Nach zionistisch geprägten Anfängen politischen Interesses und intensiver Nietzsche-Lektüre brachte Strauss deutliche Sympathien für eine rechte Option zum Ausdruck, in der er noch Anfang der dreißiger Jahre seine »doxa«, also politische Meinung, erblickte. Im Zuge intensiver Auseinandersetzungen mit Spinozas Bibelwissenschaft und Religionskritik, mit Carl Schmitts Begriff des Politischen, der politischen Philosophie von Hobbes sowie auch Moses Mendelssohn und dem mittelalterlichen Denken gelangte Strauss zu seiner eigenen Form von politischer Philosophie. Diese nahm ihren Ausgangspunkt von dem Sokratischen Verständnis des Philosophierens in einer politisch geprägten Welt, die ihren populärsten Ausdruck in dem scheinbar bloß philosophiegeschichtlichen Werk Naturrecht und Geschichte (1956) fand.
Das »Problem des Sokrates« (Nietzsche) sollte Strauss bis zu seinen letzten Werken beschäftigen, die sich den sokratischen Schriften Xenophons und Platons Gesetzen widmeten. In Werken wie The City and Man (1964) analysierte Strauss die dem politischen Leben innewohnenden Spannungen; in seiner Schrift Über Tyrannis (1963), die zu einem Dialog mit Alexandre Kojève und Eric Voegelin führte, warf Strauss die Frage nach dem Wesen der antiken wie der modernen Tyrannis auf und klärte das Verhältnis des Philosophen zur politischen Ordnung, in deren Rahmen er sein Leben führen müsse. Strauss entwickelte sich zu einem freundschaftlichen Kritiker der freiheitlichen Demokratie, der diese aus Interesse an der Erhaltung der Freiheit auf innere Schwächen hinwies.
Obwohl Strauss die moderne Philosophie zum Ausgangspunkt seiner Untersuchungen machte, führte ihn gerade die Einsicht in die problematischen Aspekte dieser Philosophie zu einer Wiederaufnahme des Streits zwischen Alten und Modernen. Denn Strauss wollte in der denkbar radikalsten Weise überprüfen, ob die moderne Philosophie tatsächlich alternativlos war und ob es eine Möglichkeit geben könnte, hinter das moderne Denken und dessen politisches Korrelat, den Liberalismus, zurückzugehen. Dazu war es nötig, die Argumente der klassischen Philosophen wie Platon, Xenophon, Aristoteles und Cicero neu zu prüfen in bezug auf die alles entscheidende Wahrheitsfrage. Um dies überhaupt als Option plausibel zu machen, mußte Strauss ein Vorurteil für die Auffassung erwecken, daß z. B. Platon und Aristoteles nicht grundlegend und ein für allemal von den modernen Philosophen widerlegt worden waren. Strauss griff zu diesem Zweck auf eine genealogische Studie des historischen Denkens zurück, um »hinter« das moderne Denken und damit über es hinaus zu kommen.
Grundlegend für das gesamte Werk von Leo Strauss ist die Zentralität des theologisch-politischen Dilemmas, das in der Literatur unterschiedliche Deutungen erfahren hat. In der letzten Instanz geht es auf die Frage nach dem richtigen Leben zurück, das für den Menschen entweder im Gehorsam gegen die Gebote Gottes oder in der Berufung auf die natürliche Vernunft bestehen kann. Strauss vertrat die Auffassung, daß die Vitalität der abendländischen Kultur in der politisch-praktisch unauflösbaren Spannung zwischen den Ansprüchen der religiösen Offenbarung und der philosophischen Vernunft bestand, die er mit den Abbreviaturen »Jerusalem« und »Athen« identifizierte. Die Politische Theologie kann als Gegenvision des menschlichen Lebens zu Strauss’ politischer Philosophie verstanden werden – und wurde auch von Strauss’ »Dialogpartner« Carl Schmitt so verstanden (so noch im Briefwechsel mit Jacob Taubes in den 1970er Jahren).
Den bedeutendsten Beitrag von Strauss zum theologisch-politischen Problem stellt wohl sein bisher noch nicht in deutscher Übersetzung vorliegendes Buch Thoughts on Machiavelli (1958) dar, das die Auseinandersetzung mit Machiavelli zu einer Diskussion des Problems der Moderne in philosophischer und politischer Hinsicht ausweitet und das letzte Ziel in der Wiedergewinnung der »permanent problems « sieht, also der zeitüberdauernden Fragen, mit denen sich der Mensch auseinandersetzen muß. Die von Strauss verfochtene Bildungskonzeption zielte auf die Etablierung einer »Aristokratie« innerhalb der Massengesellschaft, die gegen die moderne Tendenz zum allumfassenden Relativismus und Nihilismus am Wert von geistigen und moralischen Tugenden festhalten sollte. Strauss’ philosophisches Werk erschließt sich in seiner Tiefendimension nur einer sorgfältigen Lektüre, die den vielfältigen Fingerzeigen des Autors nachgeht. Strauss praktizierte eine »Kunst des Schreibens«, die aus seinen Werken mehr als bloße philosophiegeschichtliche Arsenale macht.
Strauss’ Essay Persecution and the Art of Writing (1952) gehört zu den bis heute unausgeschöpften Grundlagentexten jeder Auseinandersetzung mit dem Wesen der politischen Philosophie. Strauss entwirft hier nicht nur eine Hermeneutik philosophischer Texte unter Bedingungen der Verfolgung, sondern zielt grundsätzlich auf das Verhältnis einer Freiheit, die nicht Zügellosigkeit ist, zu einer Ordnung, die nicht Tyrannei ist.
Schriften: Persecution and the Art of Writing, New York 1952 (dt. Übers. des Titelessays in: Kunst des Schreibens, Berlin 2009); Naturrecht und Geschichte, Stuttgart 1956; Thoughts on Machiavelli, Glencoe 1958; What Is Political Philosophy? and Other Studies, Glencoe 1959; Über Tyrannis, Neuwied 1963; The City and Man, Chicago 1964; Hobbes’ politische Wissenschaft, Neuwied 1965; Socrates and Aristophanes, New York 1966; Liberalism Ancient and Modern, New York 1968; The Argument and the Action of Plato’s Laws, Chicago 1975; The Rebirth of Classical Political Rationalism, hrsg. v. Thomas L. Pangle, Chicago 1989; Gesammelte Schriften, bisher 3 Bde., Stuttgart 1996ff; On Plato’s Symposium, Chicago 2001; Glaube und Wissen. Der Briefwechsel zwischen Eric Voegelin und Leo Strauss von 1934 bis 1964, Paderborn 2010.
Literatur: Kenneth L. Deutsch/John A. Murley (Hrsg.): Leo Strauss, the Straussians and the American Regime, Lanham 1999; Till Kinzel: Platonische Kulturkritik in Amerika. Studien zu Allan Blooms »The Closing of the American Mind«, Berlin 2002; Heinrich Meier: Carl Schmitt, Leo Strauss und der Begriff des Politischen. Zu einem Dialog unter Abwesenden, Stuttgart 1998; ders.: Leo Strauss and the Theologico-Political Problem, Cambridge 2006; Thomas L. Pangle: Leo Strauss. An Introduction to His Thought and Intellectual Legacy, Baltimore 2006.