Kritik der Woche (64): Frechheit. Die alternativlose Autobiographie von Angela Merkel

-- von Jörg Seidel

Was wäre die deutsche Presselandschaft ohne ihr Gegenteil, ihre Nemesis – die Zeller Zeitung? Seit zehn Jahren recherchiert das Team um Redaktionschef, Journalist, Marketingleiter, Kundenberater, Zusteller, Finanzier und Karikaturist Bernd Zeller überparteiisch, unabänderlich und präsent, mutig und alternativlos in den dunklen Abgründen der Berliner Republik und erhellt dem Leser im Blitzlicht der Gescheitheit und der zeichnerischen Evidenz die inneren Aporien des politischen Wahnsinns in Deutschland.

Aber Zel­ler tanzt auf meh­re­ren Hoch­zei­ten – weit weni­ger bekannt ist sei­ne bil­der­zäh­le­ri­sche Arbeit. Sein neu­es­tes Pro­dukt trägt den Titel Frech­heit und stellt nichts weni­ger dar als eine Auto­bio­gra­phie Ange­la Mer­kels – alter­na­tiv­los selbst­re­dend. Wo die Frech­heit ver­or­tet wird, muß vor­erst offen­blei­ben; ob im Gegen­stand oder der Her­an­ge­hens­wei­se oder ob das gan­ze Buch als sol­che zu ver­ste­hen ist?

Der Rah­men einer her­kömm­li­chen Bio­gra­phie wird schon auf Sei­te eins gesprengt, sie beginnt nicht am 17. Juli 1954, son­dern exakt vier Mil­lio­nen Jah­re zuvor. Nicht die Per­son, son­dern der Homo Sapi­ens – oder auch nicht – Mer­kel­en­sis, die ewi­ge Mer­kel, die durch die Geschich­te geis­tert, die Mer­kel­sche Entel­echie, Mer­kel als Prin­zip steht anfäng­lich im Mit­tel­punkt. Sie ver­brei­tet als heim­li­che Len­ke­rin der Geschich­te weib­li­ches Den­ken, figu­riert als Ver­bots-Mer­kel, glänzt durch anti­pro­me­t­hei­sche Vor­schlä­ge, plä­diert für gene­ti­sche Auf­fri­schung durch Nean­der­ta­ler­blut, pro­pa­giert Mul­ti­kul­ti im Pleistozän.

Spä­ter spinnt sie den Faden der Ari­ad­ne, reicht Sokra­tes den Schier­lings­be­cher – alter­na­tiv­los – durch­wan­dert als Wie­der­gän­ger die Zei­ten und Epo­chen, mischt bei Grie­chen, Römern und den frü­hen Chris­ten mit. Immer wie­der kom­men­tiert sie dra­ma­ti­sche his­to­ri­sche Ereig­nis­se als Macht hin­ter den Mäch­ten: den Limes habe sie nicht geöff­net, sie habe ihn nur nicht geschlos­sen; „die Erwei­te­rung des Kre­dit­rah­mens, um den Zivil­cou­ra­ge­preis mit drei­ßig Sil­ber­lin­gen zu dotie­ren, war eine Inves­ti­ti­on“, mit der man sich Zeit erkauf­te; Napo­le­on lern­te sie als über­zeug­ten Euro­pä­er ken­nen usw.

Die ewi­ge Mer­kel sagt Mer­kel­sa­chen in gänz­lich ver­dreh­ter und damit ent­lar­ven­der Art und Wei­se und auf his­to­ri­sche Gegen­stän­de bezo­gen, die noch ein­mal einen neu­en Sinn erzeu­gen. Oder Unsinn? Man weiß es nicht recht. Die Ver­satz­stü­cke aus dem Mer­kel­schen Voka­bu­lar, moder­ne Flos­keln auf geschicht­li­chem Hin­ter­grund, die zahl­rei­chen sprach­li­chen, his­to­ri­schen und bild­ne­ri­schen Zita­te schaf­fen sur­rea­le Situa­tio­nen und for­dern den Leser heraus.

Meis­ter Zel­lers Sprach­ge­nie, das in kom­ple­xen Ver­dre­hun­gen mit ein­fa­cher Syn­tax beruht, fin­det in der Figur der Mer­kel einen kon­ge­nia­len Gegenstand.

Sie sitzt mit Marx und Engels zusam­men, gibt Lenin Rat­schlä­ge und endet schließ­lich in einem Post­wen­de­da­da­is­mus. „Bei der Auf­tei­lung der Besat­zungs­zo­nen herrsch­te kei­ne glück­li­che Aus­wahl. Die sowje­ti­sche Zone hät­te im Wes­ten lie­gen müs­sen. Da hät­te die DDR funk­tio­niert.“ Die Sen­ten­zen wer­den kom­ple­xer – man weiß mit­un­ter nicht mehr, ob man in die­sen Jon­glie­re­rei­en auf wack­li­gem Boden Unsinn oder Ers­te Phi­lo­so­phie liest. Auch die­ser Zel­ler ist einer zum Medi­tie­ren, sicher kei­ne Lach- und Krach­ko­mik, die Gren­ze zwi­schen Sen­se und Non­Sen­se ist so fein aus­ge­den­gelt, Tief- Hin­ter- und Unsinn amal­ga­mie­ren sub­til, so daß Kathar­sis nicht aus­ge­schlos­sen wer­den kann. Und plötz­lich kann einem auch das Lachen im Hal­se ste­cken­blei­ben: „Ihre Geg­ner wer­den sie dar­an erken­nen, daß sie mit ihnen fertigwerden.“

Man kann den Band als einen post­mo­der­nen Taschen-Machia­vel­li lesen oder als eine neue Mao-Bibel, eine iro­ni­sche Mer­kel-Bibel. Am Ende läuft die Geschich­te – die eine heim­li­che grü­ne ist und die Zel­ler nicht zum ers­ten Mal umtreibt – in Belie­big­keit aus und schließt mit einem real­his­to­ri­schen Zitat, jenem legen­dä­ren Schwach­sinn­satz Schab­ow­skis, der die Geschich­te ver­än­dert hat: „Das tritt, nach mei­ner Kennt­nis ist das sofort, unverzüglich“.

Das Buch endet auch als Rät­sel – will man es lösen, muß man es lesen. Der Rezen­sent steht als Trot­tel da.

Bernd Zel­ler: Frech­heit. Die alter­na­tiv­lo­se Auto­bio­gra­phie von Ange­la Mer­kel. Nun ist es halt da… Soli­bro-Ver­lag 2024, 68 Sei­ten mit 80 Zeich­nun­gen von Bernd Zel­ler, 20 € – hier bestellen

 

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