Von der Undifferenziertheit lebt ein ganzer Berufszweig, die alimentierte Antifa, die weit mehr über die „Rechte” und deren Schafspelze veröffentlicht als die „Rechte” über sich selbst. Einschlägig bekannte Polit-Wissenschaftler arbeiten sich seit Jahr und Tag an der These von der rechten Arbeitsteilung ab: Hier die feinen Denker und elitären Intellektuellenzirkel, dort die brutalen Akteure, dazwischen die sogenannten „Scharniere” – eben jene Leute, Medien und Institutionen, die als eine Art Schleuse von hier nach dort fungierten.
Wenn die Parolen und Handlungsanweisungen bei den Hundertprozentigen, den Männern fürs Grobe, ebenso direkt wie entlarvend klängen, würden sie so die antifaschistischen Szene-Forscher, von den Neuen, also akademisch verfeinerten Rechten, nahezu inhaltsgleich, aber intellektuell verbrämt in die Mitte der Gesellschaft hineingefüttert. Paradebeispiel: Wenn der neurechte Vordenker Alain de Benoist von „Ethnopluralismus” rede, sei das kaum zu trennen vom Postulat der „Rassereinheit” der (Neo-)Nazis. Es sei nur ein besseres, weil verklausulierendes Wort, aber am Ende stünden als Handlungsanweisungen doch wieder die Verfolgung „rassisch Minderwertiger” und die Lösung der Ausländerfrage.
Solange diffamierende Fehldeutungen solcher Art nur von seiten eines plump agierenden politischen Akteurs kamen, war es ungemütlich, aber nicht dramatisch. Längst aber ist die Rechnung der antifaschistischen Strategen aufgegangen, und der Kampf gegen Rechts ist zu einer Staatsaufgabe geworden. Wenn überhaupt irgendwo von „Scharnieren” zwischen etablierten Vordenkern und radikalen Umsetzern gesprochen werden kann, dann auf der Linken, die sich auf ihre Durchlässigkeit von linksliberal bis maoistisch eine Menge einbildet.
Die „Scharniere” also sind dort zu finden, wo schematischer, offen denunzierender Antifaschismus die Unterstützung einer politikfernen Basis zu organisieren versucht, um die rechte Hälfte des politischen Spektrums auszutrocknen. Das jüngste und beste Beispiel ist das von der Wochenzeitung Die Zeit initiierte „Netz gegen Nazis”, das auf jegliche Differenzierung zwischen rechts und rechtsextrem verzichtet und neben dem DFB und dem Feuerwehrverband sogar das staatlich finanzierte ZDF mit ins Boot geholt hat. Auch hier gilt: Je gröber der Keil, desto wirksamer die Schlagkraft. Der Rechte kennt das Spiel spätestens seit der umfassenden „Rock gegen Rechts”-Kampagne, kennt die Unterstellungen, Pauschalisierungen und fadenscheinigen Argumente, mit denen hier für die gute Zivilgesellschaft und gegen die böse Rechte angetreten wird.
Alle sind sie dabei, die groben Kerle von links: Maegerle, Dornbusch und Gessenharter, Röpke, Staud, Speit samt ihrem wohlfeilen Expertenstatus und ihrer ideologisch bedingten Unfähigkeit zur Unterscheidung. Einer jedoch fehlt seltsamerweise, und das, obwohl er doch eines der erfolgreichsten Internetprojekte gegen „Rechts” verantwortet und einen Gutteil seiner Szene-Popularität diesem Engagement verdankt: Wer bei www.netz-gegen-nazis.de den Namen Mathias Brodkorb eingibt, findet ihn nicht unter den Autoren, sondern gelangt bloß zu einem einzigen Artikel, in dem Brodkorb mit einer recht belanglosen Anekdote aus seinem Heimatland Mecklenburg-Vorpommern zitiert wird.
Im Spiel gegen Rechts (wer würde beim Durchmarsch einer Elefantenhorde durch einen Ameisenhaufen von „Kampf” reden?) gibt Mathias Brodkorb den distinguierten Beobachter. Der 31jährige Rostocker, nebenberuflich auch als Lehrbeauftragter für Philosophie an der Universität Rostock tätig, sitzt seit sechs Jahren für die SPD im Schweriner Landtag und gilt als Hoffnungsträger – und zwar rundum. Die eigene Partei handelt den Ex-PDSler (bis 1997) und Spezialisten auf dem Feld der Hochschulpolitik bereits als künftigen Sozialminister; die Linken haben mit seinen vielfältigen Aktionen gegen die NPD – mit dem oben erwähnten Portal www.endstation-rechts.de oder dem unter seiner Herausgeberschaft in diesem Frühjahr erschienenen Buch Provokation als Prinzip. Die NPD im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern – eine weitere Bastion. Und die Rechten? Sie finden endlich einmal Gehör auf der Gegenseite.
Bereits 2003 hatte Brodkorb in seinem Buch Metamorphosen von rechts hervorgehoben, daß man die „Szene” von innen heraus analysieren und sich ins Milieu hineinbegeben müsse. Besonders gelte das für jene elitären Zirkel um Alain de Benoist, also die definitiv nicht neo-nazistische Rechte. Flapsig spricht Brodkorb vom „Diskursverweigerungsquatsch” und meint damit die „maßlose, unaufgeklärte Haltung” derer, die innere Differenzen auf der Rechten ignorieren und jede Äußerung in Richtung Nationalsozialismus kämmen. Brodkorb bürstet gegen den Strich: Seine öffentliche Lesung aus Adolf Hitlers Mein Kampf im Seebad Prora auf Rügen 2003 (Brodkorb setzt sich für die Herausgabe einer kommentierten Ausgabe ein) haben seither schon etliche Ironiker nachgeahmt. Zuletzt hat er ein selbstkreiertes T‑Shirt mit dem Konterfei Götz Kubitscheks bei ebay zur Versteigerung angeboten, Aufschrift: „Viva la provocación!”
Man könnte Mathias Brodkorb als den verständigen „good cop” unter all jenen „bad cops” bezeichnen, die stets diffamieren und Sachlagen mutwillig verwischen. Aber auch der gute Bulle ist vor allem Polizist, auch wenn seine Methode eher an eine Plaudertasche und nicht an einen Ermittler erinnert. Die Strategie jedenfalls geht auf: Brodkorb war bis vor kurzem eifriger Autor des ebenfalls von der Zeit initiierten Internet-Forums Störungsmelder („Wir müssen reden. Über Nazis”).
Durch recht faire Besprechungen von Aktivitäten und Veröffentlichungen solcher Institutionen wie Junge Freiheit, Institut für Staatspolitik oder Edition Antaios entfachte Brodkorb rege Diskussionen – gelegentlich wurden die Kommentarspalten unter den Beiträgen Brodkorbs ausschließlich von Rechten vollgeschrieben, die an die Überzeugungskraft ihrer Wortmeldungen glauben und darauf hoffen, das Politiktalent Bordkorb (die Zeitschrift Neon führte ihn gar unter den „100 wichtigsten jungen Deutschen”) für die eigene Sache zu gewinnen. Denn liegt es nicht auf der Hand, daß es angesichts der derzeitigen politischen Schieflage nur einen einzigen anständigen Weg gibt: der an die Wand gequetschten rechten Seite beim Kampf um ihre Grundrechte ohne Wenn und Aber zur Hilfe zu eilen?
So denken manche Konservativen, aber so zu denken ist nichts weiter als ein Ausweis einer geradezu peinlichen Verkennung politischer Mechanismen Zugestanden: Brodkorb ist anders, fairer, differenziert, reaktionsschnell – alles andere wäre für einen hellwachen und intelligenten, altphilologisch gebildeten Philosophen nicht nur peinlich, sondern eine Art Hirntod. Brodkorb ist aber vor allem Politiker, und er weiß, daß ihm in einem an Personal so dünn besetzten Landesverband wie dem der SPD in Schwerin höchste Ämter offenstehen, wenn er keinen Fehler macht. Seine Treue signalisiert er durch einen rücksichtslosen, wohlfeilen Kampf gegen die NPD, bei dem er konservative Rechte unter den Klaqueuren weiß, die glücklich darüber sind, noch nicht gemeint zu sein.
Und so wird man bei Mathias Brodkorb weiterhin ein Dilemma wahrnehmen können: Er muß seinen philosophischen Anspruch auf Differenziertheit und Wahrheitssuche mit seinem Sitz innerhalb eines politischen Milieus aus Parteikarrieristen, professionellen Antifaschisten und Profiteuren des doch in jeder Hinsicht billigen Kampfes gegen Rechts (wohlgemerkt: nicht gegen „Rechtsextremismus”) in Einklang bringen. Das, was seine politischen „Verbündeten” Tag für Tag treiben, muß ihn als geistig regen Menschen beleidigen. Andererseits ist er als Politiker auf diese „Verbündeten” angewiesen.
Zurück zum „Netz gegen Nazis”. Vermutlich ist Brodkorb deswegen nicht vertreten, weil man auch dort sein Dilemma wahrnimmt und auf eindeutige Signale wartet.