Heideggers Revolution

pdf der Druckfassung aus Sezession 44 / Oktober 2011

von Harald Seubert

I.

Ein zweifacher Irrtum, der sich mit dem Thema verbinden könnte, ist abzuwehren: Zum einen kann ein Denker vom Rang Heideggers...

nicht unter eine zeit­lich beding­te, poli­tisch ideo­lo­gi­sche Rich­tung wie die Kon­ser­va­ti­ve Revo­lu­ti­on sum­miert wer­den. Bedeu­ten­de Phi­lo­so­phie ent­fal­tet sich in der Per­spek­ti­ve von Jahr­tau­sen­den, nicht von Jahr­zehn­ten. Gera­de an Heid­eg­ger wird dies sinn­fäl­lig. Sein Haupt­werk Sein und Zeit (1927) ent­wi­ckelt eine »Gigan­to­macheia tes ousi­as«, den Gigan­ten­kampf um die Wahr­heit des Seins. Und nicht Kier­ke­gaard, schon gar nicht Speng­ler, Moel­ler van den Bruck oder ande­re Zeit­ge­nos­sen sind sei­ne Gesprächs­part­ner, son­dern Pla­ton, Aris­to­te­les, Kant und Hegel. Es kommt hin­zu, daß Poli­ti­sche Phi­lo­so­phie für Heid­eg­ger nicht eigent­lich Den­ken sein konn­te. Von hier her wider­setz­te er sich, gera­de auch in sei­ner Nietz­sche-Deu­tung, der für das Hit­ler-Regime kenn­zeich­nen­den Umfäl­schung von Phi­lo­so­phie in »Welt­an­schau­ung«. Umge­kehrt ist aber auch dem Irr­tum zu wider­spre­chen, Heid­eg­ger sei ein »unpo­li­ti­scher« Den­ker in der Tra­di­ti­on »deut­scher Man­da­ri­ne« gewe­sen. Gera­de bei ihm ist das Beben des Ers­ten Welt­kriegs von Beginn an sub­stan­ti­el­ler Bestand­teil des Den­kens, des­sen Erschüt­te­rung übri­gens an den neu­kan­ti­a­ni­schen Phi­lo­so­phen der Kul­tur – wie Ernst Cas­si­rer, sei­nem Gegen­spie­ler in der legen­dä­ren Dis­pu­ta­ti­on im März 1929 in Davos – vor­über­ging. Seit den Anfän­gen sei­nes Denk­wegs legt Heid­eg­ger einen unver­kenn­ba­ren Akut auf das »Heu­te«. Phi­lo­so­phie ist sie selbst nur, wenn sie Phi­lo­so­phie ihrer Zeit ist, hat er betont. Dies ver­ken­nen jene, die, ähn­lich wie es bei Nietz­sche der Fall ist, ihn ent­schär­fen wol­len, um ihn zu ret­ten; auch deren Krei­se rei­chen weit.

II.

Heid­eg­gers Berüh­run­gen mit Gedan­ken­fi­gu­ren der Kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­ti­on sind unstrit­tig und nach­weis­bar. Sie blei­ben aller­dings, wie mir scheint, eher am Rand sei­ner eige­nen, genui­nen Revo­lu­ti­on. Schon in den frü­hen Frei­bur­ger Pri­vat­do­zen­ten­vor­le­sun­gen (WS 1921/22) ver­weist er auf Speng­ler im Zusam­men­hang damit, daß »die heu­ti­ge geschicht­li­che Zeit« in Fra­ge und im Streit ste­he. Speng­ler leh­re gera­de, »daß man das Bewußt­sein einer Zeit selbst nicht theo­re­tisch-wis­sen­schaft­lich … ›erle­di­gen‹ kann wie eine ver­kehr­te Theo­rie«. Doch scheue Speng­ler in sei­ner Ret­tung der Zivi­li­sa­ti­on vor den Kon­se­quen­zen sei­nes eige­nen Den­kens zurück, und beschwich­ti­ge mit der Aus­sicht, daß der zivi­li­sa­to­ri­sche Betrieb beru­higt wei­ter­ge­hen könne.

Ernst Nol­te und Pierre Bour­dieu, zwei wahr­haft ein­an­der ent­ge­gen­ge­setz­te Geis­ter, haben prä­gnant auf die­se kon­ser­va­tiv revo­lu­tio­nä­ren Züge Heid­eg­gers hin­ge­wie­sen. Jene Momen­te äußern sich dar­in, daß Heid­eg­ger in sei­ner Kon­zep­ti­on einer Neu­be­sin­nung der Uni­ver­si­tät unmit­tel­bar nach dem Ers­ten Welt­krieg Momen­te bün­di­scher Jugend­be­we­gung und einer exis­ten­ti­el­len Gemein­schaft der Leh­ren­den und Ler­nen­den, ver­bun­den mit höchs­tem Sachernst, ein­for­dert – als Anti­do­tum ermü­det ermü­den­der aka­de­mi­scher Kul­tur­be­trieb­sam­keit. Inso­fern ord­ne­te sich Heid­eg­ger kei­nes­wegs in die geheim­rät­li­che Pro­fes­so­ren­schaft ein, der der Mes­ner­sohn aus Meß­kirch von sei­ner Her­kunft her ohne­dies fern­stand. Sein Ges­tus war, nach den Lehr­jah­ren bei Rickert und im Kräf­te­mes­sen mit Huss­erl, »das Gest­ri­ge radi­kal [zu] über­win­den«. Die berühm­te Rek­to­rats­re­de von der »Selbst­be­haup­tung der deut­schen Uni­ver­si­tät« (1933) setzt die­se Linie fort.

Unstrit­tig ist gera­de die Zivi­li­sa­ti­ons- und Libe­ra­lis­mus­kri­tik (im wei­tes­ten Sinn einer geis­ti­gen Deka­denz) ein Heid­eg­ger und den Ver­tre­tern Kon­ser­va­ti­ver Revo­lu­ti­on gemein­sa­mer Zug. Sie führt in das – bis in die Spät­zeit unver­än­der­te – Zen­trum sei­nes Den­kens. Schon in einem der frü­hes­ten Zeug­nis­se, der Meß­kir­cher Rede über Abra­ham a Sanc­ta Cla­ra (1910), ver­weist er auf die »grund­stür­zen­de Neue­rungs­wut«, die tech­no­mor­phe Moder­ne als eine »Zeit der Außen­kul­tur und der Schnel­le­big­keit«, deren Lebens­sinn auf »Außen­rei­ze« gerich­tet sei. Heid­eg­gers spä­te Phi­lo­so­phie der Tech­nik als des pla­ne­ta­ri­schen, sinn- und sicht­lo­sen »Gestells«, in dem die Welt zu einem Irr­stern wer­de, ist eben­so von die­ser Zivi­li­sa­ti­ons­kri­tik bestimmt.

Wenn Heid­eg­ger in der Davo­ser Dis­pu­ta­ti­on mit Cas­si­rer wie­der­holt ein­for­der­te, die Din­ge müß­ten auf den Kopf gestellt wer­den, dann berei­tet sich eine Ein­sicht vor, die am Wen­de­punkt des Zwei­ten Welt­kriegs zu letz­ter Kennt­lich­keit gebracht ist. In sei­ner Hera­klit-Vor­le­sung (SS 1943) wird Heid­eg­ger for­mu­lie­ren: »Der Pla­net steht in Flam­men. Das Wesen des Men­schen ist aus den Fugen. Nur von den Deut­schen kann, gesetzt, daß sie ›das Deut­sche‹ fin­den und wah­ren, die welt­ge­schicht­li­che Besin­nung kom­men.« Dies Wesent­li­che aber sei die Geschich­te des Seins selbst, die im Den­ken und emi­nent im dich­te­ri­schen Wort zu ver­wah­ren sei, um dadurch dem Ansturm der Kon­tin­genz stand­zu­hal­ten. Anders als für Ernst Jün­ger war für Heid­eg­ger der Kampf nicht »inne­res Erleb­nis«. Er hat­te nur – zeit­lich sehr begrenz­te – Etap­pen­er­fah­run­gen. Er arti­ku­liert auch nicht ein­fach eine posi­ti­ve Beur­tei­lung des Krie­ges gegen­über dem Pazi­fis­mus und nega­ti­ven Kriegs­bild der Lin­ken, wie Nol­te meint. Heid­eg­ger sieht den Krieg viel­mehr als Ver­häng­nis und Geschick glei­cher­ma­ßen. Mit der Mate­ri­al­schlacht ist der Nietz­sche­sche »Wil­le zum Wil­len« aus der Meta­phy­sik in die Wirk­lich­keit ein­ge­gan­gen. Und dem hat das Den­ken gewach­sen zu sein.

Pri­va­te Äuße­run­gen, im Brief­wech­sel mit der Ver­trau­ten Eli­sa­beth Bloch­mann, aber auch Gesprächs­re­mi­nis­zen­zen geben noch wei­ter­ge­hen­de Affi­ni­tä­ten zwi­schen Heid­eg­ger und kon­ser­va­tiv revo­lu­tio­nä­ren Auf­fas­sun­gen zu erken­nen. Hier­aus kann man unter ande­rem ent­neh­men: Heid­eg­ger wuß­te unstrit­tig um die Macht des Bol­sche­wis­mus. Doch über­traf sei­ne Libe­ra­lis­mus­kri­tik die am Bol­sche­wis­mus im Sin­ne einer Schär­fe der Ver­ächt­lich­keit, die dem Feind nicht zukommt, wohl aber dem Defä­tis­ten. An die Freun­din Bloch­mann schreibt Heid­eg­ger 1932 im Blick auf Brü­ning und die Ago­nie der Repu­blik: »Kom­mu­nis­mus u. a. ist viel­leicht grau­en­haft, aber eine kla­re Sache – Jesui­tis­mus aber ist – ver­zei­hen Sie – teuf­lisch.« Und zu Recht wird immer wie­der auf ein Gespräch auf der Hüt­te von Todt­nau­berg zu Sil­ves­ter 1931/32 hin­ge­wie­sen, von dem der Schü­ler Her­mann Mör­chen Heid­eg­gers Ein­las­sung so wie­der­gibt: »Und so läßt ihn wohl wesent­lich sein Abscheu vor aller mit­tel­mä­ßi­gen Halb­heit von der Par­tei etwas erhof­fen, die etwas Ent­schie­de­nes zu tun und damit vor allem dem Kom­mu­nis­mus wirk­sam ent­ge­gen­zu­tre­ten ver­spricht. Demo­kra­ti­scher Idea­lis­mus und Brü­ningsche Gewis­sen­haf­tig­keit könn­ten, wo es ein­mal so weit gekom­men sei, nichts mehr schaf­fen. So müs­se heu­te eine Dik­ta­tur … gut gehei­ßen wer­den.« An die­ser Stel­le zeigt die Berüh­rung Heid­eg­gers mit der Kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­ti­on ein irri­tie­ren­des, aber zwin­gend zu notie­ren­des Resul­tat: Er soll­te gegen die Rea­li­tä­ten des NS-Staa­tes pole­mi­sie­ren, eben weil sie die Dimen­si­on des pla­ne­ta­ri­schen Geschicks ver­fehl­ten und damit nicht radi­kal genug waren. Mit­hin über­traf Heid­eg­ger, wie man­che der Kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­tio­nä­re, die klein­bür­ger­li­che NS-Revo­lu­ti­on an Rigi­di­tät. Gera­de dies, und nicht eine bür­ger­li­che Ein­he­gung, kenn­zeich­ne­te alles in allem auch sein Rektorat.

Und in die­sem Sin­ne sind sei­ne sar­kas­ti­schen Bemer­kun­gen in der Meta­phy­sik-Vor­le­sung von 1935 zu ver­ste­hen, wonach die Rea­li­tät hin­ter der »Grö­ße der Bewe­gung« zurück­ge­blie­ben sei; übri­gens jener Text, den der jun­ge Haber­mas 1953 anläß­lich der unver­än­der­ten Edi­ti­on des alten Kol­legs an den Anfang sei­ner Heid­eg­ger-Invek­ti­ve rück­te. Man muß aber nach der Rich­tung die­ser Radi­ka­li­tät fra­gen. Dann läßt sich frei­lich kon­sta­tie­ren, daß sie auch zum Movens von Heid­eg­gers rigi­der – und oft­mals sar­kas­ti­scher – Pole­mik in den Vor­le­sun­gen der vier­zi­ger Jah­re wur­de: Hit­lers Regime erscheint als Teil der tech­nisch maschi­na­len Welt­zu­stel­lung, nicht als deren Über­win­dung; ein impe­ria­ler Krieg ist der Fra­ge der Zeit nicht gewach­sen, Bio­lo­gis­mus und Vita­lis­mus sind retro­gra­de Deka­denz­for­men der Ideo­lo­ge­me des 20. Jahr­hun­derts. Sie haben nichts gemein mit dem »ande­ren Anfang«, der dem Den­ken auf­ge­ge­ben ist. Schon der Rek­tor Heid­eg­ger hielt sich die Par­tei­stu­den­ten vom Hals, die Welt­an­schau­li­ches zu hören wünsch­ten. Er eröff­net sein Kol­leg im Som­mer 1933 mit dem legen­dä­ren Satz: »Ich lese Logik.«

 

III.

1. Heid­eg­gers Revo­lu­ti­on ist eine Revo­lu­ti­on des Den­kens. Dar­an führt kein Weg vor­bei. Und es scheint wenig über­zeu­gend, wenn in kul­tu­ra­lis­ti­schen Les­ar­ten die Kate­go­rien und Denk­for­men von Sein und Zeit und eige­ner Grund­tex­te auf »Schlag­wor­te« wie Tat­be­reit­schaft, Akti­vis­mus und Gelas­sen­heit brin­gen wol­len. Heid­eg­ger selbst hat über »Schlag­wor­te« das Nöti­ge gesagt.

Die »Revo­lu­ti­on« setzt aber eben dort ein, wo Heid­eg­ger die Phi­lo­so­phie auf »exis­ten­ti­el­le Bezeugt­heit« ver­pflich­tet. Dies ver­bin­det sich mit der Radi­ka­li­sie­rung der Huss­erl­schen For­mu­lie­rung strik­ter Sach­lich­keit auf den Selbst­voll­zug des Seins im Dasein. Dies bedeu­tet, kurz gesagt, die Ver­ab­schie­dung eines pri­mär theo­re­ti­schen welt­ab­ge­wand­ten Den­kens. Den­ken selbst ist Hand­lung – und damit auch Schuld. Und es ist geschicht­lich gegrün­det. Völ­lig ver­fehlt ist es des­halb, Heid­eg­ger einen Solip­sis­mus zuzu­wei­sen. In § 74 von Sein und Zeit ent­wirft er expli­zit die Exis­ten­zi­al­ka­te­go­rie des »Mits­eins mit ande­ren«, die mit dem Dasein immer mit­ge­ge­ben ist. Sie schließt auch die Bezo­gen­heit auf den Gene­ra­tio­nen­zu­sam­men­hang und auf ein Volk mit ein.

In die­sem Sinn heißt es in der Schlüs­sel­vor­le­sung von 1929/30, die Auf­ga­be des Phi­lo­so­phie­rens sei nicht, »das Bewußt­sein des Men­schen zu beschrei­ben, son­dern das Dasein im Men­schen zu beschwö­ren«. Und bereits in Sein und Zeit kann man lesen: »Die Seins­art des Daseins for­dert … von einer onto­lo­gi­schen Inter­pre­ta­ti­on … , daß sie sich das Sein die­ses Sei­en­den gegen sei­ne eige­ne Ver­de­ckungs­ten­denz erobert. Die exis­ten­zia­le Ana­ly­se hat daher für die Ansprü­che bzw. die Genüg­sam­keit und beru­hig­te Selbst­ver­ständ­lich­keit der all­täg­li­chen Aus­le­gung stän­dig den Cha­rak­ter einer Gewalt­sam­keit«. Heid­eg­ger hat von hier her, in Abhe­bung von den klas­si­schen phi­lo­so­phi­schen Tra­di­tio­nen, Kate­go­rien nicht als Erkennt­nis­for­men, son­dern als Kate­go­rien der Exis­tenz (Exis­ten­tia­li­en) expo­niert. Wahr­heit hat Heid­eg­ger bekannt­lich zuerst ver­bal inter­pre­tiert, als veri­fie­ri, bzw. ori­gi­när grie­chisch als aletheu­ein. Was dies bedeu­tet, hat er so erläu­tert: »Die Wahr­heit (Ent­de­ckend­heit) muß dem Sei­en­den immer erst abge­run­gen wer­den. Das Sei­en­de wird der Ver­bor­gen­heit ent­ris­sen. Die jewei­li­ge fak­ti­sche Ent­de­ckend­heit ist gleich­sam immer ein Raub.« Im Sin­ne der grie­chi­schen Wort­be­deu­tung von a‑letheia ist Wahr­heit »Un-ver­bor­gen­heit«, also die sel­te­ne und dar­um im Sinn eines Hera­klit-Frag­ments edle Lich­tung des Seins, das an sei­nem Grund ver­bor­gen ist. Jene Erschlos­sen­heit ist aber kei­nes­wegs selbst­ge­ge­ben. In das Eige­ne, und damit den nicht gedach­ten Anfang, gelangt das Den­ken nur, indem es sich die Kon­tin­genz sei­nes eige­nen Geworfen­seins aneig­net und sich in sei­ner Kon­tin­genz entwirft.

Nicht zuletzt in sei­nem Zeit­ver­ständ­nis zeigt sich Heid­eg­gers Denk-Revo­lu­ti­on. Die an das »Man« ver­fal­le­ne Öffent­lich­keit füh­re Zeit auf eine flüch­ti­ge Brei­te zurück: Heid­eg­ger hat dem­ge­gen­über den ursprüng­lich eksta­ti­schen Begriff der Zeit­lich­keit als Rück­gang in das unver­lier­bar Gewe­se­ne und zugleich als Vor­aus­lau­fen in die Zukunft der eigens­ten Mög­lich­kei­ten begrif­fen, die sich als »Vor­lauf zum Tode« kon­kre­ti­siert: als eksta­ti­sche Über­kreu­zung von Her­kunft und Zukunft. Völ­lig ver­fehlt ist es daher, Heid­eg­gers Daseins­ana­ly­se auf die solip­sis­ti­sche Sub­jekt­struk­tur zu beziehen.

Auch dies ist zu beden­ken: Heid­eg­ger hat in das Zen­trum sei­nes Ver­ste­hens­be­griffs die »Destruk­ti­on« gerückt. Dies bedeu­tet, daß die ursprüng­li­che Sache selbst nur frei­ge­legt wer­den kann, wenn ihre Ver­schie­bun­gen und Ummän­te­lun­gen destru­iert wer­den. Destruk­ti­on ist auch die Ant­wort auf eine aus den Fugen gera­te­ne Welt, in der, anders als Heideg¬gers Schü­ler Hans-Georg Gada­mer es woll­te, die har­mo­ni­schen Lini­en der Tra­di­ti­on kei­ne Ver­bind­lich­keit mehr haben. Post­mo­der­ne »Dekon­struk­ti­on« (Der­ri­da), die die Grund­fra­gen ein­klam­mert und sich auf die For­ma­li­tät des Zei­chen­ge­brauchs bezieht, wird sich schwer­lich legi­tim auf Heid­eg­ger beru­fen kön­nen. Sei­nen Zugriff nann­te Heid­eg­ger – in einer durch­aus strit­ti­gen Kate­go­rie – »Gewalt brau­chen­de Interpretation«.

2. Hat Heid­eg­ger sei­ne Revo­lu­ti­on jemals revi­diert? Die gän­gi­ge Unter­schei­dung in Heid­eg­gers fun­da­men­tal­on­to­lo­gi­sches und sein seins­ge­schicht­li­ches Den­ken, so als hand­le es sich um zwei Pha­sen, scheint die­se Ver­mu­tung nahe­zu­le­gen, die doch mehr als ver­fehlt ist. Das Heid­eg­ger­sche Epi­the­ton der »Keh­re« weist kei­nes­wegs auf eine sol­che Peri­odi­sie­rung hin. Viel­mehr signa­li­siert sie, gemäß dem Par­men­i­des-Wort, wonach Hin- und Rück­weg ein und das­sel­be sei­en, daß ein und der­sel­be Weg in zwei Rich­tun­gen durch­mes­sen wird, wobei die seins­ge­schicht­li­che Wen­dung aller­dings die von Heid­eg­ger erst all­mäh­lich in den Blick gebrach­te Vor­aus­set­zung der Fra­gen nach dem Dasein als jenem Sei­en­den, dem es in sei­nem Sein um dies Sein selbst geht, auf­wirft. In der »Keh­re« kommt die Denk-Revo­lu­ti­on Heid­eg­gers aller­erst zu sich, und dies bedeu­tet, daß das inne­hal­ten­de, »gelas­se­ne« Den­ken nicht, wie gedan­ken­lo­se Ent­wick­lungs­ge­schich­ten glau­ben machen könn­ten, Resul­tat einer Revi­si­on des frü­hen Revo­lu­ti­ons-Den­kens ist, son­dern dies erst eigent­lich in sein Eigens­tes bringt. Dies bedeu­tet frei­lich auch, daß das Dasein selbst in das Sein zurück­ge­nom­men wird. Nicht »Ent­schlos­sen­heit«, son­dern eine Ver­hal­ten­heit, die sich zu opfern weiß, wird es auszeichnen.

Der spä­te Heid­eg­ger hat sich frei­lich auch dar­über Rechen­schaft abge­legt, daß die Fra­ge des »ande­ren Anfangs« unge­dacht und dar­um das eigent­lich erst zu Den­ken­de geblie­ben sei; nicht ein­mal in den dich­te­ri­schen Anfän­gen des anti­ken Den­kens sei Wahr­heit nicht-pro­po­si­tio­nal, als »alet­heia« gedacht gewe­sen, gesteht er sich nun über­ra­schen­der­wei­se ein.

Auf die­sen Un-grund das ver­bor­ge­ne künf­ti­ge Den­ken zu grün­den, erin­nert in der Tie­fen­di­men­si­on erst recht an einen Impe­tus der Kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­ti­on; zumal Heid­eg­ger mit ganz ähn­li­chen Wor­ten das Abend­land – und Deutsch­land in sei­nem Zen­trum – als das Land der Unter­gän­ge deu­te­te, das eben dar­um sei­nen Auf­gang noch vor sich hätte.

*

Ernst Nol­te hat einst, auch aus der Erfah­rung des auf­merk­sa­men Hörers der letz­ten Kriegs­jah­re, Heid­eg­ger als »einzige[n] genuine[n] Meta­phy­si­ker des 20. Jahr­hun­derts« begrif­fen – und dies im Wis­sen, daß Heid­eg­gers Destruk­ti­on die Meta­phy­sik zu »ver­win­den«, nicht frei­lich zu »über­win­den« such­te. Und er hat dar­aus eine Kon­se­quenz gezo­gen, die in der Tat geeig­net ist, die tri­vi­al anklä­ge­ri­schen Invek­ti­ven, die sich noch je mit der The­ma­tik »Heid­eg­ger und der Natio­nal­so­zia­lis­mus« ver­bin­den, in phi­lo­so­phi­sche Ein­sicht zu füh­ren: »Der Fra­ge ›Was kann ›Kon­ser­va­ti­vis­mus‹ nach der Kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­ti­on noch sein?‹ ent­spricht auf einer höhe­ren und all­ge­mei­ne­ren Ebe­ne die Fra­ge ›Kann es nach Heid­eg­ger noch ein meta­phy­si­sches Den­ken geben?‹«

Inso­fern Kon­ser­va­ti­ve Revo­lu­ti­on nach der Bestim­mung von Hugo von Hof­manns­thal Sache der »Suchen­den« und »Geis­ti­gen« ist, hat ihr Heid­eg­ger ihre phi­lo­so­phi­sche Kraft, gleich­sam ihre Jahr­tau­send­per­spek­ti­ve, gegeben.

 

 

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