Dokumentation: Das Mißverständnis des neuen “Cäsarismus”

pdf der Druckfassung aus Sezession Sonderheft Spengler /Mai 2005

von Julius Evola

Das Interesse an Person und Werk Julius Evolas ist in den vergangenen beiden Jahrzehnten außerordentlich gewachsen. Das gilt auch und gerade für den deutschen Sprachraum, in dem dieser italienische Denker lange Zeit fast völlig unbekannt war oder als Autor für Eingeweihte galt, die nicht vor den dunkleren Zonen der Geistesgeschichte zurückscheuten.

Evo­la wur­de am 19. Mai 1898 in Rom gebo­ren und starb in sei­ner Hei­mat­stadt am 11. Juni 1974. Er stamm­te aus dem sizi­li­schen Adel und geriet früh unter den Ein­fluß von Nietz­sches und Wei­nin­gers Den­ken. Am Ers­ten Welt­krieg nahm er als Artil­le­rie­of­fi­zier teil. In die­ser Zeit trat er in Kon­takt zu so unter­schied­li­chen Den­kern wie dem Futu­ris­ten Mari­net­ti oder dem „Erfin­der“ des Dada­is­mus T. Tzara. Ein nach dem Kriegs­en­de auf­ge­nom­me­nes tech­ni­sches Stu­di­um brach er ab. Seit 1922 leb­te er als Maler und Dich­ter und begann eine Unter­su­chung der idea­lis­ti­schen Phi­lo­so­phie. Zwei Jah­re spä­ter nahm er die Beschäf­ti­gung mit eso­te­ri­schen Leh­ren öst­li­cher wie west­li­cher Pro­ve­ni­enz auf, die er bis zu sei­nem Lebens­en­de fortsetzte.
Poli­tisch sym­pa­thi­sier­te Evo­la mit dem Faschis­mus, der in sei­ner Hei­mat an die Macht gekom­men war, kri­ti­sier­te aller­dings des­sen „demo­kra­ti­schen“ Cha­rak­ter und den Man­gel an „tra­di­tio­na­ler“ Ori­en­tie­rung. Sei­ner Vor­stel­lung von einem „magi­schen Idea­lis­mus“, der dazu die­nen wür­de, das „abso­lu­te Ich“ von allen Beschrän­kun­gen zu befrei­en, kor­re­spon­dier­te die poli­ti­sche Stel­lung­nah­me zuguns­ten von Sakra­li­tät und Hei­den­tum gegen die Ver­göt­zung des Sozia­len und den Aus­gleich mit der katho­li­schen Kir­che, für ein an der Über­lie­fe­rung ori­en­tier­tes König­tum gegen eine cha­ris­ma­ti­sche Herr­schaft über die Massen.
Die rela­ti­ve Distanz Evo­las zum Faschis­mus führ­te ihn Ende der zwan­zi­ger Jah­re dazu, Kon­tak­te zu ver­schie­de­nen Grup­pen der Kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­ti­on in Deutsch­land auf­zu­neh­men. Beson­ders unter den Jung­kon­ser­va­ti­ven war man früh auf ihn auf­merk­sam gewor­den; Edgar Juli­us Jung und Leo­pold Zieg­ler äußer­ten sich sehr aner­ken­nend, bei­de wur­den in ihrem Den­ken von bestimm­ten Über­le­gun­gen Evo­las beein­flußt. Auch Evo­las Haupt­werk Rivol­ta con­tra il mon­do moder­no (Revol­te gegen die moder­ne Welt), das 1934 erschien und bereits ein Jahr spä­ter ins Deut­sche über­setzt wur­de, fand in die­sen Krei­sen Anklang; bekannt gewor­den ist vor allem eine hym­ni­sche Rezen­si­on Gott­fried Benns.
Mit­te der drei­ßi­ger Jah­re hat­te Evo­la aller­dings schon den Natio­nal­so­zia­lis­mus als einen denk­ba­ren Ver­bün­de­ten ent­deckt, von dem man viel­leicht eher als vom ita­lie­ni­schen Faschis­mus eine prin­zi­pi­el­le Wen­dung gegen die „moder­ne Welt“ erwar­ten durf­te. Sei­ne Schrif­ten aus die­ser Zeit – vor allem die jour­na­lis­ti­schen – ent­hal­ten zum Teil schwer begreif­ba­re Annä­he­run­gen an die Par­tei­li­nie und Miß­deu­tun­gen der Absich­ten der NS-Füh­rung. Evo­la hat sich auch wäh­rend des Krie­ges mehr­fach in Deutsch­land auf­ge­hal­ten, 1945 war er in Wien und erlitt schwers­te Rück­grat­ver­let­zun­gen bei einem rus­si­schen Bom­ben­an­griff. Es folg­te ein lan­ger Kran­ken­haus­auf­ent­halt, danach blieb Evo­la an den Roll­stuhl gefesselt.

1950 kehr­te er nach Rom zurück und nahm sei­ne schrift­stel­le­ri­sche Tätig­keit wie­der auf. Ein Jahr spä­ter sah er sich fest­ge­nom­men und wegen „Ver­herr­li­chung des Faschis­mus“ ange­klagt, wur­de aber frei­ge­spro­chen. Auch nach dem Krieg hat Evo­la auf ver­schie­de­ne Wei­se poli­tisch Stel­lung genom­men, aller­dings zuneh­mend resi­gniert ob der Mög­lich­kei­ten prak­ti­schen Han­delns. Zum Schluß lehr­te er eine „apo­li­ti­sche“ Hal­tung im Bewußt­sein des unab­wend­ba­ren Nie­der­gangs und wand­te sich vor allem kri­tisch gegen alle „rech­ten“ Posi­tio­nen, die nicht kon­se­quent genug einen tra­di­tio­na­len Stand­punkt bezo­gen, son­dern Kom­pro­mis­se mit der Moder­ne machten.
Evo­la hat in der Nach­kriegs­zeit nicht nur als Schrift­stel­ler gear­bei­tet, son­dern auch als Über­set­zer und neben den Arbei­ten eini­ger ande­rer kon­ser­va­ti­ver deut­scher Autoren (Hans-Joa­chim Schoeps, Erik von Kueh­nelt-Led­dihn) auch den Unter­gang des Abend­lan­des von Oswald Speng­ler ins Ita­lie­ni­sche über­setzt. Das war aller­dings nur ein Teil sei­ner Aus­ein­an­der­set­zung mit Speng­lers Werk. Es gibt eine gan­ze Rei­he von Stel­lung­nah­men nicht nur zu ein­zel­nen Büchern Speng­lers – wie etwa den Jah­ren der Ent­schei­dung –, son­dern auch eine Beschäf­ti­gung mit Ein­zel­fra­gen. Dabei ist sei­ne Hal­tung eine prin­zi­pi­ell aner­ken­nen­de und posi­ti­ve, die aber nicht ver­schweigt, daß Evo­la den „Pes­si­mis­mus“ Speng­lers nicht teilt und die­sem vor­wirft, die Digni­tät der „inte­gra­len Tra­di­ti­on“ zu ver­ken­nen. Nach sei­ner Geschichts­phi­lo­so­phie ver­läuft die gro­ße Ent­wick­lung zyklisch und muß dem gegen­wär­ti­gen Abstieg ein Neu­be­ginn fol­gen, an des­sen Anfang wie­der ein „Gol­de­nes Zeit­al­ter“ steht. Zum bes­se­ren Ver­ständ­nis des fol­gen­den sei noch gesagt, daß Evo­la einen geis­ti­gen Ras­sen­be­griff ver­trat, der nicht mit einem bio­lo­gi­schen bezie­hungs­wei­se bio­lo­gis­ti­schen ver­wech­selt wer­den darf.
Die­se Front­stel­lung ist auch dem nach­fol­gend abge­druck­ten Auf­satz zu ent­neh­men, der 1953 in der klei­nen mon­ar­chis­ti­schen Zeit­schrift Meri­dia­no d’ Ita­lia (Aus­ga­be vom 12. Okto­ber 1953) erschien, und in dem Evo­la sei­ne Auf­fas­sung von der Bedeu­tung eines tra­di­tio­na­len König­tums der Idee einer moder­nen „cäsa­ris­ti­schen“ Mas­sen­herr­schaft ent­ge­gen­stell­te, wie sie Speng­ler erwar­tet hatte.
Nach Speng­ler gehört zur End‑, zur Däm­me­rungs­pha­se einer jeden Kul­tur das Phä­no­men des „Cäsa­ris­mus“. Das sei auch für unse­re Zei­ten ein unab­wend­ba­res Schick­sal, inso­fern als laut Speng­ler die west­li­che Kul­tur seit Napo­le­on gera­de in ihre letz­te Pha­se ein­ge­tre­ten ist, für die er den Begriff der „Zivi­li­sa­ti­on“ verwendet.
Wir wol­len uns nicht damit auf­hal­ten, auf­zu­zei­gen, daß Cäsar ein recht unglück­lich gewähl­tes Bei­spiel für das Phä­no­men ist, um das es Speng­ler geht: ein Zei­chen der Ein­sei­tig­keit, der die­ser Autor in sei­ner Beses­sen­heit, über­all par­al­le­le Erschei­nun­gen zu fin­den, häu­fig ver­fällt. Offen­bar hat er an Cäsar bloß des­sen frag­wür­di­ge­re und pro­fa­ne­re Züge zur Kennt­nis genom­men, nicht jene, dank derer der his­to­ri­sche Cäsar schon als Jugend­li­cher sei­ne Zuge­hö­rig­keit zu einem Geschlecht der Herr­scher, der Köni­ge, behaup­ten konn­te, das zugleich ein sakra­les, „gött­li­ches“ war.
Fra­gen wir also nach der his­to­ri­schen Ein­ord­nung des Speng­ler­schen Cäsa­ris­mus. Er tritt in Peri­oden auf, in denen bereits ein Pro­zeß der Zer­set­zung und Zer­stö­rung aller über­kom­me­nen Wer­te statt­ge­fun­den hat, aller wahr­haft tra­di­tio­na­len Insti­tu­tio­nen, aller an Ras­se und Blut gebun­de­nen Gewiß­hei­ten, die nun­mehr von der ratio­na­lis­ti­schen und mate­ria­lis­ti­schen städ­ti­schen, kos­mo­po­li­ti­schen Men­ta­li­tät erstickt wer­den. Speng­ler glaubt der­ar­ti­ge Ver­falls­er­schei­nun­gen glei­cher­ma­ßen in allen Kul­tu­ren zu erken­nen. Jedoch ist ein­deu­tig, daß er sei­ne wich­tigs­ten Bezugs­punk­te aus der Beob­ach­tung der west­li­chen Kul­tur jün­ge­rer Zeit gewon­nen hat: des­sen, was man als „moder­ne Welt“ bezeich­nen kann. Die Ent­wick­lung ver­läuft unge­fähr folgendermaßen.

Nach­dem die tra­di­tio­na­le Welt über­wun­den ist, bricht jene der städ­ti­schen Mas­se an, der Bour­geoi­sie oder des Drit­ten Stan­des im Zei­chen der Indus­tria­li­sie­rung und der Demo­kra­tie. Vor allem ist es die Kul­tur der Maschi­ne, die über alles ande­re tri­um­phiert hat. Hier schei­nen der Inge­nieur, der Tech­ni­ker, der Unter­neh­mer im Mit­tel­punkt zu ste­hen. Doch ist dies ein kurz­le­bi­ges Trug­bild. Hin­ge­gen sind es das „Den­ken im Diens­te des Gel­des“ und das Finanz­we­sen, die bald die Ober­hand bekom­men und zugleich das poli­ti­sche Leben der Demo­kra­tie zu beherr­schen begin­nen. Die Her­ren des Gel­des sind die wah­ren Herr­scher über die­se Pha­se und zwin­gen der Mas­se ihr Gesetz auf, Par­tei­en und Regie­run­gen, direkt oder auf Umwe­gen wie zum Bei­spiel durch die Kon­trol­le über die Pres­se und die heim­li­che Bil­dung der „öffent­li­chen Mei­nung“ und des „Volks­wil­lens“. Ohne es zu wol­len, brin­gen sie aber einen neu­en Typ her­vor, das „cäsa­ri­sche Indi­vi­du­um“, Ver­tre­ter eines neu­en Prin­zips, des Prin­zips der abso­lu­ten Poli­tik, und zwi­schen Wirt­schaft und Poli­tik ent­zün­det sich ein Kampf um die Vor­herr­schaft. Am Ende wer­den die cäsa­ri­schen Indi­vi­du­en die Tyran­nei des Gel­des durch­bre­chen, alle Macht in ihren Hän­den kon­zen­trie­ren und allei­ne das Gesetz vor­schrei­ben; und in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten, deren Herr­scher sie sein wer­den, wer­den sie die Wirt­schaft dem rei­nen poli­ti­schen Prin­zip gefü­gig machen. Schließ­lich wer­den zwi­schen den ver­schie­de­nen neu­en Cäsa­ren Krie­ge um die Welt­herr­schaft ausbrechen.
All dies gin­ge auf Vor­stel­lun­gen zurück, bis hin zur unver­hoh­le­nen Begeis­te­rung für den puren Machia­vel­lis­mus, wie sie [James] Burn­ham genau­er in sei­nem berühm­ten Buch Die Revo­lu­ti­on der Mana­ger dar­legt, käme bei Speng­ler nicht eine selt­sa­me und wider­sprüch­li­che Inter­fe­renz der Moti­ve dazwi­schen. Tat­säch­lich sol­len im Cäsa­ris­mus die Wer­te der Ras­se, der Aris­to­kra­tie, wenn nicht gar der Tra­di­ti­on wie­der­auf­blü­hen. Wie aber soll­ten sol­che Wer­te die Zer­stö­run­gen über­lebt haben, die den Prä­mis­sen zufol­ge die­ser letz­ten Pha­se als Weg­be­rei­ter vor­aus­gin­gen? Wie in die­sen neu­en „gro­ßen Indi­vi­du­en“, die ganz Wil­len sind, ein Bewußt­sein für Ehre, für Ver­ant­wor­tung, für die unei­gen­nüt­zi­ge Sor­ge um alles, was sie mit ihrer abso­lu­ten Macht der Tyran­nei des Gel­des ent­zo­gen haben, her­vor­bre­chen soll, bleibt unbe­greif­lich. Der rich­ti­ge Begriff für den Speng­ler­schen Cäsa­ris­mus ist Tota­li­ta­ris­mus im schlech­ten Sin­ne: und der Pri­mat der kru­den Wirk­lich­keit über die Prin­zi­pi­en, der Macht über die Ideen, des „Lebens“ über jede Form von höhe­rer Exis­tenz, wie ihn die Speng­ler­sche Phi­lo­so­phie behaup­tet, kann das nur bestä­ti­gen. Der Ver­such, ihr aris­to­kra­ti­sche und tra­di­tio­na­le Wer­te über­zu­stül­pen, ist kurz gesagt Unsinn. Ent­spre­chend han­del­te es sich nicht mehr um ein cäsa­ri­sches Indi­vi­du­um (um den Miß­brauch des Begriffs „cäsa­risch“ bei­zu­be­hal­ten), son­dern um den Typ des legi­ti­men Füh­rers, der dies dank eines Cha­ris­mas ist, das über sei­nen Sym­bol­wert hin­aus­geht. Der „his­to­ri­sche Ort“, dem ein sol­cher wah­rer Füh­rer ange­hört, wie auch der Typ eines nicht tota­li­tä­ren, son­dern orga­ni­schen Staa­tes, ist aber ein ganz ande­rer als der, dem Speng­ler das Phä­no­men des neu­en Cäsa­ris­mus zuord­net: eine im Inne­ren auf­ge­lös­te Welt, für die schon Vico als ein­zi­gen, äußers­ten Not­be­helf die „Mon­ar­chie“ nicht im anti­ken Sin­ne, son­dern eben im Sin­ne der form­lo­sen, rein poli­ti­schen Macht eines ein­zi­gen Indi­vi­du­ums ohne Wur­zeln und Tra­di­tio­nen vor­ge­se­hen hatte.
Es ist mög­lich, daß Speng­lers Pro­gno­sen trotz­dem zutref­fen, daß der Wes­ten also in sei­nem Unter­gang erneut das Erschei­nen fal­scher Cäsa­ren erle­ben wird und den Kampf der von ihnen auf­ge­stell­ten Kräf­te um die Welt­herr­schaft. Man darf jedoch nicht ver­ges­sen, was Speng­ler selbst mit­un­ter aus den Augen ver­lo­ren zu haben scheint; daß dies näm­lich Erschei­nun­gen einer Kul­tur in Ago­nie sind, sozu­sa­gen die letz­ten Zuckun­gen, auf die ein end­gül­ti­ger Zusam­men­bruch fol­gen wird – und daß man an ganz ande­ren Hori­zon­ten von neu­em anfan­gen muß, um eine ech­te Rekon­struk­ti­on, eine Rück­kehr zu hier­ar­chi­schen, ja aris­to­kra­ti­schen For­men anzu­stre­ben, nach­dem ein Zyklus sich erschöpft hat.

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