… und meinte, ich würde die Wirkungskraft des Films, damals wie heute, ziemlich unterschätzen. Er habe den Film einmal kombiniert mit der thematisch verwandten DDR-Produktion “Lützower” (1972) seinen Schülern zur kritischen Betrachtung vorgeführt.
Harlans Film habe dabei, trotz allem Bescheidwissen über die historischen Hintergründe, auf die Schüler einen erheblichen Eindruck gemacht und bei weitem besser abgeschnitten als der ideologisch um einiges plumper operierende DEFA-Film.
Weißmann bemerkte ferner, daß seine Schüler zum Teil positiv oder mindestens beeindruckt auf manche Szenen in “Der Untergang” (2004) reagiert hätten: die HJ/BDM-uniformierten Jugendlichen, die sich selbst per Granate in die Luft sprengen; der verschanzte Waffen-SS-Trupp gegen Ende des Films, der noch in aussichtsloser Lage verbissen kämpft und zum bitteren Ende sich selbst richtet.
In den US-Gangsterfilmen der Dreißiger Jahre verlangten die Zensoren, daß die von James Cagney, Paul Muni oder Edward G. Robinson gespielten Mobster sich im letzten Akt, von der Polizei umzingelt, in weinerliche, würdelose, um ihr Leben flehende Feiglinge verwandeln sollten. Sie durften nicht aufrecht sterben, sie mußten in letzter Sekunde Abscheu in den Zuschauern wecken, die bereits gefährlich nahe dran waren, sich von den Schurken faszinieren zu lassen. Noch 1998 ließ Steven Spielberg, wohl mehr aus Rachsucht als aus pädagogischer Absicht, in seinem D‑Day-Drama “Saving Private Ryan” einen gefangenen deutschen Soldaten vor Tom Hanks und seinem Stoßtrupp hündisch im Staub kriechen. Hanks läßt ihn laufen, aber am Ende taucht derselbe Soldat im Straßenkampf wieder auf, diesmal in Waffen-SS-Uniform; er wird erneut gefangen und angesichts der vorgehaltenen Pistole biedert er sich erneut unterwürfig seinen Feinden an. Angeekelt erschießt ihn diesmal der (auch noch jüdische!) GI, und das zurecht, wie wir als Zuschauer empfinden.
Wer aber eher stirbt, als zu Kreuze zu kriechen, bewahrt sich eine eigene, auratische Würde, die ihm keine Gewalt der Welt nehmen kann. Im selbstgewählten Tod gibt es keine “richtige” oder “falsche” Sache mehr, zumindest keine, die dem Urteil der Menschen unterläge.
Haben Eichinger und sein Regisseur Hirschbiegel mit diesen Szenen Abscheu und Kopfschütteln hervorrufen, die Absurdität “des Krieges” anprangern und den irrationalen Fanatismus der Verteidiger bloßstellen wollen, wie es 1959 Bernhard Wicki in “Die Brücke” vorgemacht hat? Wie bei den meisten Kriegsfilmen gehen die guten Absichten nach hinten los, verschwinden hinter der ambivalenten Faszination des Gezeigten, weshalb es auch kaum einen wirklich “wirksamen” Anti-Kriegsfilm gib. Die allermeisten von uns wären nun wohl lieber lebendige Feiglinge als tote Helden. Aber aller modernen, “aufgeklärten” (und auch berechtigten!) Skepsis gegenüber traditionellen Phrasen vom “Heldentum” zum Trotz wird es wohl immer Schichten in uns geben, die sich von Motiven wie diesen ergreifen lassen: die Aufopferung des eigenen Lebens, “Give me Liberty or give me Death”, die unbeugsame Verteidigung gegen eine Übermacht, das Halten des verlorenen Postens. Klassischer Stoff nationaler Mythen wie Masada, Alamo, die Thermopylen, den Alcazar von Toledo, die “quatro giornate” von Neapel. Epische Topoi, deren Appeal nicht totzukriegen ist, und von deren Pathos auch das Kino immer schon reichlich und effektiv Gebrauch gemacht hat.
Es gibt einen Aufsatz von Wolfgang Strauss, der in Staatsbriefe 7–8/1998 erschien, in dem er über die Verteidigung von Breslau schrieb:
Breslau fünfundvierzig wie einen nüchternen militärischen Tatsachenbericht abzuhandeln, erscheint unmöglich. Der Todeskampf der Stadt, eigentlich ein Kapitel Weltliteratur, wofür es Beispiele gibt – den “Berlin”-Roman eines Plievier, die Sewastopoler Erzählungen Leo Tolstojs, Werfels “40 Tage des Musa Dagh”. Untergang in Trümmern. Hinter dem Bahndamm von Pöbelwitz liegt eine Jungen-Kompanie. Mit Handgranaten und Brandflaschen versuchen Fünfzehnjährige die T34 aufzuhalten. An ein Paddelboot geklammert schwimmen drei Breslauer Mädchen durch die russischen Linien, sprengen eine Oderbrücke und sich selbst in die Luft. Ausgeblutet und ohne Munition ergeben sich die Verteidiger am 6. Mai. Viele erschießen sich.
Die entsetzliche Szene mit den drei Mädchen unter dem Paddelboot ist mir seither nicht mehr aus dem Sinn gegangen. Wir sind heute konditioniert, darin das sinnlose Selbstopfer einer fanatisierten, schändlich verheizten Jugend zu sehen. Aber würden wir die Geschichte nicht mit anderen Augen betrachten, würden wir nicht innerlich erschauern, erschütterte Anteilnahme und Ehrfurcht empfinden, wenn es sich dabei um eine Episode aus der Belagerung Leningrads oder aus dem Warschauer Aufstand handeln würde?