Antwort an Stefan Hug

Hier meine Antwort zu Stefan Hugs Replik auf meine Glosse zu "Filmkunst und Propaganda".

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

1. Mir miß­fällt weni­ger der “Anti­ame­ri­ka­nis­mus” von “Hol­ly­wood greift an” an sich, als die all­zu sche­ma­ti­sche Rhe­to­rik, mit der er vor­ge­tra­gen wird: Alles, was aus den USA kommt= schlecht, fremd, pro­pa­gan­dis­tisch, alles Euro­päi­sche = gut, iden­ti­täts­för­dernd, wert­voll.  Mit der Kri­tik an der US-Inter­ven­ti­ons­po­li­tik bin ich abso­lut d’ac­cord. Es geht in dem Buch aber auch um die gene­rel­le Kla­ge über die Pro­pa­gie­rung des “Ame­ri­can Way of Life” (was immer das auch genau sein mag) und die offen­bar gene­rel­le Ableh­nung jeg­li­cher posi­ti­ven Selbst­dar­stel­lung der USA, als wäre das an sich ver­werf­lich. Das aber wird eher vor­aus­ge­setzt als begründet.

Wenn Hug z.B. apro­pos “The Deer Hun­ter” schreibt: “… einen scha­len Bei­geschmack hin­ter­läßt die pathe­ti­sche Schluß­sze­ne, mit der ein­mal mehr das ame­ri­ka­ni­sche Sen­dungs­be­wußt­sein unter­stri­chen wird, indem die ver­blie­be­nen Prot­ago­nis­ten die ame­ri­ka­ni­sche Natio­nal­hym­ne absin­gen”, dann möch­te ich anmer­ken, daß die­se berühm­te Sze­ne auch eine ganz ande­re Les­art zuläßt:  Nach zwei Stun­den Hor­ror, Schuld und Des­il­lu­sio­nie­rung über ihr Ame­ri­ka suchen sich die Prot­ago­nis­ten (Kin­der rus­si­scher Emi­gran­ten) lang­sam tas­tend aus den Rui­nen ein Stück “Ame­ri­can Dream”, das (schein­bar oder wirk­lich) unbe­fleckt geblie­ben ist. Die Sze­ne ist eher ver­hal­ten, melan­cho­lisch als pathe­thisch, sogar ein wenig iro­nisch. Im Gegen­satz zu den Deut­schen wird hier zwar “bewäl­tigt”, aber nicht das Kind mit dem Bade­was­ser aus­ge­schüt­tet. “The Deer Hun­ter” wird an die­ser Stel­le zu einer Art Äqui­va­lent des deut­schen Nachkriegs-“Trümmerfilms”.  Hier könn­te man als Deut­scher tat­säch­lich ler­nen, wenn nicht “sie­gen”, dann wenigs­tens sich auf­zu­rich­ten. (Auch ist der Cha­rak­ter des Viet­cong nicht das The­ma des Films, son­dern das sub­jek­ti­ve Trau­ma der Kriegsteilnehmer.)

2. In die­sen Zusam­men­hang gehört auch, daß in dem Buch euro­päi­sches bzw. deut­sches Kino in einen all­zu schrof­fen Gegen­satz zum US-ame­ri­ka­ni­schen gestellt wird. Eine wech­sel­sei­ti­ge Beein­flus­sung fand schon sehr früh statt. Die Film­kunst ist ihrer Natur nach inter­na­tio­nal.  “Hol­ly­wood”, in all sei­ner Ambi­va­lenz, war seit den Zei­ten von Grif­fith der Angel­punkt für Film­schöp­fer aus aller Welt, von Euro­pa über die Sowjet­uni­on bis Japan.

3.  Ich räu­me ein, daß es im Vor­feld und Nach­spiel zu “9/11” zu einer Wel­le von patrio­ti­schen Fil­men kam. Wobei die Funk­ti­on des Zwei­ten Welt­kriegs im Film ein Kapi­tel für sich wäre. Aber: Der Irak­krieg hat von Hol­ly­wood her schon vor 2006 kaum pro­pa­gan­dis­ti­sche Unter­stüt­zung erhal­ten, und nach­her nahe­zu aus­schließ­lich Kri­tik.  Das ist der wesent­li­che Punkt.

4.

Auf mei­ne aus­führ­li­chen Ana­ly­sen von „The Batt­le Cry of Peace” (1915), „Ser­geant York“ (1941), „The Lon­gest Day“ (1962) und „The Sie­ge“ (1998) geht Licht­meß lei­der mit kei­nem Wört­chen ein.

Das hat den ein­fa­chen Grund, daß hier kein Platz ist. Das ändert nichts dar­an, daß die Mehr­zahl der in geson­der­ten Exkur­sen behan­del­ten Fil­me in “Hol­ly­wood greift an!” der “Propaganda”-These eher wider­spricht als sie zu unter­mau­ern. Und war­um wur­den gera­de die­se Fil­me gewählt? Rich­tig: Weil sie inter­es­san­ter, bes­ser, über­dau­ern­der, attrak­ti­ver, kom­ple­xer sind als irgend­ein Propagandaschinken.

6. Und schließ­lich, der für mich wich­tigs­te Punkt:

Ästhe­tik war für mich aber tat­säch­lich zweit­ran­gig, ich behand­le pri­mär die poli­ti­sche Bedeu­tung der Fil­me und die Wech­sel­be­zie­hung zwi­schen Poli­tik und Filmindustrie.

Die Ästhe­tik eines Fil­mes läßt sich von sei­ner poli­ti­schen bzw. iden­ti­täts­po­li­ti­schen und kul­tu­rel­len Bedeu­tung nicht abspal­ten. So kann man auch die Fra­ge nach den “Wech­sel­be­zie­hun­gen” nicht befrie­di­gend beant­wor­ten.  Und ohne ästhe­ti­sche Kri­te­ri­en läßt sich auch nicht abgren­zen, wo die Pro­pa­gan­da anfängt und auf­hört, ja nicht ein­mal, wie sie sich über­haupt defi­nie­ren läßt.

Licht­meß bleibt die Ant­wort auf die wich­ti­ge Fra­ge schul­dig, wie wir damit umge­hen, daß über Hol­ly­wood die USA unse­re Lein­wän­de und Bild­schir­me domi­nie­ren und unse­re Jugend die Sehn­sucht nach Action zwangs­läu­fig mit ame­ri­ka­ni­schen Pro­duk­ten stil­len muß.

Genau­so­gut könn­te man fra­gen, wie wir damit umge­hen sol­len, daß es inzwi­schen in jedem Kaff einen McDonald’s gibt und an jeder Ecke Coca-Cola aus­ge­schenkt wird, oder wie wir die Schwer­kraft und die Exis­tenz von Vanil­le­eis ver­kraf­ten sollen.

Anders­rum: Was wäre denn nun groß gewon­nen, wenn “unse­re Jugend” nun aus­schließ­lich in Deutsch­land pro­du­zier­te “Action­fil­me” vor­ge­setzt bekommt? Was hat sie denn über­haupt von “Action­fil­men”? Was wäre denn nun das spe­zi­fisch Deut­sche oder poli­tisch oder sonst­wie Wert­vol­le eines in Deutsch­land pro­du­zier­ten Action­films im Gegen­satz zu einem ame­ri­ka­ni­schen Action­film? Davon abge­se­hen steht fest, daß der ame­ri­ka­ni­sche Film auf der Unter­hal­tungs­ebe­ne kon­kur­renz­los ist, sowohl was die tech­ni­sche Qua­li­tät als auch die inhalt­li­che Attrak­ti­vi­tät betrifft.

Damit wir uns nicht falsch ver­ste­hen:  Ich wür­de lie­bend ger­ne einen “Roten Baron” ent­we­der als schnei­di­gen Knal­ler oder als abgrün­di­gen Ent­wick­lungs­ro­man sehen. Oder die Ver­tei­di­gung von Bres­lau als die vier­zig Tage des Musa Dagh. Den Unter­gang Ost­preu­ßens als tra­gi­sches, kathar­ti­sches Epos ohne Fil­ter und Ent­schul­di­gun­gen. Jün­gers “Stahl­ge­wit­ter”. Den Zwei­ten Welt­krieg ein­mal über Gerd Gai­sers “Die letz­te Jagd”, Ven­ohrs “Abwehr­schlacht” und Pabsts “Ruf der äußers­ten Gren­ze” betrach­tet.  Aber dann wün­sche ich mir, wenn wir schon beim über­mä­ßi­gen Wün­schen sind, einen Kubrick, einen Waj­da (der in Polen auf hohem Niveau prä­gend gewirkt hat), einen Scor­se­se, einen Tar­kow­skij, einen Cop­po­la, einen Kur­o­sa­wa, einen Ter­rence Malick, um das umzusetzen.

Die Vor­stel­lung, nun euro­päi­sche und deut­sche Stof­fe von Anno Schnee zu pathe­thi­schen Schlach­ten­ge­mäl­den à la Spiel­berg und Emme­rich zu ver­schin­ken, fin­de ich schlimm genug. Noch schlim­mer, wenn man es in der dezi­dier­ten Absicht tut, um damit gezielt die Mas­sen zu irgend­wel­chen poli­ti­schen Zweck­mä­ßig­kei­ten umzu­er­zie­hen. Dann wäre man wie­der bei Goeb­bels ange­langt. Wenn man nicht ohne­hin schon dort ist, nur unter ande­ren Vor­zei­chen. Mir wird übel bei dem Gedan­ken an ein deut­sches “Top Gun” oder einen deut­schen “Ram­bo”.

Und mir schmeckt es nicht, wenn man über den Film oder irgend­ei­ne ande­re Kunst­form pri­mär unter poli­ti­schen und pro­pa­gan­dis­ti­schen Gesichts­punk­ten zu dis­ku­tie­ren beginnt, und dar­auf läuft Hugs Argu­men­ta­ti­on in mei­nen Augen letzt­lich hinaus.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (0)

Für diesen Beitrag ist die Diskussion geschlossen.