Wenn einem Karlheinz Weißmann das so erscheint, muß man dies als Autor ernstnehmen. Aber was eigentlich genau war daran problematisch? Etwa mein abschließendes Geständnis, daß ich angesichts dieser grotesken Inszenierung nur mehr kotzen möchte?
80% des Textes stammen nicht von mir. Er ist eine Parodie. Es handelt sich um den geringfügig verfremdeten Wortlaut einer Erklärung des DGB und der BDA und eines Berichts im Stern. Ich habe diese Texte verfremdet, um ihre Heuchelei und ihren absurden Anspruch hervortreten zu lassen und ins Lächerliche zu ziehen. Als ich sie las, war ich erstmal sprachlos. Was soll man dazu noch sagen? Es ist mir unerklärlich, warum sich der Bund der Arbeitgeber und der Gewerkschaftsbund bemüßigt fühlen, eine derart aufpeitschende und emotionalisierende Sprache zu benutzen, in der keine Phrase und kein Klischee ausgelassen wird, um am Ende wieder (das ist wohl Sinn und Zweck der Sache) bei dem üblichen, bald nur mehr allein zugelassenen politischen Bekenntnis zu “Vielfalt und Offenheit” zu landen, diesem hübschen Wortgeklingel, dessen häßlicher konkreter Sinn den Wenigsten, die damit bimmeln gehen, bewußt ist.
Da ist von “Abscheu und Entsetzen” die Rede, von “geliebten Menschen”, man “trauert” und ist “tief betroffen” und hat “Mitgefühl”, und man nötigt die “Menschen in Deutschland”, in diesen schiefen Klagegesang einzustimmen und vor allem, sich im selben Atemzug den besagten politischen Bekenntnissen anzuschließen. Das ist ein Ton, der solchen Institutionen nicht angemessen ist. Sie mit einem politischen Bekenntniszwang zu verbinden, ist Instrumentalisierung, und eine Art von emotionaler Erpressung.
Geschmacklos? Heuchlerisch vor allem: denn kein normaler Mensch auf der Welt empfindet derartige Emotionen für fremde Menschen, über die er lediglich in den Zeitungen gelesen hat. Ja, auch ich finde es “abscheulich und entsetzlich”, wenn Menschen ermordet werden. Ich finde Gewalt grundsätzlich abstossend und ekelhaft, egal wem sie zustößt, aber ich muß dieses Empfinden nicht ständig vor mir her tragen wie ein Gutmenschen-Abzeichen auf der Jacke. Jeden Tag nun lese ich in der Zeitung und im Internet, wie Menschen in Deutschland und auf der ganzen Welt Opfer scheußlichster Verbrechen werden.“Trauere” ich nun um all diese Menschen?
Wenn nun auf Anordnung des Staates und der Medien die zehn Toten einer keineswegs aufgeklärten Mordserie, an deren offizieller Darstellung große Zweifel bestehen, jedermanns besondere und gesteigerte Aufmerksamkeit verdient haben sollen und diese flugs zu Stifterfiguren und Märtyrern eines bizarren Kultes erklärt (soll ich sagen: mißbraucht) werden, dann gilt mein erster Gedanke all den ausgelöschten Leben, die in den Augen unserer Machthaber und Sinnvermittler keinen Mucks wert sind, weil sie ja offenbar als bloße Kollateralschäden ihrer alternativlosen politischen Zielsetzungen angesehen werden. Die “Vielfalt”, die sie meinen, ist aber nicht “bunt” wie ein Kindergeburtstag, sie ist in den Worten eines ihrer Apologeten “hart, schnell, grausam und wenig solidarisch” und sie fordert einen täglichen Blutzoll, der Menschenleben kostet.
Empfinde ich also “Trauer und die tiefe Betroffenheit” für die zahllosen und ungezählten Opfer von Ausländergewalt, Ausländerkriminalität und Deutschenhaß? Natürlich nicht, wenn diese Worte nicht bloß leere Worte sein sollen, die ich an passender Stelle aufsagen muß, damit mir eine Mitmenschlichkeitsmedaille umgehängt wird. Muß ich mich in eine rührselige Stimmung versetzen und in meiner Phantasie jedem einzelnen von ihnen ein Gesicht geben und mir im Kopfkino ausmalen, was sie alles mit ihrem Leben hätten anfangen können? Muß ich ihnen Altäre bauen und Heiligenbilder malen und diese dann gleich Monstranzen für meine politische Sache vor mir hertragen? Meine “Trauer”, die ich nicht empfinde, natürlich nicht empfinden kann, zur Schau stellen, damit ich tränenreich jeden, der mich kritisiert, als Unmenschen abkanzeln kann? Natürlich nicht! (Und das tut auch das Buch der Edition Antaios nicht, an keiner Stelle haben sich die Autoren so schamlos verhalten, wie die Melker, Berufsbeklager und Nutznießer der nämlichen Mordserie.)
Glaube ich nun, daß etwa ein Micha Brumlik Krokodilstränen für die ermordeten Dönerbudenbesitzer vergießt, “trauert” und “tief betroffen” ist, während er nebenbei aus der ganzen Geschichte knallharte, radikale politische Forderungen ableitet? Glaube ich überhaupt der grassierenden Emotionalisierung und Befindlichkeitstuerei der Politik und dem Aufrichtigkeits- und Entschuldigungsgehabe unserer Eliten? Glaube ich denn einer Merkel, einer Merkel!, daß all ihre routiniert zur Schau getragenen Gefühlsbekenntnisse echt und authentisch sind? Daß sie “Beklemmungen” erleidet und vor “Mitgefühl” zerfließt? Was soll man denn dazu sagen, wenn eine Merkel allen Ernstes die Angehörigen der Opfer “um Verzeihung bittet”? Das entzieht sich meinem Verständnis: Wie kann man überhaupt Angehörige von Mordopfern “um Verzeihung” bitten? Wer kann das überhaupt? Und warum Merkel? Für was? Daß ihre Polizei ihren Job getan hat? Oder daß sie ihn nicht getan hat? Oder daß, zynisch gesagt, womöglich ihr Verfassungschutz die Toten auf dem Gewissen hat? Glaube ich denn überhaupt, daß sie selbst nicht mehr über den Fall weiß, als der durchschnittliche Bild-Leser? Wenn die Geschichte, wie sie erzählt wird, wirklich eine Lüge ist, bei der der Staat seine Hand im Spiel hat, glaube ich dann, daß Merkel nichts davon weiß?
Glaube ich einer deutschen Kanzlerin, die wieder einmal um “Verzeihung bittet” für Dinge, die sie nicht getan hat (denn im Subtext schwingt so viel, viel mehr mit als das Bedauern über ein etwaiges Versagen der Polizei), daß sie nun etwas anderes tut, als einmal mehr die Hohepriesterin des deutschen Schuldkultus zu spielen? Glaube ich, daß die Angehörigen der Opfer in diesem Ritus mehr bedeuten als Idole und Fetische, vor denen man in die Knie gehen kann? Also nicht konkrete Menschen, sondern Projektionsflächen, an denen sich die deutschen Komplexe rituell abreagieren können?
Deutsche Politiker haben sich bisher reihenweise angestellt, um diese Ablaßhandlung zu leisten, und buchstäblich vorgedrängelt, möglichst die ersten zu sein, die sich im Namen von Weißderteufelwem und Weißderteufelfürwas “entschuldigen”. Der Spiegel sprach gar von einem “Trösterkarneval”, möglichst gut zur Schau gestellt, vor den Augen der Presse und des Fernsehens, als “Mea culpa”-Deutschland-sucht-den-Superstarshow, mit Superschuldstolz auf die Brust geklopft, und dabei eifrig das eigene Volk bezichtigend und denunzierend und zur Verantwortung ziehend und damit erneut auf bestimmte ideologische Ziele einschwörend und hindrängend. Nichts anderes kommuniziert nach all den “wilden Tröstungen” dieser präzise konzertierte Staatsakt-Spuk, der gestern über die Bühne ging.
Was die Angehörigen der Opfer betrifft, so werden sie und die Volksgruppen, denen sie angehören, von diesen Ritualen nicht nur mißbraucht und instrumentalisiert, sondern buchstäblich verhetzt und aufgehetzt. Ihnen ist in diesem Spiel kein Vorwurf zu machen. Sie sind allzu leichte Beute für diejenigen, die mit ihnen Politik treiben. Sie werden nun in einen privilegierten Opferadelsstand gehoben, der nicht sie individuell, sondern implizit ihre ethnische Gruppe überhaupt meint. Sie werden von der Presse und Politik in den Glauben versetzt, daß ihnen als Ganzes ein Unrecht geschehen sei, für das das ganze deutsche Volk mitverantwortlich sei.
Ihnen wird vermittelt, daß sie von Rassisten und Ausländerfeinden umgeben seien, daß sie bedroht werden, daß Deutsche sie grundlos töten wollen, daß sie soetwas wie “die neuen Juden” des Landes seien. All dies wird ihre Beziehungen zu den Stammdeutschen gewiß nicht verbessern und entspannen, im Gegenteil. Hier wird ein gefährliches, hochexplosives Spiel getrieben. Gleichzeitig werden sie benutzt, um eine Kampagne zu fahren, die erneut den Deutschen jeden Gedanken an ein anderes als ein künftig “multikulturelles” und “multiethnisches” Land ausbläuen soll. Eine Alternative dazu nur zu denken, wird als schwerster ethischer Effekt gebrandmarkt. Hier sind die wahren Adressaten dieser Inszenierung zu suchen, und deren wahrer Zweck, der sich keineswegs in “Trauer” und “Mitgefühl” erschöpft.
Der Anspruch, das ganze Land zum Einhalten einer öffentlich zelebrierten Schweigeminute zu nötigen (das muß in der Praxis nur stellenweise umgesetzt werden – wichtig ist, was damit kommuniziert wird), impliziert, daß es hier keinen Raum der Stimmenthaltung geben darf. Wer etwa Zweifel an der präsentierten Geschichte, die hiermit quasi kanonisiert wird, anmeldet, macht sich verdächtig, nicht nur der “Geschmacklosigkeit”, sondern des mangelnden Mitgefühls, des Schlechtmenschentums, ja womöglich der “Ausländerfeindlichkeit” und anderer häßlicher Dinge, gar vielleicht einer klammheimlichen Sympathie für die Mörder und die Morde. Wer merkt nicht, daß hier der Wurm in tieferen Schichten sitzt? Wem kommt das nicht bekannt vor?
Vor ein paar Wochen hatte ich einen Disput mit einem altlinken, kommunistisch gesinnten Bekannten, mit dem ich mich ansonsten gut verstehe und mit dem man sich auch ohne Kopfeinschlagen freundschaftlich zoffen kann. Als ich ihm auseinandersetzte, warum ich nicht an die offizielle Darstellung der “NSU”-Story glaube und was meine “cui bono”-Überlegungen dazu seien, sah er mich entsetzt an: “Wen verteidigst du hier eigentlich??? Auf welcher Seite stehst du???” – “Niemanden ‘verteidige’ ich. Ich sage nur, daß ich keine Ahnung habe, was die Uwes und die Beate und der VS und die amerikanischen Geheimdienste und türkischen Nationalisten tatsächlich getrieben haben. Ich-weiß-es-einfach-nicht. Ich kann es gar nicht wissen. Und ehe ich das nicht weiß, und der Fall aufgeklärt und vor Gericht verhandelt wurde, mache ich diese Hysterie einfach nicht mit. Ich mache sie auch dann nicht mit, wenn sich irgendwann alles als genauso geschehen herausstellen sollte, wie nun behauptet wird!” – “Aber jeder weiß doch, daß Faschisten Mörder sind! Willst du etwa die faschistischen Mörder verteidigen??”
Sein Affekt war exakt derselbe, wie wenn ich “den Holocaust geleugnet” hätte. Und hier stossen wir auf die tiefere Schicht, warum die “NSU”-Story auf derartige Resonanz und Aufnahmebereitschaft jenseits aller Vernunft und Besonnenheit stößt. Es gibt ein tiefsitzendes psychologisches Bedürfnis der Deutschen, an ihrer “Schuld” festzuhalten, sie sind nicht nur “schuldstolz”, sie sind auch “schuldsüchtig”.
Eine noch heftigere Reaktion bekam ich kurze Zeit später, ebenfalls von einem Menschen aus dem linken Eck, der allerdings weniger geduldig zu diskutieren versteht als mein roter Bekannter und auch weniger Sinn für Humor hat. Dieser rastete geradezu aus, als ich ein weiteres Mal meine Zweifel darlegte, daß die Vorgeführten tatsächlich die Täter seien. “Da wäre ich vorsichtig mit solchen Behauptungen!”, so platzte es hervor mit heftig erregter Stimme. “Da würde ich aufpassen! Das war ja ganz klar, daß niemand sich vorstellen wollte, so ein blonder kurzhaariger Deutscher könnte jemals soetwas Böses tun! Das müssen ja die Kanaken gewesen sein, die sich eh ständig gegenseitig umbringen, so ein guter Deutscher kann das ja gar nicht.”
Das war seine Erklärung, warum die Polizei und die Medien zehn Jahre lang keinen Verdacht geschöpft hatten, es könnten hier rechtsextremistische Motive vorliegen. Ein blindes pro-deutsches Vorurteil quasi hätte sie an der Einsicht gehindert. Nun war ich wirklich baff. Das war originell, so abwegig war es. “Aber die Medien stürzen sich doch mit Leidenschaft auf Stories von deutschen, kurzhaarigen Tätern! Die Medien lieben Nazis! Du siehst ja, was gerade abgeht!” Ein paar Häresien meinerseits später endete das Gespräch in einem heftigen, beiderseitigen Zerwürfnis.
Er dachte außerdem, daß die Polizei und der VS die Täter womöglich aus politischen Sympathien gedeckt hätten, und daß überhaupt fast alle Deutschen latent rassistisch und nazistisch seien. Sein Denksystem war in purem Schwarzweiß angefertigt: hier die ewig schuldigen Deutschen, dort die ewig unschuldigen Ausländer. Es fiel ihm selbst gar nicht auf. Weil ich dieses Schema in Frage stellte, dachte er, seinen Denkstrukturen gemäß, für mich gelte automatisch das glatte Gegenteil: alle Deutschen seien für mich “gut”, alle Ausländer “böse”. In Wirklichkeit war er völlig dem Bild vom ewigschuldigen Deutschen verfallen, das offensichtlich eine heftig belebende und konstitutionelle Wirkung auf ihn hatte.
Ich glaube nun, daß – mit unterschiedlicher Intensität – sehr viele Deutsche so denken, oder vielmehr: fühlen, denn ein “Denken” ist das alles nicht. Hier tobt sich etwas zutiefst Irrationales, Quasireligiöses aus, das sich zunehmend ausbreitet und keine Abseitssteher duldet. Ich bin es müde, das Wort “totalitär” zu benutzen: aber ja, das ist tendenziell ein totalitäres Denken, das sich hier die Bahn schafft, und zu dessen Standardinventar gehören nunmal öffentlich zur Schau gestellte Heucheleien und Bekennerrituale, in denen jeder dem anderen auf die Nase guckt, ob ja eine Träne daran herunterkullert.
Zuletzt also: es war nicht meine Absicht, “geschmacklos” zu sein, sondern in irgendeiner Weise dem ganzen Aberwitz und dem Wortmüll und dem sich stetig ausbreitenden Massenwahn zu antworten. Gegen diese Flut des Irrsinns anzuschreiben, wird Tag für Tag vergeblicher. Mir fällt schier nichts mehr ein dazu. Jeder Höhepunkt wird zuverlässig von immer größeren, immer schamloseren, immer dümmeren Absurditäten und Unsäglichkeiten getoppt. Man fühlt sich wie ein mit Kieselsteinen bewaffneter Zehnjähriger auf der Intifada, auf den ein dicker, fetter, ferngesteuerter Panzer zurollt. Auch wenn das Irrenhaus immer größer wird: man lasse sich nicht blenden. Der Teufel zählt darauf, daß die Tugenden mit ihm kollaborieren, und gerade die braven deutschen Michels beißen hastig an, wenn ihnen der Köder des ethischen Wohlverhaltens geboten wird. Am Kitsch ihrer Sprache werdet ihr sie erkennen, und an ihren Früchten sowieso.
neocromagnon
Ich stimme ganz und gar Herrn Lichtmesz zu.
Hier werden Opfer instrumentalisiert um politische Macht zu festigen. Nicht ein einziges der Worte von Trauer und Anteilnahme ist wahr und wahrhaftig. Es ist eine bombastisch inszenierte Lüge. Eine Betroffenheitsshow, die in Wahrheit eine Herabwürdigung und Beleidigung der Opfer und ihrer Angehörigen darstellt, denn sie dient der Einschwörung und Einschüchterung der eigenen Kohorten gegen den Feind.