die Geschichte zu erzählen, die mich zu diesen Überlegungen geführt hat.
Sie spielt vor etwa zwei Jahren in einem Zugabteil. Ein Fahrgast orientalischer Herkunft hatte zwar seinen Fahrschein dabei, allerdings die BahnCard vergessen. In so einem Falle kann man die BahnCard zusammen mit der Bußgeldbescheinigung am Bahnhofsschalter vorzeigen und hat dann nur eine Bearbeitungsgebühr von einigen Euro zu begleichen.
Der Schaffner erklärte das in ruhigem Ton. Unser Mitlandesbewohner mit Migrationshintergrund wollte davon allerdings nichts wissen. Er wurde aber nicht aggressiv, sondern folgte der Erfahrung, daß man bei deutschen Möchtegernautoritätspersonen durch penetrantes Quengeln alles erreichen kann.
Das ging mehrere Minuten so, doch der Schaffner blieb hart. Der Orientale machte aber auch keine Anstalten klein bei zu geben. Endlos redete er in unmöglich zu ignorierender Tonlage auf den Schaffner ein. Ich saß der ganzen Szene direkt gegenüber und schließlich riß mir der Geduldsfaden.
„Hören Sie auf dem ganzen Abteil auf die Nerven zu gehen!“, fuhr ich ihn an. Damit wurde die Sache heikel. Unser Freund fühlte sich jetzt ernsthaft in seiner Ehre verletzt und war entschlossen, diesen Platz als Sieger zu verlassen.
An dieser Stelle einen Einwurf, besonders für die weibliche Leserschaft: Sie werden, vor allem wenn sie sich des öfteren in Universitäten aufhalten, oft genug auf Angebote von Selbstverteidigungskursen stoßen, die „Mutiges Auftreten“ oder „Selbstbewußtsein in Konfliktsituationen“ lehren wollen. Gehen sie in ein richtiges Dojo, oder lassen sie es bleiben! Das Bild vom Gegner, das in den Köpfen dieser Selbstverteidiger herumschwirrt ist das des Möchtegernvergewaltigers, der nach einer Ohrfeige oder auch nur einem lauten „Nein!“ flennend davonläuft. Ja, es hat solche Fälle gegeben. Es ist aber sehr gefährlich sich einzureden, daß der „Angreifer“ titulierte Teil einer Konfrontation qua seines Angreiferseins ein erbärmlicher Wicht sei.
Es gibt viele Menschen auf der Straße, die nicht zu den angenehmsten Zeitgenossen zählen, aber weder körperliche noch seelische Schwächlinge sind und über einen oft mehr als nur gesunden Stolz verfügen. Gegenüber solchen Leuten ist „Selbstbewußtes Auftreten“ ein riesiger Schritt in Richtung Eskalation, gerade, wenn derjenige, der ihnen da krumm kommt, offensichtlich schwächer ist. Wer das dann nicht handhaben kann, hat schnell richtige Probleme.
Diesen Weg schlug nun auch die Situation im Zugabteil ein. Der Orientale wollte mich einschüchtern und mir eine Entschuldigung abpressen. Ich weigerte mich und erklärte ihm, er solle endlich ruhig sein. Was folgte, war ein Abtasten der feindlichen Kampfbereitschaft:
Mit Blicken – eine ganz gefährliche Sache, ein Blickduell kann friedlich nur damit enden, daß einer den Augen des anderen ausweicht und damit seine Schwäche eingesteht. Mit Worten – er duzte mich demonstrativ, mein beharren auf dem Sie war aber nicht weniger feindlich.
Aber es fiel kein Schlag. So geschildert wirkt die Situation fast kindisch, doch sie ist typisch für die tausend kleinen Auseinandersetzungen, mit denen im kulturbereicherten Deutschland alltäglich ausgekämpft wird, wer der Herr im Hause ist.
Typisch war außerdem noch zweierlei: Im Zugabteil saßen noch drei andere Personen, eine Frau und zwei Männer. Alles Deutsche, die ihr Bestes gaben, den sich zuspitzenden Streit zu ignorieren. Der Schaffner war längst verschwunden. An seiner Stelle kam noch ein Kerl von der Bahn, der einen sanften Versuch machte, deeskalierend zu wirken.
In meinem Hinterkopf ratterte es derweil. Wir waren in einem Zugabteil. Überall waren Kameras. Keine Chance, daß eine Schlägerei nicht auf dem Schreibtisch der Staatsanwaltschaft gelandet wäre. Der Orientale mir gegenüber war kein Bulle, aber gefährlich war er auf jeden Fall. Hätte er mich angesprungen, ein Schlag Richtung Kehlkopf wäre das Sicherste gewesen. Ein Kampf wäre schnell häßlich geworden. Auch wenn er den ersten Schlag geführt hätte, juristisch wäre das für mich leicht zur Katastrophe geworden.
Ich grummelte schließlich etwas in meinen Bart, daß der Orientale als Anerkennung seiner Überlegenheit auffassen konnte. Er gab sich damit zufrieden. Wer es einmal erlebt hat weiß, was für ein mieses Gefühl es ist so vor einem Rowdy einzuknicken. Ich weiß nur bis heute nicht, daß ich hätte tun sollen. Es wäre gelogen, das ich keine Angst vor dem Kerl gehabt hätte. Der war nicht zum Spaßen aufgelegt. Doch diese Furcht verblaßte vor dem Gedanken daran, was die deutsche Justiz mit meinem Leben anstellen würde, wenn es zu einer Schlägerei käme.
Und er? Gehörte er zu denjenigen, die sich darauf verlassen können, daß dreißig Vettern dem Richter verdeutlichen, welches Urteil seiner Gesundheit am förderlichsten ist? Ich glaube nicht, dafür wirkte er dann doch nicht gewaltbereit genug. War er einfach zu impulsiv, um die Situation zu überreißen, in der er sich ja nicht minder als ich befand? Fürchtete er Vorstrafen nicht, weil Onkel Ali ihm so oder so einen Job in seiner Dönerbude geben würde? Bedeutete ihm Ehre so viel mehr als mir? Oder hatte er einfach nur Nerven und konnte bluffen? Ich weiß es bis heute nicht.
RMH
"Oder hatte er einfach nur Nerven und konnte bluffen? Ich weiß es bis heute nicht."
Und das ist auch völlig richtig und normal, denn pauschale Tipps, die man mal eben im Internet dazu geben kann, führen nicht weiter, da der normale Durschnittsbürger sie ohnehin in der Situation, wo das Adrenalin einströmt, vergessen hat und man ferner nie weiß, ob man jetzt gerade ausgerechnet der berühmten Ausnahme von der Regel, auf die man sich irgendwann mal "vorbereitet" hatte, gegenüber steht.
Meine ureigene und konkrete Erfahrung - ich komme nicht aus der "Oberstadt"
https://www.youtube.com/watch?v=bGhJbr7DMmg
- ist, dass einem auch kein Kampfsport, egal in welchem neudeutsch "dojo" man das erlernt, in einer echten Situation groß weiter hilft, da es Wesen des gemeinen Schlägers ist, hinterhältig zu sein und immer den Überraschungsmoment auszunutzen und er sich eben an keinerlei Regeln hält. Beim konkreten Fall des Orientalen im Zug könnte sich das Ganze, nach meiner Einschätzung, u.U wie folgt weiter entwickelt haben: Sie bleiben hart und der Gegner knickt dann verbal ein, macht Anzeichen von shake-hands und in-den-Arm-nehm-Schulterklopf, "Alles gut Bruda, die da oben sind die Schweine"- etc.
Und ab hier haben Sie dann wieder die 50 : 50 Wahrscheinlichkeit, dass er es Ernst mit dem "Schwamm drüber" meint oder nur die Voraussetzungen für einen Überraschungsangriff schaffen will.
Und auch das ist nur 1 von vielen denkbaren Möglichkeiten. Eine andere wäre bspw., das Ganze schwelt weiter und es fallen erst einmal keine Worte, sie werden aber stetig beobachtet bzw. belauert und ggf. sogar nach Ende der Zugfahrt verfolgt, um einen Moment der Unachtsamkeit auszuchecken, um dann zuschlagen zu können, denn den offen erkennbaren Angriff gibt es eigentlich fast nur unter besoffenen Deutschen und auch da nur, wenn es sich um unerfahrene Rookies handelt (auch hier: Ausnahmen bestätigen die Regel).
Wie auch immer, worauf ich hinaus will ist der Umstand, dass sie vollkommen richtig gehandelt haben und das wir Deutsche nur deshalb so gut funktionieren, weil unsere soziale, berufliche und fanmiliäre Fallhöhe eben deutlich höher ist, als bei den meisten "Anderen". Das wissen diese auch und können daher bereits von Anfang an mit höherem Einsatz in das Pokerspiel gehen, welches es zu 99% immer am Anfang von Konfrontationen gibt.
Eine Lösung dazu fällt mir nicht ein, außer, dass wir ernsthaft politisch Einfluss gewinnen müssen, dass unsere Sicherheitsorgane noch in ausreichender Anzahl vorhanden sind und nicht von diesen Leuten unterwandert werden (siehe aktuelle Diskussion um die Polizeischule in Berlin).
Einstweilen gilt, der Klügere gibt nach und die Hasenfußtaktik sind in den meisten Fällen die richtigen Optionen, auch wenn es ernsthaft schwer fällt und in manchen Situationen (man steht bspw. Nachts alleine einer Mehrheit gegenüber), hilft für 99,99% der Einheimischen nichts mehr und man ist das "Opfa".