Schauprozesse

Es tut mir leid, anders kann ich es nicht nennen. Ich habe nicht die Absicht, das Thema allzu breit auszuwalken, ...

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

… aber eines muß doch gesagt wer­den:  die bei­den jüngs­ten Kriegs- bzw. NS-Ver­bre­cher-Pro­zes­se gegen zwei Neun­zig­jäh­ri­ge, die buch­stäb­lich schon mit einem Fuß im Gra­be ste­hen, sind mir zutiefst wider­lich und suspekt, und mehr noch die Bericht­erstat­tung der Medi­en darüber.

In bei­den Fäl­len gab es weder einen ver­neh­mungs­fä­hi­gen Ange­klag­ten, noch zuver­läs­si­ge Zeu­gen, noch ein­deu­ti­ge Bewei­se.  Im Fal­le des Gebirgs­jä­gers Josef Scheun­gra­ber fiel das selbst dem Spie­gel auf (der ansons­ten natür­lich wie­der den Vogel abschoß, was beflis­sen-ten­den­zi­ös-insi­nu­ie­ren­den Schwei­ne­jour­na­lis­mus betrifft):

Tat­säch­lich konn­ten wäh­rend des Pro­zes­ses weder Doku­men­te vor­ge­legt noch Zeu­gen gela­den wer­den, die einen direk­ten Befehl von Josef Scheun­gra­ber bele­gen. Vie­le der eins­ti­gen Zeu­gen sind mitt­ler­wei­le verstorben.

Und nun? Wie bit­te kommt dann ein Urteil wie das gefäll­te zustan­de? Wie kommt man denn über­haupt auf die Idee, man kön­ne Kriegs­ge­sche­hen in einem Zivil­pro­zeß nach 65 Jah­ren(!) be- und abur­tei­len? Ent­schei­det man sich dann fürs Wür­feln, wie der Staats­an­walt Hans-Joa­chim Lutz (“Eine abso­lu­te Gewiss­heit ist nicht erfor­der­lich, es reicht ein aus­rei­chen­des Maß an Sicher­heit”)? Was ist eigent­lich vom Rechts­ver­ständ­nis von Jour­na­lis­ten zu hal­ten, die nicht nur den Ange­klag­ten impli­zit vor­ab ver­ur­tei­len, son­dern auch noch den Ver­tei­di­ger mit den Metho­den der “Herr­schaft des Ver­dach­tes” zu dis­kre­di­tie­ren suchen?

“Ein skan­da­lö­ses Urteil”, sagt Ver­tei­di­ger Goe­bel. Der Rechts­an­walt ist in die­sem Ver­fah­ren durch kru­de The­sen auf­ge­fal­len. Etwa als er von den “meh­re­ren tau­send deut­schen Sol­da­ten” sprach, die Opfer ita­lie­ni­scher Par­ti­sa­nen gewor­den sei­en – dabei han­de­le es sich schließ­lich “um ein völ­ker­rechts­wid­ri­ges Tätig­wer­den die­ser Partisanen”.

Und was ist eigent­lich von einem Schrei­ber­ling zu hal­ten, der die­se “The­sen” allen Erns­tes als “kru­de” bezeich­net? Selbst­ver­ständ­lich haben Par­ti­sa­nen im Zwei­ten Welt­krieg tau­sen­de feind­li­che Sol­da­ten getö­tet (das sol­len His­to­ri­ker fest­stel­len, wie­viel es in Ita­li­en waren). Das war ja ihr Job. Selbst­ver­ständ­lich ist Par­ti­sa­nen­tä­tig­keit völ­ker- und kriegs­rechts­wid­rig. Das hört man indes­sen täg­lich in den Nach­rich­ten, wenn es um Afgha­ni­stan geht, aber das ist ja was ganz ande­res. (Die poli­ti­schen Affi­ni­tä­ten der Neben­klä­ge­rin Gabrie­le Hein­ecke waren dem Spie­gel übri­gens im Gegen­satz zu jenen des Ver­tei­di­gers kei­ne ein­zi­ge kri­ti­sche Sil­be wert.)

Das Urteil wird mit der übli­chen selbst­zu­frie­de­nen Schul­ter­klopf­se­lig­keit abge­fei­ert, der Genug­tu­ung unver­hoh­len Aus­druck ver­lie­hen, was soll man sich denn da sei­ne Emo­tio­nen durch Klin­ker­litz­chen wie juris­ti­sche Sau­ber­keit ver­der­ben las­sen? Der Irr­witz geht wei­ter, auch nach­dem der Sün­den­bock abge­ur­teilt wor­den ist. Der Mün­che­ner Mer­kur mel­det etwa fol­gen­den Aufruf:

Die deut­schen Behör­den müss­ten alle Maß­nah­men ergrei­fen, um zu ver­hin­dern, dass der 90-Jäh­ri­ge sich abset­ze, teil­te der Direk­tor des Wie­sen­thal-Zen­trums, Efra­im Zur­off, am Don­ners­tag mit.

Zur Erin­ne­rung: Josef Scheun­gra­ber hat erst wäh­rend des  Pro­zes­ses einen Schlag­an­fall erlit­ten und meh­re­re Tage auf der Inten­siv­sta­ti­on ver­bracht, ehe man ihn wie­der in den Gerichts­saal gekarrt hat. Wo und wie bit­te soll denn die­ser Mann noch hinen­t­kom­men? Hat man denn Angst, daß ein Fall­schirm­jä­ger­trupp ange­flo­gen kommt, um ihn aus dem Gefäng­nis zu befrei­en wie wei­land den Duce? Allein um die Rache­ge­lüs­te des Herrn Zur­off zu ver­mas­seln, wün­sche ich Scheun­gra­ber einen ent­spann­ten Lebens­abend bei Oli­ven­brot und Rot­wein in einer tos­ka­ni­schen Villa!

Zur­off wur­de auch in der FAZ zitiert:

Der Direk­tor des Jeru­sa­le­mer Büros des Wie­sen­thal Cen­ter, Efra­im Zur­off, sag­te: „Das heu­ti­ge Urteil bestärkt die Sicht­wei­se, dass der zeit­li­che Abstand zur Tat in kei­ner Wei­se die Schuld der Täter ver­min­dert und dass das hohe Alter nicht dem recht­li­chen Schutz der Mör­der die­nen darf.“

Ob das auch für Gaza und den Liba­non gilt? Oder die weg­ge­bom­ten Hoch­zei­ten in Afgha­ni­stan? Oder für Salo­mon Morel, dem der Tod von mehr als 1500 Men­schen zur Last gelegt wur­de, und der bei­na­he so alt war wie Scheun­gra­ber, als er fried­lich in Tel Aviv starb?

Als man auf ihn auf­merk­sam gewor­den war, floh Morel 1992 nach Isra­el. Er wur­de von der pol­ni­schen Regie­rung wegen Kriegs­ver­bre­chen und Ver­bre­chen gegen die Mensch­lich­keit gesucht. Polen for­der­te 1998 und 2005 sei­ne Aus­lie­fe­rung, die jedoch von Isra­el mit der Begrün­dung ver­wei­gert wur­de, die Ver­bre­chen sei­en ver­jährt und Morel bereits alt und krank.

Ich habe per­sön­lich kei­ne Ahnung, was Scheun­gra­ber wirk­lich im Krieg getan hat und was nicht. Das Fun­dier­tes­te was ich dazu sagen kann, ist näm­lich: Ich war nicht dabei.

Aber daß die­ser Pro­zeß eine rei­ne Far­ce war, liegt offen zuta­ge für jeden, der sich nicht sei­ne ratio­na­le Urteils­kraft in der hys­te­ri­schen Gefüh­lig­keit ersäu­fen läßt, die jedes­mal dann los­ge­trig­gert wird, wenn wie­der NS-Bewäl­ti­gung ange­sagt ist. Daß sich selbst die Jus­tiz zum Erfül­lungs­ge­hil­fen zivil­re­li­giö­ser Auto-da-Fés macht, ist eben­so schänd­lich wie beunruhigend.

 

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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