Islamische Christenverfolgungen und das “kulturelle Selbstverständnis Europas”

pdf der Druckfassung aus Sezession 18/Juni 2007

sez_nr_182von Daniel L. Schikora

Am 17. April 2007 fielen in Malatya (Türkei) drei Christen - unter ihnen ein Deutscher - einem Überfall zum Opfer, der einem christlichen Bibel-Verlag galt. Einer der jungen Männer, die sich zu den bestialischen Morden bekannten, legte Wert darauf, „dies nicht für uns, sondern für unseren Glauben getan" zu haben. „Den Feinden des Glaubens möge dies eine Lehre sein." Dieses islamistische Bekenntnis der Täter mußte die Aufmerksamkeit wenigstens eines Teils auch der deutschen Öffentlichkeit auf die Frage lenken, inwieweit eine in die EU strebende islamisch geprägte Gesellschaft wie die türkische willens und in der Lage sei religiöse Intoleranz zu ächten und kulturellen Pluralismus institutionell zu gewährleisten. In diesem Sinne verurteilte die CDU-Bundestagsfraktion die Morde von Malatya als einen „Gewaltakt gegen die Presse-, Meinungs- und Religionsfreiheit", also gegen elementare Grundrechte, die in Europa selbstverständlich zu respektieren seien.


Dar­über hin­aus­ge­hend, pran­ger­te CDUMdB Wolf­gang Börn­sen einen anti­de­mo­kra­ti­schen, „natio­na­lis­tisch-isla­mis­ti­schen” Kon­sens in der Tür­kei an, als des­sen extre­mis­ti­schen Aus­wuchs er die jüngs­ten Gewalt­ver­bre­chen gegen Chris­ten ein­ord­ne­te: „Die Tür­kei hat sich aber­mals der in Euro­pa gel­ten­den Wer­te und Stan­dards als nicht wür­dig erwie­sen. Die Untat darf nicht allein als das Werk von natio­na­lis­tisch-isla­mis­tisch fana­ti­sier­ten jun­gen Män­nern gese­hen wer­den, die fast noch Kin­der sind. Staat­li­che Stel­len, dar­un­ter die tür­ki­sche Reli­gi­ons­be­hör­de und der Staats­mi­nis­ter für Reli­gi­ons­fra­gen, haben sich in der Ver­gan­gen­heit an der Het­ze gegen Anders­gläu­bi­ge betei­ligt. Auch die ‚ganz nor­ma­le‘ all­täg­li­che Schi­ka­nie­rung von Chris­ten in der Ost­tür­kei ist bis­lang von offi­zi­el­ler Sei­te nicht unter­bun­den worden.”
Tat­säch­lich soll­te die Anti­no­mie zwi­schen tür­ki­schen Säku­la­ris­ten (bis­lang reprä­sen­tiert durch Prä­si­dent und Natio­na­len Sicher­heits­rat) und Isla­mis­ten (reprä­sen­tiert durch die Regie­rung Erdo­gan) nicht dar­über hin­weg­täu­schen, daß gera­de unter dem Vor­zei­chen eines spe­zi­fisch tür­ki­schen „Lai­zis­mus” die etwa 100.000 in der Tür­kei leben­den Chris­ten schar­fen Beein­träch­ti­gun­gen ihrer frei­en Reli­gi­ons­aus­übung aus­ge­setzt wer­den. (Auf der ande­ren Sei­te wird in der Tür­kei ein – durch die Reli­gi­ons­be­hör­de Diya­net Isle­ri Bas­kan­li­gi kon­trol­lier­ter – tür­ki­scher „Staats­is­lam” unter Ver­wen­dung öffent­li­cher Gel­der am Leben erhal­ten, und zwar nicht nur auf tür­ki­schem Staats­ge­biet, son­dern auch inmit­ten der EU – durch die Finan­zie­rung selbst „fun­da­men­ta­lis­ti­scher” Ima­me etwa in Deutsch­land, die Beam­te des tür­ki­schen Staa­tes sind.)
Der Abge­ord­ne­te Börn­sen sieht durch das Ver­bre­chen von Mala­tya – in Ver­bin­dung mit vor­aus­ge­gan­ge­nen Gewalt­ex­zes­sen, etwa der Ermor­dung des tür­kisch-arme­ni­schen Jour­na­lis­ten und Men­schen­rechts­ak­ti­vis­ten Hrant Dink – das „kul­tu­rel­le Selbst­ver­ständ­nis Euro­pas und des christ­li­chen Abend­lan­des (…) her­aus­ge­for­dert”. Unge­ach­tet der geo­po­li­ti­schen und his­to­ri­schen Bri­sanz gera­de der inner­tür­ki­schen Ent­wick­lun­gen aus „euro­päi­scher” Sicht, ist es – jeden­falls soweit Euro­pa an dem uni­ver­sa­lis­ti­schen Gel­tungs­an­spruch wesent­li­cher Bestand­tei­le sei­nes kul­tu­rel­len Selbst­ver­ständ­nis­ses fest­hält – gebo­ten, auch die Ver­fol­gung von Chris­ten (sowie die will­kür­li­che Ein­schrän­kung von deren frei­er Reli­gi­ons­aus­übung) in ande­ren isla­misch domi­nier­ten Län­dern in den Blick zu neh­men. (Dies gilt in beson­de­rem Maße für Staats­we­sen, von denen ange­nom­men wer­den könn­te, daß sie, als „Ver­bün­de­te” von EU und NATO, einer kul­tu­rel­len Öff­nung zu „Euro­pa” hin auf­ge­schlos­sen seien.)
Sau­di-Ara­bi­en: Das als „pro-west­lich” gel­ten­de König­reich erhebt wei­ter­hin den Anspruch eines reli­giö­sen – und kon­fes­sio­nel­len – Unita­ris­mus (im Sin­ne des sun­ni­ti­schen Islam wah­ha­bi­ti­scher Prä­gung): Alle Bür­ger gehö­ren der isla­mi­schen Umma an.

Schii­ten und Anhän­ger der Ahmadiyya-„Sekte” wer­den als Hete­ro­do­xe ver­folgt. Zwar erkennt Sau­di-Ara­bi­en offi­zi­ell das Recht von (aus­län­di­schen) Nicht-Mus­li­men auf pri­va­te, unter Abschir­mung von der Öffent­lich­keit zu fei­ern­de Got­tes­diens­te an, was die Behör­den aber nicht an fort­ge­setz­ten Über­grif­fen auf Chris­ten hin­dert. So muß­ten etwa 2006 vier ost­afri­ka­ni­sche Chris­ten, als sie sich zu einem Got­tes­dienst ver­sam­melt hat­ten, einen Monat in Haft ver­brin­gen, bevor sie aus­ge­wie­sen wurden.
Afgha­ni­stan: Unge­ach­tet sei­ner Befrei­ung von dem radi­kal­is­la­mis­ti­schen Tali­ban-Regime (Novem­ber 2001), gehört auch die gegen­wär­ti­ge Isla­mi­sche Repu­blik Afgha­ni­stan zu den tra­di­tio­na­lis­ti­schen isla­mi­schen Län­dern, deren Jus­tiz die Abkehr mus­li­mi­scher Bür­ger vom Islam als ein todes­wür­di­ges Ver­bre­chen ver­folgt. So kam der zum Chris­ten­tum über­ge­tre­te­ne Ex-Mus­lim Abdul Rah­man, der sich im März 2006 wegen Apo­sta­sie vor einem afgha­ni­schen Gericht ver­ant­wor­ten muß­te, erst frei, als sei­ne isla­mis­ti­schen Rich­ter – unter dem Ein­druck welt­wei­ter Pro­tes­te – sich dazu bereit fan­den, ihn für unzu­rech­nungs­fä­hig zu erklä­ren. Die sys­te­ma­ti­sche Miß­ach­tung des Rech­tes der Afgha­nen auf Reli­gi­ons­frei­heit ist kei­nes­falls das Resul­tat einer zuneh­men­den Schwä­chung der „pro-west­li­chen” Regie­rung durch Taliban-„Rebellen”. Viel­mehr zeig­te sich bereits weni­ge Wochen nach dem Sturz des Tali­ban-Regimes die Kon­ti­nui­tät eines regie­rungs­of­fi­zi­el­len Isla­mis­mus: Als der afgha­ni­sche Ober­rich­ter sich für die Aus­ge­stal­tung des Straf­rechts gemäß der Scha­ria aus­sprach, konn­te er sich dabei auf die Unter­stüt­zung des Vor­sit­zen­den der afgha­ni­schen Inte­rims­re­gie­rung (und spä­te­ren Staats­prä­si­den­ten) Hamid Kar­sai berufen.
Iran: Infol­ge der Isla­mi­schen Revo­lu­ti­on der Aja­tol­lahs im Jahr 1979 sind die ira­ni­schen Nicht-Mus­li­me, die den aner­kann­ten Reli­gi­ons­ge­mein­schaf­ten der Juden, Chris­ten und Zoro­as­trier ange­hö­ren, in den Sta­tus von „Dhim­mis” (Schutz­be­foh­le­nen) gezwun­gen wor­den. Zu ihnen gehö­ren die im Iran behei­ma­te­ten 300.000 Chris­ten (zumeist Arme­nisch-Ortho­do­xe). Hin­ge­gen gel­ten die 350.000 Ange­hö­ri­gen der größ­ten nicht-mus­li­mi­schen Reli­gi­ons­ge­mein­schaft, die Bahai, als vogel­frei. Der Amts­an­tritt Prä­si­dent Mah­mud Ahma­di­ned­jads, eines isla­mis­ti­schen „Hard­li­ners”, der eine „rei­ne isla­mi­sche Kul­tur” des Iran pos­tu­liert, hat­te seit 2005 eine Wel­le will­kür­li­cher staat­li­cher Über­grif­fe auf die freie Glau­bens­aus­übung der ira­ni­schen Chris­ten zur Fol­ge. Wie im benach­bar­ten Afgha­ni­stan, so wer­den auch in der Isla­mi­schen Repu­blik Iran Ex-Mus­li­me, die etwa zum Chris­ten­tum kon­ver­tiert sind, mit der Todes­stra­fe bedroht.
Irak: Einen Tag nach dem Beginn der mili­tä­ri­schen Inva­si­on des Irak, am 21. März 2003, behaup­te­te der Welt-Autor Han­nes Stein, erst das zwan­zigs­te Jahr­hun­dert habe – mit dem ara­bi­schen Natio­na­lis­mus – den Irak durch Ras­sis­mus, Pogro­me, eth­no-reli­giö­se Ver­trei­bun­gen und Mas­sa­ker heim­ge­sucht. „Die Ame­ri­ka­ner”, so Stein, „wer­den den Ira­kern gestat­ten, im ein­und­zwan­zigs­ten Jahr­hun­dert all die­sen moder­nen Unfug bei­sei­te zu räu­men und wie­der an die men­schen­freund­li­chen Bräu­che der Vor­mo­der­ne anzu­schlie­ßen. Als da wären: im Café­haus sit­zen, Nar­gi­la rau­chen und den Nächs­ten leben las­sen. Alham­dul­li­lah!” Tat­säch­lich ver­lor seit den Mili­tär­an­grif­fen vom März 2003 die Hälf­te aller 1,2 Mil­lio­nen ira­ki­schen Chris­ten ihre Hei­mat (bis August 2006), wor­auf der chaldä­isch-katho­li­sche Bischof Andre­os Abu­na hin­wies. Abu­na warn­te: „Die Alarm­glo­cke für das Chris­ten­tum im Irak schrillt. Das Weg­ge­hen so vie­ler von unse­rer klei­nen Gemein­schaft ist gefähr­lich für die Zukunft der Kir­che im Irak.” Neben der Into­le­ranz, die im gegen­wär­ti­gen Irak den auto­chtho­nen christ­li­chen Gemein­den ent­ge­gen­ge­bracht wird, mani­fes­tier­ten sich die „Bräu­che der Vor­mo­der­ne” im „befrei­ten” Irak auch in der Ein­füh­rung der Scha­ria sowie in der (zeit­wei­li­gen) Betei­li­gung des radi­kals­ten Flü­gels der pro-ira­ni­schen Schii­ten an einer ira­ki­schen Regierung.
Koso­vo-Meto­hi­ja: Der Patri­arch von Mos­kau und ganz Ruß­land, Ale­xej II., soli­da­ri­sier­te sich im April 2007 mit Ser­bi­en und warn­te davor, die ser­bi­sche Pro­vinz Koso­vo-Meto­hi­ja unter alba­nisch-mus­li­mi­scher Domi­nanz in die „Unab­hän­gig­keit” zu ent­las­sen: „Ich glau­be nicht, daß die Alba­ner die ser­bi­sche Min­der­heit und die Hei­lig­tü­mer auf rich­ti­ge Wei­se schüt­zen wür­den”, erklär­te er – was in Anbe­tracht der Ver­trei­bung Hun­dert­tau­sen­der von Ser­ben und der Zer­stö­rung von über ein­hun­dert ser­bi­schor­tho­do­xen Kir­chen und Klös­tern seit 1999 kei­nes­falls als eine „pan­sla­wis­ti­sche” Pole­mik abge­tan wer­den kann. Auch in Koso­vo-Meto­hi­ja wird das kul­tu­rel­le Selbst­ver­ständ­nis Euro­pas zur Dis­po­si­ti­on gestellt.

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