Frankreichs »Neoreaktionäre«

Am 28. Januar 2016 beklagte Nicolas Truong in der Tageszeitung Le Monde das Fortschreiten eines »neoreaktionären« Trends... 

unter den Intel­lek­tu­el­len Frank­reichs. Ängst­lich frag­te er, ob die­se »die Schlacht der Ideen« bereits gewon­nen hät­ten. Illus­triert war der Arti­kel mit einer Kari­ka­tur, die Alain Fin­kiel­kraut, Éric Zemm­our, Richard Mil­let und Michel Hou­el­le­becq zeig­te, wie sie mit ver­ein­ten Kräf­ten an einem Seil Rich­tung rechts zie­hen. In Anspie­lung auf die berüch­tig­te Zeit­schrift Je suis par­tout aus den drei­ßi­ger und vier­zi­ger Jah­ren schrieb Truong: »Sie sind über­all!« Dies behaup­ten jeden­falls die Geg­ner der »Neo­re­ak­tio­nä­re«, wäh­rend sie gleich­zei­tig uner­müd­lich beteu­ern, daß deren Welt­sicht völ­lig rand­stän­dig und ihre Anhän­ger­schaft inexis­tent sei. Ihre Schrif­ten erfreu­en sich indes eines ste­tig wach­sen­den Erfolgs. Die »Neo­re­ak­ti­on« deckt die Rea­li­tät all des­sen auf, was das Poten­ti­al hat, die Macht der pro­gres­sis­ti­schen Lin­ken und ihren Glau­ben an die »offe­ne Gesell­schaft« zu bre­chen. Ihre Fein­de sind die Dekon­struk­teu­re der Welt des tra­di­tio­nel­len Lebens, die nach dem Zwei­ten Welt­krieg im Abend­land die Macht ergrif­fen haben. Kein Wun­der, daß die Neo­re­ak­tio­nä­re zu den bevor­zug­ten Prü­gel­kna­ben eines in die Enge getrie­be­nen Sys­tems gewor­den sind, Akteu­re einer Far­ce, die stän­dig das­sel­be Sze­na­rio her­vor­bringt: Auf die media­le Ankla­ge fol­gen der öffent­li­che Pran­ger und die sozia­le Ausgrenzung.

Der typi­sche Ver­tre­ter die­ses Gen­res ist der Jour­na­list Éric Zemm­our, der von der Lin­ken als Erbe von Maur­ras, Bar­rès oder Dru­mont hin­ge­stellt wird. Er ver­dankt sei­nen Erfolg vor allem sei­nen zahl­rei­chen Fern­seh­auf­trit­ten. Obwohl er sich immer noch in meh­re­ren Medi­en äußern darf, wird er auf­grund sei­ner Aus­sa­gen am lau­fen­den Band von der Jus­tiz ver­folgt; so wur­de er etwa 2011 wegen »Auf­sta­che­lung zum Ras­sen­haß« zu einer Geld­stra­fe ver­ur­teilt, weil er in einer Fern­seh­sen­dung kon­sta­tiert hat­te, daß »die Mehr­heit der Dro­gen­dea­ler Schwar­ze oder Ara­ber« sei­en. Wäh­rend sei­ne Ansich­ten über Frau­en, Ras­sen (er hält dar­an fest, daß sie exis­tie­ren) und den Islam regel­mä­ßig die lin­ken Kon­for­mis­ten scho­ckie­ren, bezeugt der Erfolg sei­nes Buches Le Sui­ci­de fran­çais (Der Selbst­mord Frank­reichs), daß er ein gro­ßes Publi­kum auf sei­ner Sei­te hat. Dar­in kri­ti­sier­te Zemm­our die Fehl­ent­wick­lun­gen der letz­ten vier­zig Jah­re, die sei­ner Mei­nung nach Frank­reich »zer­stört« haben: Ein­wan­de­rung, per­mis­si­ve Ideo­lo­gie und eine fal­sche Kul­tur­po­li­tik. Die Gedan­ken­po­li­zei macht auch vor der Bel­le­tris­tik nicht halt. Trotz der Frei­heit des künst­le­ri­schen Aus­drucks, die ihr auf dem Papier zusteht, wird auch sie mit den Füßen getre­ten. Die repres­si­ven Mäch­te has­sen die Lite­ra­tur, deren Wesen sie nicht ver­ste­hen, und redu­zie­ren die viel­schich­ti­ge Kunst des Erzäh­lens auf einen ein­di­men­sio­na­len Dis­kurs. In die­sem Bereich ist Michel Hou­el­le­becq das Mus­ter­bei­spiel. Seit über zwan­zig Jah­ren ver­spot­tet er mit jedem neu­en Roman die hei­li­gen Kühe unse­rer Zeit: das Erbe von 1968, den Trans­hu­ma­nis­mus, den Islam. Auch der im Janu­ar 2015 erschie­ne­ne Roman Unter­wer­fung hat hef­ti­ge Kon­tro­ver­sen pro­vo­ziert. Der fran­zö­si­sche Pre­mier­mi­nis­ter Manu­el Valls ver­damm­te ihn höchstpersönlich.

Schon Sol­sche­ni­zyn hat­te 1972 in sei­ner Nobel­preis­re­de gewarnt: »Unglück­lich ist das Land, in dem die Lite­ra­tur vom Ein­griff der Staats­macht bedroht ist!« Die­se Wor­te fin­den im heu­ti­gen Frank­reich einen beun­ru­hi­gen­den Wider­hall. Unter­wer­fung schil­dert bekannt­lich, wie das Land in naher Zukunft unter die Herr­schaft mus­li­mi­scher Theo­kra­ten gerät. Für die Hauptfgur Fran­çois bedeu­tet dies jedoch eine glück­li­che Wen­de, wird ihm doch eine neue Blü­te sei­nes Sexu­al- und Berufs­le­bens in Aus­sicht gestellt. Hou­el­le­becq zeigt, daß jede belie­bi­ge poli­ti­sche Macht Chan­cen hat, von der Mehr­heit akzep­tiert zu wer­den, wenn sie den ein­zel­nen Inter­es­sen genü­gend ent­ge­gen­kommt – sogar, wenn es sich dabei um eine isla­mi­sche Theo­kra­tie han­delt, den ins­ge­hei­men Alp­traum der Fran­zo­sen. Der Fall Richard Mil­let ist kom­ple­xer und zugleich ein­deu­ti­ger gela­gert: Die­ser Roman­cier ist nicht als Geschich­ten­er­zäh­ler, son­dern als enga­gier­ter Schrift­stel­ler aus der Reser­ve getre­ten. Im August 2012 publi­zier­te er einen Essay, der zwar den Titel »Lite­ra­ri­scher Gesang auf Anders Brei­vik« trug, der über rein lite­ra­ri­sche Fra­gen jedoch weit hin­aus­ging. Indem er dem Atten­tat von Utøya eine »form­voll­ende­te Per­fek­ti­on« zuge­stand, berei­te­te Mil­let den Intel­lek­tu­el­len Frank­reichs einen gehö­ri­gen Schock. In der Tat gei­ßel­te er den Mör­der, »ein exem­pla­ri­sches Pro­dukt der west­li­chen Deka­denz«, eben­so­sehr wie die Opfer des Mas­sa­kers, »glo­ba­li­sier­te, unge­bil­de­te, sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Klein­bür­ger gemisch­ter Abstam­mung«. Damit war sein Todes­ur­teil vor­pro­gram­miert: er ver­lor sei­nen Pos­ten als Lek­tor bei Gal­li­mard und wur­de in den lite­ra­ri­schen Orkus ver­dammt. Am 10. Sep­tem­ber 2012 publi­zier­te Le Mon­de eine Kolum­ne mit dem Titel »Das faschis­ti­sche Pam­phlet von Richard Mil­let ent­ehrt die Lite­ra­tur«, das von rund ein­hun­dert Schrift­stel­lern unter­zeich­net wurde.

Des wei­te­ren wäre Renaud Camus zu nen­nen, der für allem für sein seit 1985 publi­zier­tes Tage­buch bekannt ist. Er ist der »Whist­le­b­lower« unter den Neo­re­ak­tio­nä­ren und hat den Begriff des »Gro­ßen Aus­tauschs« geprägt, der den Pro­zeß der Erset­zung der wei­ßen euro­päi­schen Stamm­be­völ­ke­rung durch frem­de Völ­ker beschreibt. Auch wenn er sich wei­ter­hin vor allem als Lite­rat betrach­tet, hat sich Camus dezi­diert dem poli­ti­schen Enga­ge­ment ver­schrie­ben und trach­tet danach, sein Wort in den Dienst  des Kamp­fes um die euro­päi­sche Zivi­li­sa­ti­on zu stel­len. In sei­nen Essays warnt er dem­entspre­chend unab­läs­sig vor dem eth­ni­schen und kul­tu­rel­len Ende Frank­reichs. Eine der weni­gen Per­sön­lich­kei­ten im media­len Bereich, die ihn unter­stüt­zen, ist sein Freund Alain Fin­kiel­kraut. Auch er wird inzwi­schen den Neo­re­ak­tio­nä­ren zuge­ord­net, obwohl sich der Phi­lo­soph und Radio­pro­du­zent selbst nach wie vor als Mann der Lin­ken def­niert. Sei­ne Pole­mi­ken dre­hen sich um The­men wie kul­tu­rel­les Erbe, Tra­di­ti­on und Identität.

Der Phi­lo­soph Michel Onfray schließ­lich ist ein beson­ders auf­schluß­rei­cher Fall. Nichts zeigt die geis­ti­ge Hilflo­sig­keit der Lin­ken bes­ser, als ihre Ver­su­che, ihn ins Lager der »Faschos« abzu­schie­ben. Denn Onfray ist nicht gera­de ein Mann, den man ernst­haft mit der extre­men Rech­ten in Ver­bin­dung brin­gen kann. Die Tat­sa­che, daß Jean-Marie Le Pen es 2002 geschafft hat­te, in den zwei­ten Wahl­gang der Prä­si­dent­schafts­wahlen zu gelan­gen, hat ihn der­art scho­ckiert, daß er als Reak­ti­on die jeder­mann zugäng­li­che Uni­ver­si­té Popu­lai­re du Caen (die »Volks­uni­ver­si­tät von Caen«) grün­de­te. Sein Den­ken nährt sich von Nietz­sche und von einem Sozia­lis­mus proudhon­scher Prä­gung. Als ent­schie­de­ner Athe­ist hat er sowohl die katho­li­sche Kir­che als auch den Islam atta­ckiert, aller­dings auch die Psy­cho­ana­ly­se, die er als pseu­do­re­li­giö­sen Schwin­del betrach­tet. Was hat die Wach­hun­de des Sys­tems auf sei­ne Spur gebracht? Es war wohl vor allem sein im März 2014 im Wochen­ma­ga­zin Le Point lan­cier­ter Fron­tal­an­griff auf »die kon­fu­se Gen­der­theo­rie, wie sie von der Phi­lo­so­phin Judith But­ler popu­la­ri­siert wur­de«. Ein Jahr spä­ter erklär­te Onfray an der­sel­ben Stel­le: »Ich zie­he eine zutref­fen­de Ana­ly­se von Alain de Benoist einer unzu­tref­fen­den von Minc, Attali oder Ber­nard-Hen­ri Lévy vor; und umge­kehrt wür­de ich eine Ana­ly­se von Lévy, die mir zutref­fend erscheint, einer Ana­ly­se von Benoist, die ich unzu­tref­fend fin­de, vor­zie­hen.« Dies trug ihm prompt eine schar­fe Rüge des Pre­mier­mi­nis­ters ein, der offen­bar wenig Gefal­len an der Frei­heit des Den­kens hat und sich ein wei­te­res Mal in intel­lek­tu­el­le Belan­ge ein­misch­te, von denen er kei­ner­lei Ahnung hat.

Onfrays lapi­da­rer Kom­men­tar hier­zu? »Manu­el Valls ist ein Kre­tin!« Was also macht einen Intel­lek­tu­el­len zum »Neo­re­ak­tio­när«? Ist er ein Faschist, ein Libe­ra­ler, ein Libe­ral­kon­ser­va­ti­ver, ein Repu­bli­ka­ner, ein Sou­ve­rä­nist? Die Defi­ni­ti­on scheint in genau dem Maße dehn­bar zu sein, wie sie benutzt wird, um Anders­den­ken­de zu dis­kre­di­tie­ren. Der Neo­re­ak­tio­när ist, wie der Roman­cier Slo­bo­dan Des­pot im Schwei­zer Le Matin diman­che schrieb, im Grun­de nichts wei­ter als ein hon­nête hom­me, »ein Ehren­mann im klas­si­schen Sinn des Wor­tes«, ein gebil­de­ter, geis­tig frei­er und auf­rich­ti­ger Kopf. Was die Ver­äch­ter der Neo­re­ak­tio­nä­re angeht, so bil­den sie dage­gen heu­te in der Tat »einen mono­li­thi­schen Block, was ihre Über­zeu­gun­gen und Denk­fi­gu­ren betrifft«. Der vita­le Plu­ra­lis­mus hat das Lager gewech­selt. Der Koloß wankt, und sein Ende ist nah.

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (0)

Für diesen Beitrag ist die Diskussion geschlossen.