1. Mir mißfällt weniger der “Antiamerikanismus” von “Hollywood greift an” an sich, als die allzu schematische Rhetorik, mit der er vorgetragen wird: Alles, was aus den USA kommt= schlecht, fremd, propagandistisch, alles Europäische = gut, identitätsfördernd, wertvoll. Mit der Kritik an der US-Interventionspolitik bin ich absolut d’accord. Es geht in dem Buch aber auch um die generelle Klage über die Propagierung des “American Way of Life” (was immer das auch genau sein mag) und die offenbar generelle Ablehnung jeglicher positiven Selbstdarstellung der USA, als wäre das an sich verwerflich. Das aber wird eher vorausgesetzt als begründet.
Wenn Hug z.B. apropos “The Deer Hunter” schreibt: “… einen schalen Beigeschmack hinterläßt die pathetische Schlußszene, mit der einmal mehr das amerikanische Sendungsbewußtsein unterstrichen wird, indem die verbliebenen Protagonisten die amerikanische Nationalhymne absingen”, dann möchte ich anmerken, daß diese berühmte Szene auch eine ganz andere Lesart zuläßt: Nach zwei Stunden Horror, Schuld und Desillusionierung über ihr Amerika suchen sich die Protagonisten (Kinder russischer Emigranten) langsam tastend aus den Ruinen ein Stück “American Dream”, das (scheinbar oder wirklich) unbefleckt geblieben ist. Die Szene ist eher verhalten, melancholisch als pathethisch, sogar ein wenig ironisch. Im Gegensatz zu den Deutschen wird hier zwar “bewältigt”, aber nicht das Kind mit dem Badewasser ausgeschüttet. “The Deer Hunter” wird an dieser Stelle zu einer Art Äquivalent des deutschen Nachkriegs-“Trümmerfilms”. Hier könnte man als Deutscher tatsächlich lernen, wenn nicht “siegen”, dann wenigstens sich aufzurichten. (Auch ist der Charakter des Vietcong nicht das Thema des Films, sondern das subjektive Trauma der Kriegsteilnehmer.)
2. In diesen Zusammenhang gehört auch, daß in dem Buch europäisches bzw. deutsches Kino in einen allzu schroffen Gegensatz zum US-amerikanischen gestellt wird. Eine wechselseitige Beeinflussung fand schon sehr früh statt. Die Filmkunst ist ihrer Natur nach international. “Hollywood”, in all seiner Ambivalenz, war seit den Zeiten von Griffith der Angelpunkt für Filmschöpfer aus aller Welt, von Europa über die Sowjetunion bis Japan.
3. Ich räume ein, daß es im Vorfeld und Nachspiel zu “9/11” zu einer Welle von patriotischen Filmen kam. Wobei die Funktion des Zweiten Weltkriegs im Film ein Kapitel für sich wäre. Aber: Der Irakkrieg hat von Hollywood her schon vor 2006 kaum propagandistische Unterstützung erhalten, und nachher nahezu ausschließlich Kritik. Das ist der wesentliche Punkt.
4.
Auf meine ausführlichen Analysen von „The Battle Cry of Peace” (1915), „Sergeant York“ (1941), „The Longest Day“ (1962) und „The Siege“ (1998) geht Lichtmeß leider mit keinem Wörtchen ein.
Das hat den einfachen Grund, daß hier kein Platz ist. Das ändert nichts daran, daß die Mehrzahl der in gesonderten Exkursen behandelten Filme in “Hollywood greift an!” der “Propaganda”-These eher widerspricht als sie zu untermauern. Und warum wurden gerade diese Filme gewählt? Richtig: Weil sie interessanter, besser, überdauernder, attraktiver, komplexer sind als irgendein Propagandaschinken.
6. Und schließlich, der für mich wichtigste Punkt:
Ästhetik war für mich aber tatsächlich zweitrangig, ich behandle primär die politische Bedeutung der Filme und die Wechselbeziehung zwischen Politik und Filmindustrie.
Die Ästhetik eines Filmes läßt sich von seiner politischen bzw. identitätspolitischen und kulturellen Bedeutung nicht abspalten. So kann man auch die Frage nach den “Wechselbeziehungen” nicht befriedigend beantworten. Und ohne ästhetische Kriterien läßt sich auch nicht abgrenzen, wo die Propaganda anfängt und aufhört, ja nicht einmal, wie sie sich überhaupt definieren läßt.
Lichtmeß bleibt die Antwort auf die wichtige Frage schuldig, wie wir damit umgehen, daß über Hollywood die USA unsere Leinwände und Bildschirme dominieren und unsere Jugend die Sehnsucht nach Action zwangsläufig mit amerikanischen Produkten stillen muß.
Genausogut könnte man fragen, wie wir damit umgehen sollen, daß es inzwischen in jedem Kaff einen McDonald’s gibt und an jeder Ecke Coca-Cola ausgeschenkt wird, oder wie wir die Schwerkraft und die Existenz von Vanilleeis verkraften sollen.
Andersrum: Was wäre denn nun groß gewonnen, wenn “unsere Jugend” nun ausschließlich in Deutschland produzierte “Actionfilme” vorgesetzt bekommt? Was hat sie denn überhaupt von “Actionfilmen”? Was wäre denn nun das spezifisch Deutsche oder politisch oder sonstwie Wertvolle eines in Deutschland produzierten Actionfilms im Gegensatz zu einem amerikanischen Actionfilm? Davon abgesehen steht fest, daß der amerikanische Film auf der Unterhaltungsebene konkurrenzlos ist, sowohl was die technische Qualität als auch die inhaltliche Attraktivität betrifft.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich würde liebend gerne einen “Roten Baron” entweder als schneidigen Knaller oder als abgründigen Entwicklungsroman sehen. Oder die Verteidigung von Breslau als die vierzig Tage des Musa Dagh. Den Untergang Ostpreußens als tragisches, kathartisches Epos ohne Filter und Entschuldigungen. Jüngers “Stahlgewitter”. Den Zweiten Weltkrieg einmal über Gerd Gaisers “Die letzte Jagd”, Venohrs “Abwehrschlacht” und Pabsts “Ruf der äußersten Grenze” betrachtet. Aber dann wünsche ich mir, wenn wir schon beim übermäßigen Wünschen sind, einen Kubrick, einen Wajda (der in Polen auf hohem Niveau prägend gewirkt hat), einen Scorsese, einen Tarkowskij, einen Coppola, einen Kurosawa, einen Terrence Malick, um das umzusetzen.
Die Vorstellung, nun europäische und deutsche Stoffe von Anno Schnee zu pathethischen Schlachtengemälden à la Spielberg und Emmerich zu verschinken, finde ich schlimm genug. Noch schlimmer, wenn man es in der dezidierten Absicht tut, um damit gezielt die Massen zu irgendwelchen politischen Zweckmäßigkeiten umzuerziehen. Dann wäre man wieder bei Goebbels angelangt. Wenn man nicht ohnehin schon dort ist, nur unter anderen Vorzeichen. Mir wird übel bei dem Gedanken an ein deutsches “Top Gun” oder einen deutschen “Rambo”.
Und mir schmeckt es nicht, wenn man über den Film oder irgendeine andere Kunstform primär unter politischen und propagandistischen Gesichtspunkten zu diskutieren beginnt, und darauf läuft Hugs Argumentation in meinen Augen letztlich hinaus.