Mosebach (der allerdings schon zuvor etliche Preise, darunter den Kleist-Preis, erhalten hatte) dürfte durch die mit dem Büchner-Preis verbundene Publizität erstmals in den Blick mancher Deutschlehrer gekommen sein, die sonst wohl noch nie etwas von ihm gehört hatten. Auch dies ist höchst erfreulich, erweitert sich so doch das Spektrum dessen, was und wie in Deutschland geschrieben und gesagt werden kann. Mosebachs Romankunst mag nicht jedermanns Geschmack sein – und so nörgeln manche auch an seinem Stil herum -, wer aber Freude an subtilen Beobachtungen und leicht mäandernden Erzählungen hat, wird an und in seinen Romanen vieles finden, das die Lektüre lohnt. Vom Stilbewußtsein, das er mit seiner Sprache zelebriert, kann es unter den Bedingungen der liberalen Formlosigkeit und Wurstigkeit vorerst nicht genug geben – der Stil ist keine Nebensache, sondern mit seiner bewußten Bevorzugung der Schönheit vor der „Wirklichkeit” eine humane Tat. Denn wer weiß, daß sich die Seele des Menschen an der Schönheit nährt, wird skeptisch sein müssen, wenn Literatur nur die grell ausgemalte Verdopplung der Häßlichkeit der Moderne bietet.
Der Romancier und Essayist Mosebach hat ein feines Empfinden für das Schöne und Erhabene inmitten faktisch überlebter Ordnungen. Und auch noch dort, wo Mosebach eine solche Ordnung in ihrem verglühenden Glanz detailfreudig schildert – wie etwa das indische Königtum in dem Roman Das Beben (2005) -, geschieht dies mit Verehrung oder doch jedenfalls dem Gefühl für die unbestreitbare Würde dessen, was dem modernen Empfinden oft nur als bloße Lächerlichkeit erscheint. Mosebach leugnet nicht das Lächerliche, fügt diesem aber jene zu achtende Tiefendimension hinzu, ohne die auch das Lächerliche kaum Anspruch auf unser Interesse hätte.
Als Romancier bevorzugt Mosebach oft die leiseren Töne und langen Abschweifungen, zugleich aber sind seine Romane eminent welthaltig im Sinne Armin Mohlers, etwa Eine lange Nacht (2000), der zu seinen besten gehört. Beachtenswert ist auch der poetisch eindringliche Roman Die Türkin (1999), der einerseits an der Faszination des exotischen Orients partizipiert, andererseits aber auch eine Parabel auf die Undurchschaubarkeit des kulturell Anderen präsentiert, trotz immer neuer Anläufe des Verstehens und des Glaubens, nun endlich verstanden zu haben. Mosebach ist weiter der im guten Sinne boshafte Autor, der mit Vorgängertexten spielt, um ihr Deutungspotential auf überraschende Weise auszureizen und erfrischende, ja befreiende Perspektiven zu eröffnen. Dies gilt vor allem für sein groteskes Lesedrama Rotkäppchen und der Wolf (2006), dessen begnadeter Interpret Mosebach auch selbst ist (Hörbuch erwünscht!).
Es gilt dann für die parodistische Anverwandlung der fatalen Versöhnungsrede Richard von Weizsäkkers vom 8. Mai 1985 in einem Dialog unter zerstrittenen Eheleuten. Diese werfen sich, nachdem ihr Pfarrer ihnen den Text der Rede zukommen ließ, mit wahrer Inbrunst deren Phrasen und Platitüden an den Kopf – es handelt sich dabei gewissermaßen um Mosebachs Liberalismuskritik durch die Tat: Die Rede von der Versöhnung ist nicht das Ende des Streits, sondern dessen Fortsetzung mit den Mitteln der gutmenschlichen Heuchelei („Der achte Mai – Wie eine große politische Rede zu praktischer Lebenshilfe für die Vielen werden könnte”, in: Gustav Seibt [Hrsg.]: Demokratisch reden. Parlament, Medien und kritische Öffentlichkeit in Deutschland, Valerio 2/2005, Göttingen: Wallstein).
Dann gibt es noch den „katholischen” Mosebach der Häresie der Formlosigkeit (zuletzt 2007), der sich auf der Grundlage einer Phänomenologie des Ästhetischen, die Sein und Schein in eins setzt oder jedenfalls nicht zu trennen bereit ist, für die lateinische Liturgie und gegen die ästhetischen Sünden im Bereich der katholischen Kirche einsetzt. Dieser Kampf ist nicht konservativ, sondern reaktionär und dadurch avantgardistisch, wie Mosebach betont, denn die alte Liturgie sei bereits zerstört gewesen und konnte daher nicht mehr bloß bewahrt werden. Der Vorwurf des Ästhetizismus, den man gegen Mosebach erhoben hat, aber beruht auf einem Mißverständnis; denn für Mosebach ist im Schein des Ästhetischen zugleich die Wahrheit aufgehoben. Es gibt für ihn keine Trennung der Sphären – das Häßliche ist zugleich und notwendig das Unwahre.
Und schließlich der Essayist und Redner, der vor allem in dem schlicht und ergreifend und programmatisch betitelten Band Schöne Literatur hervortritt, jener Mosebach, der den großen Romancier Heimito von Doderer stark macht und der unermüdlich dafür gewirkt hat, daß das reaktionäre Denken im besten Sinne, das heißt etwa eines Nicolás Gómez Dávila, in Deutschland eine Heimstätte gefunden hat (Das Leben ist die Guillotine der Wahrheiten. Ausgewählte Sprengsätze, Frankfurt a.M. 2006). „Reaktionär ist der Glaube an die Imperfektibilität des Menschen”, betont Mosebach immer wieder, und nicht zuletzt wegen dieser Unvollkommenheit des Menschen ist ihm zu mißtrauen. Auf dieser Linie liegen auch seine Betrachtungen über Georg Büchner Ende Oktober in Darmstadt, in denen er gleichsam die reaktionären Komponenten in Büchners Revolutionsdramatik herausarbeitet und zugleich auf die Schattenseiten der Moderne im Gefolge des Terreur der Französischen Revolution zu sprechen kommt („Saint-Just. Büchner. Himmler”, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 30. Oktober 2007). Kaum waren seine Worte verhallt, fühlten sich auch Unberufene wie der Berliner Historiker Heinrich August Winkler zur Verteidigung ihres „langen Weges nach Westen” bemüßigt, weil nicht sein kann, was nicht sein darf – daß nämlich die Aufklärung notwendig ihre dunkle Seite hat. Mosebach, so die lahme Kritik, habe eine reaktionäre Rede gehalten.
Mosebachs Werk ist – auch dann, wenn es dem Leser als ein bloßes, mit feinen Fäden gesponnenes filigranes Netz erscheint – der Erkenntnis der Lage gewidmet (Der Mond und das Mädchen, München 2007). Allein, eine Lage wird nie einfach nur erkannt, sondern auch geschaffen. Mosebach hat mit seinem Schreiben, das lange wenig Aufmerksamkeit erhielt, die Lage zuallererst mitgeschaffen, die die Verleihung des Büchner-Preises an ihn überhaupt möglich machte.