Grausam und gemütlich – Ernst Jüngers Freundschaft mit Friedrich Hielscher

pdf der Druckfassung aus  Sezession 22/Februar 2008

sez_nr_229von Baal Müller

In seiner Autobiographie Fünfzig Jahre unter Deutschen schildert Friedrich Hielscher, wie eine Tagung politisch buntgemischter Publizisten 1929 zu einer recht handfesten, dabei zumindest nach Hielschers Auffassung spaßigen Auseinandersetzung geriet: „Ich war nun erst richtig in Fahrt, klomm die Leiter wieder hoch, gelangte glücklich aufs Dach und durchs Fenster in meine Stube, ergriff den Wassereimer, füllte ihn vollends ... und goß ihn über die Häupter der unten Sitzenden durch das Strohdach hindurch, welches den Wassersturz nicht aufhielt. Unten erhob sich die Menge. Ich verriegelte die Tür, füllte in rasender Eile den Eimer wieder, ergriff die bereits randvolle Karaffe und war entschlossen, sie dem Ersten, der über dem Strohdache sich zeigen würde, aufs Haupt zu schmettern. ... Der Erste, welcher erschien, war Ernst Jünger; mit beschwörenden Gebärden winkte er Frieden und legte den Zeigefinger auf den Mund. Ich verstand."


Nicht immer ver­stan­den sich Jün­ger und Hiel­scher so gut wie auf dem Eich­hof von Wer­ner Kreitz, wo sie in wort­lo­sem Ein­ver­neh­men gemein­sam zu ran­da­lie­ren began­nen und das Mobi­li­ar zu Wurf­ge­schos­sen umfunk­tio­nier­ten; ihr von Ste­fan Breu­er und Ina Schmidt edier­ter Brief­wech­sel (Ernst Jün­ger – Fried­rich Hiel­scher. Brie­fe 1927–1985, Stutt­gart 2004) zeugt mehr als ein­mal von einem – offen­bar aber für bei­de Sei­ten frucht­ba­ren – Anein­an­der­vor­bei­re­den. Sechs Jahr­zehn­te hin­durch stan­den der gro­ße Schrift­stel­ler und der am 31. Mai 1902 in Plau­en gebo­re­ne Publi­zist, Jurist und Grün­der einer heid­nisch-eso­te­ri­schen Frei­kir­che in brief­li­chem Aus­tausch; mehr als ein Drit­tel der erhal­te­nen Kor­re­spon­denz stammt aller­dings aus der kur­zen Zeit­span­ne von 1927 bis 1933, in der bei­de Autoren eine umtrie­bi­ge Agi­ta­ti­on in den­sel­ben Orga­nen der Rech­ten ent­fal­te­ten, ins­be­son­de­re in der dem Stahl­helm nahe­ste­hen­den Stan­dar­te, dem von Kapi­tän Ehr­hardt finan­zier­ten, von Jün­ger mit­her­aus­ge­ge­be­nen Armi­ni­us sowie dem Vor­marsch, der eben­falls zunächst von Jün­ger (mit Wer­ner Laß), seit 1928 dann von Hiel­scher her­aus­ge­ge­ben wur­de. Ent­spre­chend han­deln vie­le Brie­fe die­ser Zeit von Que­re­len und Rich­tungs­kämp­fen inner­halb des Frei­korps-Milieus, und bei­de wis­sen sich einig in ihrem Bestre­ben, eine Radi­ka­li­sie­rung der natio­na­len Bewe­gung her­bei­zu­füh­ren. Die Unter­schie­de in Stil, The­ma­tik und poli­ti­scher Ziel­set­zung sind gleich­wohl offen­kun­dig: Zunächst fällt auf, daß Jün­gers Brie­fe meist die kür­ze­ren und „prag­ma­ti­sche­ren” sind; wäh­rend sie sich zum Bei­spiel mit publi­zis­ti­schen Pro­jek­ten befas­sen, drängt Hiel­scher immer wie­der zu einer Dis­kus­si­on ideo­lo­gi­scher Grund­fra­gen, der Jün­ger eher aus­weicht. Geht er doch dar­auf ein, zeigt er sich – bei aller Höf­lich­keit und Wert­schät­zung – etwas befrem­det von Hiel­schers Dog­ma­tis­mus. In einem Brief an sei­nen Bru­der Fried­rich Georg nennt er ihn „den schärfs­ten Kopf unter den Natio­na­lis­ten”, jedoch sei er „bizarr”, und sei­ne Intel­li­genz habe „etwas Anti­the­ti­sches, sche­ren­ar­tig Schnei­den­des”; den­noch ver­keh­re er am meis­ten mit ihm, der sei­ner­seits vor allem „mit Exo­ten” Umgang habe, etwa „chi­ne­si­schen Stu­den­ten, Zio­nis­ten und Arabern”.
Zwölf Jah­re spä­ter, am 9. August 1939, schreibt Jün­ger in sein Tage­buch über „Bogo” (Hiel­scher zeich­ne­te oft mit sei­nem Pseud­onym „Bogu­mil”), die­ser sei „noch immer von der alten geis­ti­gen Sicher­heit”, die ihn „oft an Manie” gemah­ne. Auf­fal­lend sei „die Ver­bin­dung des schar­fen und stets wachen Intel­lek­tes mit der son­der­ba­ren, an Punk­ten das Skur­ri­le strei­fen­den Per­son”; er erin­ne­re „an begab­te Kan­ti­a­ner”, tra­ge aber auch „hoff­man­nes­ke Züge”, und es lebe etwas „gänz­lich Frem­des, Tam­ur­la­ni­sches in ihm, wie es auch phy­sio­gno­misch sicht­bar wer­de”, wor­aus sein Den­ken „in wei­ten Räu­men und Züge abs­trak­ter Grau­sam­keit” resul­tier­ten. Gleich­zei­tig habe er etwas durch­aus Gemüt­li­ches; und Jün­ger besann sich „sehr ange­neh­mer Näch­te, die wir beim Punsch zubrachten”.

Der mit dem Mon­go­len­herr­scher Timur Lenk oder Tamer­lan Ver­gli­che­ne kon­sta­tiert in sei­ner Auto­bio­gra­phie eine ähn­li­che Ambi­va­lenz und führt das „Miß­be­ha­gen”, das sich „durch Jah­re zwi­schen uns mit Wohl­ge­fal­len ver­band”, dar­auf zurück, daß jeder im ande­ren gesucht habe, was die­ser nicht habe sein kön­nen: „Jün­ger den magisch Mit­schwin­gen­den und ich den mys­tisch Mit­den­ken­den. Aber Jün­ger denkt nicht, son­dern er sieht; und ich sehe nicht, son­dern begrei­fe.” Bei­de hät­ten sie ihre „Schub­fä­cher”, doch die­je­ni­gen des Augen­men­schen Jün­ger sei­en sol­che, in denen er sei­ne Insek­ten able­ge, wäh­rend er als Begriffs­mensch mit abs­trak­ten Kate­go­rien operiere.
Ins­ge­samt erscheint Hiel­scher in ihrer Kor­re­spon­denz eher als der Geben­de; er tritt – nicht nur in die­sem Dis­put – von Beginn an forsch und offen­siv auf und zeigt ein Selbst­be­wußt­sein, des­sen Selbst­ver­ständ­lich­keit im Umgang mit dem sie­ben Jah­re älte­ren, berühm­ten Autor aus heu­ti­ger Sicht erstau­nen mag, vor dem zeit­ge­schicht­li­chen Hin­ter­grund aber nicht so ver­wun­der­lich ist, sind doch, wie Jün­ger 1943 schreibt, „vie­le, ja viel­leicht die meis­ten der geis­tig beweg­ten jun­gen Leu­te der Gene­ra­ti­on, die nach dem Welt­krieg in Deutsch­land her­an­wuchs, durch sei­nen Ein­fluß und oft durch sei­ne Schu­le hindurchgegangen”.
Die­se „Schu­le”, die durch Hiel­schers cha­ris­ma­ti­sche Per­sön­lich­keit sowie die in sei­nem Haupt­werk Das Reich 1931 dar­ge­leg­te „heid­ni­sche Reichs­theo­lo­gie” zusam­men­ge­hal­ten wur­de, umfaß­te zunächst etwa gleich­alt­ri­ge Autoren, von denen eini­ge – wie Ernst von Salo­mon – auch heu­te noch bekannt sind, mit der Zeit aber wird der Kreis, des­sen Mit­glie­der Hiel­scher durch Vor­trags­ver­an­stal­tun­gen im Rah­men bün­di­scher und stu­den­ti­scher Orga­ni­sa­tio­nen rekru­tiert, jün­ger, und die reli­giö­sen Ambi­tio­nen, die von Anfang an den eigent­li­chen Antrieb sei­ner vor­der­grün­dig poli­ti­schen Tex­te aus­mach­ten, tre­ten stär­ker her­vor. Zudem rückt Hiel­scher (der stets Per­sön­lich­kei­ten aus allen poli­ti­schen Lagern zu sei­nen Freun­den zähl­te) – jeden­falls nach sei­ner Selbst­ein­schät­zung – nach links, wäh­rend er die Rech­te jetzt ins­ge­samt (und nicht mehr nur ihren groß­bür­ger­lich-reak­tio­nä­ren Flü­gel) als Par­tei des Kapi­ta­lis­mus auf­faßt, sei­ne tri­ba­le und regio­na­lis­ti­sche Aus­rich­tung for­ciert und selbst­kri­tisch ver­merkt, daß er sein „Reich” irr­tüm­lich mit dem der Deut­schen iden­ti­fi­ziert habe.
Wäh­rend des Drit­ten Rei­ches ermu­tigt er sei­ne Anhän­ger, Schlüs­sel­po­si­tio­nen ein­zu­neh­men, um aus die­sen her­aus, mit dem lang­fris­ti­gen Ziel eines gewalt­sa­men Umstur­zes, „Sand in das Getrie­be zu wer­fen”. Zwar blieb das Fern­ziel völ­lig illu­so­risch, doch gelang es ihm mit sei­ner Unter­wan­de­rungs­stra­te­gie, durch die ihm eige­ne Ver­bin­dung der von Jün­ger her­vor­ge­ho­be­nen Weit­räu­mig­keit des Den­kens mit rea­lis­ti­schen Ein­schät­zun­gen im Detail, etwa jüdi­schen Freun­den die Flucht zu ermög­li­chen oder eine Unab­kömm­lich­keits­stel­lung zu ver­schaf­fen, die ihr Leben ret­te­te. Beson­ders tra­gisch war der Fall Wolf­ram Sie­vers’, dem Jün­ger in Helio­po­lis ein – wie er sagt – „beschei­de­nes Denk­mal” gesetzt hat: Der enge Freund Hiel­schers wur­de auf des­sen Anra­ten hin Geschäfts­füh­rer von Himm­lers „Ahnen­er­be” und deck­te in die­ser Posi­ti­on zahl­rei­che oppo­si­tio­nel­le Akti­vi­tä­ten des Krei­ses; da Himm­ler aber 1942 das „Insti­tut für wehr­wis­sen­schaft­li­che Zweck­for­schung”, in dem Men­schen­ver­su­che durch­ge­führt wur­den, dem Ahnen­er­be ange­glie­dert hat, wur­de Sie­vers – trotz der Mil­de­run­gen, die er für ein­zel­ne Opfer errei­chen konn­te – vom ame­ri­ka­ni­schen Mili­tär­ge­richts­hof zum Tode ver­ur­teilt und 1948 hingerichtet.
Hiel­scher zog sich nach Kriegs­en­de weit­ge­hend aus dem öffent­li­chen Leben zurück und wid­me­te sich reli­gi­ons­phi­lo­so­phi­schen For­schun­gen, lite­ra­ri­scher Arbei­ten und der Aus­ge­stal­tung sei­ner „Unab­hän­gi­gen Frei­kir­che”, die sich nach wie­der­hol­ten Abspal­tun­gen in den acht­zi­ger Jah­ren auflöste.
Ernst Jün­ger, der die reli­giö­sen Erneue­rungs­ver­su­che des am 6. März 1990 Ver­stor­be­nen immer mit einer gewis­sen Distanz (und gele­gent­li­cher Iro­nie) beob­ach­tet hat, nennt des­sen Ansatz im Rück­blick „nicht unzeit­ge­mäß, son­dern vorzeitig”.

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