Yoav Shamir: Defamation

Um die kleine "Antisemitismus"-Serie abzuschließen, ein Verweis auf einen klugen und aufschlußreichen Dokumentarfilm, ...

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

… den man kos­ten­los in eng­li­scher Spra­che angu­cken an:  in “Defa­ma­ti­on” macht sich der 1970 gebo­re­ne israe­li­sche Regis­seur Yoav Shamir auf die Suche nach dem – wirk­li­chen oder ver­meint­li­chen – Anti­se­mi­tis­mus. Sei­ne sati­risch geschul­te Her­an­ge­hens­wei­se “in der ers­ten Per­son” könn­te man mit Micha­el Moo­re ver­glei­chen, wäre Moo­re ernst­haf­ter, weni­ger dem­ago­gisch und weni­ger auf Gags und Knall­ef­fek­te bedacht. Vor allem aber unter­schei­det sich Shamir von Moo­re dadurch, daß er dem Zuschau­er die “Mes­sa­ge” nicht vor­ge­kaut aufs Auge drückt, son­dern wesent­lich sub­ti­ler, aber umso über­zeu­gen­der vorgeht.

Shamirs Posi­ti­on ist dabei unzwei­deu­tig:  Vie­les, was unter “Anti­se­mi­tis­mus” läuft,  ist häu­fig nur ein zu poli­ti­schen Zwe­cken ein­ge­set­zer Kampf­be­griff einer­seits, ande­rer­seits ein para­no­ides, affek­tuö­ses  Kon­strukt, das der Fes­ti­gung und Selbst­ver­ge­wis­se­rung der jüdi­schen Iden­ti­tät dient.  Die “Ortho­do­xie” des Anti-Anti­se­mi­tis­mus wird dabei von der berüch­tig­ten US-ame­ri­ka­ni­schen, pro-israe­li­schen pres­su­re group “Anti-Defa­ma­ti­on-League” (ADL) reprä­sen­tiert, deren Vor­sit­zen­der Abe Fox­man eben­so zu Wort kommt wie sei­ne schlimms­ten Fein­de, der von alt­tes­ta­men­ta­ri­schem Pro­phe­tenzorn erfüll­te Nor­man Fin­kel­stein (“Die Holo­caust-Indus­trie”) und die Jour­na­lis­ten Mears­hei­mer und Walt, Autoren des “umstrit­te­nen” Buches “Die Israel-Lobby”.

Wei­te­re Kon­tra­punk­te set­zen kur­ze, aber ein­präg­sa­me Auf­trit­te: Shamirs Groß­mutter, eine reso­lu­te Zio­nis­tin alter Schu­le sieht in den Dia­spo­ra-Juden geld­gie­ri­ge Gau­ner (“Jews love money! Jews are crooks!”), die nur des­we­gen nicht nach Isra­el kämen, weil sie Angst vor rich­ti­ger Arbeit hät­ten;  der israe­li­sche Jour­na­list und ehe­ma­li­ge KZ-Häft­ling Noah Klin­ger, der sich im Kampf gegen eine Welt aus Anti­se­mi­ten sieht (“War­um muß ich objek­tiv sein? Waren die ande­ren etwa uns gegen­über jemals objek­tiv? So etwas wie einen Jour­na­lis­ten gibt es nicht, schon gar nicht in die­ser Ange­le­gen­heit!”); eine Grup­pe Schwar­zer im jüdisch-schwarz gemisch­ten New Yor­ker Stadt­teil Crown Heights, die das Gefühl haben, die Juden wür­den von der Obrig­keit bevor­zugt und die sich als eif­ri­ge Leser der “Pro­to­kol­le der Wei­sen von Zion” outen; oder ein ortho­do­xer Rab­bi­ner, der angeb­li­che anti­se­mi­ti­sche Vor­fäl­le nach­hal­tig rela­ti­viert und sich kri­tisch über die ADL äußert (“Ich fin­de es ver­däch­tig, wenn jemand aus bestimm­ten Vor­komm­nis­sen Pro­fit schlägt… er muß ein Pro­blem her­bei­re­den, denn er braucht einen Job.”); dage­gen die Frau eines ADL-Funk­tio­närs, die im kon­spi­ra­ti­ven Ton­fall dem Fil­me­ma­cher zusteckt: “Wir müs­sen die Schuld­ge­füh­le ausnützen.”

Der wohl ein­drück­lichs­te und am meis­ten nach­denk­lich stim­men­de Teil des Films behan­delt eine israe­li­sche Schul­klas­se, die auf eine Teil­nah­me am “Marsch der Leben­den” ein­ge­stimmt wird. Hier wird auf schla­gen­de Wei­se deut­lich, wie die kul­ti­sche, emo­tio­na­li­sie­ren­de Insze­nie­rung der “Erin­ne­rung” an die Sho­ah der pro­non­cier­ten Her­aus­bil­dung einer jüdi­schen “Opfer”-Identität dient.  Dabei wer­den Res­sen­ti­ments erzeugt, die den “Anti­se­mi­tis­mus” als self-ful­fil­ling pro­phe­cy erzeu­gen, wie sich in einer Sze­ne zeigt, in der ein paar harm­lo­se alte Polen, die den Teen­agern eine Fra­ge auf pol­nisch stel­len, von die­sen sofort als Juden­has­ser iden­ti­fi­ziert wer­den, ganz so wie es ihnen ihre Leh­rer erzählt haben.

Hier fin­det eine geziel­te Indok­tri­na­ti­on, um nicht zu sagen: Gehirn­wä­sche à la “Die Wel­le” statt, die das erklär­te Ziel hat, den “inne­ren Juden zu stär­ken” (so eine Leh­re­rin wäh­rend der Vor­be­rei­tungs­pha­se) und das Gefühl stän­di­ger “anti­se­mi­ti­scher” Gefahr und dro­hen­der Ver­fol­gung zu schü­ren. Jugend­li­che, die sich zu Beginn der Rei­se noch schä­men, weil sie es nicht schaf­fen, einen emo­tio­na­len Bezug zu den Kon­zen­tra­ti­ons­la­gern her­zu­stel­len, sind am Schluß der­art weich­ge­kocht, daß sie sich trä­nen­über­strömt in den Armen lie­gen und glü­hen­de Rache­wün­sche gegen­über den Nach­kom­men “der Nazis” äußern.  Und eini­ge Schü­ler bestä­ti­gen Nor­man Fin­kel­steins The­se, daß die Beto­nung von “jüdi­schem Leid” und poli­ti­sche Repres­si­on “in einem Paket” kom­men: “Wenn wir in den Nach­rich­ten sehen, wie ein ara­bi­sches Haus von der Armee platt­ge­macht wird, sagen wir uns, das ist nicht so schlimm, wir haben Schlim­me­res erlei­den müssen.”

Angst­ma­chen, Scharf­ma­chen, Zusam­men­schwei­ßen, Ingroup-Out­group-Kon­di­tio­nie­rung, Pola­ri­sie­rung, Per­p­etu­ie­rung von Haß und Rache­ge­lüs­ten:  Nicht nur den Zuschau­er, auch den Regis­seur über­kommt ange­sichts die­ser qua­si-reli­giö­sen Wall­fahrt und die­ses natio­na­lis­ti­schen Toten­kults, dem die Jugend­li­chen unter­zo­gen wer­den, ein pro­fun­des Unbe­ha­gen. Shamir schließt den Film mit den Wor­ten: “Als ich die schla­fen­den Kin­der (im Bus) betrach­te­te,  dach­te ich, daß so viel Über­be­to­nung der Ver­gan­gen­heit, so schreck­lich sie auch gewe­sen sein mag, uns blo­ckiert. Viel­leicht ist es nun an der Zeit, in der Gegen­wart zu leben und in die Zukunft zu blicken.”

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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