Petljuras – der später zum ersten Präsidenten der Ukraine wurde – im Dezember 1918 bis zur vorübergehenden Machtübernahme durch die Rote Armee im Februar 1919. Das Chaos und die Verwirrung, den mordbereiten politischen Haß und die Angst der Bevölkerung macht Bulgakow zum Hauptthema seiner Darstellung. Die Haltung der Turbins ist dabei klar: Mit anderen Offizieren und Junkern kämpfen sie in der zarentreuen Freiwilligenarmee des Hetmans Skoropadskyj.
Bulgakow selbst, der während des Ersten Weltkriegs als Landarzt gearbeitet hatte, wurde von den siegreichen ukrainischen Nationalisten zwangsrekrutiert, setzte sich jedoch bald ab und schloß sich dem weißrussischen General Denikin am Kaukasus an. An Typhus erkrankt, lag er in Fieberträumen, als die Stadt Wladikawkas im März 1920 von der Roten Armee eingenommen wurde. Seinen Beruf als Arzt hat der Dichter ab diesem Zeitpunkt nie mehr wieder ausgeübt.
Noch im November 1919 hatte Bulgakow in der Lokalzeitung der Stadt Grosny einen Durchhalteappell veröffentlicht und zum gnadenlosen Kampf gegen die als »gesinnungslose Schurken und Rasende« bezeichneten Bolschewiki aufgerufen. Nun aber akzeptierte er die Revolution und Schreckensherrschaft einer halb analphabetischen, jahrhundertelang erniedrigten bäuerlich-proletarischen Schicht, die alle Greuel der Französischen Revolution und des Jakobinerterrors in den Schatten stellen würde, als unabwendbar. An dieser Erkenntnis läßt er sein Alter Ego Alexei Turbin in der Weißen Garde teilhaben. Der Haß der Bauern (Dostojewskis »Gottesträger«) auf die oberen Schichten wird in diesem Roman bereits deutlich. Der Dichter zeigt verhaltenes Verständnis. Den nationalistischen »Pogrom-Helden« Petljuras stehen die Turbins aber völlig feindselig gegenüber, schon die ukrainische Sprache ist ihnen verhaßt. Die schließlich siegreich heranrückende Rote Armee erscheint demgegenüber sogar als das kleinere Übel – zumindest aber als Träger eines großrussischen Nationalismus.
Ein sowjetischer Schriftsteller ist Bulgakow dennoch nie geworden. Allerdings wagte er (im Unterschied zu zweien seiner Brüder) den Gang in die Emigration letztlich nicht, sondern übersiedelte 1921 nach Moskau, um als Schriftsteller zu arbeiten. In den ersten Jahren mußte Bulgakow aber alle möglichen Gelegenheitsarbeiten annehmen, um nicht mit seiner Frau zu verhungern. Als Wohnraum stand dem Ehepaar anfangs nur ein Zimmer in einer Kommunalwohnung zur Verfügung, worunter der Dichter extrem litt. Durch den starken Zuzug bäuerlicher Schichten in die Städte war man dazu übergegangen, große Wohnungen so aufzuteilen, daß jeder Familie ein Zimmer zugewiesen wurde, während Küche und Bad geteilt werden mußten. 1930 stehen in Moskau nur 5,5 Quadratmeter Wohnfläche pro Person zur Verfügung. Die Wohnungsnot war auch politisch gewollt: Das Leben in diesen sogenannten Kommunalwohnungen sollte zur Auflösung der bürgerlichen Familie führen und den kommunistischen Menschen
hervorbringen. Viele Arbeiterfamilien mußten in kasernenartigen Unterkünften wohnen, deren einzelne »Räume« nur mit Vorhängen voneinander abgetrennt waren. Auch in den komfortableren, neu errichteten Kommunalhäusern reichten die Wände nicht bis zur Decke, sodaß jedes gesprochene Wort von den Nachbarn belauscht werden konnte. Die Russen verwandelten sich in ein Volk von »Flüsterern«. Zu einem Hort des Unfriedens, schon allein wegen der gemeinsamen Benutzung derselben Küche durch verschiedene Familien, sind diese Kommunalwohnungen trotzdem geworden. Nur eine kleine Schicht von für die Sowjetmacht unverzichtbaren »Intelligenzlern« vermochte sich in diesen Jahren eine privilegiertere Stellung zu sichern.
Die Einführung der Planwirtschaft durch die siegreichen Kommunisten hatte zudem zu einer landesweiten Hungersnot und zu Bauernaufständen geführt. Neue Kleidung und andere Konsumgüter waren faktisch nicht mehr erhältlich. Das gewaltige Anschwellen der Bürokratie – schon drei Jahre nach der Revolution mußte die zehnfache Menge von Beamten im Vergleich zur Zarenzeit ernährt werden – trug mehr zur Verschärfung des Problems als zu seiner Lösung bei. Lenin reagierte 1921 mit der Einführung der »Neuen Ökonomischen Politik« (NEP), die Kleinbauern und Gewerbetreibenden gewisse Freiheiten einräumte. Zum Ärger der überzeugten Bolschewiki führt dies zu einem sofortigen wirtschaftlichen Aufschwung, aber auch zur Bildung einer Klasse Neureicher.
In dieser Zeit schrieb Bulgakow nicht nur an seinem ersten Roman, sondern konnte auch einige satirische Erzählungen veröffentlichen –, und ein Theaterstück, in dem er sich kritisch mit der sowjetischen Wirklichkeit auseinandersetzte. 1925 kam auch die Theaterfassung der Weißen Garde unter dem Titel Die Tage der Turbins auf die Bühne, von Bulgakow auf mehrfache Intervention widerwillig mit einem sowjetfreundlichen Ende versehen. Dann aber wurde der Hahn zugedreht: Die Zeitschrift, die Die weiße Garde bereits zu zwei Dritteln veröffentlicht hatte, wurde verboten, die Buchausgabe der ersten Erzählungen Bulgakows kurz nach der Veröffentlichung eingezogen.
Der bedeutendste Text aus dieser Zeit, Hundeherz, erschien überhaupt erst 62 Jahre nach seiner Entstehung. Die Behörden beschlagnahmten das Manuskript und auch Bulgakows Tagebücher, in denen dieser aus seinem Haß auf die Sowjetunion keinen Hehl gemacht hatte. Nur einer Intervention Maxim Gorkis, der Bulgakow als Schriftsteller überaus schätzte, ist es zu verdanken, daß dieser das Manuskript wieder zurückerhielt und Hundeherz 1987 veröffentlicht werden konnte. Dieser kaum 140 Seiten starke Kurzroman ist eine Satire der besonderen Art auf die sowjetische Gesellschaft. Protagonist ist ein auch in der neuen Gesellschaft erfolgreicher Professor, dessen Schönheitsoperationen ihm die Unterstützung höchster Kreise garantieren. Dieser stattet den Hund Scharik mit einer menschlichen Hypophyse und menschlichen Gonaden aus. In der Folge verliert der Hund sein Haar, beginnt aufrecht zu gehen, zu sprechen – und verwandelt sich überhaupt ganz in einen Menschen. Das Endergebnis läßt jedoch zu wünschen übrig. Scharikow, wie sich der neue Sowjetbürger nennt, geht auch als »neuer Mensch« seiner ursprünglichen Passion nach: Mit Lederjacke, Pistole und Schaftstiefeln, in der Uniform eines sowjetischen Schergen, widmet er sich als staatlicher Funktionär der Vernichtung streunender Katzen. Doch damit nicht genug: Sein Anspruchsdenken, sein proletarisches Benehmen und seine sich immer weiter steigernde Identifikation mit der kommunistischen Doktrin lassen ihn zur Bedrohung für seinen Schöpfer werden. Gemeinsam mit seinem Gehilfen überwältigt ihn dieser schließlich und macht die Operation rückgängig. Wenige Tage später melden sich Milizionäre auf der Suche nach dem Genossen Scharikow und verdächtigen den Professor, ihn ermordet zu haben. Doch der führt ihnen ungerührt das sich wieder langsam in einen Hund zurückverwandelnde Wesen vor. Daß dieser früher sprechen konnte, räumt er auf Nachfrage ein und ruft aus: »Das bedeutet noch lange nicht, Mensch zu sein!« In der Schlußszene des Buches genießt der ganz wieder Hund gewordene Scharikow die Wärme der geheizten Wohnung und beglückwünscht sich, den ehemaligen Straßenköter, hier Aufnahme gefunden zu haben.
Die Botschaft der Satire ist klar: Nicht einmal die Wissenschaft kann ein Individuum auf ein höheres kulturelles Niveau heben. Der Kommunismus, der damals gezielt Abkömmlinge der untersten Schichten auf Leitungsfunktionen hob (sogar bäuerliche Abkunft galt als Stigma!), würde scheitern. Gesellschaftlicher Aufstieg läßt sich weder ideologisch verordnen noch mit den Methoden des heutigen »Managerial State« (Paul Gottfried) herbeiführen; er ist ausschließlich Ergebnis eines mühevollen Prozesses der Selbstveredelung, zu der nur wenige imstande sind. Im Übrigen gilt: Jeder an seinem Platz. Das Los eines herrenlosen Straßenköters ist bemitleidenswert, der Hund, für den sein Herr sorgt, hat es gut. In solch paternalistischer Weise sah der Dichter wohl auch die Aufgaben des Staates.
Obwohl Bulgakow ab Mitte der 1920er Jahre in der Presse zunehmend als »Reaktionär« gebrandmarkt wurde – Die Tage der Turbins verschwand dennoch nicht vom Spielplan. Dies lag wohl daran, daß das Schauspiel einen ganz besonderen Liebhaber gefunden hatte: Ganze fünfzehn Male hat Josef Stalin selbst das Stück im Moskauer Künstlertheater gesehen und mehrfach dessen Absetzung verhindert. Mit mehr als eintausend Aufführungen war es ein Jahrzehnt lang der größte Moskauer Publikumserfolg, durfte jedoch in keiner anderen Stadt aufgeführt werden. Bulgakow sah sich damit in seinem künstlerischen Anspruch bestätigt, »leidenschaftslos über den Roten und den Weißen zu stehen«.
Unverzagt schrieb er weiter Theaterstücke für das Künstlertheater. Sie wurden jedoch entweder nicht zur Aufführung zugelassen oder bald abgesetzt. Stalin selbst bezeichnete zwei der Stücke als »antisowjetisch« und als »Schund«. Die in der Presse gegen ihn forcierten Kampagnen machten dem Dichter zu schaffen, verschiedene psychosomatische Erkrankungen quälten ihn. Mehrfach bat Bulgakow die Sowjetregierung um Ausweisung. Im April 1930 klingelte das Telefon: Stalin war am Apparat. Bis an sein Lebensende bereute Bulgakow, auf Stalins Nachfrage geantwortet zu haben, er könne es sich eigentlich nicht vorstellen, als russischer Schriftsteller außerhalb seiner Heimat zu leben und würde es vorziehen, in Moskau zu bleiben, wenn er nur eine entsprechende Arbeitsmöglichkeit hätte. Daraufhin sicherte ihm Stalin einen Posten als Dramaturg am Künstlertheater zu.
Eine gewisse Ehrfurcht gegenüber dem Diktator konnte sich Bulgakow damals nicht versagen – ähnlich wie Prokofjew und Schostakowich, die Achmatowa oder Pasternak. Außerdem verbanden sich mit Stalins Wende vom sozialistischen Internationalismus zum nationalen »Sozialismus in einem Land« sowie der Abrechnung mit Trotzki und anderen Altbolschewiken kurzfristig politische Hoffnungen. In Wahrheit war jedoch bereits der erste Vierjahresplan von 1929 ein äußerst negativer Wendepunkt in der Sowjetgeschichte. Hatte es während der NEP noch 400000 registrierte Privatunternehmen gegeben, wurden diese nun mit bürokratischen Maßnahmen (extrem hohe Steuern, Entzug des Wahlrechts etc.) vernichtet. Zudem zerstörte die Kollektivierung der Landwirtschaft die jahrhundertealte dörfliche Lebensweise in Rußland. Verbunden mit der Einführung der Kolchosen war die Verfolgung der sogenannten Kulaken, also der wohlhabendsten und damit meist tüchtigsten Bauern. Jedem Dorf wurde eine Quote von drei bis fünf Prozent von Familien auferlegt, die zu deportieren seien, völlig unabhängig davon, wie die Besitzverhältnisse in Wirklichkeit waren. Insgesamt wurden rund sechs Millionen Menschen in Arbeitslager oder Sondersiedlungen verschickt. Die Folgen für die Landwirtschaft waren katastrophal und führten schließlich zu einer geplanten Hungersnot unter der Landbevölkerung, der zwischen 4,6 und 8,5 Millionen Menschen zum Opfer fielen. Auch die Zahl der Gulag-Häftlinge verhundertfacht sich in kurzer Zeit auf eine siebenstellige Zahl. Millionen Kinder streiften als Waisen durchs Land, weil ihre Eltern verhungert oder deportiert worden waren. Allein die staatlichen Waisenhäuser beherbergten mehr als 800000 Insassen.
Doch die Gesellschaft änderte sich noch in einer anderen Hinsicht: Hatten die Bolschewiki der ersten Generation die kommunistische Armut des ganzen Volkes noch weitgehend geteilt, war die nächste Generation von Funktionären dazu nicht mehr bereit. Ab 1931 wurden wieder abgetrennte Familienwohnungen gebaut, der zweite Fünfjahresplan (1932–1937) setzte insbesondere auf Produktionssteigerungen in der Konsumgüterindustrie. Viele alte Russen erinnern sich an diesen Zeitraum als jenen, in dem sie als Kinder ihr erstes Paar Schuhe bekamen. Aber auch Grammophone, Parfums und Champagner wurden wieder in größerem Maße produziert.
Für Bulgakow schien die Existenz anfangs gesichert. Optimistisch schrieb er Theaterstücke, ein Drehbuch und Opernlibretti. Zur Aufführung kam aber nur ein einziges seiner Projekte – und es wurde trotz großem Publikumserfolg nach einem Verriß in der Prawda abgesetzt. Die erneute Arbeit an einem Roman, dessen erste Fassung er – analog zur Handlung seines Titelhelden – 1930 noch verbrannt hatte, brachte ihm aber schließlich Weltruhm ein. Erscheinen konnte Der Meister und Margarita jedoch erst 1967 in einer zuerst stark zensierten Fassung. Trotzdem war den russischen Intellektuellen sofort klar, daß sie ein Jahrhundertwerk russischer Prosa aus der Feder eines längst vergessenen Autors in Händen hielten. Noch bis in die 1990er Jahre sollte es dauern, bis das Buch eine Millionenauflage in Rußland und schließlich auch weltweit erfuhr und zum Kultwerk gerade unter Jugendlichen wurde.
Der erste Handlungsstrang dreht sich um den Teufel, der unter dem Namen Voland um 1930 mit seiner Gefolgschaft nach Moskau kommt, um dort seinen jährlichen Satansball auszurichten. Die Begegnungen dieser Truppe mit verschiedenen Repräsentanten der sowjetischen Gesellschaft zeigen rasch, daß der kommunistische Anspruch, einen »neuen Menschen« zu schaffen, fehlgeschlagen ist: Die Moskauer sind gierig, bestechlich und korrupt wie eh und je, nichts hat sich geändert. In zahlreichen grotesken Episoden wird diese Erkenntnis vorgeführt. Eines ist aber neu: Unter den Intellektuellen hat sich der Atheismus breitgemacht. Daß man Gott, ja ihn selbst für eine Fiktion hält, belustigt den Teufel beim Gespräch mit dem Vorsitzenden der wichtigsten Moskauer Autorenvereinigung. Wie können Menschen glauben, ihr Schicksal in der Hand zu haben, wenn sie nicht einmal wissen, ob sie in einer Stunde noch am Leben sein werden? Seinem Gesprächspartner sagt der Satan den unmittelbar danach erfolgenden Tod präzise voraus. Damit wird freilich auch der Anspruch der sozialistischen Planwirtschaft, die Zukunft präzise berechnen zu können, ad absurdum geführt.
Bei diesem Gespräch berichtet Voland ebenfalls von der Begegnung Jesu mit Pilatus, deren geheimer Zeuge er behauptet gewesen zu sein. Jesus wird als beeindruckender Philosoph der Menschenliebe geschildert, durchaus jedoch nicht als Gottes Sohn mit übermenschlichen Fähigkeiten. Seine Erzählung geht nahtlos in den Jesus-Roman des »Meisters« über, der den zweiten Handlungsstrang des Buches bildet. Am Ende von Meister und Margarita hebt Bulgakow (der für sich ein kirchliches Begräbnis ablehnte) diese Sichtweise jedoch auf: Christus erscheint nun als Herrscher des Lichts, dessen Wünschen sich auch der Teufel fügt.
Obwohl Bulgakows Satan sich wie Goethes Mephisto »Voland« nennt, ist seine Funktion eine ganz andere. Während Mephisto Gott die Dummheit und Schwäche seines Geschöpfs vor Augen führen möchte, versteht sich Bulgakows Voland als Teil der göttlichen Weltordnung und straft Übeltäter mitleidlos. Dies wird auch bei dem großen Ball deutlich, den er in Moskau veranstaltet. Durch Magie verwandeln sich die Zimmer einer kleinen Wohnung in festliche Hallen, die zehntausenden Gästen aus dem Jenseits Platz bieten. Nicht nur Mörder und Übeltäter, auch Machtmenschen und Karrieristen erscheinen und sind für diese eine Nacht des Jahres von ihren Qualen befreit. Seinen Gästen präsentiert Voland den abgetrennten Kopf eines sowjetischen Kulturfunktionärs und überzeugten Atheisten. Noch immer vermag der Tote jedoch zu sehen und zu hören. »Jedem geschieht gemäß seines Glaubens«, erklärt ihm Voland. »Nun denn, möge es so sein! Sie gehen in den Zustand des Nicht-Seins über, ich indes werde mich glücklich schätzen, aus dem Kelch, in den ich sie verwandeln werde, zu trinken: Auf den Zustand des Seins!« Das Grundthema des Romans ist die conditio humana, die menschliche Existenz zwischen Endlichem und Unendlichem, Gutem und Bösem. Die Leugnung absoluter irdischer Werte und einer Welt des Übersinnlichen stellte für Bulgakow das schwerste Vergehen der kommunistischen Ideologie dar.
1937/38 begann der »große Terror«, der sich vor allem gegen die Bolschewiki selbst richtete. Je höher der Rang eines Parteimitglieds, desto wahrscheinlicher war dessen Eliminierung. Insgesamt wurden in diesen beiden Jahren 1,3 Millionen Menschen verhaftet und mehr als die Hälfte von ihnen erschossen. Auch viele von Bulgakows Feinden wurden liquidiert oder in den Gulag verbannt. Bulgakow trug darüber niemals seine private Genugtuung als Triumph an die Öffentlichkeit. Der Glaube an seine künstlerische Potenz und Integrität verließ den Dichter auch damals nicht. 1939 nahm er einen Auftrag des Künstlertheaters an, ein Stück über den jungen Stalin zu schreiben und fuhr zu Recherchezwecken nach Georgien. Dort erreichte ihn die Nachricht, daß der Diktator das Stück keinesfalls vollendet sehen wollte. Diesen Schlag verkraftete Bulgakow nicht mehr. Schon auf der Rückfahrt erwartete er Deportation und Tod, doch beides blieb ihm erspart. Jedoch brach bei ihm jene Nierenkrankheit aus, die schon seinen Vater, einen Theologen, in jungen Jahren das Leben gekostet hatte. Nach mehreren Monaten des Leidens starb Bulgakow, nur 49 Jahre alt, am 10. März 1940 in Moskau.
Alle 20 Schaffensjahre hat Bulgakow unter Sowjetherrschaft zugebracht. Sein einziges Ziel war, im Strom der großen russischen Literatur einen geachteten Platz einzunehmen. Daß er sich trotz öffentlicher Ächtung künstlerisch nie angepaßt hat, macht ihn zum letzten Klassiker der russischen Prosa.