“Gemein“ meint hier die „gewöhnliche“, ordinäre Abtreibung. Daneben gibt es freilich Abtreibungen, denen nach medial vermitteltem Empfinden durchaus eine gewisse Skandalträchtigkeit beigemessen wird: Zwangsabtreibungen in China, Mädchenabtreibungen in Indien, die hiesigen (vergleichsweise spärlichen) Spätabtreibungen aufgrund schwerwiegender Behinderungen sowie die meist kraß ausgeleuchteten und als „roh und unvorstellbar“ vorgeführten Fälle nachgeburtlicher Abtreibung, die dann endlich das offiziell-grausame Logo „Kindsmord“ verdienen.
Rund 29.000 Frauen haben hierzulande im ersten Quartal 2012 eine „ordnungsgemäße“, das heißt statistisch überhaupt erfaßte Abtreibung durchführen lassen, ein geringfügiger Anstieg ist zu verzeichnen. Wenn „es“ so weitergeht, sind das wieder um die 120.000 „Wegmachungen“ aufs Jahr gerechnet, runtergerechnet also etwa 450 pro Werktag. Über die Dunkelziffer wissen wir, typisch für Dunkelziffern, wenig. Vor Jahren ging das Statistische Bundesamt davon aus, daß es de facto rund 60% mehr seien. Anders als es absolute Zahlen suggerieren, ist die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche im Vergleich auf die jeweils jährlichen Lebendgeburten seit Jahren leicht im Steigen begriffen.
In der veröffentlichten Lebenswelt ist das gelegentlich eine Randspalte wert. Mehr nicht. Gab es je in den letzten Jahren einen Großartikel in den Leitmedien, gar eine Debatte über das Elend der alltäglichen Abtreibung? Mir wäre dergleichen entgangen. Abtreibung ist ein Tabuthema, das seinesgleichen sucht.
Unter den Tisch fallen dabei nicht nur all die menschlichen Resultate der sogenannten körperlichen Liebe, sondern auch das Leid, das sich oft genug (zuverlässige Zahlen fehlen naturgemäß) an die Sohlen derer heftet, die abgetrieben, eine Abtreibung zugelassen oder nahegelegt haben. Seit der triumphale Schlußstrich-Gestus der „Wir haben abgetrieben!“-Kampagne von 1971 einschlug wie eine Bombe, gilt das reproduktive Selbstbestimmungsrecht der Frau als sakrosankt.
Koste es, was es wolle: für die Abgetriebenen das Leben, für die Entschwängerte und für Paare häufig das Glück, für die solidarisch finanzierten Kassen (die den Abbruch in den allermeisten Fällen tragen) konkret rund 450 Euro pro „Fall“, freilich exklusive „Vor- und Nachsorge“.
Die spärlichen Grüppchen, die sich heute und hierzulande als vitale Lobby der notsuchenden Frauen und ihrer (darf man solch ein krasses Wort schreiben?) Leibesfrucht begreifen, kämpfen auf einsamem Posten. Wenn es auch eine Mehrheit der Frauen gibt, die eine Abtreibungslösung für sich strikt ablehnen würden: Die, die „das Kind beim Namen nennen“ und schwangere Frauen zur (oft erneuten) Mutterschaft ermutigen wollen, erhalten keine Stimme. Sie sitzen nicht in Talkshows, können keine Artikel in relevanten Zeitungen veröffentlichen, ihre Bemühungen um ungewollt schwangere Frauen versanden in Nischen, auf Internetforen, in Stiftungen und Vereinen, die nur einen Bruchteil der Hilfesuchenden erreichen.
Bei 1000 plus, einer enorm agilen und unterstützungswerten Schwangerenberatung, schrieben sie einmal sinngemäß: Im Grunde will keine Frau abtreiben. Sie hat nur keine andere Lösung gefunden. Ich halte dieses Diktum nicht für suggestiv, sondern für wahr.
Es gilt: Einer Frau, in deren Lebensplan das sich ankündigende Kind vorerst keinen Platz hat, darf nicht „reingeredet“ werden, und sei es in wohlwollendster Weise. Eine andere als wohlwollende Hilfestellung ist mir von keiner einzigen deutschen Lebensrecht-Bewegung bekannt, es gibt – anders als etwa in den USA – hier keine Lebensschützer, die abtreibungswillige Frauen bedrohen, beschimpfen oder auch nur verächtlich machen.
Daß der umgekehrte Weg – die vulgäre Schmähung von Lebensrechtlern – sogar mit genußvoller Polemik begangen werden kann, auf prominentem Podium, durfte zuletzt eine haßerfüllt-frustrierte Sibylle Berg auf spiegel-online vorführen. Die Berg schrieb sich hier in Rage über eine „wackere Frau mit Schüttelfrisur“ (gemeint: ein dämliches Muttchen, extrem unsexy), die mit ihren Kindern in aufrüttelnder Absicht an einem „Marsch fürs Leben“ teilnahm. Ob man „jeden Furz“ (noch mal: es ging um Abtreibungen und den Mut, sich dagegen zu entscheiden) öffentlich machen müsse, fragte die schüttelfrisurfreie Schriftstellerin hämisch.
In Bergs trauriger Weltsicht „eiern“ diese quasi-perversen Lebensschützer also
„durch Deutschland und offenbaren mit ihren als Schutzschilde missbrauchten Kindern, die vielleicht nichts mehr wollen als angesichts der ockerfarbenen Mutter wieder in die Dunkelheit des Universums zu fliehen, das größte Missverständnis des Menschen.“
Weil die demonstrierende Mutter innerhalb einer kleinen Gruppe unterwegs war, sieht Berg „die Selbstgerechtigkeit des Einzelnen zur Pest“ werden, da
„sich aus ihm Gruppen ähnlich Denkender bilden. So entsteht jeder Dreck auf der Erde und der besonnene Mensch, der ab und zu kurz Luft holt, wenn er sich wieder einmal überlegen wähnt, denkt: Gebärt doch, ihr Bratzen! Lasst Kinder aus euch rausflutschen, dass es nur so kracht. (…) Aber tut es doch einfach still, und lasst andere Menschen mit eurem Hobby in Ruhe. Lasst andere die Pille nehmen, abtreiben, nicht gebären, es ist doch nicht euer verdammtes Problem. Es gibt keinen vernünftigen Grund, die Erde weiter zu bevölkern, es gibt kein Grundrecht auf Lebensherstellung.“
Wenn es nun Hunderttausende wären, die Woche für Woche mit herausgekreischten Lebensrechtparolen durch die Städte zögen, stets direkt an Sibylle Bergs Haus vorbei, und Berg würde in einem Nischenorgan ihren Wutkrampf publizieren – man würde milde urteilen: Gut, diese Frau hat das vielleicht nötiger, als wir ahnen; soll sie es rauslassen, habt Mitleid, übt Nachsicht!
Im realen Fall allerdings gebührt das Mitleid nicht der kinderlos Krakeelenden, sondern denen, die im Stillen und mit bescheidener Wirksamkeit (immerhin!) das Unzeitgemäße und lebensbejahende tun, dem Gemeinschaftprojekt 1000plus mit seiner wirklich rührigen, dabei hochprofessionellen online-Beratung oder- unter spärlichen anderen ähnlich tapferen Projekten – dem Verein Durchblick und der Aktion Lebensrecht für Alle.
Letzere beiden Initiativen haben vergangenen Samstag mit einer Kundgebung in Memmingen auf die Abtreibungsnot aufmerksam gemacht: 1014 Paar Kinderschuhe wurden aufgestellt – so viele Ungeborene wurden allein in Bayern 2011 durchschnittlich pro Monat abgetrieben. Zwei Rednerinnen wagten den Tabubruch: Sie berichteten von ihren Abtreibungen und der schweren Not, in der sie sich hernach fanden.
Auch das muß man sich mal vorstellen: Das Post-Abortion-Syndrom ist in den medizinischen Diagnoseschemata nicht vorgesehen! Die gängigen Diagnose- undAbrechungsnummerlisten erfassen alle möglichen Befindlichkeitsstörungen (etwa psychosoziale Nöte aufgrund von Wohnungsproblemen oder schlicht antisoziales Verhalten), eine Depression in Folge von Tötung der eigenen Leibesfrucht hingegen gilt als Finte der Lebensschützer, die in Verdacht gestellt werden, den Frauen ein „schlechtes Gewissen“ erst einzureden.
Seit Karin Strucks furios unbeherrschtem Auftritt in einer Talkshow (1992 schleuderte sie in einer von „Stückzahlen“ sprechenden Angela Merkel ein volles Glas Wasser entgegen) ist es verdammt still geworden um das Elend der ganz alltäglichen Abtreibungen. Bizarr ist ganz nebenbei, daß solche zutiefst verlogenen Rechtsbeschlüsse in der BRD durchaus Jahrzehnte lang Bestand haben können, ohne daß sich einer muckt: Eine Abtreibung ist illegal, doch sie bleibt straffrei. Was ist das: Gönnerhaftigkeit, Duldertum oder feiste Bequemlichkeit?
Petra
Auch im Lebensschutz, besonders beim Thema Abtreibung, versagt die CDU total.