Das Paradox des Feindbildes in der Kultur

pdf der Druckfassung aus Sezession 41 / Februar 2011

von Kai Hammermeister

Seit den Kreuzzügen und den Türkenkriegen wurden die Anhänger des Islam in Deutschland als Feinde angesehen.

Jeder Feind erfährt gezwun­ge­ner­ma­ßen eine gespal­te­ne, ja sogar para­do­xe Cha­rak­te­ri­sie­rung bei sei­nem Geg­ner. Einer­seits wird er dem Spott preis­ge­ge­ben, ande­rer­seits wird er in sei­ner Kampf­kraft und sei­ner Viri­li­tät auf­ge­wer­tet, damit die eige­nen Sie­ge um so glor­rei­cher erschei­nen. Ich nen­ne die­ses Phä­no­men das Para­dox des Feind­bil­des. Wie sich zei­gen wird, trifft es nicht nur im mili­tä­ri­schen Kon­text zu, son­dern auch im ästhe­ti­schen, wo es aller­dings auch eine pro­ble­ma­ti­sche Nega­ti­on des Poli­ti­schen dar­stel­len kann.

Im Ästhe­ti­schen ent­spricht dem poli­ti­schen Para­dox des Feind­bil­des die Dar­stel­lung des Tür­ken als Aggres­sor mit sowohl lach­haf­ten wie grau­sa­men Zügen. Am deut­lichs­ten zeigt sich der Spalt zwi­schen Abund Auf­wer­tung in einem Werk, das gera­de zum Abschluß der lan­gen Epo­che der mili­tä­ri­schen Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Islam ent­stand, näm­lich Mozarts Sing­spiel Die Ent­füh­rung aus dem Serail aus dem Jahr 1782. Erzählt wird der Flucht­ver­such von vier Spa­ni­ern, von denen drei in tür­ki­sche Skla­ve­rei ver­kauft wor­den waren und die nun von dem Gelieb­ten einer der bei­den Frau­en befreit wer­den sol­len. Ihre Gegen­spie­ler sind der Harems­wäch­ter Osmin und der tür­ki­sche Herr­scher Selim Bascha. Die­se bei­den Figu­ren sind nichts wei­ter als die Auf­spal­tung des Para­do­xes des Feind­bil­des. Osmin wird die Rol­le des dumpf-lüs­ter­nen Has­sers des Wes­tens zuge­wie­sen. Er ist gleich­zei­tig grau­sam (»Erst geköpft, dann gehan­gen / dann gespießt auf lan­ge Stan­gen«), tyran­nisch (»Wir sind in der Tür­kei! Ich dein Herr, du mei­ne Skla­vin«) und töl­pel­haft. Letzt­lich ist er eine Spott­fi­gur. Die Wert­schät­zung des tür­ki­schen Fein­des kommt Selim Bascha zugu­te. Auch er ist bru­tal, droht er doch sei­ner sich ihm ver­wei­gern­den Skla­vin »Mar­tern aller Arten« an. Aber letzt­lich erweist er sich als groß­mü­tig, indem er sei­ne Gefan­ge­nen frei­läßt, um so sei­ne Fein­de zu beschä­men. Mag der Tür­ke auch des­po­tisch, mit­un­ter dumm, und alle­mal grau­sam sein, er ist den­noch ein ernst­zu­neh­men­der mili­tä­ri­scher Gegner.

Mit dem Ende der Tür­ken­krie­ge in West­eu­ro­pa im Jah­re 1792 – Ruß­land setz­te sie noch ein Jahr­hun­dert lang fort – ver­schwin­det das Feind­bild des isla­mi­schen Angrei­fers nicht. In einer zuneh­mend bür­ger­li­chen Kul­tur, die sich auf das Pri­va­te zurück­zieht, wird jedoch das Mili­tä­ri­sche durch das Koket­tie­ren mit dem Exo­tisch-Kul­tu­rel­len ersetzt. Carl Schmitt schreibt über die­se Epo­che, in der er einen Ver­fall des Poli­ti­schen dia­gnos­ti­ziert: »In einem ver­wirr­ten Euro­pa such­te eine rela­ti­vis­ti­sche Bour­geoi­sie alle denk­ba­ren exo­ti­schen Kul­tu­ren zum Gegen­stand ihres ästhe­ti­schen Kon­sums zu machen.« Die Chi­noi­se­rie, die vom Adel des 18. Jahr­hun­derts getra­gen wur­de, zählt noch nicht zu die­sem Ver­fall, denn Chi­na war nie als Feind Deutsch­lands ange­se­hen wor­den. Die­ser fern­öst­li­che Exo­tis­mus ersetzt kei­nen man­geln­den Wil­len zur poli­ti­schen Selbst­be­haup­tung nach außen.

Im begin­nen­den 19. Jahr­hun­dert geht also die Ästhe­ti­sie­rung des (ver­meint­lich ehe­ma­li­gen) isla­mi­schen Fein­des Hand in Hand mit dem Rück­zug aus dem Poli­ti­schen. Carl Schmitt erin­nert an die Dia­gno­se Hegels: »Bei Hegel fin­det sich auch die ers­te pole­misch-poli­ti­sche Defi­ni­ti­on des Bour­geois, als eines Men­schen, der die Sphä­re des unpo­li­tisch risi­ko­los-Pri­va­ten nicht ver­las­sen will, der im Besitz und in der Gerech­tig­keit des pri­va­ten Besit­zes sich als ein­zel­ner gegen das Gan­ze ver­hält, der den Ersatz für sei­ne poli­ti­sche Nul­li­tät in den Früch­ten des Frie­dens und des Erwer­bes und vor allem ›in der voll­kom­me­nen Sicher­heit des Genus­ses der­sel­ben fin­det‹, der infol­ge­des­sen der Tap­fer­keit über­ho­ben und der Gefahr eines gewalt­sa­men Todes ent­nom­men blei­ben will.«

Aber auch in der schein­bar unpo­li­ti­schen Ästhe­tik des Bour­geois lebt das Para­dox des Feind­bil­des fort. Die ver­meint­lich vor­ur­teils­freie und wohl­ge­son­ne­ne Rezep­ti­on isla­mi­scher Kul­tur bei Goe­the und den deut­schen Roman­ti­kern ist weni­ger eine Wen­de in der Sicht auf den Osten, son­dern eine sich ins Ästhe­ti­sche flüch­ten­de Wei­ge­rung, wei­ter­hin in Kate­go­rien poli­ti­scher Feind­schaft zu den­ken. Gera­de aber das ver­leug­ne­te Fak­ti­sche ver­schafft sich wie­der Bahn. Genu­in poli­ti­sche Kon­stan­ten wie das Para­dox des Feind­bil­des las­sen sich nicht ästhe­tisch aus­he­beln, son­dern unter­wan­dern alle künst­le­ri­schen Bestre­bun­gen, die sich ihnen ver­wei­gern wol­len. Auch Goe­thes West­öst­li­cher Divan ent­kommt nicht dem Para­dox des Feindbildes.

Es geht hier nicht um eine Gesamt­deu­tung die­ses Wer­kes, das sich aus dia­lo­gi­scher Dich­tung, Gedicht­zy­klen, Spruch­dich­tung und Kom­men­ta­ren zusam­men­setzt. Ledig­lich die Über­füh­rung des Para­do­xes des Feind­bil­des in das Gebiet des Ästhe­ti­schen soll betont wer­den. Bei Goe­the nimmt es die Form einer Über­schät­zung des Islam an, die bis ins Lächer­li­che geht, und einer gleich­zei­ti­gen, damit kaum zu ver­ei­nen­den har­schen Kri­tik. Einer­seits also eine radi­ka­le Selbst­ver­nei­nung der west­li­chen Kul­tur (»Gesteht’s! die Dich­ter des Ori­ents / Sind grö­ßer als wir des Okzi­dents«), die bis zur Iden­ti­fi­ka­ti­on mit dem Islam führt. In sei­ner Selbst­an­zei­ge erklärt Goe­the näm­lich koket­tie­rend, er »lehnt den Ver­dacht nicht ab, daß er selbst ein Musel­mann sei.« Ande­rer­seits aber bleibt die vehe­men­te Ableh­nung der frem­den Kul­tur bestehen. Für Goe­the hält der Islam sei­ne Beken­ner in »dump­fer Beschränkt­heit«, wenn­gleich er sie damit zu tap­fe­ren Patrio­ten erzieht. Und der Koran, selbst wenn wir ihn bestau­nen, blei­be den­noch ein Buch, das »immer von neu­em anwi­dert.« Die­ser Wider­spruch läßt sich am bes­ten ver­ste­hen, wenn man ihn als eine Schwund­stu­fe poli­ti­schen Den­kens begreift. Das Para­dox des Feind­bil­des wan­dert ins Ästhe­ti­sche, weil es als eine poli­ti­sche Hal­tung ver­wor­fen wird. In der Kunst jedoch bleibt es not­wen­di­ger­wei­se unver­stan­den und pro­du­ziert inter­es­san­te, aber letzt­lich kon­fu­se Span­nun­gen. Goe­the selbst befrei­te sich von ihnen, der Ori­ent ver­lor nach eini­gen Jah­ren sei­ne Fas­zi­na­ti­on für ihn. In einem Gespräch erklärt er über den West­öst­li­chen Divan: »Sowohl was dar­in ori­en­ta­lisch als was dar­in lei­den­schaft­lich ist, hat auf­ge­hört in mir fort­zu­le­ben; es ist wie eine abge­streif­te Schlan­gen­haut am Wege lie­gen geblieben.«

Die jüngs­te Feuil­le­ton­de­bat­te über Goe­thes Islam­be­griff ver­kennt das aus dem Poli­ti­schen ins Ästhe­ti­sche abge­wan­der­te Para­dox des Feind­bil­des. Thi­lo Sar­ra­zin hat eben­so unrecht mit sei­ner Behaup­tung, Goe­the spie­le »ästhe­tisch und iro­nisch mit dem Islam« wie Necla Kelek, die einen »Grund­kon­flikt zwi­schen Reli­giö­sem und Ästhe­ti­schem« dia­gnos­ti­ziert. Die Sache ist aber viel ein­fa­cher: Aus einem ech­ten Inter­es­se an einer frem­den Welt und Ästhe­tik wird über die für Goe­the typi­sche »Anver­wand­lung« ein Werk – kei­ne in sich stim­mi­ge poli­ti­sche Kampf­schrift, son­dern eine dis­pa­ra­te, zwi­schen Anzie­hung, Bewun­de­rung, Respekt, Fremd­heit und Spott wech­seln­de Samm­lung – samt spä­ter arti­ku­lier­tem Des­in­ter­es­se am alten Stoff. Wenn also das Klas­sik­erzi­tat in der Gegen­wart auf etwas ver­weist, dann auf den fort­exis­tie­ren­den poli­ti­schen Grund­kon­flikt in sei­ner ästhe­ti­schen Verschleierung.

Nach Goe­the scheint das Para­dox des Fein­des aus­ein­an­der­zu­bre­chen. Statt­des­sen lebt allein die Spott­tra­di­ti­on fort. Zu Anfang des 19. Jahr­hun­derts etwa kom­po­nier­te Carl Gott­lieb Hering sei­nen Caf­fee-Kanon, den mei­ne Gene­ra­ti­on noch im Kin­der­gar­ten sin­gen lern­te, haupt­säch­lich wohl, um eini­ge Noten der Ton­lei­ter ein­zu­üben. »C‑A-F-F-E‑E / Trink nicht so viel Caf­fee / Nicht für Kin­der ist der Tür­ken­trank / Schwächt die Ner­ven, macht dich schwach und krank / Sei doch kein Musel­mann / Der das nicht las­sen kann.« In die glei­che Ker­be haut noch ein­hun­dert­fünf­zig Jah­re spä­ter Heinz Erhard. Er bedich­tet eben­falls die Cha­rak­ter­schwä­che des Musel­manns, die sich in des­sen Abhän­gig­kei­ten zeigt. »Es war ein­mal ein Musel­mann / der trank sich einen Dusel an. / Er rief dann stets das Musel­weib / wo es denn mit dem Fusel bleib / denn Durst ist nicht gesund.« Bis hin zu den Kar­ne­vals­lie­dern, Kari­ka­tu­ren und anony­men Wit­zen des Volks­munds setzt sich die­se Tra­di­ti­on fort.

Was wei­test­ge­hend fehl­te, war das Pen­dant zur Kari­ka­tur, näm­lich die ernst­haf­te Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Islam als einem star­ken und gefähr­li­chen Feind. Dies läßt sich wohl damit erklä­ren, daß die mili­tä­ri­sche Bedro­hung durch den Islam seit dem Ende des 18. Jahr­hun­derts tat­säch­lich fort­ge­fal­len war. Man darf mut­ma­ßen, daß nach Eta­blie­rung eines Feind­bil­des und nach anschlie­ßen­dem Ver­schwin­den von des­sen kon­kre­ter mili­tä­ri­scher Aggres­si­on die Spott­tra­di­ti­on sich län­ger erhält als die Zuschrei­bung von Krie­ger­tu­gen­den an den Feind.

Ein spä­ter, wenn­gleich schwa­cher Nach­hall von Goe­thes West­öst­li­chem Divan fin­det sich hin­ge­gen bei Fried­rich Georg Jün­ger, des­sen Essays zur isla­mi­schen Kul­tur eben­falls von dem Para­dox des Feind­bil­des struk­tu­riert sind. Da jedoch in den 1920er Jah­ren eine Ver­west­li­chung der Tür­kei unter Kemal Ata­türk ange­strebt wor­den war, erschien ein poli­ti­sches Feind­bild wenig zeit­ge­mäß und nutz­brin­gend. In die Betrach­tun­gen zur isla­mi­schen Kul­tur wan­dert es den­noch ein. Wie nicht anders zu erwar­ten chan­giert die Sicht auf den Islam dem­entspre­chend auch bei Jün­ger zwi­schen Auf- und Abwer­tung. In einem Auf­satz »Über die Geschich­ten aus Tau­send­und­ei­ner Nacht« erklärt er: »Die­se Reli­gi­on ist ein­fach und in ihrer Sim­pli­zi­tät für den Gläu­bi­gen wohl­tä­tig. … Der unbe­ding­te Begriff der gött­li­chen All­macht gibt ihr etwas Gewalt­sa­mes, und wie ein Ham­mer fährt sie auf die Völ­ker nie­der, mit krie­ge­ri­scher Unver­söhn­lich­keit.« Jün­ger fol­gert, daß die­sem Reli­gi­ons­be­griff der Des­po­tis­mus als poli­ti­sche Herr­schafts­form ange­mes­sen sei. In einem Essay über den per­si­schen Dich­ter Hafis hin­ge­gen kommt er zu dem Schluß: »Eigent­li­che Schran­ken fin­det der Des­po­tis­mus aller die­ser ori­en­ta­li­schen Regie­run­gen nur im Islam, da for­mell bin­den­de Ein­schrän­kun­gen nur im Koran ent­hal­ten sind.« Die­se wider­sprüch­li­chen Bewer­tun­gen sind nicht Resul­tat unge­nü­gen­den Den­kens, son­dern Reflex des fort­wir­ken­den Para­do­xes des Feind­bil­des, das als sol­ches in Ver­ges­sen­heit gera­ten ist. Was vor­liegt, ist die unter­schwel­li­ge Koexis­tenz eines aus tau­send­jäh­ri­ger Erfah­rung erwach­se­nen Feind­bil­des und der hun­dert­fünf­zig­jäh­ri­gen Kampf­pau­se, in der das Poli­ti­sche zwar zumeist ver­neint wur­de, aber den­noch als Geist im Ästhe­ti­schen her­um­wan­dert. In den ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­ten hin­ge­gen ist es zur neu­er­li­chen Gewalt des Islam gegen den Wes­ten gekom­men. Damit kann auch das Para­dox des Feind­bil­des wie­der­be­lebt wer­den. Wir war­ten auf das Kunst­werk, das mit mozart­scher Leich­tig­keit den Spott mit dem Respekt vor dem mili­tä­ri­schen Ver­mö­gen des isla­mi­schen Krie­gers ver­bin­det. Ein sol­ches Werk wäre nicht die ästhe­ti­sche Schwund­stu­fe des Poli­ti­schen, son­dern sei­ne kul­tu­rel­le Untermauerung.

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