Diese Bilanz hätte allemal für eine Abwahl reichen müssen.
Daß Merkel und ihre Entourage (trotz empfindlicher Verluste) weiter auf die Geschicke Deutschlands entscheidend Einfluß nehmen werden, ist in der Tat ein Paradoxon, für das der Autor maßgeblich die „demokratische Unzurechnungsfähigkeit der Deutschen“ verantwortlich macht. Mit einigem Recht kann man sich deshalb fragen, ob die Deutschen, die der „Katastrophengestalt“ Merkel (Sieferle) eine neuerliche Amtsperiode beschert haben, „noch zu retten sind“.
Dennoch möchte ich an dieser Stelle ein paar Argumente für die Exkulpation „der Deutschen“ anbringen, die es immerhin geschafft haben, mit der AfD eine politische Antwort von Gewicht zu bilden, die sich nun anschickt, im Bundestag endlich für das zu sorgen, was die Regierung Merkel bisher nicht gewohnt war, nämlich eine Opposition, die dezidiert für deutsche Interessen eintritt. Die Zeiten, in denen im Bundestag ein fragwürdiger „Konsens der (Monopol-)Demokraten“ gepflegt werden konnte, dürften damit der Vergangenheit angehören. Das ist bereits ein ganz großer Schritt, der angesichts der deutschen Verhältnisse nicht hoch genug veranschlagt werden kann.
Der Wahlkampf hat im übrigen gezeigt, und nun komme ich auf die angesprochenen Exkulpationen zu sprechen, in welchem Maße „die Öffentlichkeit“ mittlerweile von den Medien vereinnahmt worden ist.
Wer noch Belege für das Diktum von Caspar von Schrenck-Notzing gesucht hat, daß die Öffentlichkeit, die einst auf der Seite der Opposition stand, „heute ihren Platz gewechselt hat“ und die Aufgabe erfüllt, „Opposition von vornherein unmöglich zu machen“ (im Vorwort zu Hanno Kesting: Öffentlichkeit und Propaganda, Bruchsal 1995), der kann im zurückliegenden Wahlkampf mehr als fündig werden.
Die Medienöffentlichkeit ist längst zum „Teil des Herrschaftssystems“ geworden und agiert entsprechend; siehe aktuell dazu unter anderem hier. Botho Strauß hat diese Entwicklung pointiert wie folgt zusammengefaßt: „Das Regime der telekratischen Öffentlichkeit ist […] der umfassendste Totalitarismus der Geschichte.“
Nun kann man darauf verweisen, daß sich mittlerweile eine Gegenöffentlichkeit in Form von Social media, aber auch diverser Zeitschriften, Foren etc. gebildet hat, die dieser (Regierungs-)Propaganda zumindest partiell etwas entgegenzusetzen versucht. Wer sich kritisch informieren will, dem stehen Möglichkeiten zur Verfügung, die es so in der Geschichte bisher nicht gab.
Dennoch dürfte die Meinungsbildung der meisten Zeitgenossen über die etablierten Tages- und Wochenzeitungen, deren Netzseiten und immer noch über das Fernsehen erfolgen, die wesentlicher Bestandteil der erwähnten „telekratischen Öffentlichkeit“ sind.
Öffentliche Meinung – das ist eine Schlußfolgerung von Hanno Kesting, der zeigt, warum diese mit der „veröffentlichten Meinung“ gleichzusetzen ist – ist ein Mittel, „bestimmte Menschengruppen“ „in ihrem Verhalten zu beeinflussen, ihr Tun und Lassen zu lenken und auf bestimmte Ziele hin auszurichten“. Es ist die „telekratische Öffentlichkeit“, die Tag für Tag die Regierung Merkel als „alternativlos“ anmoderiert und ihre fatalen Fehlleistungen relativiert, unter den Tisch gewischt oder als Ausdruck „humanitärer Politik“ weichgezeichnet hat.
Im gleichen Maße wurde die einzig wirkliche Opposition im Land, die AfD, in den Mainstream-Medien verschwefelt und als unwählbar dargestellt. Beispielhaft hierfür ist unter anderem der Focus, der seit Wochen nichts unversucht gelassen hat, um die AfD in die „Braunzone“ zu drängen. Ganz zu schweigen von dem alarmistischen Nazigeschrei, das „Überzeugungsträger“ vom Schlage eines Heribert Prantl oder Jakob Augstein angezettelt haben, um mit der größtmöglichen Haubitze, die in diesem Land aufgefahren werden kann, das aus ihrer Sicht Unsagbare doch noch zu verhindern.
Was damit gesagt werden soll: Viele Deutsche sind Tag für Tag damit beschäftigt, die komplexen Herausforderungen des Alltags zu meistern; evtl. bleibt abends ein wenig Zeit, sich via Tagesschau oder über eine der üblichen Quasselrunden zu informieren, in die Personen, die abweichende Meinungen beziehen, zum öffentlichen Abwatschen einbestellt werden.
(Zu-)Wenige dürften die Zeit finden, sich alternativ zu informieren. Diese alternativen Informationsquellen werden zudem als Orte denunziert, die Fake news produzieren oder dort anzusiedeln sind, wovor es den meisten Zeitgenossen graust, nämlich rechts.
Mit anderen Worten: Es wird dem Durchschnittsdeutschen sehr schwer gemacht, sich ein vom Mainstream abweichendes politisches Urteil zu bilden und vor allem offensiv zu vertreten. Viele verfallen deshalb in eine Art kognitive Dissonanz: Sie haben zwar erkannt, daß die Dinge falsch laufen, machen aber am Wahltag doch wieder dort das Kreuz, wo sie es immer gemacht haben, und scheuen das Experiment, den politischen Verhältnissen womöglich eine neue Richtung zu geben, und zwar erst recht dann, wenn es in eine „verbotene Richtung“ gehen soll.
Die Schlußfolgerung, es sei letztlich die „politische Unzurechnungsfähigkeit“ der Deutschen, die maßgeblich dafür verantwortlich ist, daß der „Rautenkanzlerin“ eine neue Amtsperiode beschert wird, ist deshalb meines Erachtens eine Verkürzung einer komplexen politischen Konstellation und führt vor allem in der Sache nicht weiter, lautet die unterschwellige Botschaft doch: Wenn ihr Deutschen keine Konsequenzen aus den Fakten zieht, die wir euch präsentieren, dann müßt ihr eben auch damit leben, daß dieses Land an die Wand fährt.
Es bleibt dabei: (Rechts-)Konservative Politik in Deutschland wird auch in Zukunft nach dem Motto „Steter Tropfen höhlt den Stein“ betrieben werden müssen. Den großen Befreiungsschlag mit dem Effekt, daß es den Deutschen plötzlich wie Schuppen von den Augen fällt, wohin sie ihre Classe politique geführt hat, wird es – aller Voraussicht nach – nicht geben.
Immerhin aber ist am gestrigen Sonntagabend ein ziemlich großer Tropfen niedergegangen, der Hoffnung macht, daß die „Beständigkeit des sich selbst korrigierenden Systems“, das keine „Transformierbarkeit“ (Botho Strauß) mehr denkbar erscheinen läßt, entscheidend durchbrochen werden konnte. Nun gilt es, das gestrige Wahlergebnis aufzunehmen und in seiner Wirkung auszubauen.
PS: An dieser Stelle noch ein Wort zum gestrigen Wahlabend. Während bei fast allen Äußerungen der Spitzenpolitiker der geschlagenen Parteien (erwartungsgemäß) einmal mehr deren Uneinsichtigkeit hervorstach, inszenierte sich Cem Özdemir, Spitzenkandidat einer Partei, die mit ihrem Zuwanderungslobbyismus ein exponierter Teil der bundesdeutschen Misere ist, unwidersprochen ganz staatstragend als Anwalt der Demokratie. Mehrmals wies er sinngemäß darauf hin, daß wir Sorge zu tragen hätten, daß auch unsere Kinder in einer lebenswerten Gesellschaft leben könnten.
Von (sperrangelweit) offenen Grenzen und davon, daß „uns plötzlich Menschen geschenkt wurden“ (Göring-Eckardt), ist bei Özdemir keine Rede mehr; es dreht sich nun alles um Klimaschutz, Europa und „Gerechtigkeit“. Wenn es ein Indiz für politische Unzurechnungsfähigkeit der Deutschen gibt, dann ist es in der Tatsache zu suchen, daß diese Partei politisch auch künftig ein entscheidendes Wort mitzusprechen hat und in einer neuen Regierung womöglich sogar Minister stellen wird.
H. M. Richter
"Es wird dem Durchschnittsdeutschen sehr schwer gemacht, sich ein vom Mainstream abweichendes politisches Urteil zu bilden und vor allem offensiv zu vertreten." [Michael Wiesberg]
Dennoch scheitert das Bemühen, den "Durchschnittsdeutschen" die Bildung eines solchen politischen Urteils dauerhaft zu verunmöglichen, an einem einfachen Umstand: Der tagtäglichen Erfahrung. Schaut man sich beispielsweise an, wo in Bayern die Alternative für Deutschland besonders stark abschnitt, dann sind dies vor allem ländliche Gebiete am Ende der Brenner- und Balkanrouten. Diese unmittelbaren Erfahrungen wurden und werden von Tag zu Tag zu einer größeren Kraft, zu einer Kraft, die tatsächlich gerade dabei ist, die Massen zu erreichen. Die steten Tropfen dieser tagtäglichen Erfahren bergen somit die Möglichkeit, daß sie sich zu einem Fluß verbinden, denen bestimmte Uferbefestigungen auf Dauer nicht gewachsen sind.