In der Presse, deren wichtigste Organe allesamt reagierten, wurden daraus »rassistische Parolen«, die Tanzeinlage sei gar ein »rassistischer Übergriff« gewesen, in den Aktivisten sah man wahlweise »neue Rechte«, »Rechtsextremisten« oder »Neonazis«. Kurz darauf bekannte sich die Gruppe »Die Identitären« auf ihrer Netzseite zu der Aktion und gab folgende Erklärung ab: »Wir nennen uns identitär, weil es uns um den Erhalt unserer eigenen Identität geht – das hat nichts mit Haß auf andere zu tun. Wir glauben nicht, daß eine Kultur besser ist als die andere – wir glauben aber an das Überlebensrecht unserer Kultur. … Wir sind nicht gegen kulturelle Vielfalt, aber wir kritisieren die unbeschränkte Massenzuwanderung nach Europa. Gerade weil wir einen rein positiven Patriotismus vertreten, der nichts mit Verachtung oder Haß, sondern mit Bekenntnis zur eigenen und Achtung der anderen Identität zu tun hat, sind wir identitär und nennen uns auch so. Wir wollen damit vor allem der stillen Mehrheit der Patrioten in unserem Land klarmachen, daß es ihr gutes Recht und ihre Pflicht ist, für unser Land und unsere Identität einzutreten, und daß das nichts mit Extremismus oder Haß zu tun hat, wie Linksextremisten immer behaupten.«
All dies brachten die anonymen Aktivisten mit dem Slogan »100% Identität, 0% Rassismus« auf den Punkt, aber natürlich nützte das nichts: »Rassismus« ist bekanntlich Definitionsfrage, und dieser Hexenhammer ruht fest in der Hand der Linken, die verfügt haben, daß genau dasselbe Prinzip in die Kategorie »rassistisch« fällt, das hier »identitär« genannt wird – zumindest wenn es von der sogenannten »Mehrheitsgesellschaft« vertreten wird. Der nächste Schlag kam rund zwei Wochen später aus Frankreich in Form eines Protestvideos, das die Gruppe »Génération Identitaire« ins Netz stellte und das sich schnell zum in mehrere Sprachen übersetzten »viralen« Renner entwickelte. Großaufnahmen von entschlossen und kämpferisch blickenden, »Gesicht zeigenden« jungen Männern und Frauen in stilvollem Schwarzweiß, untermalt von epischer Hollywood-Musik, in dem Sätze fallen wie: »Wir sind die Generation, die ihr Leben riskiert, wenn sie die falsche Person ansieht, eine Zigarette verweigert, oder eine Gesinnung hat, die anderen Leuten nicht gefällt.« – »Wir sind die doppelt bestrafte Generation: dazu verdammt, in ein Sozialsystem einzuzahlen, das so großzügig zu Fremden ist, daß es für die eigenen Leute nicht reicht.« – »Unsere Generation ist das Opfer der 68er, die sich selbst befreien wollten von Tradition, Wissen und autoritärer Erziehung. Aber sie haben es nur geschafft, sich von ihrer Verantwortung zu befreien.« – »Wir glauben nicht mehr, daß ›Khader‹ unser Bruder sein kann, wir haben aufgehört, an ein ›globales Dorf‹ und eine ›Familie der Menschen‹ zu glauben.« – »Wir haben entdeckt, daß wir Wurzeln, Vorfahren und darum auch eine Zukunft haben.« – »Wir erleben 25% Arbeitslosigkeit, Sozialschuld, Kollaps von Multikulti und eine Explosion des gegen Weiße gerichteten Rassismus.« – »Glaubt bloß nicht, dies wäre nur ein Manifest: dies ist eine Kriegserklärung.«
Eine »Kriegserklärung« also – freilich verspätet, denn der »Krieg« ist längst ausgebrochen. Daß Frankreich rasant auf den demographischen Kippunkt zusteuert, läßt sich ebensowenig leugnen, wie die überwiegend negativen Folgen, die dieser Prozeß mit sich bringt. 2010 erschien das Buch Les Yeux grands fermés (»Die weitgeschlossenen Augen«) von Michèle Tribalat vom Nationalen Institut für Demographie (INED) mit Sitz in Paris. Darin stellte die Autorin eine wachsende Tendenz der freiwilligen Segregation der Einwanderungsgruppen fest, verbunden mit dem Aufkommen von ethnischer Aggression gegen Weiße und der Ausbreitung des Islam in den Banlieues, den sie als eine »Bedrohung« einstuft.
Eine ehrliche Diskussion dieser Entwicklungen werde durch die »Ideologie des Antirassismus« und den Druck der Meinungsmacher verhindert. Manche Hochrechnungen schätzen, daß bereits jedes dritte Kind, das in Frankreich geboren wird, nichteuropäischer Herkunft ist. Der Schriftsteller Renaud Camus spricht inzwischen offen von einer »Kolonialisierung« Frankreichs und vom »grand remplacement«, vom großen Bevölkerungsaustausch, der mit einem kalten (und manchmal bereits heißen) Bürgerkrieg einhergehe. Auf der Siegesfeier François Hollandes an der Place de la Bastille wurden unter anderem algerische, kamerunische und marokkanische Flaggen geschwenkt, neben roten und regenbogenfarbenen. Jene, die hier ihren Willen zu ihrer eigenen nationalen Identität und ihren Unwillen zur Assimilation bekundet haben, sehen in Hollande offenbar »ihren« Präsidenten. Tatsächlich gaben die Stimmen der moslemischen Wähler den Ausschlag für den Wahlsieg des Sozialisten. Szenen wie diese zeigen jedenfalls, daß auch die »republikanische« Klammer langsam am Bersten ist.
Das Originalvideo der »Kriegserklärung« erhielt im Netz bis dato über 130000 Zugriffe, die deutsche Version zusätzlich etwa 40000. Die Begeisterung, die sich über diverse Blogs, Facebook- und Twitter-Konten artikulierte, war erheblich. Denn was man hier sah, schien recht anschlußfähig zu sein: normale junge Leute, die Dinge aussprechen, die zur Alltagserfahrung Zehntausender gehören, die Positionen artikulieren, denen man sich leicht anschließen kann, ohne irgendeine extravagante Ideologie annehmen zu müssen. Nun breitete sich auch das Symbol der identitären Bewegung schlagartig in der Blogosphäre aus: das griechische »Lambda«, das im alten Sparta die Schilde der Hopliten zierte, populär gemacht durch die Comicverfilmung 300. Die französische Mutterorganisation, »Bloc Identitaire«, führt zudem einen Eber als Wappentier: darin drückt sich auch der trotzige Stolz der als »Schweinefleischfresser« Beschimpften aus, deren uraltes traditionelles Nutztier in den Augen der Zuwanderer als »unrein« gilt.
Der virtuelle Enthusiasmus bekam erneut Auftrieb, als etwa 100 Aktivisten der »Génération Identitaire« am 20. Oktober 2012 für mehrere Stunden das Dach einer im Bau befindlichen Moschee in Poitiers besetzten und gegen die Islamisierung ihres Heimatlandes protestierten. Die Wahl der Stadt war natürlich kein Zufall. Hier schlug Karl Martell im Oktober 732 eine entscheidende Schlacht gegen die nach Mitteleuropa vordringenden Mauren, die in den Jahrzehnten zuvor bereits die iberische Halbinsel erobert hatten. Die Geschichte Frankreichs wie des Abendlandes überhaupt wäre wohl erheblich anders verlaufen, hätten die Franken diesen Kampf verloren.
Die »Occupy Mosque«-Aktion in Poitiers, die staatsanwaltschaftliche Ermittlungen wegen »Eigentumszerstörung, unerlaubter Demonstration sowie Anstiftung zum Rassenhaß« nach sich zog, sorgte in Frankreich für erheblichen Wirbel. Reaktionen kamen von höchster Stelle: Premierminister Jean-Marc Ayrault und Innenminister Manuel Valls (beide Parti socialiste) verurteilten die Aktion als »Bruch des Sozialvertrags und der republikanischen Ordnung«. Sozialistische und kommunistische Politiker, wie immer eifrig engagiert, islamische Interessen zu förden und jeglichen Versuch der Verteidigung des Eigenen zu diffamieren, forderten gar ein Verbot der Gruppe. Rund 250 Artikel erschienen in der regionalen und überregionalen Presse, zumeist mit dem Versuch, die Gruppe als »Nazis« und »Extremisten« zu brandmarken. Ein Bericht auf dem Sender France 3 rückte etwa eine hakenkreuzgeschmückte Netzseite ins Bild, die nichts mit den »Identitären« zu tun hat. Auch die spärlich in den deutschen Sprachraum durchgesickerten Berichte sprachen von »Glatzen« und »Rechtsextremisten«. Der Bürgermeister von Poitiers versicherte der Presse, daß die 7000 in der Stadt lebenden Moslems (das sind bereits rund acht Prozent der Gesamtpopulation) im schönsten Einvernehmen mit dem Rest der Bevölkerung leben würden.
Auf ihrer Netzseite wies »Génération Identitaire« auf pikante Hintergründe hin: Der tunesische Imam von Poitiers, der die Aktivisten als »Fanatiker« bezeichnete, sei Mitglied der UOIF (Union der islamischen Organisationen Frankreichs) und stünde der Moslembruderschaft sowie der islamistischen Bewegung Ennahda in Tunesien nahe. Premierminister Ayrault habe während seiner Amtszeit als Bürgermeister von Nantes einem moslemischen Kulturzentrum 200000 Euro Subvention zukommen lassen, das ebenfalls von der UOIF geleitet werde. Und diese habe auf ihren Kongressen des öfteren Redner eingeladen, die zur Tötung von »Ungläubigen«, Juden und Homosexuellen sowie zur Eroberung Europas aufriefen.
Nicht nur hier werde mit zweierlei Maß gemesssen. Dieselbe Presse, die nun die Identitären verdammt, habe eben noch die Gruppe »Pussy Riot« hochgejubelt und ihren Auftritt in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale zum legitimen Protestakt verklärt. Es gebe aber einen wichtigen Unterschied: Während die »Pussies« einen Gottesdienst im Inneren der Kirche gestört hätten, seien die identitären Aktivisten nur auf das Dach einer Baustelle geklettert. In der Art, wie die Aktion der Gruppe und ihre politischen Ziele von den Medien niedergeknüppelt wurden, sehen die Identitären ein Zeichen von »Angst« und ein Symptom für den Verfall des Systems.
Ihre zentralen Forderungen, die von den Medien freilich eher verschwiegen werden, lauten so: »Wir wollen keine außereuropäische Einwanderung mehr und lehnen den Bau einer weiteren Moschee auf französischem Boden ab. Seit den ersten afrikanischen Einwanderungswellen und dem 1974 beschlossenen Gesetz zum Familiennachzug wurde unser Volk kein einziges Mal danach gefragt, mit welchen Bevölkerungsgruppen es zusammenleben will. … Die Masseneinwanderung hat unser Land radikal verändert: Laut der letzten Studie des INSEE (staatliches Statistikamt) haben 43 Prozent der 18- bis 50jährigen im Ballungsraum Paris einen Migrationshintergrund. Ein Volk kann sich von einer Wirtschaftskrise oder einem Krieg erholen, aber nicht von einem Bevölkerungsaustausch: Ohne Franzosen gibt es auch kein Frankreich mehr. … Das ist eine Überlebensfrage: darum hat jedes Volk das unabdingbare Recht, selbst zu entscheiden, ob und wie viele Fremde es aufzunehmen wünscht. Da uns dieses Recht verweigert wurde und unsere Generation dafür auf der Straße bezahlen muß, in ständiger Konfrontation mit dem Gesindel, das uns einschüchtern will, sagen wir: Es reicht, wir weichen nicht mehr zurück! … Wir verlangen eine Volksabstimmung über die Einwanderung und die Errichtung islamischer Kultstätten in Frankreich. Wir werden nicht das Feld räumen, solange man uns nicht gehört und unsere Forderungen erfüllt hat. … Wir rufen alle jungen Europäer auf, ihr Schicksal in die Hand zu nehmen und sich der Vorhut der aufrechten Jugend anzuschließen. Ganz Europa möge unseren Ruf hören: Hier und jetzt wollen wir die WIEDEREROBERUNG!«
Dem Ruf zum alljährlichen Gipfeltreffen des »Bloc Identitaire« in die kleine Stadt Orange im südfranzösischen Bezirk Vaucluse, die seit 1996 von dem rechtskonservativen Bürgermeister Jacques Bompard regiert wird, folgten am 3./4. November dennoch nur rund 500 Besucher. Auch nach zehn Jahren Aktivität ist die Gruppe unter dem Vorsitz des 41jährigen Fabrice Robert eher eine Randerscheinung der französischen Rechten. Der Front National bleibt auf Distanz, und dessen Jungstar, Marion Maréchal-Le Pen, sagte kurzfristig ihren Besuch ab. Fern blieben auch Vertreter der ebenfalls geladenen FPÖ, und der flämische Vlaams Belang sendete lediglich ein »Grußwort« der Abgeordneten Hilde de Lobel. Allein von der italienischen Lega Nord war ein Abgesandter erschienen, der sich mit ein paar ungeschickten Statements hervortat, die zum gefundenen Fressen für die Presse wurden: Sie schoß sich auf diesen eher belanglosen Auftritt ein.
Der Kongreß selbst diente eher der Einschwörung als der Theoriebildung, mit viel Flaggenschwenken, Zurufen aus dem Publikum, kollektiv skandierten Parolen, emotionalisierenden Filmvorführungen und einem Rockkonzert am Abend, unter anderem mit der Szeneband »Hotel Stella« und dem »Musica Alternativa«-Veteranen Gabriele Marconi. Die Teilnehmer waren in der Mehrzahl jung, männlich, leger gekleidet, mit einer beträchtlichen Anzahl von Meinungshemden. Thorshammer-Träger mit offensichtlichem Metal-Hintergrund hatten hier Burgfrieden mit kreuzbewehrten Katholiken geschlossen, und vereinzelt fanden sich auch öko-alternativ angehauchte Gestalten mit Cordhosen und langen Röcken. Die »Stars« dieses Wochenendes waren freilich die anwesenden Veteranen der »732«-Aktion von Poitiers, geadelt durch gelbe »Ich war dabei«-T-Shirts.
Diese Aktion wurde wieder und wieder per Film- und Fotoaufnahmen mit dramatischer Musik beschworen, die Botschaft verkündend: Wir schaffen uns hier unsere eigenen Legenden und Heldentaten, sei auch Du dabei, hol’ auch Du Dir den Ritterschlag! In der Selbstpräsentation wird, wie auf einen unnötigen Ballast, auf Abgrenzungen und Distanzierungen ebenso verzichtet wie auf Anbiederungen und Anpassungen an den politischen Mainstream. Ein Besucher von der österreichischen Gruppe »W.I.R.« (Wiens identitäre Richtung) berichtet auf blauenarzisse.de: »Auch bei steigender Feierlaune und nach einigen geleerten Weinflaschen bleibt das Verhalten der jungen ›militants‹ tadellos. Die identitäre Strömung ist keine Biedermann-Maske für den Tag, hinter der nachts die Szenefratze zum Vorschein kommt. Das wird uns spätestens jetzt klar. Man habe in den letzten Jahren einen radikalen inneren ›Reinigungsprozeß‹ durchgezogen und unbelehrbare Personen ausgeschlossen, erzählt ein Mitglied der Génération Identitaire zufrieden. Seitdem klappe alles besser, und die Bewegung sei erfolgreicher.«
Die Autoren, die sich auf den Büchertischen finden, sind alte Bekannte: etwa der Vordenker der Nouvelle Droite, Alain de Benoist, oder ihr populärster Häretiker, Guillaume Faye, aber auch Jean Raspail, Renaud Camus oder Richard Millet. Was die Absage an den Mainstream betrifft, so fällt der geradezu polemische Verzicht auf die Trikolore auf – diese wird als Symbol für die Republik abgelehnt, die »das Vaterland verraten« habe (Raspail). Dem stellen die Identitären eine wahrhaft »bunte« Vielfalt der Flaggen der historischen französischen Provinzen entgegen, unter die sich nun das schwarze Lambda auf gelbem Grund (oder wahlweise umgekehrt) mischt. Ist all dies nun attraktiv genug, um frischen Wind über den Rhein zu bringen und auch hierzulande Graswurzelbewegungen anzustoßen? Die politischen Zwänge, Hürden und Sensibilitäten, die einer »identitären« Rechten entgegenstehen, wirken sich in Deutschland wohl um einige Grade unerbittlicher aus als in Frankreich – andererseits ist die demographische und soziale Lage noch bei weitem nicht so verschärft wie dort.
Bleibt also die Frage, ob ein Konzept, das in Frankreich zumindest im Aufwuchs zu sein scheint, in Deutschland »Übersetzer« finden kann, beschlagene Aktivisten also, die über Partypatriotismus und Ghettoblastergehopse hinausgehen wollen.