Nicht immer verstanden sich Jünger und Hielscher so gut wie auf dem Eichhof von Werner Kreitz, wo sie in wortlosem Einvernehmen gemeinsam zu randalieren begannen und das Mobiliar zu Wurfgeschossen umfunktionierten; ihr von Stefan Breuer und Ina Schmidt edierter Briefwechsel (Ernst Jünger – Friedrich Hielscher. Briefe 1927–1985, Stuttgart 2004) zeugt mehr als einmal von einem – offenbar aber für beide Seiten fruchtbaren – Aneinandervorbeireden. Sechs Jahrzehnte hindurch standen der große Schriftsteller und der am 31. Mai 1902 in Plauen geborene Publizist, Jurist und Gründer einer heidnisch-esoterischen Freikirche in brieflichem Austausch; mehr als ein Drittel der erhaltenen Korrespondenz stammt allerdings aus der kurzen Zeitspanne von 1927 bis 1933, in der beide Autoren eine umtriebige Agitation in denselben Organen der Rechten entfalteten, insbesondere in der dem Stahlhelm nahestehenden Standarte, dem von Kapitän Ehrhardt finanzierten, von Jünger mitherausgegebenen Arminius sowie dem Vormarsch, der ebenfalls zunächst von Jünger (mit Werner Laß), seit 1928 dann von Hielscher herausgegeben wurde. Entsprechend handeln viele Briefe dieser Zeit von Querelen und Richtungskämpfen innerhalb des Freikorps-Milieus, und beide wissen sich einig in ihrem Bestreben, eine Radikalisierung der nationalen Bewegung herbeizuführen. Die Unterschiede in Stil, Thematik und politischer Zielsetzung sind gleichwohl offenkundig: Zunächst fällt auf, daß Jüngers Briefe meist die kürzeren und „pragmatischeren” sind; während sie sich zum Beispiel mit publizistischen Projekten befassen, drängt Hielscher immer wieder zu einer Diskussion ideologischer Grundfragen, der Jünger eher ausweicht. Geht er doch darauf ein, zeigt er sich – bei aller Höflichkeit und Wertschätzung – etwas befremdet von Hielschers Dogmatismus. In einem Brief an seinen Bruder Friedrich Georg nennt er ihn „den schärfsten Kopf unter den Nationalisten”, jedoch sei er „bizarr”, und seine Intelligenz habe „etwas Antithetisches, scherenartig Schneidendes”; dennoch verkehre er am meisten mit ihm, der seinerseits vor allem „mit Exoten” Umgang habe, etwa „chinesischen Studenten, Zionisten und Arabern”.
Zwölf Jahre später, am 9. August 1939, schreibt Jünger in sein Tagebuch über „Bogo” (Hielscher zeichnete oft mit seinem Pseudonym „Bogumil”), dieser sei „noch immer von der alten geistigen Sicherheit”, die ihn „oft an Manie” gemahne. Auffallend sei „die Verbindung des scharfen und stets wachen Intellektes mit der sonderbaren, an Punkten das Skurrile streifenden Person”; er erinnere „an begabte Kantianer”, trage aber auch „hoffmanneske Züge”, und es lebe etwas „gänzlich Fremdes, Tamurlanisches in ihm, wie es auch physiognomisch sichtbar werde”, woraus sein Denken „in weiten Räumen und Züge abstrakter Grausamkeit” resultierten. Gleichzeitig habe er etwas durchaus Gemütliches; und Jünger besann sich „sehr angenehmer Nächte, die wir beim Punsch zubrachten”.
Der mit dem Mongolenherrscher Timur Lenk oder Tamerlan Verglichene konstatiert in seiner Autobiographie eine ähnliche Ambivalenz und führt das „Mißbehagen”, das sich „durch Jahre zwischen uns mit Wohlgefallen verband”, darauf zurück, daß jeder im anderen gesucht habe, was dieser nicht habe sein können: „Jünger den magisch Mitschwingenden und ich den mystisch Mitdenkenden. Aber Jünger denkt nicht, sondern er sieht; und ich sehe nicht, sondern begreife.” Beide hätten sie ihre „Schubfächer”, doch diejenigen des Augenmenschen Jünger seien solche, in denen er seine Insekten ablege, während er als Begriffsmensch mit abstrakten Kategorien operiere.
Insgesamt erscheint Hielscher in ihrer Korrespondenz eher als der Gebende; er tritt – nicht nur in diesem Disput – von Beginn an forsch und offensiv auf und zeigt ein Selbstbewußtsein, dessen Selbstverständlichkeit im Umgang mit dem sieben Jahre älteren, berühmten Autor aus heutiger Sicht erstaunen mag, vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund aber nicht so verwunderlich ist, sind doch, wie Jünger 1943 schreibt, „viele, ja vielleicht die meisten der geistig bewegten jungen Leute der Generation, die nach dem Weltkrieg in Deutschland heranwuchs, durch seinen Einfluß und oft durch seine Schule hindurchgegangen”.
Diese „Schule”, die durch Hielschers charismatische Persönlichkeit sowie die in seinem Hauptwerk Das Reich 1931 dargelegte „heidnische Reichstheologie” zusammengehalten wurde, umfaßte zunächst etwa gleichaltrige Autoren, von denen einige – wie Ernst von Salomon – auch heute noch bekannt sind, mit der Zeit aber wird der Kreis, dessen Mitglieder Hielscher durch Vortragsveranstaltungen im Rahmen bündischer und studentischer Organisationen rekrutiert, jünger, und die religiösen Ambitionen, die von Anfang an den eigentlichen Antrieb seiner vordergründig politischen Texte ausmachten, treten stärker hervor. Zudem rückt Hielscher (der stets Persönlichkeiten aus allen politischen Lagern zu seinen Freunden zählte) – jedenfalls nach seiner Selbsteinschätzung – nach links, während er die Rechte jetzt insgesamt (und nicht mehr nur ihren großbürgerlich-reaktionären Flügel) als Partei des Kapitalismus auffaßt, seine tribale und regionalistische Ausrichtung forciert und selbstkritisch vermerkt, daß er sein „Reich” irrtümlich mit dem der Deutschen identifiziert habe.
Während des Dritten Reiches ermutigt er seine Anhänger, Schlüsselpositionen einzunehmen, um aus diesen heraus, mit dem langfristigen Ziel eines gewaltsamen Umsturzes, „Sand in das Getriebe zu werfen”. Zwar blieb das Fernziel völlig illusorisch, doch gelang es ihm mit seiner Unterwanderungsstrategie, durch die ihm eigene Verbindung der von Jünger hervorgehobenen Weiträumigkeit des Denkens mit realistischen Einschätzungen im Detail, etwa jüdischen Freunden die Flucht zu ermöglichen oder eine Unabkömmlichkeitsstellung zu verschaffen, die ihr Leben rettete. Besonders tragisch war der Fall Wolfram Sievers’, dem Jünger in Heliopolis ein – wie er sagt – „bescheidenes Denkmal” gesetzt hat: Der enge Freund Hielschers wurde auf dessen Anraten hin Geschäftsführer von Himmlers „Ahnenerbe” und deckte in dieser Position zahlreiche oppositionelle Aktivitäten des Kreises; da Himmler aber 1942 das „Institut für wehrwissenschaftliche Zweckforschung”, in dem Menschenversuche durchgeführt wurden, dem Ahnenerbe angegliedert hat, wurde Sievers – trotz der Milderungen, die er für einzelne Opfer erreichen konnte – vom amerikanischen Militärgerichtshof zum Tode verurteilt und 1948 hingerichtet.
Hielscher zog sich nach Kriegsende weitgehend aus dem öffentlichen Leben zurück und widmete sich religionsphilosophischen Forschungen, literarischer Arbeiten und der Ausgestaltung seiner „Unabhängigen Freikirche”, die sich nach wiederholten Abspaltungen in den achtziger Jahren auflöste.
Ernst Jünger, der die religiösen Erneuerungsversuche des am 6. März 1990 Verstorbenen immer mit einer gewissen Distanz (und gelegentlicher Ironie) beobachtet hat, nennt dessen Ansatz im Rückblick „nicht unzeitgemäß, sondern vorzeitig”.