Ernst Jünger: Gespräche im Weltstaat. Interviews und Dialoge 1929 – 1997

Ernst Jünger, der Chronist des 20. Jahrhunderts, ist nicht mehr umstritten.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

Was er trieb, erlitt, bedach­te, anrich­te­te und recht­fer­tig­te, ist nicht mehr anstö­ßig, son­dern wird wie eine exzen­tri­sche, span­nen­de Lebens­ent­schei­dung wahr­ge­nom­men. Die von ihm stam­men­de Beob­ach­ter­for­mel »Dies alles gibt es also« läßt sich längst auf den Umgang der Kri­tik unse­rer Tage mit ihm anwen­den: Man darf so gelebt haben wie Jün­ger, man darf sich so geäu­ßert haben, mehr: Man möch­te die­sem Leben in Todes­nä­he, die­ser von Büchern, Noti­zen, Käfern, Träu­men, Wun­den umstell­ten Exis­tenz nahe­rü­cken, möch­te über sie spre­chen kön­nen wie über einen selt­sa­men, recht sel­te­nen, jeden­falls längst mit Nadeln fixier­ten Käfer. Es ist da eine Aura des Exklu­si­ven, eine Hier­ar­chie des Geis­tes, die in einer auf die Gleich­be­rech­ti­gungs­po­sau­ne ein­ge­stimm­ten Tro­cken­heit wirkt wie eine Zisterne.

Natür­lich: Uns gefal­len die wil­den Pam­phle­te und die Demons­tra­tio­nen vor der Pauls­kir­che aus dem Jah­re 1982 bes­ser, als Jün­ger den Goe­the-Preis der Stadt Frank­furt erhielt und noch für so faschis­tisch galt, daß die Stu­den­ten ihn nicht dul­den woll­ten. Das Inter­view, das Rudolf Aug­stein, Hell­muth Kara­sek und Harald Wie­ser damals mit Jün­ger für den Spie­gel führ­ten, gehört zu den berühm­ten der sel­te­nen Äuße­run­gen Jüngers.

Zis­ter­ne jeden­falls: »Ein Jün­ger-Wort«, notier­te Erhart Käst­ner in sei­ner Stun­den­trom­mel vom hei­li­gen Berg Athos, und uns wird wäh­rend der Lek­tü­re der Gesprä­che im Welt­staat klar, wor­aus wir schöp­fen dür­fen und was wir die­sem Kopf alles ver­dan­ken an Wör­tern, Wen­dun­gen, Hal­tun­gen, Seh­schu­len. Der von den Ger­ma­nis­ten Rai­ner Bar­bey und Tho­mas Petrasch­ka sehr sau­ber her­aus­ge­ge­be­ne Band ver­eint Inter­views und Dia­lo­ge mit Jün­ger aus den Jah­ren 1929 (als die Kriegs­bü­cher vor­la­gen und Das Aben­teu­er­li­che Herz gera­de erschien) bis 1997 (dem Jahr vor sei­nem Tod). Man­che davon sind legen­där (das erwähn­te Spie­gel-Gespräch ganz sicher), man­che konn­te und kann man in den digi­ta­li­sier­ten Bestän­den deut­scher Biblio­the­ken auf­fin­den – ins­ge­samt aber nimmt uns die Zusam­men­stel­lung viel Recher­che­auf­wand ab und för­dert Unzu­gäng­li­ches zutage.

Dazu gehört das eine der bei­den längs­ten der in die­sem Band ver­sam­mel­ten Gesprä­che. Der fran­zö­si­sche Ger­ma­nist und Jün­ger-Über­set­zer Juli­en Her­vier führ­te es zum 90. Geburts­tag Jün­gers im Jah­re 1985, und es ist in sei­nen zwölf Tei­len einer auto­bio­gra­phi­schen Rechen­schaft in Gesprächs­form. Her­vier fragt unkri­tisch und for­dert zu epi­schen Ant­wor­ten auf, läßt also erzäh­len, wäh­rend – um ein Gegen­bei­spiel zu erwäh­nen – der für sei­ne Direkt­heit oder sogar Unver­froh­ren­heit bekann­te Inter­view­er André Mül­ler ganz und gar kei­ne »Dich­tung und Wahr­heit« hören will, son­dern die Klin­gen kreuzt (1989).

Das ande­re umfas­sen­de Werk- und Lebens­ge­spräch stammt aus dem Jahr 1995, es war unter dem Titel Die kom­men­den Tita­nen zunächst bei Karo­lin­ger erhält­lich und ist nun in die­sen Band auf­ge­nom­men wor­den. Dar­über hin­aus gibt es eit­le Gesprächs­part­ner, Curt Hohoff etwa, der als Fra­ge­stel­ler bald mehr Antei­le hat als Jün­ger und irgend­wie stän­dig erklärt, was er zu hören wünscht; mit dem fran­zö­si­schen Publi­zis­ten und Über­set­zer Fré­dé­ric de Towar­ni­cki sind drei Gesprä­che abge­druckt, dar­un­ter ein sehr wich­ti­ges aus dem Jahr 1991 mit dem Titel »Der Blick des Besatzers«, und eine Stel­lung­nah­me, die sich gegen die Arro­ganz und die poli­ti­sche Kri­tik eines Gün­ter Grass rich­tet und sie als Unge­zo­gen­heit von fran­zö­si­schen Gepflo­gen­hei­ten abgrenzt.

Nein, kei­ne Fra­ge: Die­ses Buch ist emp­feh­lens­wert, auch wenn es der His­to­ri­sie­rung Jün­gers wei­ter Vor­schub leis­tet und ihn noch nah­ba­rer macht. Aber viel­leicht soll­te man sich selbst kor­ri­gie­ren, viel­mehr: das eige­ne Jün­ger-Bild. Der gab näm­lich im Gespräch mit Her­vier zu Pro­to­koll, daß ihn Max Stir­ners Der Ein­zi­ge und sein Eigen­tum wohl stär­ker inspi­riert habe als jedes ande­re Buch. Denn aus ihm lei­te­te er die Figur des Anar­chen ab, also aus dem Satz: »Mir geht nichts über mich«. Das könn­te, stün­de es bloß so da, auch ein post­mo­der­ner Hips­ter unter­schrei­ben. Aber zum Glück hat der Gesprächs­band über 500 Seiten.

Ernst Jün­ger: Gesprä­che im Welt­staat. Inter­views und Dia­lo­ge 1929 – 1997. Her­aus­ge­ge­ben von Rai­ner Bar­bey und Tho­mas Petrasch­ka, Stutt­gart: Klett-Cot­ta 2019. 574 S., 45 € – hier bestel­len

Götz Kubitschek

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