Geschichte im Fernsehen: “Das Wunder von Berlin”

Das Fernsehen ist einer der wichtigsten Geschichtsvermittler der Gegenwart. Eine noch größere Bedeutung als Dokumentationen à la Guido Knopp ...

Felix Menzel

Felix Menzel ist Chefredakteur des Schülerblogs blauenarzisse.de.

… haben dabei Spiel­fil­me mit his­to­ri­schem Hin­ter­grund. Zum 20. Jah­res­tag des Mau­er­falls kom­men zwei her­vor­ra­gen­de deut­sche TV-Dra­men, die sich mit der DDR und der Wen­de beschäftigen.

Das ZDF sen­det heu­te 20:15 Uhr „Das Wun­der von Ber­lin“, der MDR eben­falls 20:15 Uhr „Das Leben der Ande­ren“. 22:05 Uhr läuft die­ser Oscar-prä­mier­te Film noch­mal im rbb.

In einer ers­ten Wel­le zu „20 Jah­re Mau­er­fall“ lie­fen um den 3. Okto­ber 2009 her­um bereits zwei neue Spiel­fil­me: „Bös­e­cken­dorf“ erzählt die Geschich­te eines Dor­fes, das kurz nach dem Mau­er­bau geflüch­tet ist und „Jen­seits der Mau­er“ brach­te über fünf Mil­lio­nen Zuschau­ern das The­ma „Zwangs­ad­op­tio­nen in der DDR“ nahe.

Zeit­ge­schicht­li­che TV-Dra­men erzäh­len die gro­ßen poli­ti­schen Gescheh­nis­se nach gän­gi­gen Mus­tern: Das Poli­ti­sche spie­gelt sich im Pri­va­ten und so müs­sen ein­fa­che Men­schen auf­grund der his­to­ri­schen Ereig­nis­se herz­zer­rei­ßen­de Kon­flik­te bewäl­ti­gen, die sie vor Gewis­sens­fra­gen stel­len. Dadurch ent­steht eine beson­de­re Dra­ma­ti­sie­rung und Emo­tio­na­li­sie­rung der Geschichte.

„Das Wun­der von Ber­lin“, das im Janu­ar 2008 das ers­te Mal aus­ge­strahlt wur­de und über acht Mil­lio­nen Zuschau­er anzog, beginnt mit doku­men­ta­ri­schem Mate­ri­al. Hon­ecker meint im Ori­gi­nal­ton, daß die „Mau­er in 50 und auch in 100 Jah­ren“ noch ste­hen wür­de und John F. Ken­ne­dy bekennt „Ich bin ein Ber­li­ner“. Dann setzt die Hand­lung am 20. Juni 1988 ein. Mar­co Kai­ser ist ein jun­ger Pun­ker, der in Anja schnell sei­ne ers­te gro­ße Lie­be fin­det. Sei­nem Vater, einem Sta­si-Mann, miß­fällt die Wider­spens­tig­keit von Mar­co und durch die Teil­nah­me an einem ver­bo­te­nen Kon­zert, wel­ches die Poli­zei auf­löst, bekommt er bald die Mög­lich­keit, sei­nen Sohn unter Druck zu set­zen und ihn zum NVA-Wehr­dienst zu zwin­gen. Vero­ni­ca Fer­res spielt die star­ke, ein­fühl­sa­me und intel­li­gen­te Mut­ter von Mar­co, die sich präch­tig mit des­sen Freun­din Anja ver­steht, sich aber geis­tig immer mehr von ihrem Mann und der DDR ent­fernt. Wie die Geschich­te der Fami­lie Kai­ser aus­geht, kann sich jeder selbst ansehen.

Durch das Fens­ter ‚Fern­se­hen’ sieht die Fami­lie und ihr Umfeld die bedeu­tends­ten Nach­rich­ten des Jah­res 1989. In allen wich­ti­gen Fil­men über die Wen­de wird die­se Par­al­lel­mon­ta­ge ver­wen­det, um doku­men­ta­ri­sches Archiv­ma­te­ri­al ein­zu­flech­ten. Vier Höhe­punk­te wer­den dabei gesetzt: die gefälsch­ten Kom­mu­nal­wah­len, die Flucht über Ungarn, Gen­schers Bekannt­ga­be der Aus­rei­se­be­wil­li­gung auf dem Bal­kon der Pra­ger Bot­schaft, Schab­ow­skis Pres­se­kon­fe­renz und ein Bil­der­tep­pich zu jubeln­den Men­schen auf der Mau­er in der Nacht vom 9. auf den 10. Novem­ber 1989.

Durch die stän­di­ge Wie­der­ho­lung die­ser Bil­der in Spiel­fil­men, Doku­men­ta­tio­nen, Zeit­schrif­ten etc. wer­den die­se zu Schlüs­sel­bil­dern. Die eine Iko­ne des Mau­er­falls aber gibt es nicht.

Wie wir­ken nun die­se Fil­me auf unser Geschichts­be­wußt­sein? Drei Thesen:

  1. Wenn wir uns heu­te Geschich­te anse­hen, erle­ben wir eine Mischung aus Fak­ten und Fik­tio­nen. Das wird beson­ders deut­lich, wenn Spiel­film und erklä­ren­de Doku­men­ta­ti­on im Pro­gramm direkt auf­ein­an­der­fol­gen. Erst die fik­ti­ve Hand­lung im his­to­ri­schen Rah­men, dann die Begleit­erklä­rung. Neben Emo­tio­na­li­sie­rung und Dra­ma­ti­sie­rung kom­men also auch Objek­ti­vie­rungs­stra­te­gien zum Tra­gen: „Die­se Geschich­te beruht auf einer wah­ren Gegebenheit …“
  2. Wenn es um Dik­ta­tu­ren und ihre Über­win­dung geht, kommt ein fes­tes emo­tio­na­les Grund­mus­ter – zumin­dest im Spiel­film, manch­mal auch in der Doku – zur Anwen­dung: Der repres­si­ve Staat wird fil­misch mit der Grund­emo­ti­on der Angst vor dem Frei­heits­emp­fin­den der Bür­ger aus­ge­rüs­tet. Die lie­ben­den Prot­ago­nis­ten hin­ge­gen gera­ten in Gewis­sens­kon­flik­te, weil die Kri­tik am Herr­schafts­ap­pa­rat gefühls­mä­ßig immer grö­ßer wird. Die Fil­me legen nun nahe, daß nur der­je­ni­ge zu einem his­to­ri­schen Akteur wer­den kann, bei dem auf schmerz­haf­tem Wege die Kri­tik grö­ßer wird als die Lie­be. Nach dem Sieg der kri­ti­schen Sei­te erhal­ten die muti­gen Prot­ago­nis­ten, die ihr pri­va­tes Heil für die Über­win­dung des Sys­tems geop­fert haben, jedoch ihre Lie­be zurück (Hap­py­end).
  3. Die­se Emo­tio­nen trans­por­tiert das Fern­se­hen mas­sen­wei­se in die Wohn­zim­mer der Men­schen. Dadurch wird das emo­tio­na­le Grund­sche­ma der Fil­me (sie­he zwei­tens) kol­lek­tiv nach­er­lebt. Die Kol­lek­ti­vie­rung die­ser Emo­tio­nen, die Mischung aus Fak­ten und Fik­tio­nen, der End­sieg der „guten Ord­nung“ und der Beginn einer gemein­sa­men, unend­lich dar­ge­stell­ten Zukunft las­sen schluß­fol­gern, daß durch die Ver­fil­mung von Geschich­te moder­ne Mythen aus­ge­bil­det werden.
Felix Menzel

Felix Menzel ist Chefredakteur des Schülerblogs blauenarzisse.de.

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