Er braucht zum Mainstream keineswegs in einem ausschließenden Verhältnis zu stehen: Es ist möglich, ja sogar ein Vorzug, beide Ansätze zu einer kohärenten Strategie zu bündeln.
Zuallererst möchte ich mein Verständnis der politischen Begriffe »rechts« und »links« erläutern. Als »Linke« verstehe ich die Anhänger der Ideologie der Gleichheit und des Fortschritts, die mit dem Liberalismus und der Moderne verknüpft ist. »Rechte« hingegen sind die Vertreter elitaristischer und zyklischer Weltanschauungen, die mit dem Traditionalismus (im Sinne Evolas) verknüpft sind. Damit meine ich nicht die Konservativen, die ich als klassische Liberale mit sozialkonservativen Vorstellungen betrachte.
Die Autoren der Rechten stecken den Großteil ihrer Energie in die Analyse und Kritik des modernen Dystopias. Das ist zwar notwendig, aber nicht ausreichend: Festzustellen, daß wir auf dem falschen Bahnhof gelandet sind und eigentlich woanders sein sollten, ohne gleichzeitig zu sagen, wohin die Reise gehen soll, schafft noch keine Bewegung, sondern zeigt nur ihr Fehlen auf. Damit die Dinge in Gang kommen, damit eine Idee Anhänger findet, die einander in einem kollektiven Akt in Bewegung setzen, bedarf es eines vorformulierten und kommunizierbaren Ziels. Dieses Ziel ist das Utopia der Bewegung: die vollkommene Verwirklichung ihrer Vorstellungen.
Utopien existieren nur in der Vorstellungskraft. Zumeist werden sie durch phantastische Kunst oder Literatur vermittelt. Bestenfalls werden sie nur teilweise und/oder auf unvollkommene Weise verwirklicht. Schlimmstenfalls sind sie extrem unrealistisch und unpraktisch – was auf die meisten von ihnen zutrifft. Das bedeutet nicht, daß sie unnütz wären: Vielmehr sind sie eine notwendige Voraussetzung, damit etwas in Bewegung kommt. Ihr zündendes Element ist nicht ihre wissenschaftliche Exaktheit, sondern ihre Fähigkeit, in ausreichend großen Kollektiven eine enorme emotionale Kraft freizusetzen. Ihre Konzeption ist die Herausforderung für den Avantgardisten, den intellektuellen Außenseiter, den Pionier, den Träumer, den Künstler. Sie sind die Individuen oder die Gruppen von Individuen, deren Aufgabe es ist, uns aus den kognitiven Käfigen zu befreien, in denen uns das herrschende System gefangenhält, und seine Hypnose zu brechen, die uns glauben machen will, daß alles, was es mit Tabus belegt hat, nicht denkbar ist.
Die Befürworter des Wegs über den Mainstream verzweifeln manchmal an diesen Träumern, weil sie ihnen als unpraktisch, exzentrisch und unvernünftig erscheinen. Das Problem ist, daß diese Vorwürfe in der Tat oft auf Innovatoren und Ikonoklasten zutreffen: schöpferische Typen sind ein ganz eigenes Völkchen, und diejenigen, die wirklich innovativ, wirklich avantgardistisch und weniger an die Fesseln der Konvention gebunden sind, lassen ihre weniger kreative Umwelt oft geschockt, besorgt oder fassungslos zurück. Das hat zweifellos gute wie schlechte Seiten, vermindert aber nicht den Wert des kreativen Prozesses an sich, auch wenn viele seiner Produkte wieder verworfen werden. Die Aufgabe des Vermittlers, der zwischen Avantgarde und Mainstream steht, ist der wohlkalkulierte Zugriff auf jenes Material des Avantgardisten, das es ihm ermöglicht, die Grenzen des Mainstreams weiter auszudehnen, mit dem langfristigen Ziel, ihn eines Tages von Grund auf zu transformieren.
Obwohl sie die Wissenschaft, die Daten und die logischen Argumente auf ihrer Seite hat, befindet sich die Rechte seit vielen Jahrzehnten auf dem Rückzug. Das allein sollte genügen, um deutlich werden zu lassen, daß die Menschen mehr als nur Daten, Argumente und Fakten benötigen, um zu einer Änderung ihres Verhaltens bewogen zu werden. Dennoch geben sich viele, die sich auf der Seite der Rechten sehen, der Illusion hin, daß lediglich mehr Aufklärung nötig sei. Dabei haben wir tagtäglich das denkbar schlagendste Gegenbeispiel vor Augen, das uns zeigt, warum dieser Ansatz fehlschlagen muß: die Konsumgesellschaft, die nicht auf einer utilitaristischen Logik basiert, sondern auf Romantik und Tagträumerei, Statusgehabe und utopischen Vorstellungen. Man kann deshalb mit einiger Berechtigung sagen, daß der Tagträumer, der die Fähigkeit hat, andere mit seinen Träumen anzustecken, ein größerer Pragmatiker ist als der selbsternannte, pragmatisch orientierte Rationalist, der andere über die Vernunft zu überzeugen sucht. Der erstere versteht nämlich die Irrationalität der menschlichen Natur, und spielt mit ihr (wie die Katze mit der Maus?), während letzterer von abstrakten Menschen träumt, die stets aus rational begründeten Eigeninteressen heraus handeln.
Aber die Menschen werden viel stärker von dem Bedürfnis nach Selbstachtung und Zugehörigkeitsgefühl angetrieben als durch abstrakte Vernunft. Werden sie mit Fluten von einander widersprechenden und schwer verdaulichen Daten und Argumenten konfrontiert, die allesamt das Monopol auf die Wahrheit gepachtet haben wollen, dann entscheiden sie sich meistens für den leichteren Weg und die emotional und sozial bequemste Option. Für die Mehrheit der Menschen bedeutet das jene Wahrheit, die das kulturelle Establishment anbietet, denn sie verspricht ihnen leichtere soziale Integration und höhere Belohnung. Wer sich für eine Wahrheit entscheidet, die vom kulturellen Establishment geächtet wurde, muß auf alternative Netzwerke und oft sogar unkonventionelle Methoden zurückgreifen, um in einem System zu überleben, das danach trachtet, Abweichler zu beseitigen. So wird die Frage nach der Wahrheit zur Frage nach der Lebensgestaltung schlechthin, was wohl besonders in einer materialistischen Gesellschaft der Fall ist.
Aus diesen Gründen ist eine Strategie, die sich ausschließlich auf Inhalte konzentriert, zum Scheitern verurteilt. Eine effektive Strategie muß daher nicht anders als die Konsumpsychologie systematisch darauf abzielen, die vorrationalen Antriebe des menschlichen Verhaltens anzusprechen. Die Konsumpsychologie zeigt uns, wie man Stil und Ästhetik gezielt anwendet, um permanent das in der Konsumgesellschaft erwünschte Verhalten (also Konsum) zu erzeugen. Die Aufgabe von Werbeagenturen ist die Nutzung von Stil und Ästhetik, um die Öffentlichkeit zum Konsum zu mobilisieren, oder sie dazu zu bewegen, eine Kampagne zu unterstützen oder einen politischen Kandidaten zu wählen.
Zumindest die weißen Wähler haben Obama wohl vor allem aus Gründen des guten Stils gewählt: Er hat eine gute Stimme, er ist telegen und sein »Schwarzsein« gab Millionen von Weißen die Chance, zu beweisen (vor allem sich selber), daß sie keine Rassisten seien. Slogans wie »Hope« und »Change« hatten null Inhalt und dienten nur dazu, die »Obamikonen« zu verzieren; und doch weckten sie bei den Wählern das Bedürfnis nach »Hoffnung« und »Veränderung«, trafen also den richtigen Nerv. Fernsehdebatten über Politik setzten auf knackige Optik und eingängigen Sound; es ging mehr darum, ob die Kandidaten gut aussahen, während sie angeblich »wichtige« Themen diskutierten, als um die wichtigen Themen selbst. Das nervt? Gewiß. Aber es ist kein Kraut dagegen gewachsen. Es funktioniert.
Selbstverständlich zählt auch der Inhalt. Eine Strategie, die sich rein auf äußerliche Reize stützt, ohne ein Mindestmaß an Inhalt zu besitzen, wird irgendwann scheitern. Eine erfolgreiche Strategie muß also sowohl Stil als auch Inhalt haben – einen Inhalt, der dem Stil Substanz gibt, und einen Stil, der dem Inhalt eine Form gibt. Eine Strategie also, die sowohl einen Inhalt als auch die Natur des Inhalts vermittelt. Das ist alles nichts Neues, aber es ist trotzdem verwunderlich, wie viele Menschen hartnäckig die Bedeutung von Stil und Ästhetik unterschätzen. Hat das mit einem instinktiven Widerwillen gegen ein Zeitalter zu tun, das so penetrant das Design über das Sein stellt?
Metapolitisch gesehen, können wir also von einer Bewaffnung der Ästhetik sprechen: Das bedeutet, Ideologie in (höhere oder niedere) Kunst zu übersetzen, um mit deren Hilfe die Gesellschaft und ihre Kultur in eine vorbestimmte Richtung zu leiten, damit sie grundlegend verändert werden kann.
Wie läuft das ab? Zunächst lernt ein Individuum über Kontakt mit einer peer group eine bestimmte Szene kennen. Die Reaktion kann negativ oder positiv ausfallen, ist meistens direkt und instinktiv, als Folge bestimmter Faktoren wie biologischer Disposition, persönlicher Biographie und soziologischer Umstände. Je nach Beschaffenheit dieser Szene unterliegen ihre Mitglieder einem radikalen Bewußtseinswandel, der sich mitunter in stolz betontem Außenseitertum äußert und auch dann noch in ihnen fortwirkt, wenn sie über ihre Szene hinausgewachsen sind. Auch wenn sie eines Tages ihre Kluft ablegen und ein normales Leben als normale Arbeitnehmer führen, wird ihre Bindung anhalten – manchmal vielleicht nur als schamhaft bewahrtes Geheimnis, obgleich Spuren ihrer Vergangenheit sich weiterhin in ihren Denkmustern, ihrem Lebensstil, ihrem Vokabular, ihrer Zimmerausstattung oder ihrem sozialen Umgang finden. Darüber hinaus fühlen sich ehemalige Mitglieder noch nach Jahrzehnten einander verbunden und wittern einander schnell am Habitus.
All dies wurde auf allein ästhetischem Wege, also durch Kunst, erreicht. Nochmals: Die Intensität, mit der Werte verinnerlicht werden, hat überhaupt nichts mit logischer oder wissenschaftlich korrekter Präsentation zu tun, sondern allein mit kunstvollen, attraktiven und ästhetisch ansprechenden Formen der Vermittlung, die bei den Rezipienten starke emotionale Bewegungen auszulösen imstande sind. Und jeder, der ein Gespür für Populärkultur hat, weiß, daß ihre Macht, extreme Gefühle auszulösen und die Massen zu mobilisieren – bis zu einem Grade, an dem sie gewalttätig, irrational und wider ihre vernunftgemäßen Eigeninteressen handeln –, nicht unterschätzt werden darf.
Natürlich ist Massenmobilisierung in der Populärkultur nur dann möglich, wenn das fragliche Produkt oder Ereignis gängige Werte des kulturellen Mainstreams verpackt. Je weniger diese Werte Teil des Mainstreams sind, um so geringer das Mobilisierungspotential. Dennoch ist es im Zeitalter der mechanischen Produktion möglich, mit den synergetisch-ästhetischen Mitteln der Populärkultur auch radikal systemfeindliche Positionen und Ideologien zu verbreiten – die wiederum unter den passenden Umständen imstande sind, ausreichend große Gruppen zu mobilisieren oder sogar eine neue politische Ordnung herbeizuführen: Die Bewaffnung der Ästhetik bedeutet nichts anderes als die Schaffung von Berührungsflächen, die die Übersetzung des Metapolitischen ins Politische, der Avantgarde in den Mainstream ermöglichen.
Ein weiterer Grund, warum ich die Rolle der Ästhetik in metapolitischen Fragen mit solchem Nachdruck betone, ist die Tatsache, daß ein wohlformuliertes und vollendet ausgeführtes ästhetisches System der schnellste Weg ist, um Glaubwürdigkeit zu erlangen, also ein Bedeutungsfeld aus Werten und Idealen zu schaffen, das auch unpolitischen Betrachtern als glaubwürdig erscheint. Bei politischen Beobachtern mag es, je nach ihrer Ausrichtung, Stolz oder Furcht erwecken. Beurteilen wir Bücher nicht doch nach ihrem Einband? Beurteilen wir Menschen nicht doch nach ihrem Äußeren?
Ich behaupte, daß die mangelnde Glaubwürdigkeit unserer Werte und Ideale außerhalb unseres unmittelbaren Milieus zum Teil mit dem Mangel an professionell ausgeführten ästhetischen Konzepten zu tun hat, die unseren metapolitischen Ideen eine adäquate Form geben und unsere Ideen auf eine lebendige, zeitgemäße und (da die Menschen Hoffnung und Veränderung brauchen) vor allem zukunftsgerichtete Weise neu formulieren. Man muß wohl nicht noch dazu sagen, daß andere wichtige Faktoren, wie der Druck der ökonomischen Zwänge, eine erhebliche Rolle spielen. Aber ohne ein optimales ästhetisches System ist es schwierig, effektive Politik zu betreiben. Man kann keine Idee ohne Marketing verkaufen. Und man kann vor allem kein Elitepublikum ohne das richtige Marketing ansprechen.
Ein chaotisches Zeitalter bietet Möglichkeiten für diejenigen, die das Talent haben, einen neuen Traum zu »verkaufen«. Obwohl das gegenwärtige liberale, egalitäre, progressive Establishment geradezu unbesiegbar erscheint, steht doch keine einheitliche, monolithische, totalitäre Ordnung dahinter. Es handelt sich eher um eine Art Regenbogenkoalition aus widerstreitenden und manchmal widersprüchlichen Fraktionen, die gewisse Grundüberzeugungen teilen. Sie wirken sich degenerativ und desintegrierend aus, und die logische Folge ihres Projekts wäre letztendlich der Zusammenbruch der Gesellschaft. Seit der Multikulturalismus zur offiziellen Regierungspolitik und der Globalismus zum Paradigma des modernen Kapitalismus geworden ist, zeichnet sich das immer deutlicher ab.
Da diese Dinge der Natur zuwiderlaufen, erzeugen sie permanent Streß und Anspannung. Aufsplitterung, Degeneration, Desintegration und Erschöpfung machen sich breit. Das Ende des Wohlstands im Westen wird die Befriedung sozialer und kultureller Erhebungen zusätzlich erschweren. Im Zustand des eskalierenden Durcheinanders wird sich auch der unpolitische Durchschnittsbürger neuen, exotischen, sogar quichottischen Ideen öffnen. Wenn das Chaos eines Tages groß genug ist, wird das Bedürfnis nach radikalen Ideologien, strengen Religionen, nach einem autoritären starken Mann oder Cäsaren wachsen.
Man wird nach sinnstiftenden Symbolen suchen, nach utopischen Tagträumen, nach neuen Formen der Romantik, nach etwas, das Ordnung und Kraft ausstrahlt, das sich aus dem Chaos heraushebt und dem einzelnen das Gefühl gibt, Teil von etwas Kraftvollem und Mächtigem zu sein. Diese Vision mag nun übertrieben grandios klingen, aber ihre Anfänge liegen näher, als man glaubt: In der Tat beginnen sie mit Stift und Papier, mit Pinsel und Leinwand, mit Gitarre und Plektrum; sie gründen auf der Phantasie, die diese Utensilien mit Leben erfüllt.
Wenn Revolutionen mit Kritzeleien beginnen, dann beginnen Kritzeleien mit Tagträumen. Und wenn das in den Ohren harter politischer Pragmatiker vage und nebulös klingt, dann sollten wir uns daran erinnern, daß Wahrheiten wie diese nach langen Perioden des materiellen Wohlstands und der politischen Stabilität immer schwach aussehen, während das System der Mehrheit stark und festgemauert erscheint. Wenn sich aber nach katastrophischen Umwälzungen die Soziologen versammeln, um ihre Autopsieberichte zu schreiben und lange Ursachenkataloge des Kollapses zu erstellen, dann sehen die besagten Wahrheiten nicht mehr ganz so nebulös aus. Im Gezeitenwechsel der Kultur beginnen einst irreal anmutende Tagträume neue Gestalt anzunehmen. Wie lange wird es noch dauern?
Wir können es nicht wissen. Aber wenn wir nicht jetzt damit beginnen, die metapolitische Basis unserer neuen Ordnung zu gestalten, wenn wir nicht jetzt eine virile Gegenkultur errichten, die diese Ordnung errichten kann, dann könnte es passieren, daß uns eines Tages, nach dem Wechsel der Gezeiten, andere weit voraus sind, weil wir zu lange daran gezweifelt haben, ob er jemals kommen wird.