Das Gesicht der BRD 2019

von Ellen Kositza und Thomas Wawerka
PDF der Druckfassung aus Sezession 92/Oktober 2019

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Was sehen wir hier? Es hilft nichts, wir müs­sen es aus­spre­chen: Wir sehen einen alten wei­ßen Mann. Es kann sein, daß in den letz­ten Jah­ren all­zu­oft auf die­ser Per­so­nen­grup­pe her­um­ge­hackt wur­de. Übri­gens schreibt kei­ner mehr »alter, wei­ßer Mann«. Gemäß der aktu­el­len Kom­ma­reglung wäre das näm­lich falsch.

Alt und weiß gehen heut­zu­ta­ge eine »fes­te, untrenn­ba­re Ver­bin­dung« ein! Es ist gewis­ser­ma­ßen »in«, sol­che männ­lich-alt-wei­ßen Men­schen auf­grund ihres Geschlechts, ihrer Her­kunft und ihres Alters kate­go­risch als eine Gefahr für »Diver­si­tät« und »Femi­nis­mus« anzusehen.

Es heißt, alte wei­ße Män­ner dik­tier­ten die Regeln. Seit je. Und seit je zu Unrecht. Im Hin­ter­grund aber acker­ten immer die Frau­en, die beschei­de­nen Opfer­fi­gu­ren. So war Bet­ti­ne von Arnim der eigent­li­che Motor der Spät­ro­man­tik, Marie Curie die eigent­li­che Nobel­preis­trä­ge­rin und Ada Love­lace die eigent­li­che Erfin­de­rin des Com­pu­ters, und so wei­ter. Tja, Mädchenblütenträume!

De fac­to sind es Män­ner, die die Welt kon­stru­ie­ren, und im übri­gen ist frag­lich, was sich ändert, wenn eine Frau die Schalt­he­bel bedient. Auf unse­rem Bild sehen wir also einen alten wei­ßen Mann. Er ist bes­tens gerüs­tet. Er trägt ein neon­far­be­nes Klei­dungs­teil, das ihm als Schwimm­wes­te sicher hilf­reich sein wür­de, falls sei­ne Mis­si­on je kenterte.

Wird sie nicht! Jeden­falls nicht in dem Sin­ne, daß der »alte Wei­ße«, des­sen Bril­len­bü­gel sich so schön und irgend­wie zivi­li­siert unter das recht­schaf­fen rasier­te Schlä­fen­haar schmie­gen, die Kon­se­quen­zen sei­nes Irr­wegs zu Leb­zei­ten aus­zu­ba­den hät­te. (Par­don, »baden« darf man nicht sagen in die­sem Kon­text, oder?)

Hein­rich Bedford-Strohm (HBS), Rats­vor­sit­zen­der der Evan­ge­li­schen Kir­che in Deutsch­land (EKD), bleckt sie­ges­si­cher die Zäh­ne. So schaut ein Mann aus, der sei­ne Schäf­chen im Tro­cke­nen hat. So schau­en die Wer­be-Rent­ner aus, die mit »Stu­dio­sus« nach­hal­tig frem­de Kon­ti­nen­te ent­de­cken und dort mit Kaf­fee­bau­ern oder Bison­hü­tern ange­lei­te­te Gesprä­che füh­ren dürfen.

Fal­len­de Schul­tern, vor­ge­streck­ter Kopf, all­seits offe­nes Grin­sen. »Fas­zi­nie­rend, die­se Men­schen da drau­ßen, nicht wahr?« Das hier ist das Gesicht »BRD 2019«, wel­ches sonst? Ein gebläh­ter Grö­ne­mey­er wäre nicht reprä­sen­ta­tiv, ein stre­ber­haf­tes »FFF«-Mädel auch nicht. Der Durch­schnitts­deut­sche (wir wol­len das mil­lio­nen­star­ke Pre­ka­ri­at mal außen vor­las­sen; das ist es eh gewohnt) schaut aus wie HBS. Die EKD wird nun also ein »Ret­tungs­schiff« finanzieren.

Der evan­ge­li­sche Theo­lo­ge Prof. Ulrich Kört­ner übte auf zeitzeichen.net schar­fe Kri­tik an dem Vorhaben:

Letzt­lich lau­fen die For­de­run­gen der NGOs auf eine Poli­tik der offe­nen Gren­zen hin­aus. Das gilt auch für die Posi­ti­on der EKD. Die poli­ti­schen und sozia­len Fol­gen einer sol­chen Will­kom­mens­kul­tur, die das Erstar­ken rech­ter und frem­den­feind­li­cher Par­tei­en in ganz Euro­pa geför­dert hat, wer­den her­un­ter­ge­spielt oder ein­sei­tig einer ras­sis­ti­schen ›rech­ten‹ Gesin­nung angelastet.

Vol­ker Münz, reli­gi­ons­po­li­ti­scher Spre­cher der AfD sekundierte:

Die Kir­che unter­stützt hier­mit das Geschäfts­mo­dell der Schlep­per­ban­den. Damit wer­den noch mehr Men­schen aufs Meer gelockt und es wer­den noch mehr Men­schen ster­ben. Damit wird die ille­ga­le Migra­ti­on geför­dert und die Migra­ti­ons­kri­se ver­schärft. Das Vor­ha­ben der EKD ist nur schein­bar christ­lich, es ist ethisch unverantwortlich.

Es ist an der Zeit, gründ­li­cher über die Immun­schwä­che des Chris­ten­tums nach­zu­den­ken. Recht popu­lär ist es, die­se Schwä­che auf die Tugend­leh­re Chris­ti zurück­zu­füh­ren. Dem­nach hät­ten zum einen die gefor­der­te Nächs­ten­lie­be und Barm­her­zig­keit mit allen Men­schen zu einem ver­derb­li­chen Uni­ver­sa­lis­mus geführt. Zudem sei­en Chris­ten ange­hal­ten, unter allen Umstän­den auf Gewalt zu ver­zich­ten und die ande­re Wan­ge hin­zu­hal­ten. Nun gibt es aller­dings kei­ne Ethik ohne die Idee der Mitmenschlichkeit.

Jeg­li­che ethi­sche Refle­xi­on ist Refle­xi­on über das Ver­hält­nis zum Nächs­ten in der Absicht, die­ses Ver­hält­nis dem mensch­li­chen Wesen gemäß zu gestal­ten. Das Chris­ten­tum ist mit sei­ner Leh­re von Nächs­ten­lie­be und Barm­her­zig­keit kei­ne Aus­nah­me. Es setzt frei­lich beson­de­re Schwer­punk­te. Ein Schwer­punkt ist in der Tat der Gewalt­ver­zicht – aber auch dazu gibt es mehr zu sagen.

Wenn Chris­tus sagt: »Mir ist gege­ben alle Gewalt im Him­mel und auf Erden« (Mt 28,18), zeigt das eben nicht idea­lis­ti­sches Hin­weg­träu­men über die har­te Beschaf­fen­heit der Welt , ein Augen­ver­schlie­ßen vor dem, was ist, son­dern eine meta­phy­si­sche und meta­po­li­ti­sche »Ord­nung der Gewalt«, nach der die Gewalt ein Lehen ist, das hier­ar­chisch gege­ben und emp­fan­gen wird.

In die­ser Ord­nung ist die Ver­ant­wor­tung vor dem Lehns­herrn für den Gebrauch der Gewalt inbe­grif­fen. Die Gewalt wird damit nicht abge­schafft, son­dern viel­mehr regu­liert. Man darf die Ethik Chris­ti nicht mit Hip­pie-Roman­tik oder dem unbe­ding­ten Wil­len zur Uto­pie ver­wech­seln – und den­noch wird die Leh­re von der Lie­be immer wie­der zum Ein­falls­tor für der­lei geis­ti­ges Parasitentum.

Wir leben in ver­track­ten Zei­ten: Kate­go­rien wie Nähe (»der Nächs­te«) und Fer­ne haben sich mobi­li­täts­be­dingt gründ­lich ver­scho­ben. Womög­lich ging das zu schnell für ein altes wei­ßes Män­ner­hirn. Kurz vor HBS’ hemds­är­me­li­gem Ret­tungs­vor­stoß wur­de auf evangelisch.de von einer Fal­tungs­fal­tak­ti­on (ja!) berichtet:

979 selbst gefal­te­te Segel­boo­te aus Papier sind bis Anfang Sep­tem­ber in der evan­ge­li­schen Kir­chen­ge­mein­de Aer­zen gefal­tet wor­den. Bei der Akti­on konn­te jeder, der ein kirch­li­ches Ret­tungs­schiff im Mit­tel­meer befür­wor­tet, ein Falt­schiff ins Pfarr­amt brin­gen. Alle Teil­neh­mer haben die Schif­fe mit ihrem eige­nem Namen ver­se­hen. (…) Der han­no­ver­sche Lan­des­bi­schof Ralf Meis­ter über­gab die Falt­schiff­chen an den EKD-Rats­vor­sit­zen­den Bedford-Strohm am Ran­de der Kirchenkonferenz.

Rüh­rend.

Und HBS? Han­del­te. Ihn dürf­te der Wil­le zum Schiff mehr beein­druckt haben als die zig­tau­sen­dend Miß­fal­lens­ru­fe, die ihm ent­ge­gen­ge­schallt waren, nach­dem er sich 2016 mit dem katho­li­schen Kar­di­nal Rein­hard Marx auf dem Tem­pel­berg und an der Kla­ge­mau­er in Jeru­sa­lem getrof­fen hatte.

Die bei­den hat­ten dazu ihr Brust­kreuz abge­legt. HBS begrün­de­te dies: Es ent­sprä­che nicht sei­ner Hal­tung, »das Kreuz demons­tra­tiv vor­ne­weg zu tra­gen«, man habe die Ver­tre­ter der ande­ren Reli­gio­nen »nicht pro­vo­zie­ren« wol­len. So sind sie, die Glau­bens­hü­ter von heute!

Bischof Bedford-Strohm beruft sich aber lei­der nicht ohne jeg­li­ches Recht aufs christ­li­che Lie­bes­ge­bot, wenn er nun die EKD am Shut­tle-ser­vice für afri­ka­ni­sche Migran­ten betei­ligt. Es ist die Schwä­che des Chris­ten­tums, die­ser Defor­ma­ti­on der Nächs­ten­lie­be zum Nächs­ten­wahn kei­nen fes­ten und nach­hal­ti­gen Rie­gel vor­schie­ben zu kön­nen. Es gibt kein reli­giö­ses Gesetz, das man dage­gen ein­wen­den könn­te, weil die Reli­gi­ons­ge­setz­ge­bung ins­ge­samt ungül­tig und bedeu­tungs­los ist. Es gibt nur den Appell an die Ver­nunft, der aber im Fall des Wahns wir­kungs­los ist.

Die reli­giö­se Schwär­me­rei ist ein kol­lek­ti­ves Phä­no­men, für das auch are­li­gi­ös gestimm­te Men­schen emp­fäng­lich sind. Sie tritt zyklisch und epi­de­misch auf, äußert sich als eine Spiel­art der Hys­te­rie und mani­fes­tier­te sich in den mes­sia­ni­schen Bewe­gun­gen der jüdi­schen Geschich­te eben­so wie im Täu­fer­reich zu Müns­ter. Ist der Pro­zeß ein­mal aus­ge­löst, kommt es zur unwei­ger­li­chen Selbstra­di­ka­li­sie­rung, zur Über­stei­ge­rung bis zum Exzeß.

Das kann sich lan­ge hin­zie­hen, und ange­sichts der schie­ren Mas­se, die aktu­ell davon durch­schüt­telt wird, ist mit einem bal­di­gen Ende nicht zu rech­nen. Es ist zu ver­mu­ten, daß es zu grö­ße­rer Zer­stö­rung, schlim­me­rem Leid und noch mehr Opfern kom­men wird, bevor die­ser Krug das letz­te Mal zum Brun­nen geht und bricht. Übri­gens: Mund zu – es zieht. Und wenn’s all­zu­sehr zieht, dro­hen Nacken­stei­fe und Schnupf­na­se. Dage­gen hilft nur: Türen zu, Schot­ten dicht.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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