Luftkrieg und Literatur

pdf der Druckfassung aus Sezession 35 / April 2010

von Thorsten Hinz

Im Spätherbst 1997 hielt der Schriftsteller W. G. Sebald in Zürich mehrere Vorlesungen über das Thema »Luftkrieg und Literatur«. Er leitete sie mit der Feststellung ein, daß die Luftangriffe auf deutsche Städte im Zweiten Weltkrieg ohne Echo in der deutschen Nachkriegsliteratur geblieben waren, obwohl sie ein kollektives Trauma bildeten: Millionen hatten sie durchlitten, Hunderttausende waren getötet worden, und mehr als alles andere hatten sie das Antlitz des Landes deformiert. Überdies markierten sie einen geistigen und kulturellen Einschnitt: »Ein passioniertes Interesse an unseren früheren Lebensformen und Spezifika der eigenen Zivilisation, wie es etwa in der Kultur Großbritanniens überall spürbar ist, kennen wir nicht.«

In der Dis­kus­si­on, die sich dar­an anschloß, wur­de der blin­de Fleck hef­tig bestrit­ten. Doch gemes­sen an der Wucht des Ereig­nis­ses, konn­ten nur weni­ge Gegen­bei­spie­le ange­führt wer­den. Gewiß, es gab die Tage­bü­cher und den Bericht Der Unter­gang von Hans Erich Nossack, der den Ver­nich­tungs­an­griff auf Ham­burg im Juli 1943 erlebt hat­te. Gert Ledigs Ver­gel­tung, ein ver­ges­se­ner Roman aus den fünf­zi­ger Jah­ren, von dem noch die Rede sein wird, erleb­te eine ver­dien­te Renais­sance. Im Roman Die Ber­ti­nis von Ralph Giord­a­no wird in pani­schen Bil­dern gleich­falls vom Angriff auf Ham­burg berich­tet. Ande­re Wer­ke haben wenigs­tens mit­tel­bar mit dem Bom­ben­krieg zu tun. Hein­rich Bölls frü­he Erzäh­lun­gen spie­len in zer­bomb­ten Trüm­mer­land­schaf­ten. Glei­ches gilt für Erzäh­lun­gen von Anna Seg­hers, die sie nach der Rück­kehr aus dem mexi­ka­ni­schen Exil 1947 ver­faß­te und in denen der Ver­gleich der äuße­ren mit den Trüm­mern im Innern der Men­schen einen durch­ge­hen­den Topos bil­det. Der Roman Wem die Stei­ne Ant­wort geben von Hil­de­gard Maria Rauch­fuß spielt im zer­stör­ten Dres­den. Die Mit­ar­beit am Wie­der­auf­bau des Zwin­gers führt eine Bür­ger­toch­ter zu der Ent­schei­dung für die DDR. Inzwi­schen müß­te noch auf jeden Fall Wal­ter Kem­pow­skis Echo­lot hin­zu­ge­fügt wer­den. Doch kei­nes der deut­schen Pro­sa­wer­ke hat eine Bekannt­heit wie der Roman Schlacht­hof 5 des Ame­ri­ka­ners Kurt Von­ne­guts erlangt.
Von­ne­gut hat­te als Kriegs­ge­fan­ge­ner im Kel­ler eines Schlacht­hau­ses den Angriff auf Dres­den miterlebt.
Was ist die Ursa­che der dich­te­ri­schen Abs­ti­nenz? Sebald: »Das nahe­zu gänz­li­che Feh­len von tie­fe­ren Ver­stö­run­gen im See­len­le­ben der deut­schen Nati­on läßt dar­auf schlie­ßen, daß die neue bun­des­re­pu­bli­ka­ni­sche Gesell­schaft die in der Zeit ihrer Vor­ge­schich­te gemach­ten Erfah­run­gen einem per­fekt funk­tio­nie­ren­den Mecha­nis­mus der Ver­drän­gung über­ant­wor­tet hat, der es ihr erlaubt, ihre eige­ne Ent­ste­hung aus der abso­lu­ten Degra­da­ti­on fak­tisch anzu­er­ken­nen, zugleich aber aus ihrem Gefühls­haus­halt völ­lig aus­zu­schal­ten, wenn nicht gar zu einem Ruh­mes­blatt im Regis­ter des­sen zu machen, was man erfolg­reich und ohne ein Anzei­chen inne­rer Schwä­che alles über­stan­den hat.« Das ist eine Para­phra­se des BRD-Klas­si­kers Die Unfä­hig­keit zu trau­ern von Mar­ga­re­te und Alex­an­der Mit­scher­lich. Sie erklär­ten die emo­tio­na­le Teil­nahms­lo­sig­keit der Nach­kriegs­ge­sell­schaft damit, daß die natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Dehu­ma­ni­sie­rung weit­ge­hend ver­in­ner­licht wor­den war. Die Deut­schen konn­ten sich, so die The­se, kei­ne Trau­er um eige­ne Ver­lus­te und Lei­den gestat­ten, weil sie auch ihre Ver­stri­ckung in die natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Ver­bre­chen, aus denen ihr Leid her­vor­ge­gan­gen war, ver­dräng­ten und beschwiegen.

Die von Sebald erwähn­te Degra­da­ti­on war die ins Kör­per­li­che ein­ge­senk­te tota­le Nie­der­la­ge. Der Bom­ben­krieg führ­te zur fak­ti­schen Ter­mi­ten­exis­tenz Mil­lio­nen Deut­scher. Es war weni­ger Ver­här­tung als natür­li­che Scham, die ein Schwei­gen dar­über gebot. Zudem leg­ten die außen- und bünd­nis­po­li­ti­schen Kon­stel­la­tio­nen im Kal­ten Krieg nahe, sich nicht auf die Erin­ne­rung an den Bom­ben­krieg zu kapri­zie­ren. Die Mäch­te, die Deutsch­land eben noch bom­bar­diert hat­ten, gewähr­ten der Bun­des­re­pu­blik nun Schutz vor der Sowjet­uni­on. Dar­aus erga­ben sich Bünd­nis­ver­pflich­tun­gen poli­ti­scher und mora­li­scher Art, die fak­tisch auf ein Trau­er­ver­bot hin­aus­lie­fen. Es emp­fahl sich, die eige­ne Trau­er wenigs­tens für die Öffent­lich­keit auf Eis zu legen oder suk­zes­si­ve die Les­art des Sie­gers zu übernehmen.
Und schließ­lich: Wel­chem Schrift­stel­ler wäre es erlaubt wor­den, mit Büchern über den Bom­ben­krieg Kar­rie­re zu machen? Sebald weist sel­ber dar­auf hin, daß die Autoren der »inne­ren Emi­gra­ti­on« nichts dar­über schrie­ben, weil eine wirk­lich­keits­na­he Schil­de­rung des Grau­ens sie bei den Alli­ier­ten in Miß­kre­dit gebracht hät­te. Er spricht von einer »so gut wie rest­los dis­kre­di­tier­ten Gesell­schaft«, die gehemmt und befan­gen war, »weil ein Volk, das Mil­lio­nen von Men­schen in Lagern ermor­det und zu Tode geschun­den hat­te, von den Sie­ger­mäch­ten unmög­lich Aus­kunft ver­lan­gen konn­te über die mili­tä­ri­sche Logik, die die Zer­stö­rung der deut­schen Städ­te diktierte«.
Sehen wir ein­mal vom impli­zi­ten Kol­lek­tiv­schuld-Vor­wurf ab. Ein Schuld­ge­fühl war zwei­fel­los ver­brei­tet in Deutsch­land. Der Lübe­cker Pfar­rer Karl Fried­rich Stell­brink nann­te in sei­ner Pre­digt zum Palm­sonn­tag 1942 den Angriff auf die Stadt vom Vor­tag ein Got­tes­ge­richt (was er mit dem Leben bezahl­te). Die Ber­li­ner Jour­na­lis­tin Ruth Andre­as-Fried­rich, die einer Wider­stands­grup­pe ange­hör­te und unter­ge­tauch­te Juden ver­sorg­te, führ­te in die­ser Zeit ein Tage­buch, das sie stets mit in den Luft­schutz­kel­ler nahm und das nach dem Krieg unter dem Titel Der Schat­ten­mann ver­öf­fent­licht wur­de. Dar­in wer­den die Bom­ben­an­grif­fe sehr plas­tisch geschil­dert und zugleich ein Schuld­zu­sam­men­hang her­ge­stellt. Am 28. Febru­ar 1943, an einem Sonn­tag, hält sie die Ver­haf­tung von Ber­li­ner Juden fest. Zwei Tage spä­ter notiert sie: »Die Eng­län­der haben die Untat gerächt. Mit einem Groß­an­griff auf Ber­lin, wie er bis­her nicht sei­nes­glei­chen sah. 160.000 Men­schen, sagt man, sind obdach­los gewor­den. Es brennt in der Stadt und in allen West- und Süd­west­vor­or­ten. Schwe­fel­gelb raucht die Luft. (…) Kaum einer ver­steht, daß die Fol­ge von heu­te der Anlaß von ges­tern sein kann. Der Anlaß Coven­try, der Anlaß Dün­kir­chen, der Anlaß Juden­g­reu­el, Städ­te aus­ra­die­ren und Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger. Der Besen, der Deutsch­land juden­rein kehrt, will nicht mehr in die Ecke zurück. Und die Geis­ter, die man rief, die wird man nun nicht los.« Hier ist die Mys­ti­fi­ka­ti­on der Ver­gel­tungs­lo­gik in ihrer gan­zen Ver­wir­rung auf den Punkt gebracht. Die Indus­trie­stadt Coven­try mit ihren Fahr­zeug- und Flug­mo­to­ren­wer­ken sowie den Muni­ti­ons­fa­bri­ken war am 14. Novem­ber 1940 Ziel eines deut­schen Luft­an­griffs, bei dem drei­vier­tel der über die Stadt ver­teil­ten Indus­trie zer­stört wur­den. 568 Men­schen kamen ums Leben – ein Aus­maß, das vom moral bom­bing der Bri­ten gegen die deut­sche Zivil­be­völ­ke­rung weit über­trof­fen wur­de. Und im nord­fran­zö­si­schen Dün­kir­chen war im Früh­jahr 1940 die bri­ti­sche Expe­di­ti­ons­ar­mee durch einen Hal­te­be­fehl Hit­lers in die Lage ver­setzt wor­den, sich über den Kanal nach Eng­land zu ret­ten. Den Bri­ten wur­de so eine schmach­vol­le Nie­der­la­ge erspart, viel­leicht um ihnen einen gesichts­wah­ren­den Frie­dens­schluß zu ermöglichen.

Die ver­que­re Logik fin­det sich auch in Lui­se Rin­sers Roman Der schwar­ze Esel. Rin­ser war 1984 von den Grü­nen als Kan­di­da­tin für das Amt des Bun­des­prä­si­den­ten auf­ge­stellt wor­den. 1944 hat­te man sie wegen defä­tis­ti­scher Äuße­run­gen ver­haf­tet, wes­halb sie den Ruf einer Wider­ständ­le­rin genoß. Im Schwar­zen Esel ist von einem Pfar­rer die Rede, der in sei­ner Kir­che von einer Bom­be getö­tet wur­de. Eine Gedenk­ta­fel ver­merkt, daß er starb, wäh­rend er für die Ret­tung der Stadt bete­te. Im Ver­lauf der Hand­lung ergibt sich jedoch, daß er wahr­schein­lich für die Ver­nich­tung der Stadt bete­te, und zwar in der Nach­fol­ge eines Fluchs, den eine depor­tier­te Jüdin aus­ge­sto­ßen hat­te. Als Lui­se Rin­ser Mit­te der acht­zi­ger Jah­re zu einem Vor­trag in Leip­zig weil­te, frag­te ich sie nach dem beab­sich­tig­ten Inhalt des Gebets. Sie sag­te sehr klar: »Feu­er auf die­se Stadt!« Jah­re spä­ter stell­te sich her­aus, daß Rin­ser auf Hit­ler ein Hul­di­gungs­ge­dicht ver­faßt hat­te. Aus sol­chen »Jugend­sün­den« ent­steht oft das Bedürf­nis, sich nach­träg­lich des­to vehe­men­ter auf die Sei­te zu stel­len, die mora­lisch und his­to­risch als die rich­ti­ge galt.
Das – neben Gert Ledigs – bes­te Bel­le­tris­tik-Werk zum The­ma ist Jörg Fried­richs Der Brand, obwohl es sich um ein Sach­buch han­delt. Sein Erfolg ver­dankt sich wesent­lich sei­ner Erzähl­wei­se, die von Kri­ti­kern als »rei­ße­risch« bezeich­net wor­den ist: Ein abwe­gi­ger Ein­wand, denn Fried­rich war etwas gelun­gen, was nor­ma­le Wis­sen­schafts­pro­sa nicht erfül­len konn­te: Er schuf Empa­thie, Ein­füh­lung, indem er Ablauf und Wir­kung der Bom­bar­de­ments in die nar­ra­ti­ven Struk­tu­ren ein­senk­te. Das Stak­ka­to der kur­zen Sät­ze steht für die dich­te Sequenz der Ein­schlä­ge, die gestauch­te Syn­tax für ihre Wucht: Die Bom­be »zer­stört Mate­rie, Stein, Gestell, Kör­per. « Die Bedro­hung am Him­mel heißt »Bom­ber Com­mand«. Der Begriff meint zum einen das bri­ti­sche Ober­kom­man­do über die Bom­ber­flot­te als Gan­zes (und sei­nen wohl berühm­tes­ten Ober­be­fehls­ha­ber Arthur Har­ris), aber auch die jewei­li­gen Bom­ber­pulks im Anflug auf deut­sche Städ­te. Mit die­sem met­ony­mi­schen Ver­fah­ren wird her­aus­ge­stellt, daß der Luft­krieg von Indi­vi­du­en befoh­len und betrie­ben wur­de, die zugleich Teil eines zwang­haf­ten Zusam­men­hangs waren, der sie ent­per­so­na­li­sier­te. Das Mecha­ni­sche und Ent­mensch­te des Vor­gangs, die Abwe­sen­heit von Moral, ist in jedem Satz gegen­wär­tig. Bei der Beschrei­bung der Städ­te und ihrer bau­li­chen Schön­hei­ten läßt Fried­rich den Ton­fall der Ele­gie anklin­gen. Ele­gi­en sind Toten­kla­ge, aber auch Beschwö­rung von Ideen, die die mate­ri­el­len Ver­lus­te über­dau­ern. Fried­richs Buch ist sprach­lich beein­dru­ckend und viel mehr als ein Geschichts­buch, eine bit­te­re »Comé­die humaine«. Im Nach­fol­ge­buch, dem Foto­band Brand­stät­ten, hat er die­ses Niveau nicht mehr erreicht. Um der Wir­kung der grau­sa­men Bil­der zu ent­spre­chen, ver­such­te er die Spra­che in noch sug­ges­ti­ve­re Höhen zu schrau­ben, aus der sie jedoch in das seich­te Gewäs­ser fal­scher Meta­phern abstürzt. Der Abwehr­schirm aus Radar­an­la­gen, Abfang­jä­gern und Schein­wer­fer­bat­te­rien, den Deutsch­land gegen die Bom­ber spann­te, wird mythisch über­höht: »Das Reich wähn­te sich dahin­ter unver­letz­lich wie der hür­nene Sieg­fried. Der anflie­gen­de Feind muß die Schutz­hül­le über­win­den, wird kennt­lich, durch­bohrt und kommt zu Fall.« Doch in der Nibe­lun­gen­sa­ge wird Sieg­fried durch einen Speer getö­tet, den Hagen in die ver­wund­ba­re Stel­le sei­ner Schul­ter bohrt. Die feind­li­chen Bom­ber ent­spre­chen dem Speer. Dem wort­ge­wal­ti­gen Ver­fas­ser unter­lief eine Katachrese, ein Ver­stoß gegen die Ein­heit des gewähl­ten Bil­des, was die Schwie­rig­keit unter­streicht, den Bom­ben­krieg sprach­lich und künst­le­risch zu bewältigen.

Dies ist jedoch einem ande­ren Schrift­stel­ler gelun­gen: Gert Ledig in sei­nem Roman Ver­gel­tung, der 1956 in der Bun­des­re­pu­blik erschien. Hier ist fest­ge­hal­ten, was in die deut­sche Nach­kriegs­li­te­ra­tur so sel­ten Ein­gang fand: die Rache der Sie­ger, die Lei­den der Besieg­ten. Das Buch schil­dert einen mehr als ein­stün­di­gen Bom­ben­an­griff auf eine deut­sche Stadt, wahr­schein­lich Mün­chen, am 2. Juli 1944. Es besteht aus einer kur­zen Ein­lei­tung und 13 Kapi­teln, denen jeweils Selbst­por­träts von Opfern vor­an­ge­stellt sind: eine Kon­to­ris­tin, ein Ger­ma­nist, ein Rent­ner, eine Milch­ver­käu­fe­rin, ein Arzt, der Fähn­rich eines Son­der­kom­man­dos im Osten und ande­re. Auch ein abge­schos­se­ner ame­ri­ka­ni­scher Flie­ger tor­kelt in einen Luft­schutz­kel­ler und stirbt. Das Buch beginnt: »Las­set die Kind­lein zu mir kom­men. – Als die ers­te Bom­be fiel, schleu­der­te der Luft­druck die toten Kin­der gegen die Mau­er. Sie waren vor­ges­tern in einem Kel­ler erstickt. Man hat­te sie auf den Fried­hof gelegt, weil ihre Väter an der Front kämpf­ten und man ihre Müt­ter erst suchen muß­te. Man fand nur noch eine. Aber die war unter den Trüm­mern zer­quetscht. So sah die Ver­gel­tung aus.« In der Schluß­sze­ne rei­ßen die Bom­ben in einer Kir­che Jesus vom Kreuz und in einer Ent­bin­dungs­sta­ti­on den Säug­lin­gen die Haut vom Kopf. Ein getö­te­ter Flak­hel­fer schreibt post­hum an sei­ne Mut­ter: »Nach der sieb­zigs­ten Minu­te wur­de wei­ter gebombt. Die Ver­gel­tung ver­rich­te­te ihre Arbeit. Sie war unauf­halt­sam. Nur das Jüngs­te Gericht. Das war sie nicht.«
Ledig war, als er den Roman been­de­te, 35 Jah­re alt. Sein Buch war und bleibt ein­zig­ar­tig in der deut­schen Nach­kriegs­li­te­ra­tur und über­trifft zum Bei­spiel alles, was der popu­lä­re Hein­rich Böll über das Kriegs­er­leb­nis geschrie­ben hat. Den­noch wur­de es von der Kri­tik und vom Publi­kum zurück­ge­wie­sen. Zehn Jah­re nach dem Krieg, so ein Rezen­sent, leh­ne der Leser Dar­stel­lun­gen ab, »die jeden posi­tiv gerich­te­ten meta­phy­si­schen Hin­ter­grund und Aus­blick ver­mis­sen las­sen«. Doch wel­cher meta­phy­si­sche Hin­ter­grund und Aus­blick wäre das gewe­sen? Als Kathar­sis, der den Men­schen auf sei­nen exis­ten­ti­el­len Kern zurück­führ­te, ließ der Bom­ben­krieg sich nicht deu­ten, denn er ziel­te dezi­diert auf des­sen mate­ri­el­le und imma­te­ri­el­le Zer­stö­rung. Das hat­te Ledigs Buch klar gezeigt. Den Aus­weg, das mecha­ni­sier­te und unter­schieds­lo­se Mor­den als das Wal­ten einer höhe­ren Gerech­tig­keit zu inter­pre­tie­ren, sei es im reli­giö­sen oder im geschichts­phi­lo­so­phi­schen Sin­ne, hat­te Ledig mit dem letz­ten Satz sei­nes Buches aus­drück­lich ver­schlos­sen. Doch sehn­ten die deut­schen Leser sich nach sol­chen Not­aus­gän­gen. Die Selbst­be­geg­nung hin­ge­gen, die Ledig ihnen zumu­te­te, war ihnen uner­träg­lich. Und sie war wohl auch poli­tisch nicht gewollt. Im Kul­tur­be­trieb blieb Ledig ein Außen­sei­ter. Die »dis­kre­di­tier­te Gesell­schaft« war eben auch eine ent­wur­zel­te und rest­los besiegte.
Sebalds Vor­le­sun­gen wur­den in der deut­schen Pres­se aus­führ­lich rezi­piert, und wie so oft war vom »Tabu­bruch« die Rede. Doch kann rück­bli­ckend kei­ne Rede davon sein, daß sei­ne Vor­trä­ge einen neu­en Abschnitt in der Lite­ra­tur ein­ge­lei­tet oder vor­be­rei­tet hät­ten. Er hat­te zur anhal­ten­den Selbst­blo­cka­de bei­getra­gen, indem er eine Dis­kus­si­on über die Vor­aus­set­zun­gen, die den monier­ten Defi­zi­ten zugrun­de lagen, prä­ven­tiv abwehr­te. Laut Sebald muß­te jede Beschäf­ti­gung mit dem Luft­krieg zur Vor­aus­set­zung haben, daß es »lan­ge vor dem Anlau­fen der Luft­kriegs­kam­pa­gne der Alli­ier­ten im gesam­ten Macht­be­reich der Deut­schen zur Ent­rech­tung, Ent­eig­nung, Exi­lie­rung und sys­te­ma­ti­schen Ver­nich­tung der Juden« gekom­men war.
Auch das ist eine Hilfs­kon­struk­ti­on, denn bei der Pla­nung des alli­ier­ten Bom­ben­kriegs spiel­te der Holo­caust kei­ne Rol­le. Jörg Fried­rich zitiert im Brand Win­s­ton Chur­chill. Für den Fall, daß die deut­sche West­front 1918 hielt, hat­te der dama­li­ge bri­ti­sche Kriegs­mi­nis­ter für 1919 einen Tau­send-Bom­ber-Angriff auf Ber­lin vor­ge­se­hen. Die Schlacht wur­de nicht geschla­gen, aber ihre Ideen leb­ten wei­ter. »Zum ers­ten Mal«, schrieb Chur­chill 1925, »bie­tet sich einer Grup­pe gesit­te­ter Men­schen die Mög­lich­keit, die ande­re Grup­pe zu völ­li­ger Hilf­lo­sig­keit zu ver­dam­men.« Ein Zustand, der sich 65 Jah­re nach Kriegs­en­de im Zustand der Wort­lo­sig­keit fortschreibt.

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