Das Dschihad-System…

pdf der Druckfassung aus Sezession 40 / Februar 2011

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Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Beson­de­res Augen­merk legt des­sen Betrei­ber, der 1966 gebo­re­ne Sozi­al­wis­sen­schaft­ler Man­fred Klei­ne-Hart­la­ge, auf islamund libe­ra­lis­mus­kri­ti­sche Bei­trä­ge. Die­ses dop­pel­te Augen­merk hebt den Autor weit über das kurz­sich­ti­ge Gepol­ter von »Islam­kri­ti­kern« à la Poli­ti­cal­ly Incor­rect hin­aus: Denn wer vor einer expan­die­ren­den isla­mi­schen Welt war­nen will, darf von der struk­tu­rel­len, sys­tem­im­ma­nen­ten Schwä­che des zurück­wei­chen­den libe­ra­len Wes­tens nicht schweigen.

Ihren beson­de­ren Schliff erhal­ten Klei­ne-Hart­la­ges Ana­ly­sen durch den Umstand, daß der Ver­fas­ser ein bekehr­ter Links­li­be­ra­ler ist, der die ent­spre­chen­den from­men Den­kungs­ar­ten bis in ihre feins­ten Win­kel­zü­ge hin­ein kennt, und in der Lage ist, sich was­ser­dicht gegen vor­aus­zu­se­hen­de Ein­wän­de abzu­si­chern. Klei­ne-Hart­la­ge legt nun in sei­nem Buch Das Dschi­had-Sys­tem (Wie der Islam funk­tio­niert, Grä­fel­fing: Resch 2010. 292 S., 19.90 €) nicht nur über­zeu­gend dar, daß sich das Den­ken und die Men­ta­li­tät der isla­mi­schen Welt von der des post-christ­li­chen Wes­tens fun­da­men­tal unter­schei­den, son­dern er ver­sucht auch zu skiz­zie­ren, war­um letz­te­rer nicht imstan­de ist, die­se Unter­schie­de über­haupt wahr­zu­neh­men und rich­tig ein­zu­ord­nen. Denn es ist iro­ni­scher­wei­se gera­de die schein­bar für den Ande­ren »offe­ne Gesell­schaft«, die, befan­gen in ihrer Ich-Bezo­gen­heit, unfä­hig ist, zu erken­nen, daß die­ser Ande­re tat­säch­lich anders ist, und womög­lich die eige­nen Prä­mis­sen in kei­ner Wei­se teilt. In die­ser Per­spek­ti­ve ist der Libe­ra­lis­mus nichts anders als ein stark säku­la­ri­sier­tes und infan­ti­li­sier­tes Chris­ten­tum, in dem eine altrui­sie­ren­de Ideo­lo­gie vor­herrscht, die grund­le­gen­de Poli­ti­ka wie Grup­pen­selbst­be­haup­tung und ‑iden­ti­tät zum Tabu ver­schwe­felt hat, womit man auch nicht mehr imstan­de ist, sich vor­zu­stel­len, daß man aus den Sicht sei­ner Fein­de »unter Umstän­den wie eine fet­te Beu­te aussieht.«

Einer der fatals­ten Fehl­schlüs­se ist dabei, anzu­neh­men, daß der Islam als Reli­gi­on ana­log wie das Chris­ten­tum funk­tio­nie­re, das etwa die Tren­nung von welt­li­chem und geist­li­chem Bereich kennt. Der Islam ist nicht ein­fach eine Reli­gi­on, die man via Kon­fes­si­on »hat«, son­dern vor allem ein bis in die kleins­ten Details des All­tags wir­ken­des »sozia­les Sys­tem«. Die dar­aus erwach­sen­den sozia­len und kul­tu­rel­len For­men kön­nen zwar man­nig­fal­tig sein, tei­len jedoch alle­samt das »Gedan­ken­sys­tem Islam« als eine Art gemein­sa­me geis­ti­ge »DNA«. Dar­aus folgt, daß der Pro­zeß der »Isla­mi­sie­rung« und der schlei­chen­den Land­nah­me kei­nes­wegs bloß die Sache von »Extre­mis­ten« oder »Isla­mis­ten« ist, son­dern aus der sozia­len Struk­tur isla­mi­scher Gesell­schaf­ten selbst erfolgt.

Klei­ne-Hart­la­ge zeigt auch, wie abwei­chen­de theo­lo­gi­sche Auf­fas­sun­gen erheb­li­che Fol­gen haben kön­nen für die Ent­wick­lung »kul­tu­rel­ler Selbst­ver­ständ­lich­kei­ten«. Die Abwe­sen­heit des christ­li­chen Gedan­kens der Erb­sün­de und des Gebo­tes der stän­di­gen Selbst­prü­fung etwa hat eine Men­ta­li­tät im Islam geför­dert, die zur kras­sen Selbst­ge­rech­tig­keit neigt und zur Selbst­kri­tik weit­ge­hend unfä­hig ist. Damit ist ein im Gegen­satz zum christ­li­chen oder post-christ­li­chen Men­schen »unter­kom­ple­xer« Typus ent­stan­den, der sich heu­te als wesent­lich durch­set­zungs­fä­hi­ger erweist. Klei­ne-Hart­la­ges akri­bi­sche Koran-Ana­ly­se weist zudem nach, daß der Islam die Anwen­dung und Andro­hung von Gewalt zum Zwe­cke sei­ner Aus­brei­tung durch­aus dok­tri­när befür­wor­tet, und daß sein Anspruch zwar uni­ver­sal ist, nicht jedoch sei­ne Ethik, die nur inner­halb der Grup­pe der Gläu­bi­gen ver­bind­li­che Gül­tig­keit hat. Im Ver­gleich zum Juden­tum und Chris­ten­tum ist die Theo­lo­gie des Islams sim­pel gestrickt und pri­mi­tiv; sie hat in der Tat kaum eine Ver­bin­dung zu den Wer­ten des­sen, was man einst das »christ­li­che Abend­land« nann­te. Hier wird ein völ­lig ande­rer Gott geglaubt und eine völ­lig ande­re Ethik gelehrt. Die Lek­tü­re die­ses augen­öff­nen­den Buches sei daher auch jenen ver­blen­de­ten Kon­ser­va­ti­ven ans Herz gelegt, die immer noch glau­ben, der Islam wäre eine irgend­wie »kon­ser­va­ti­ve« Macht, die den ver­lo­ren­ge­gan­gen Nomos des Chris­ten­tums adäquat erset­zen oder gar in irgend­ei­ner Wei­se fort­füh­ren könne.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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