Ernst Nolte bezeichnete die Bewegung des rumänischen politischen Aktivisten und religiösen Mystikers Corneliu Zelea Codreanu (1899–1938) als die wahrscheinlich »interessanteste und vielseitigste aller faschistischen Bewegungen«. Es verwundert daher, daß bisher keine Biographie des radikalen Sonderlings vorlag. Der in Wien lehrende Südosteuropa-Historiker Oliver Jens Schmitt hat diese Forschungslücke nun geschlossen.
Schmitt schreibt die Familien- und Lebensgeschichte Codreanus im Kontext seiner Zeit, untersucht Ideen und Taten, Persönlichkeitsstruktur und religiöse Prinzipien, porträtiert die unterschiedlichen organisatorischen Hüllen seiner grüngekleideten »Legionäre« wie die »Legion Erzengel Michael«, die »Eiserne Garde« oder die Ende der 1930er Jahre erfolgreiche Wahlpartei »Alles für das Land«. Nebenbei gelingt es Schmitt, dem Leser die Sozialgeschichte des Rumäniens der Zwischenkriegszeit verständlich zu machen; er untersucht soziale und ethnische Krisengebiete des nach dem Ersten Weltkrieg geborenen »Groß-Rumänien« mit seinen starken Minderheiten, analysiert sozioökonomische Widersprüche innerhalb der extrem polarisierten Gesellschaft (Stadt vs. Land, Altreich vs. neugewonnene Gebiete, Rumänen vs. Juden, Bauern vs. Arbeiter, systemtreue Rechte vs. systemfeindliche Rechte usw.) und gewährt einen »kurzen Lehrgang« in Wesen und Gestalt der politischen Rechten des Landes.
Es käme einer Gesamtzusammenfassung des Buches gleich, wollte man die einzelnen Aspekte destillieren, die Schmitts Codreanu-Biographie unverzichtbar für kommende Auseinandersetzungen mit dem rumänischen und europäischen Faschismus werden lassen. Zwei Gesichtspunkte sind dennoch besonders erhellend.
Erstens räumt Schmitt mit dem Mythos der Legionäre als einer von Codreanu ideell homogenisierten Sekte auf. Veranschaulicht wird vielmehr, daß die nationalreligiöse Eiserne Garde kein monolithischer Block gewesen ist, sondern unterschiedliche, kaum in weltanschaulichen Einklang zu bringende Flügel beherbergte, die nur durch die Loyalität zu ihrem Anführer zusammengehalten wurden. Erstmals wird die sozialrevolutionäre Strömung der Garde herausgearbeitet. Forderungen wie die Enteignung des Grundbesitzes, Verstaatlichung der Wirtschaft oder die Idee einer »legionären Kommune« ließen beispielsweise die Kommunisten Rumäniens schlicht obsolet werden – und ermöglichten einigen Veteranen der Bewegung in Zeiten des Kalten Krieges den Übergang zum »Nationalkommunismus«.
Zweitens wird in vorliegendem Werk deutlich, daß sich der von Legionärssympathisanten als »Verrat« gewertete Schritt Hitlers, 1940ff. nicht auf die Legion, sondern auf deren rechte Todfeinde zu bauen, Jahre vorher abzeichnete. Bereits zu Lebzeiten Codreanus war man im Dritten Reich stärker an seinen Feinden um Octavian Goga und A. C. Cuza interessiert; Julius Streicher und Alfred Rosenberg sorgten für eine Orientierung Hitlers in Richtung der antisemitischen, königstreuen Nationalchristlichen Partei (PNC), der man sich näher fühlte als den proletarisch-sozialistischen und christlich-orthodoxen Asketen der Codreanu-Bewegung. Und 1940 stützten die Deutschen zwar die Entstehung des »national-legionären« Staates unter Marschall Ion Antonescu und dem blassen Codreanu-Nachfolger Horia Sima, bestärkten Antonescu aber in seinem Unterfangen, sich der Legionäre zu entledigen. Viele von ihnen landeten in Konzentrationslagern.
Oliver Jens Schmitt gelingt im Schlußteil des Buches ein hervorragender Blick auf das Fortleben Codreanus in der rumänischen Nachkriegsgesellschaft. Insgesamt zeigt der gebürtige Basler, daßes möglich ist, eine wissenschaftliche Biographie eines Faschistenführers vorzulegen, die ohne raunende Spekulationen auskommt. Schmitts Biographie ist somit das Gegenstück zu Hans Wollers Mussolini-Biographie (vgl. Sezession 73).
Oliver Jens Schmitt: Ca˘pitan Codreanu kann man hier bestellen .