1945 – Heideggers Denkbewegungen

pdf der Druckfassung aus Sezession 9 / April 2005

sez_nr_9von Harald Seubert

Auf den 8. Mai 1945, Schloß Hausen im Donautal, datiert das Ende des dritten der Feldweg-Gespräche zwischen einem Älteren und einem Jüngeren, in einem Kriegsgefangenenlager in Rußland. Es ist zugleich das Andenken Heideggers an seine beiden in jener Zeit vermißten Söhne.

Er hat die Feld­weg-Gesprä­che mit den fol­gen­den Wor­ten besie­gelt: „Am Tage, da die Welt ihren Sieg fei­er­te und noch nicht erkann­te, daß sie seit Jahr­hun­der­ten schon die Besieg­te ihres eige­nen Auf­stan­des ist“. Es ist ein bis heu­te erschüt­tern­der Dia­log. In deut­li­cher Abwei­chung gegen­über dem aus der phi­lo­so­phi­schen Dia­log­kunst seit Pla­ton Ver­trau­ten, gibt nicht der Älte­re, son­dern eher der Jün­ge­re die Wei­sung ins Den­ken. In dem Gespräch wird als Signa­tur der eige­nen Zeit der euro­päi­sche Nihi­lis­mus auf­ge­wie­sen; er wird eine Zeit der Seins­ver­las­sen­heit sein, in der sich das Sein, das Offe­ne der Wahr­heit (alet­heia) ver­schließt. Dies ver­bin­det sich mit einem nie erfah­re­nen Auf­stand des Bös­ar­ti­gen, dem Ursprung der Ver­wüs­tung, die durch „Auf­rich­ten einer mora­lisch begrün­de­ten Welt­ord­nung“ weder gebannt noch gar been­det wer­den kön­ne, weil „mensch­li­che ‚Maß­nah­men‘ und sei­en ihre ‚Aus­ma­ße‘ noch so rie­sig, nichts ver­mö­gen“. Jene Ver­wüs­tung, die die (in sich ver­schlos­se­ne) Erde umla­gert und ver­hin­dert, daß inner­halb ihrer noch eine Welt auf­geht, sie wird in jenen letz­ten Kriegs­ta­gen Heid­eg­ger das zu Den­ken­de, im Sinn sei­ner mit Hegel geteil­ten Auf­fas­sung, daß Phi­lo­so­phie nur sie selbst ist, wenn sie Phi­lo­so­phie ihrer Zeit ist, wenn sie also ihre Zeit in Gedan­ken zu fas­sen weiß. Die deut­sche Kata­stro­phe ist zugleich als Welt-Nie­der­la­ge zu begrei­fen. Aus dem Wesen der Ver­wüs­tung ist eines Tages zu erken­nen, daß sie „auch dort und gera­de dort herrscht, wo Land und Volk von den Zer­stö­run­gen des Krie­ges nicht getrof­fen wur­den“; sie ist das Ereig­nis, das „jen­seits von Schuld und Süh­ne“ wal­tet. Jenes Gespräch ist nicht nur ein bewe­gen­des, in der Schär­fe des dia­gnos­ti­schen Bli­ckes das, was kommt sagen­des Zeug­nis; es hat sei­ne inners­te Mit­te in dem Zusam­men­hang von Dich­ten und Den­ken. In bei­der Zwie­spra­che voll­zie­he sich in der zuin­nerst zer­ris­se­nen ver­wun­de­ten Gegen­wart ein Aus­blick in den Auf­gang des „Heil­sa­men“, das der Jün­ge­re in rei­ner „Erwar­tung“ des Kom­men­den mani­fes­tiert sieht. „Im War­ten sind wir rei­ne Gegen­wart“, fähig, die Din­ge in der Rück­kehr zu sich selbst „sein zu lassen“.
Heid­eg­gers spä­te Ein­sicht in die Gelas­sen­heit, gewon­nen in Zwie­spra­che mit dem frü­hen „Lese- und Lebe­meis­ter“ sei­ner Jugend, dem Mys­ti­ker Meis­ter Eck­hart, formt sich also erst­mals in dem Gespräch im Kriegs­ge­fan­ge­nen­la­ger aus. Dabei kommt Heid­eg­ger in der Zwie­spra­che aus­drück­lich auf den Topos vom Volk der Dich­ter und Den­ker zurück, er ver­weist dar­auf, daß die­ses Volk „das war­ten­de Volk“ sein müß­te, das „ältes­te Volk“, und inso­fern Wal­ter des Abend­lan­des, des Lan­des der vie­len Unter­gän­ge, „da nie­mand sich um es küm­mert und kei­ner sein selt­sa­mes Tun, das ein Las­sen ist, in Gebrauch nimmt und so ver­nutzt und vor­zei­tig ver­braucht“. In der Acht­sam­keit auf das Sein wäre die­ses Volk in sein Eige­nes gebor­gen, jen­seits von Natio­na­li­tät und Inter­na­tio­na­li­tät, die längst Kehr­sei­ten einer Medail­le sind. Die Not-Wen­dig­keit des Unnö­ti­gen, eben des Seins, zu erwar­ten: sie wird zum Leit­fa­den, an dem ent­lang die Wun­de jed­we­der im Tota­li­ta­ris­mus (dies schließt für Heid­eg­ger aber immer zugleich die „eine Welt“ des Kapi­tal­markts und der kol­lek­ti­ven Sicher­heit ein!) ver­brauch­ten und zer­stör­ten Jugend ans Licht geho­ben wird. So bemerkt der Jün­ge­re: „Der bren­nen­de Schmerz ist, daß wir nicht für das Unnö­ti­ge da sein durf­ten … Obzwar man uns vor­re­de­te, wir soll­ten das Recht der Jugend in Anspruch neh­men, wobei alles nur damit ende­te, die Uner­fah­ren­heit der Halb­wüch­si­gen gegen das Wis­sen der Älte­ren aufzureizen“.

Daß sich Heid­eg­ger dem phi­lo­so­phi­schen Dia­log zuwand­te, in dem ers­ten Gespräch einem Dia­log „selb­dritt“, dann Zwei­er­ge­sprä­chen, soll­te der sin­gu­lä­ren Stun­de Rech­nung tra­gen: die – seit 1933 aus­ge­zehr­te Tra­di­ti­on deut­scher Uni­ver­si­tät – schien end­gül­tig ver­nich­tet. Die Mit­tei­lungs­wei­se muß­te sich des­halb von Grund auf ver­än­dern und vom aka­de­mi­schen Lehr­vor­trag zurück­keh­ren zu der Pla­to­nisch-Sokra­ti­schen Anfangs­ge­stalt abend­län­di­schen Phi­lo­so­phie­rens, der Dia­log­kunst. Die Zeit­si­gna­tur tritt aber erst in dem drit­ten Gespräch offen zuta­ge, so als drin­ge der zer­nich­ten­de Stru­del des Jah­res 1945 immer näher her­an. In den bei­den vor­aus­ge­hen­den Dia­lo­gen hat­te Heid­eg­ger die Ent­ste­hungs­spu­ren getilgt: Mit­te Novem­ber 1944, als West­trup­pen bei Brei­sach zur Rhein­gren­ze vor­dran­gen, war Heid­eg­ger zum Volks­sturm ein­ge­zo­gen wor­den und hat­te sei­ne Vor­le­sung über Den­ken und Dich­ten abbre­chen müs­sen. In die zer­bomb­te Stadt kehrt er zurück, und zieht mit ande­ren Mit­glie­dern der phi­lo­so­phi­schen Fakul­tät aus – zur Burg Wil­den­stein im obe­ren Donau­tal. Sei­ne Manu­skrip­te depo­niert er in Meß­kirch, er ist nun ohne Bücher: Erin­nern moch­te er sich am Jah­res­wech­sel zum letz­ten Kriegs­jahr an ver­gan­ge­ne Gesprä­che, etwa mit Wer­ner Hei­sen­berg oder Max Kommerell.
Das ers­te Gespräch bewegt sich, auf einem Feld­weg geführt, zwi­schen Expo­nen­ten drei­er For­men des Wis­sens, dem Gelehr­ten, dem For­scher und dem Wei­sen, der als War­ner vor sicht­bar her­auf­zie­hen­dem Unheil spricht. Es geht in jenem ers­ten Gespräch um das in Ver­wah­rung- und Bewah­rung-Neh­men des alet­heia-Ereig­nis­ses. Das Gespräch, das sich ohne metho­di­sche Vor­be­rei­tung vor­be­halt­los in jenes Gefü­ge ein­läßt, stößt auf den Fund: und das heißt auf das Phä­no­men, an dem das Seins­ge­sche­hen jäh auf­geht. Die­sen Grund­zug hat­te Heid­eg­ger spä­ter in sei­ner Phä­no­me­no­lo­gie des „Gerin­gen“, des „Din­ges“, eines alten Kru­ges, ent­fal­tet. Jene Nähe der Seins­er­fah­rung zu den Din­gen arti­ku­liert sich in ein­drück­li­cher Unter­schie­den­heit von „Per­zep­ti­ons­ver­wei­ge­rung“ (ein Aus­druck etwa Hei­mi­to von Dode­rers). Der Fund fällt ins Gespräch ein, wie der Wind in den „still ragen­den Baum am Feld­weg“, und wird zum eigent­lich Denk­wür­di­gen: jen­seits der Metho­den­vor­zeich­nun­gen neu­zeit­li­cher Wis­sen­schaft und Tech­nik, erst recht aber der ideo­lo­gi­schen Blick­ver­stel­lung im tota­li­tä­ren Welt­al­ter. Die­ses ers­te Feld­weg­ge­spräch folgt der Maxi­me: „Besin­nen wir uns!“, „Den­ken wir zurück!“.
Im ein­zel­nen geht es dabei dem Hera­klit-Wort anchi­ba­síe nach: Indie-Nähe-gehen. Ver­klun­gen sei die­ses frü­he Wort, doch „viel­leicht wur­de der Wider­hall sei­nes frü­hen Hal­les an einem Ort gebor­gen, der sogar uns Heu­ti­gen nicht ganz unzu­gäng­lich blei­ben kann“. Dies Wort wird Geleit in die her­auf­zie­hen­de Nacht, zuletzt aber zu der Rück­kehr dort­hin, „wohin wir je schon ver­eig­net“ sind. In den Vor­ar­bei­ten zu den Feld­weg-Gesprä­chen wird deut­lich, daß sie als kat­aba­sis kon­zi­piert sind, als Abstieg von den Gip­feln der Meta­phy­sik in die mensch­li­chen Täler. Die­se Bewe­gung zielt auf das „Nicht-Wol­len“ der Gelas­sen­heit, eines an sich hal­ten­den und dar­in star­ken Wil­lens; wofür nicht mehr in ers­ter Linie Nietz­sches: „Hier saß ich, war­tend, war­tend doch auf nichts“, son­dern Meis­ter Eck­hart ein­steht. Aus des­sen Reden der Unter­wei­sung zitiert Heid­eg­ger: „Alles, was du aus­drück­lich nicht begehrst, des hast du dich bege­ben, hast es gelas­sen um Gott. ‚Selig sind die Armen im Geist‘, hat unser Herr gesagt, es bedeu­tet: die arm sind an Wollen“.

Und der Lese- und Lebe­meis­ter bringt auch in den Blick, daß Sein jen­seits des Wil­lens spielt: „Niht geden­ke hei­li­keit zu set­zen ûf tin tuon: man sôl hei­li­keit set­zen ûf ein sîn.“ In dem zwei­ten Gespräch zwi­schen Leh­rer und Tür­mer, an der Tür zum Turm­auf­gang (man bemerkt selbst­re­dend die Nähe zu Heid­eg­gers Anfän­gen und zu der Meß­kir­cher Gedan­ken­land­schaft) wird der Fund, in die­sem Fall ein selt­sa­mes, Wahr­heit ins Werk set­zen­des „Bild“ mit dem Erstau­nen, thau­maz­e­in, dar­über, daß sich das Sein lich­tet, gleich­ge­setzt. Erstau­nen, dies ist nach Pla­ton bekannt­lich der Anfang der Phi­lo­so­phie. Sie ver­weist auf die eine gleich­blei­ben­de Sache: im Sinn­bild des Turms (sei­nen Wan­del­gang) müs­sen wir „fort­wäh­rend dahin zurück­keh­ren, wo wir eigent­lich schon sind“, womit ein Geleit­wort des frü­hen grie­chi­schen Den­kens anklingt, das sich glei­cher­ma­ßen bei Hera­klit und Par­men­i­des fin­det. In den Anfang selbst reicht mensch­li­ches Den­ken nie zurück. Sinn­bild eines dem Anfang sich nähern­den Den­kens ist neben dem Turm der Feld­weg selbst. „Doch ist jedem Den­ken­den je nur ein Weg, der sei­ne, zuge­wie­sen, in des­sen Spu­ren er immer wie­der hin und her gehen muß, um ihn end­lich als den sei­nen, der ihm doch nie gehört, ein­zu­hal­ten und das auf die­sem einen Weg Erfahr­ba­re zu sagen“.
Spä­tes­tens hier ist eini­ges von den äuße­ren Umstän­den anzu­deu­ten, die Heid­eg­ger auf jenen Weg brach­ten. Es ist dar­an zu erin­nern, daß Heid­eg­gers Rek­to­rats­re­de aus dem Jahr 1933 über die „Selbst­be­haup­tung der deut­schen Uni­ver­si­tät“ frü­hes­te Moti­ve aus sei­ner Frei­bur­ger Pri­vat­do­zen­ten­zeit am Ende des Ers­ten Welt­kriegs wie­der­auf­nahm: in dem Sin­ne, daß es dar­um gin­ge, Wis­sen­schaft wie­der als das gestal­ten­de Ele­ment der Uni­ver­si­tät zu eta­blie­ren und sie – vor allem ande­ren – als eine Lebens­welt zu erkennen.
Daß er die „Bewe­gung“ kurz­zei­tig als Ent­schei­dungs­stun­de, nicht nur deut­schen Geis­tes, son­dern des euro­päi­schen Geschicks, begriff, ist unbe­strit­ten. Als Heid­eg­ger sei­ne, nur fra­gend for­mu­lier­te: Aus­sicht, „den Füh­rer füh­ren“ zu kön­nen, des­avou­iert sah, notier­te er aller­dings: „Eigent­lich dür­fen wir es als einen wun­der­ba­ren Zustand gel­ten las­sen, daß die ‚Phi­lo­so­phie‘ ohne Anse­hen ist – denn nun gilt es, unauf­fäl­lig für sie zu kämp­fen.“ Er wuß­te sich, was die deut­schen Din­ge anging, in dürf­ti­ger Zeit. Seit 1936 / 37 steht er unter Über­wa­chung; die schar­fen Bemer­kun­gen über die Ver­feh­lung der geis­ti­gen Über­lie­fe­rung in natio­nal­so­zia­lis­ti­scher Ideo­lo­gie in den Nietz­sche-Vor­le­sun­gen sind auch in die­sem Zusam­men­hang zu sehen.
In den Jah­ren des ent­fes­sel­ten Krie­ges, des in Flam­men ste­hen­den Pla­ne­ten, da das Dasein, die­ser gewor­fe­ne Ent­wurf sei­ner selbst, mit Ernst Jün­gers Dia­gnos­tik „in den Typus“ des Arbei­ters und des Sol­da­ten geschla­gen ist, kann es zwei Grund­hal­tun­gen geben:
Jene des kal­ten Hero­is­mus und des Aben­teu­ers, die er bei Ernst Jün­ger fin­det. Zeit­wei­se, und nur vor­läu­fig, hat­te er jenen Hero­is­mus sich zu eigen gemacht und meta­phy­sisch zu ver­wan­deln gesucht, als er im Som­mer 1940 etwa ange­sichts des Sie­ges über Frank­reich notier­te: „In die­sen Tagen sind wir selbst die Zeu­gen eines geheim­nis­vol­len Geset­zes der Geschich­te, daß ein Volk eines Tages der Meta­phy­sik, die aus sei­ner eige­nen Geschich­te ent­sprun­gen (gemeint ist der Car­te­si­sche Ratio­na­lis­mus) nicht mehr gewach­sen ist und dies gera­de in dem Augen­blick, da die­se Meta­phy­sik sich in das Unbe­ding­te gewan­delt hat … . Es bedarf eines Men­schen­tums, das von Grund aus dem ein­zig­ar­ti­gen Grund­we­sen der neu­zeit­li­chen Tech­nik und ihrer meta­phy­si­schen Wahr­heit gemäß ist“. Dane­ben tritt die genau gegen­läu­fi­ge Hal­tung einer „Instän­dig­keit“ im Wesen des Seins an das Licht. Zuneh­mend prägt sie sich aus. Heid­eg­ger deu­te­te den Welt­krieg, doch ihm vor­aus schon das bol­sche­wis­ti­sche Ruß­land und das kapi­ta­lis­ti­sche Ame­ri­ka als Avant­gar­de­mäch­te der „trost­lo­sen Rase­rei der ent­fes­sel­ten Technik“.

Im Fort­gang des Kriegs­ge­sche­hens sieht er aller­dings das Gemäch­te der Machen­schaft. Des­halb spre­chen die Nietz­sche-Vor­le­sun­gen von der „illu­si­ons­lo­sen Ver­wen­dung des ‚Men­schen­ma­te­ri­als‘ im Diens­te der unbe­ding­ten Ermäch­ti­gung des Wil­lens zur Macht“. Und, wie­wohl er nach wie vor sich des­sen inne ist, „daß die angel­säch­si­sche Welt des Ame­ri­ka­nis­mus ent­schlos­sen ist, Euro­pa, und d. h. die Hei­mat, und d. h. den Anfang des Abend­län­di­schen zu ver­nich­ten“, erkennt er nicht min­der, in der Hera­klit-Vor­le­sung, daß Deutsch­land „die Zuge­hö­rig­keit zu einem Volk der Dich­ter und Den­ker hin­ter sich gebracht zu haben glaubt“. Sein Blick kehrt sich, in einem wei­tes­ten Hori­zont, gegen die eige­ne Zeit. „Der ver­bor­ge­ne Geist des Anfäng­li­chen im Abend­land wird für die­sen Pro­zeß der Selbst­ver­wüs­tung des Anfang­lo­sen nicht ein­mal den Blick der Ver­ach­tung übrig haben, son­dern aus der Gelas­sen­heit der Ruhe des Anfäng­li­chen auf sei­ne Stern­stun­de war­ten“. Aus die­sem Erfah­rungs­zu­sam­men­hang ent­steht ein ver­tief­ter Rück­gang auf Hei­mat und Deutsch­sein. Nur von den Deut­schen, so auch in der Hera­klit-Vor­le­sung, könn­te die „welt­ge­schicht­li­che Besin­nung kom­men“, vor­aus­ge­setzt frei­lich, daß sie „das Deut­sche“ fin­den und wahren.
Eben hier ver­or­te­te Heid­eg­ger das „Deut­sche“. Die „inne­re Beru­fung des Deut­schen für den Geist und die Treue des Her­zens“ kann nur von jenem Gedächt­nis wie­der­erweckt wer­den. Die Nie­der­la­ge selbst, ihre Bedin­gungs­lo­sig­keit, konn­te Heid­eg­ger nur anzei­gen, wie sehr das Gestell los­ge­las­sen war. Als er Frei­burg ver­läßt, schreibt er sei­nem Schü­ler Georg Picht in des­sen Gäs­te­buch: „Anders denn ein Ver­en­den ist das Unter­ge­hen. Jeder Unter­gang bleibt gebor­gen in den Auf­gang.“ Es kann uns an die­ser Stel­le nicht mehr ver­wun­dern, daß damit glei­cher­ma­ßen das deut­sche und das abend­län­di­sche Geschick bezeich­net ist. Rudolf Sta­del­mann teilt er im Juli 1945 mit: „Alles denkt jetzt den Unter­gang. Wir Deut­schen kön­nen des­halb nicht unter­ge­hen, weil wir noch nicht auf­ge­gan­gen sind und erst durch die Nacht hin­durch­müs­sen.“ Jene fol­gen­den Mona­te und Jah­re bedeu­te­ten auch einen zer­mür­ben­den Kampf um die eige­ne Rechts­stel­lung und vor ihrem Hin­ter­grund eine kon­di­tio­nier­te Wie­der­auf­nah­me der Lehrtätigkeit.
In den Feld­weg-Gesprä­chen, vor allem in dem drit­ten, ver­dich­tet sich eine Denk­be­we­gung, die Heid­eg­ger in den Jah­ren seit 1933, ins­be­son­de­re aber 1936 / 39 voll­zo­gen hat­te und die von der Fra­ge nach dem Sinn von Sein in die Keh­re, das Grund­ge­sche­hen der Wahr­heit des Seins, zurück­führt. In einer Rei­he gewich­ti­ger Nach­laß­kon­vo­lu­te umkreist Heid­eg­ger immer wie­der aufs neue den Aus­blick auf das in aller bis­he­ri­gen meta­phy­si­schen Über­lie­fe­rung Unge­dach­te: das Wesen des Seins selbst. Jenes Den­ken war offen­sicht­lich nicht auf Mit­tei­lung an die Zeit­ge­nos­sen aus. Nietz­sches Selbst­aus­sa­ge: „Man liebt sei­ne Erkennt­nis nicht genug mehr, sobald man sie mit­teilt“, wird ihm ein Leit­fa­den gewe­sen sein.
Die Machen­schaft, das Rie­sen­haf­te, Betrieb­sam­keit, das Zeit­al­ter völ­li­ger Frag­lo­sig­keit: dies sind die Signa­tu­ren eines Endes abend­län­di­schen Über­lie­fe­rungs­ge­schicks, wie Heid­eg­ger es seit Mit­te der drei­ßi­ger Jah­re auf­zie­hen sieht. In den Bei­trä­gen zur Phi­lo­so­phie (1936 – 38) ist von den unmit­tel­ba­ren Zeit­si­gna­tu­ren, dem Welt­bür­ger­krieg der Ideo­lo­gien so gut wie nicht die Rede, wohl aber von deren tie­fen­phi­lo­so­phi­scher, im Seins­ge­schick grün­den­der Bedeu­tung: „Je aus­sichts­lo­ser die­se Ent­schleie­rung, umso frag­lo­ser das Sei­en­de, umso ent­schie­de­ner der Wider­wil­le gegen jede Frag­wür­dig­keit des Seyns“.

Die Zeit­spu­ren wer­den in den zurück­ge­hal­te­nen Aus­ar­bei­tun­gen der nächs­ten Jah­re deut­li­cher. Der Sog der Kata­stro­phe berührt offen­sicht­lich auch den eso­te­ri­schen Denk­weg. Dies zeigt sich im Fokus auf den euro­päi­schen Nihi­lis­mus. Als Nihi­lis­mus kann Heid­eg­ger die abend­län­di­sche Meta­phy­sik – mit ihm und über Nietz­sche hin­aus­ge­hend – begrei­fen, inso­fern es in die­ser Geschich­te mit dem Sein selbst nichts gewe­sen ist. Am Nietz­sche­schen End­punkt der Meta­phy­sik sind Wil­le und Macht unbe­dingt los­ge­las­sen in ihr Unwe­sen: „die rei­ne Machen­schaft“. Dies eben führt in das „pla­ne­ta­ri­sche Gestell“, die „Not der Not­lo­sig­keit“, in der Dif­fe­ren­zen wie jene zwi­schen „Macht“ und „Gewalt“ auf­ge­löst wer­den. Macht ist in jener pla­ne­ta­ri­schen (von heu­te aus wäre zu ergän­zen: glo­ba­len) Welt des ins Rie­sen­haf­te anwach­sen­den tech­ni­schen Gestells jeder­zeit dazu gezwun­gen, über sich hin­aus­zu­ge­hen, um sich auf ihrem Sta­tus quo noch zu erhalten.
Damit wird eine Bes­tia­li­sie­rung beim Namen genannt, die Heid­eg­ger zufol­ge im Welt­bür­ger­krieg der Ideo­lo­gien zwi­schen Sozia­lis­mus und Natio­na­lis­mus ihren Anfang nahm, doch nach ihrem Ende erst zur voll­stän­di­gen Ent­fes­se­lung gelangt.
Man kann Heid­eg­gers Dia­gno­se wohl aus der Rück­schau von heu­te her kla­rer wür­di­gen als in der unmit­tel­ba­ren Zeit­ge­nos­sen­schaft. Die Signa­tur des Nihi­lis­mus bleibt Nietz­sches: „die Wüs­te wächst, weh dem, der Wüs­ten birgt“. Damit ver­bin­det sich die Bewahr­hei­tung des von Nietz­sche dia­gnos­ti­zier­ten Todes Got­tes: „Das Aus­blei­ben der Unver­bor­gen­heit des Seins als sol­chen ent­läßt das Ent­schwin­den des Heil­sa­men im Sei­en­den als sol­chen. Die­ses Ent­schwin­den alles Heil­sa­men im Sei­en­den nimmt mit sich und ver­schließt das Offe­ne des Hei­li­gen. Die Ver­schlos­sen­heit des Hei­li­gen ver­fins­tert jedes Leuch­ten des [sc. Gött­li­chen]. Die­ses Ver­fins­tern ver­fes­tigt und ver­birgt den Fehl Got­tes“ (so eine Auf­zeich­nung aus der unmit­tel­ba­ren Nach­kriegs­zeit), womit es ein­her­geht, daß jene Welt kei­ne Nähe und kei­ne Fer­ne mehr kennt.
Heid­eg­ger begreift sein eige­nes Den­ken vor die­ser Welt­stun­de als Den­ken nach dem Ende und Ver­en­den der Mög­lich­kei­ten jed­we­den Phi­lo­so­phie­rens. Es zeigt sich vor der Kata­stro­phe des Jah­res 1945, als Wesen der Meta­phy­sik, „daß sie ver­ber­gend die Unver­bor­gen­heit des Seins bringt und so das Geheim­nis der Geschich­te des Seins ist“, mit­hin das geschicht­li­che Den­ken auf die Durch­fahrt ins Freie ver­weist. Voll­ends wird die Signa­tur der Zeit deut­lich in den Erwä­gun­gen zur „Geschich­te des Seins“ im unmit­tel­ba­ren Umkreis des aus­bre­chen­den Welt­krie­ges um 1938 / 39. Hier setzt Heid­eg­ger sei­ne Erör­te­run­gen zur Geschich­te des Seins unter den Titel KOINON. Die Anzei­ge der ver­all­ge­mei­nern­den Macht, die sich des Welt­spiels zwi­schen Sein und Sei­en­dem bemäch­ti­ge. Die „Ermäch­ti­gung der Machen­schaft“ des Rech­nens hat es an sich, Sei­en­des auf eine ver­füg­ba­re All­ge­mein­heit zu redu­zie­ren. Sie ist ein die Erde umspan­nen­der Kom­mu­nis­mus, des­sen Erd­herr­schaft unter ver­schie­de­nen Mas­ken und Ver­klei­dun­gen begeg­net. Was damit ins Werk gesetzt wird, die Redu­zie­rung auf eine Par­tei und die damit sich ver­bin­den­de voll­stän­di­ge Ent­las­sung in die Mas­se ermög­licht erst die „Rück­sichts­lo­sig­keit des Vor­ge­hens …“ in der „Unauf­fäl­lig­keit der Maß­nah­men“. Die Macht von Macht­ha­bern bedie­ne sich der Ohn­macht, „um die Ermäch­ti­gung ihres Wesens zu sichern und zu steigern“.

Man weiß, daß im Zusam­men­hang jener Erwä­gun­gen bereits die spä­ter im einem Spie­gel-Gespräch wir­kungs­mäch­tig aus­ge­spro­che­ne Ein­sicht, daß nur noch ein Gott uns ret­ten kön­ne, Gestalt gewann.
Von Bedeu­tung für die Schär­fung der Kon­tu­ren des Endes der abend­län­di­schen Meta­phy­sik ist Heid­eg­gers Aus­ein­an­der­set­zung mit Nietz­sche, dem Den­ker, mit dem jenes Ende besie­gelt wird. Heid­eg­ger hat Nietz­sche, dies zeigt sich durch­ge­hend in höchs­ter Kon­se­quenz, frei von allen bio­gra­phi­schen und bio­lo­gi­schen Zügen, gedeu­tet. Er hat dabei die bei­den Grund­leh­ren, den Wil­len zur Macht und die ewi­ge Wie­der­kehr des Glei­chen in ihrem in sich schwin­gen­den Zusam­men­hang, gegen Zeit­ge­nos­sen, erkannt und fest­ge­hal­ten. Womit das pro­ble­ma­ton eigent­lich erst bezeich­net war: Denn die Fra­ge blieb damit noch offen, ob die ewi­ge Wie­der­kehr auf eine unend­li­che sich repro­du­zie­ren­de Kreis­för­mig­keit des sich ermäch­ti­gen­den Wil­lens oder auf eine Sinn­ge­bung des zu beja­hen­den Augen­blicks verweise.
Heid­eg­gers Nietz­sche-Deu­tung ist gera­de dar­in so unver­wech­sel­bar, daß sie nicht den Mas­ken und Per­spek­ti­ven Nietz­sche­schen Den­kens folgt, son­dern den Grund­riß der letz­ten Meta­phy­sik frei­zu­le­gen sucht. Die­ser ist, in genau­er Umkeh­rung des Pla­to­ni­schen Vor­rangs durch die Idee, durch einen dra­ma­ti­schen Vor­rang der exis­ten­tia, des Daß-Seins vor der essen­tia, dem Wesen (Was-Sein), aus­ge­zeich­net. Dabei ist die exis­ten­tia in dem letz­ten Fak­tum, zu dem wir hin­un­ter­kom­men, eben dem Wil­len zur Macht fixiert, die essen­tia hin­ge­gen in deren zeit­haf­ter Ent­fal­tung als „ewi­ge Wie­der­kehr“. Es ist augen­fäl­lig, wie weit sich Heid­eg­ger von Nietz­sches Sys­tem in Apho­ris­men, sei­nen Selbst­be­fra­gun­gen und per­spek­ti­visch mas­ken­haf­ten Denk­be­we­gun­gen ent­fernt hat. Nietz­sches letz­te Meta­phy­sik gelangt eben des­halb nicht mehr zu der Samm­lung in „einen“ Logos, der sich unter das Gesetz der ver­bor­ge­nen Wahr­heit am Grund des Seins fügt. Ihr Erbe wird kein Den­ken, son­dern die tota­le Mobil­ma­chung des Gestells antreten.
Dann aber schwingt der Gang der Nietz­sche-Vor­le­sun­gen auf ein drei­fa­ches unge­schütz­tes Nach­sin­nen über die Seins­fra­ge ein. Es scheint zunächst denk­bar weit ent­fernt zu sein, von den näher rücken­den Front­schau­plät­zen und der Destruk­ti­on, die all­mäh­lich unüber­seh­bar wird. Heid­eg­ger deu­tet in der Vor­le­sung vom Som­mer­se­mes­ter 1941 (Grund­be­grif­fe) die inne­re Span­nung der Lethe des Seins selbst aus. Es spannt sich, im Sinn eines fern­öst­li­chen Koan, zwi­schen den äußers­ten Extre­men des Nächs­ten und Ferns­ten, des Ver­trau­tes­ten und Unbe­kann­tes­ten aus, des Ver­nutz­tes­ten und Geheims­ten. Damit sind die Kon­tu­ren des Inter­valls aus­ge­spannt, inner­halb des­sen sich das Geheim­nis des Ver­bor­ge­nen ent­fal­tet. Sein ist das „Gemeins­te und das Ein­zi­ge“, das „Ver­ständ­lichs­te“ als die in jedem Satz in Anspruch genom­me­ne Copu­la und die Ver­ber­gung, das Ver­ges­sens­te und in eins damit die Erinnerung.

Doch Heid­eg­ger beläßt es nicht bei dem Rät­sel des Seins, sei­ne Denk­be­we­gung kehrt in den auf­ein­an­der fol­gen­den Semes­tern (WS 1941 / 42, SS 1942) bei Höl­der­lins Dich­tung ein. Der Blick gilt zunächst dem Ister, dem Donau­strom, den Höl­der­lins Dich­tung in den Ver­gleich zum Rhein rückt: „Der schei­net aber fast / Rück­wärts zu gehen und / Ich mein, der müs­se kom­men / Von Osten. / Vie­les wäre / Zu sagen davon.“ Die Strom­hym­nen stif­ten erst die Mög­lich­keit eines Men­schen­tums, mit Höl­der­lins Wort „dich­te­risch zu woh­nen“. Das seins-erin­nern­de Den­ken kehrt bei den Dich­tern ein, im Sinn des Schluß­ver­ses der Andenken-Hym­ne Höl­der­lins: „Was blei­bet aber, stif­ten die Dich­ter.“ Die Ister-Hym­ne erschließt in die­sem Sinn das „Gesetz der Geschich­te“, daß näm­lich nichts schwe­rer ist, als im Eige­nen (Hei­mi­schen) hei­misch zu werden.
Der der­art nicht Hei­mi­sche wird indes auf eine Mit­te hin ver­sam­melt, die hes­tia, den Herd. Als das „anfäng­lich Blei­ben­de und alles Umsich­sam­meln­de – jenes, wor­in alles Sei­en­de sei­ne Stät­te hat und als das Sei­en­de hei­misch ist“.
Wenn man den Gegen­halt des „Feu­ers vom Him­mel“ und der „plas­ti­schen Kraft“, die die­ses Feu­er ver­wah­ren und frei gebrau­chen kön­nen soll­te, bedenkt, so sieht man sich in die sach­li­che Span­nung zwi­schen Grie­chen­tum und dem Natio­nel­len, Deut­schen, ver­wie­sen. Durch­mes­sen wird aber auch eine geschicht­li­che Span­nung, näm­lich zwi­schen dem Anfang der abend­län­di­schen Geschich­te und jenem Ort, an dem sie sich vor der deut­schen Kata­stro­phe in ihr Ende zurück­wen­det. Die­se Linie wird in der fol­gen­den Vor­le­sung zur Andenken-Hym­ne fort­ge­schrie­ben. Heid­eg­ger sam­melt die Aus­le­gung auf die Stif­tung des kom­men­den Hei­li­gen im Wort. Es nähert sich nur dar­in, daß der Anfang zurück­ge­las­sen wer­den muß­te, Dich­tung aber ist an den Anfang zurück­den­ken­des und an sei­ne Wie­der­kehr vor­aus-sprin­gen­des Andenken, noch­mals mit Höl­der­lin: „was blei­bet aber stif­ten die Dichter“.
Die phi­lo­so­phi­sche Aus­ein­an­der­set­zung mit der letz­ten, Nietz­sche­schen Meta­phy­sik und die den­ke­ri­sche Zwie­spra­che mit Höl­der­lin berei­tet die Rück­kehr in das Geheim­nis des „ers­ten Anfangs“ vor: jenes wei­test­ge­hen­de Zurück­den­ken hat Heid­eg­ger in der grund­le­gen­den Epo­che grie­chi­scher Phi­lo­so­phie zwi­schen Par­men­i­des und Hera­klit ver­deut­licht. Das Par­men­i­dei­sche Lehr­ge­dicht, die Wei­sung der Göt­tin, daß nur das Eine sein sei, deu­tet er nicht als „Vor­spiel der Onto­lo­gie“, son­dern viel­mehr als den Ein­blick (theia) des gött­li­chen Seins. In ihm lich­tet sich das Offe­ne, wodurch aller­erst alet­heia und lethe, die Lich­tung und die Ver­ber­gung, aus­ein­an­der­tre­ten kön­nen. Das Kol­leg schließt mit der Rück-Erin­ne­rung an das Abend­land, das, im seins­ge­schicht­li­chen Sinn des Wor­tes genom­men: „Land der Unter­gän­ge“ sei, der „Aben­de der anfäng­li­chen Auf­gän­ge“. „Die abend­län­di­sche Sage sagt den Anfang, das heißt das noch ver­bor­ge­ne Wesen der Wahr­heit des Seins. Das Wort der abend­län­di­schen Sage ver­wahrt die Zuge­hö­rig­keit des abend­län­di­schen Men­schen­tums zum Haus­be­zirk der Göt­tin Aletheia“.
Heid­eg­gers Rück­gän­ge in die frü­he grie­chi­sche Meta­phy­sik kann man nur dann für Irr­fahr­ten hal­ten, wie Hans-Georg Gada­mer, wenn man sich immer schon in einem Über­lie­fe­rungs­zu­sam­men­hang wähnt, der nicht zer­bre­chen kann und inner­halb des­sen der Zei­ten­ab­stand eher erschlie­ßen­de als ver­de­cken­de Bedeu­tung gewinnt.

Dies bedeu­tet auch zu mei­nen, daß das Ver­ste­hens- und Über­lie­fe­rungs­ge­spräch „immer schon“ von einer Mit­te her im Gang ist und bleibt. Den Stoß von Anfang und Ende wird man unter sol­chen Vor­aus­set­zun­gen nicht auf­fan­gen kön­nen. Daß die­se Mit­te nicht mehr trägt, ist Heid­eg­ger wohl im Zuge sei­ner Destruk­tio­nen, der Frei­le­gung phä­no­me­na­len Ursinns aus den Ver­de­ckun­gen der Über­lie­fe­rung deut­lich gewor­den. Es zeig­te sich in der tiefs­ten Kri­sis des Jah­res 1945 offen­sicht­lich. Auch ist es kei­nes­wegs so, daß Heid­eg­ger in ver­schie­de­nen Annä­he­run­gen „hin­ter jedem Küs­ten­vor­sprung“ das „Unvor­denk­li­che“ des Anfangs suche, eine anfäng­li­che Seins­er­fah­rung, die sich ver­lie­re. Der Anfang selbst bleibt ver­bor­gen, in sei­ner Ver­bor­gen­heit aber geht er in die Geschich­te ein. Er ist (wor­über sich Heid­eg­ger nie­mals getäuscht hat!) kei­ner Rück­kehr offen. Doch das Ende abend­län­di­schen Den­kens kann den andern Anfang nur in einer Besin­nung auf den noch vor­be­hal­te­nen ers­ten Anfang anbah­nen, auf die „Ber­gung des Lich­ten“, der Wahr­heit des Seins, wie Heid­eg­ger am Ende des Hera­klit-Col­legs bemerkt. Wenn man die Zeit­er­fah­rung in Rech­nung stellt, so ist es bewe­gend zu sehen, daß in jenen Rück­gang Zeit­spu­ren nur sehr behut­sam ein­ge­gan­gen sind, auch nicht mehr, wie in der „Ver­win­dung“ und „Aus­ein­an­der­set­zung“ mit der Meta­phy­sik, etwa Nietz­sches in poin­tie­ren­den Bemer­kun­gen zu der „Bewe­gung“ oder der „Welt­an­schau­ung“ und ihrem „Bio­lo­gis­mus“, die ein­deu­tig und harsch zu ver­ste­hen gaben, daß sol­ches Unwe­sen: vor den Pfor­ten des Den­kens blei­ben müsse.
Die voll­stän­di­ge Abstän­dig­keit gegen­über dem Tages­kom­men­tar läßt die Kri­sis des eige­nen Zeit-Ortes erst in aller Dring­lich­keit aus­sa­gen: „Die Gefahr, in der das ‚hei­lig Herz der Völ­ker‘ des Abend­lan­des steht, ist nicht die eines Unter­gangs, son­dern die, daß wir, selbst ver­wirrt, uns selbst dem Wil­len der Moder­ni­tät erge­ben und ihm zutrei­ben. Damit die­ses Unheil nicht gesche­he, bedarf es in den kom­men­den Jahr­zehn­ten der Drei­ßi­gund Vier­zig­jäh­ri­gen, die gelernt haben, wesent­lich zu den­ken“, womit der Bogen­auf­schlag zurück zu den sich Unter­re­den­den der Feld­weg-Gesprä­che voll­zo­gen ist.
Heid­eg­gers Den­ken nach dem Jahr 1945 trat einer­seits noch ein­mal in die Ver­stri­ckun­gen mit der pla­ne­ta­ri­schen, neu­zeit­li­chen Tech­nik ein. Es erfaß­te das Wesen jener Tech­nik als ein welt­um­span­nen­des, pla­ne­ta­ri­sches Geschick, das sein Spe­zi­fi­kum aller­dings in der Zer­stü­cke­lung und Frag­men­tie­rung mensch­li­chen Am-Leben-Seins hat. Das Wesen der Tech­nik, so zeigt Heid­eg­ger sei­ner­zeit, in den Bre­mer Vor­trä­gen von 1949, nötigt die Spä­ten zum Schwers­ten des Den­kens, dazu, „ein Echo zu sein“; näm­lich dem Anspruch, der Spra­che zu ent­spre­chen. Vor allem aber geht sein spä­tes Den­ken – zwi­schen emi­nen­tem dich­te­ri­schem Zeug­nis und frü­her Bezeu­gung des Den­kens – in das Hören auf die Spra­che über.
Und in dem Gespräch über die Spra­che, zwi­schen einem Japa­ner und einem Fra­gen­den, soll­te Heid­eg­ger notie­ren, daß sich in der Spra­che das blei­ben­de, „gewe­se­ne“ und „gewäh­ren­de“ ver­samm­le, „das uns als Boten­gän­ger braucht“. Die­ses Gewäh­ren­de, das er in sei­ner Spät­zeit auch im Licht von Goe­thes Wort als „Er-äug­nis“ dach­te, war durch die tie­fe Kri­sis des Jah­res 1945 offen­sicht­lich nicht ent­zwei­ge­ris­sen. Es zeig­te viel­mehr sei­ne Heil­sam­keit erst in der Mit­te der Kata­stro­phe, die Heid­eg­ger zufol­ge im poli­ti­schen Raum frei­lich unheil­bar blieb.

Wenn man Heid­eg­gers seins­ge­schicht­li­cher Ein­sicht in den Rück­zug des Offe­nen von heu­te her nach­geht, so ist es gera­de­zu atem­be­rau­bend, daß sie Lini­en frei­leg­te, die die bipo­la­re Kon­stel­la­ti­on im drei­ßig­jäh­ri­gen Krieg nicht weni­ger betref­fen als die heu­ti­ge One World mit ihren tie­fen Ver­wer­fun­gen. Daß Bol­sche­wis­mus und ame­ri­ka­ni­sches Uti­li­täts­kal­kül, zumin­dest in sei­ner fana­ti­schen, von umer­zo­ge­nen deut­schen Adep­ten ver­brei­te­ten Gestalt: im Namen der „Ver­nunft“ oder des „Pro­jek­tes der Auf­klä­rung“, die klaf­fen­de, abgrün­di­ge Fra­ge nach dem Sein für nich­tig und ihren Den­ker dem Irra­tio­na­lis­mus zuschla­gen, muß nicht über­ra­schen. An Heid­eg­gers Tie­fen­wir­kung hat das bis heu­te nichts geändert.
Deut­scher Geist ver­fiel in die Gedan­ken­lo­sig­keit des Oppor­tu­nen: so daß die ent­lie­he­nen Iden­ti­tä­ten gan­zer Gene­ra­tio­nen ohne Umschwei­fe in Heid­eg­gers Ana­ly­se der Ver­wahr­lo­sung beschrie­ben wer­den kön­nen. Wor­in eine deut­sche, und euro­päi­sche Selbst­be­sin­nung bestehen könn­te, daß sie nicht weni­ger erfor­dert als eine Rück­be­sin­nung auf den Anfang, dies schreibt Heid­eg­ger künf­ti­gen Gene­ra­tio­nen vor.
Des­halb ist Heid­eg­ger als der wohl letz­te gro­ße Expo­nent des deut­schen Geis­tes, auf der Höhe des deut­schen Idea­lis­mus zu ver­ste­hen, obgleich er jenen Geist aus der spe­ku­la­ti­ven Macht des ver­mit­teln­den Begrif­fes zurück­bog, in ein Welt- und Tie­fen­ge­spräch des Den­kens, in die Ein­kehr der Zukunft in der Her­kunft, die zuletzt auch der Erschei­nung der Welt am „Gerin­gen“ sich zuwand­te. Gera­de inso­fern könn­te die von Heid­eg­ger voll­zo­ge­ne Denk­be­we­gung ein Maß geben für die Welt­nacht der Gegen­wart. Im Abend­licht wird an Heid­eg­ger noch ein­mal, in dürf­ti­ger und schreck­li­cher Zeit, die Macht des abend­län­di­schen Geis­tes deut­lich. „Die gro­ßen Phi­lo­so­phen“, die allein geis­tig Auf­ent­halt geben, hat er in den Bei­trä­gen mit „ragen­den Ber­gen“ ver­gli­chen. „Sie gewäh­ren dem Land sein Höchs­tes und wei­sen in sein Urge­stein. Sie ste­hen als Richt­punkt und bil­den je den Blick­kreis.“ Heid­eg­gers Den­ken ist inso­fern das am wei­tes­ten aus­grei­fen­de Ver­mächt­nis des „gehei­men“, „hei­li­gen“ Deutschland.
Im Rück­blick auf das Stauf­fen­berg-Atten­tat vom Juli 1944 schrieb ein namen­lo­ser jun­ger Mann, der dem Geor­ge-Kreis nahe­stand, im März 1945: „Das geis­ti­ge Deutsch­land wird – was auch kom­men mag – wei­ter exis­tie­ren. Das übri­ge Deutsch­land wird man zur Mit­tel­mä­ßig­keit erzie­hen.“ Wie eine Reso­nanz dar­auf lesen sich Sät­ze aus dem jüngs­ten Apho­ris­men­buch von Botho Strauß: „Das ein­zi­ge Deutsch­land, das sich zur Leit­kul­tur eig­net, wäre das ‚Gehei­me Deutsch­land‘, nicht nur Geor­ges, son­dern ein immer­wäh­rend ver­bor­ge­nes, das nur fin­det, wer den Weg in die dich­te­ri­sche Emi­gra­ti­on antritt. Zu jeder Zeit, unter jedem Regime. Das Land, das man in sich trägt, ist zuletzt unter dem natio­nal­ro­man­ti­schen Namen der Wie­der­ver­ei­ni­gung auf­ge­taucht. Doch die­se tat­säch­li­chen Deut­schen haben sich dann Rücken an Rücken vereinigt“.
Heid­eg­ger sah in der anwach­sen­den Wüs­te des euro­päi­schen Nihi­lis­mus die Ver­nich­tung des Grund­er­eig­nis­ses die tie­fe Zäsur, die jenes Jahr 1945 für ihn bedeu­te­te, wies letzt­lich dar­auf hin, daß der Krieg nichts ent­schied, son­dern nur ans Licht brach­te: „Die Ent­schei­dung beginnt jetzt erst sich vor­zu­be­rei­ten – auch und zumal allem vor­auf die, ob die Deut­schen als die Herz­mit­te des Abend­lan­des vor ihrer geschicht­li­chen Bestim­mung ver­sa­gen und das Opfer frem­der Gedan­ken wer­den.“ Dann – und die Mit­tel­mä­ßig­keit, die seit­her ein­ge­setzt hat und unser Land zu einem oppor­tu­nen Fel­la­chen­um­schlag­platz der Moden und Bil­dungs­mi­se­ren mach­te, bestä­tigt es heu­te aufs schlimms­te – erwei­se sich die Wüs­te als „das ‚mise­ra­ble Ter­rain‘, bestimmt von Besitz und Erwerb, von, tem­po­rär garan­tier­ter Wohl­fahrt, durch­bre­chen­der Arbeits­lo­sig­keit, einem rei­nen Fort­dau­ern, blo­ßen Über­le­ben“. Das Geleit am Ende der Zwie­spra­che zwi­schen dem Jün­ge­ren und dem Älte­ren in dem Kriegs­ge­fan­ge­nen­la­ger, „an das Dich­ten­de zu den­ken“, „der Hei­mat den Segen ihrer Bestim­mung“, soll­te daher zum sech­zigs­ten Jah­res­tag des Kriegs­en­des mehr sein als his­to­ri­sche Reminiszenz.

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