… aber eines muß doch gesagt werden: die beiden jüngsten Kriegs- bzw. NS-Verbrecher-Prozesse gegen zwei Neunzigjährige, die buchstäblich schon mit einem Fuß im Grabe stehen, sind mir zutiefst widerlich und suspekt, und mehr noch die Berichterstattung der Medien darüber.
In beiden Fällen gab es weder einen vernehmungsfähigen Angeklagten, noch zuverlässige Zeugen, noch eindeutige Beweise. Im Falle des Gebirgsjägers Josef Scheungraber fiel das selbst dem Spiegel auf (der ansonsten natürlich wieder den Vogel abschoß, was beflissen-tendenziös-insinuierenden Schweinejournalismus betrifft):
Tatsächlich konnten während des Prozesses weder Dokumente vorgelegt noch Zeugen geladen werden, die einen direkten Befehl von Josef Scheungraber belegen. Viele der einstigen Zeugen sind mittlerweile verstorben.
Und nun? Wie bitte kommt dann ein Urteil wie das gefällte zustande? Wie kommt man denn überhaupt auf die Idee, man könne Kriegsgeschehen in einem Zivilprozeß nach 65 Jahren(!) be- und aburteilen? Entscheidet man sich dann fürs Würfeln, wie der Staatsanwalt Hans-Joachim Lutz (“Eine absolute Gewissheit ist nicht erforderlich, es reicht ein ausreichendes Maß an Sicherheit”)? Was ist eigentlich vom Rechtsverständnis von Journalisten zu halten, die nicht nur den Angeklagten implizit vorab verurteilen, sondern auch noch den Verteidiger mit den Methoden der “Herrschaft des Verdachtes” zu diskreditieren suchen?
“Ein skandalöses Urteil”, sagt Verteidiger Goebel. Der Rechtsanwalt ist in diesem Verfahren durch krude Thesen aufgefallen. Etwa als er von den “mehreren tausend deutschen Soldaten” sprach, die Opfer italienischer Partisanen geworden seien – dabei handele es sich schließlich “um ein völkerrechtswidriges Tätigwerden dieser Partisanen”.
Und was ist eigentlich von einem Schreiberling zu halten, der diese “Thesen” allen Ernstes als “krude” bezeichnet? Selbstverständlich haben Partisanen im Zweiten Weltkrieg tausende feindliche Soldaten getötet (das sollen Historiker feststellen, wieviel es in Italien waren). Das war ja ihr Job. Selbstverständlich ist Partisanentätigkeit völker- und kriegsrechtswidrig. Das hört man indessen täglich in den Nachrichten, wenn es um Afghanistan geht, aber das ist ja was ganz anderes. (Die politischen Affinitäten der Nebenklägerin Gabriele Heinecke waren dem Spiegel übrigens im Gegensatz zu jenen des Verteidigers keine einzige kritische Silbe wert.)
Das Urteil wird mit der üblichen selbstzufriedenen Schulterklopfseligkeit abgefeiert, der Genugtuung unverhohlen Ausdruck verliehen, was soll man sich denn da seine Emotionen durch Klinkerlitzchen wie juristische Sauberkeit verderben lassen? Der Irrwitz geht weiter, auch nachdem der Sündenbock abgeurteilt worden ist. Der Münchener Merkur meldet etwa folgenden Aufruf:
Die deutschen Behörden müssten alle Maßnahmen ergreifen, um zu verhindern, dass der 90-Jährige sich absetze, teilte der Direktor des Wiesenthal-Zentrums, Efraim Zuroff, am Donnerstag mit.
Zur Erinnerung: Josef Scheungraber hat erst während des Prozesses einen Schlaganfall erlitten und mehrere Tage auf der Intensivstation verbracht, ehe man ihn wieder in den Gerichtssaal gekarrt hat. Wo und wie bitte soll denn dieser Mann noch hinentkommen? Hat man denn Angst, daß ein Fallschirmjägertrupp angeflogen kommt, um ihn aus dem Gefängnis zu befreien wie weiland den Duce? Allein um die Rachegelüste des Herrn Zuroff zu vermasseln, wünsche ich Scheungraber einen entspannten Lebensabend bei Olivenbrot und Rotwein in einer toskanischen Villa!
Zuroff wurde auch in der FAZ zitiert:
Der Direktor des Jerusalemer Büros des Wiesenthal Center, Efraim Zuroff, sagte: „Das heutige Urteil bestärkt die Sichtweise, dass der zeitliche Abstand zur Tat in keiner Weise die Schuld der Täter vermindert und dass das hohe Alter nicht dem rechtlichen Schutz der Mörder dienen darf.“
Ob das auch für Gaza und den Libanon gilt? Oder die weggebomten Hochzeiten in Afghanistan? Oder für Salomon Morel, dem der Tod von mehr als 1500 Menschen zur Last gelegt wurde, und der beinahe so alt war wie Scheungraber, als er friedlich in Tel Aviv starb?
Als man auf ihn aufmerksam geworden war, floh Morel 1992 nach Israel. Er wurde von der polnischen Regierung wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gesucht. Polen forderte 1998 und 2005 seine Auslieferung, die jedoch von Israel mit der Begründung verweigert wurde, die Verbrechen seien verjährt und Morel bereits alt und krank.
Ich habe persönlich keine Ahnung, was Scheungraber wirklich im Krieg getan hat und was nicht. Das Fundierteste was ich dazu sagen kann, ist nämlich: Ich war nicht dabei.
Aber daß dieser Prozeß eine reine Farce war, liegt offen zutage für jeden, der sich nicht seine rationale Urteilskraft in der hysterischen Gefühligkeit ersäufen läßt, die jedesmal dann losgetriggert wird, wenn wieder NS-Bewältigung angesagt ist. Daß sich selbst die Justiz zum Erfüllungsgehilfen zivilreligiöser Auto-da-Fés macht, ist ebenso schändlich wie beunruhigend.