Nichts mehr zu verlieren, das aber lustvoll: Fünfzig Jahre BRAVO

pdf der Druckfassung aus Sezession 15/Oktober 2006

sez_nr_157Im Rahmen der allseitigen Geburtstagsgrüße, die Europas größter Jugendzeitschrift Bravo anläßlich ihres fünfzigsten „Wiegenfestes" entgegenbranden, weisen Journalisten gern schmunzelnd auf die ach so spießigen Aufwallungen damaliger Sitten- und Kulturwächter hin, deren Agitation gegen „jugendgefährdende Inhalte" sich noch bis in die längst durch und durch aufgeklärten siebziger Jahre hingezogen hatte. Die Bardot in Netzstrumpfhosen und Mieder als erster „Starschnitt" zum Zusammenbasteln in Lebensgröße (1959), die Erwähnung lesbischer Liebe und eine moralinfreie Aufklärung über Masturbation (1972) - harmlos erscheinen in den Augen der nachgeborenen Leser die Themen und verklemmt die Stellungnahme der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften: sozialethische Verwirrung! Wie darf man heute darüber lachen!

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.


Sie­ben­und­neun­zig Pro­zent der Deut­schen ist „Dr. Som­mer” ein Begriff, ein Gut­teil dar­un­ter erhielt über des­sen Ali­as Dr. Mar­tin Gold­stein sexu­el­len Auf­klä­rungs­un­ter­richt und hat­te sich selbst dabei meist als Spät­zün­der ein­zu­ord­nen. Wo Vier­zehn­jäh­ri­ge ihre Ver­zweif­lung am ord­nungs­ge­mä­ßen Gebrauch eines Dia­phrag­mas beschrie­ben und Fünf­zehn­jäh­ri­ge über Orgas­mus­pro­ble­me klag­ten, kam sich man­cher Leser hoff­nungs­los zurück­ge­blie­ben vor.
Dabei kam die Bra­vo lan­ge Jah­re ohne jene Rubrik „Lie­be, Sex und Zärt­lich­keit” aus, die erst in den spä­ten Sech­zi­gern (mit dem viel­sa­gen­den Titel „Lie­be ohne Geheim­nis”) ans Ein­ge­mach­te ging. Ein Drit­tel der Leser­schaft war damals über fünf­und­zwan­zig Jah­re alt, wäh­rend bald – und bis heu­te – die Zwölf- bis Sech­zehn­jäh­ri­gen die Haupt­ziel­grup­pe dar­stell­ten. Die ers­ten Jah­re des Flat­ter­heft­chens, das zunächst noch unter dem bie­de­ren Titel „Die Zeit­schrift mit dem jun­gen Her­zen” – Kos­ten­fak­tor: fünf­zig Pfen­nig – fir­mier­te, stan­den sex­frei im Zei­chen der Ame­ri­ka­ni­sie­rung. Der Tübin­ger Kul­tur­wis­sen­schaft­ler Kas­par Maa­se beschreibt im Jubi­lä­ums­ka­ta­log 50 Jah­re Bra­vo ein­drück­lich – wenn­gleich affir­ma­tiv, dien­te der Zweck der Übung doch der über­fäl­li­gen Demo­kra­ti­sie­rung – jene Ame­ri­ka­ni­sie­rungs­of­fen­si­ve, die das Heft in sei­nen Anfangs­jah­ren betrieb (und heu­te, ange­sichts einer glo­ba­li­sier­ten deut­schen Jugend längst nicht mehr expli­zit her­aus­stel­len muß). Die Auf­la­ge jener Bild­zei­tungs­vor­stu­fe wuchs sei­ner­zeit von 30.000 Exem­pla­ren der Erst­aus­ga­be auf über eine hal­be Mil­li­on im Jah­re 1959; 1980 zähl­te das Blatt über 1,5 Mil­lio­nen Käu­fer. Denen wur­de unter der Ägi­de von Chef­re­dak­teur Peter H. Boe­nisch – spä­ter Bild-Chef, letzt­jäh­rig ver­stor­ben, unter Hin­ter­las­sen­schaft zwei­er Kin­der übri­gens, denen das Bra­vo-Alter noch bevor­steht – der coo­le US-Boy als Gegen­bild zum habi­tu­ell klem­mi­gen Bun­des­bür­ger, der ja eigent­lich nur Nazi-Sohn war, anemp­foh­len. „Bra­vo gab gän­gi­gen Ste­reo­ty­pen vom ame­ri­ka­ni­schen und deut­schen Natio­nal­cha­rak­ter eine spe­zi­fi­sche Wen­dung”, schreibt Maa­se unter bered­ten illus­tra­to­ri­schen Ver­wei­sen. „Vie­le Tex­te spiel­ten auf fol­gen­des Mus­ter an: Drü­ben war man sou­ve­rän, läs­sig, zivil – hier­zu­lan­de ord­nungs­fi­xiert, zackig mili­ta­ris­tisch.” Gera­de die Läs­sig­keit, sich in Klei­dung, Ges­tus und Spra­che aus­drü­ckend, ent­wi­ckel­te sich damals zu einer Art „Basis­qua­li­tät, die den ‚moder­nen‘ Jun­gen aus­zeich­ne­te (…) Was Bra­vo hin­zu­füg­te, war die gera­de­zu pene­tran­te Abwer­tung des Gegen­bil­des, des Zacki­gen, als über­holt und deutsch-mili­ta­ris­tisch-lächer­lich.” Bei­spiel­haft deut­lich wird dies an einem Arti­kel über Mar­lon Bran­do, der im US-Kriegs­film Die Löwin einen Wehr­machts­of­fi­zier spiel­te. Rhe­to­risch die Fra­ge, die gestellt wird, sug­ges­tiv die Ant­wort: „Ob es stimmt, daß Bran­do sich in der deut­schen Wehr­machts­uni­form so wohl gefühlt hat, daß er sie gar nicht mehr aus­zie­hen woll­te? Kei­ne Spur. Mar­lon ist ein so salop­per Zivi­list, daß er sich grund­sätz­lich in kei­ner Uni­form wohl­fühlt. Hier der Beweis: Ganz läs­sig, mit Pull­over und wei­chem Hut kommt Mar­lon zu den Auf­nah­men.” So und ähn­lich ver­fuhr die meta­po­li­ti­sche Schie­ne der bis heu­te gene­rell unpo­li­ti­schen Bra­vo mit der damals noch nicht rest­los des­avou­ier­ten sol­da­ti­schen Prä­gung deut­scher Männlichkeit.

Der for­cier­ten Ame­ri­ka­ni­sie­rung folg­te die Früh­sexua­li­sie­rung. 1969 ent­hielt man sich noch por­no­gra­phi­schen Anwand­lun­gen und fand For­mu­lie­run­gen, die heu­te selbst in Schul­bü­chern deut­lich läs­si­ger for­mu­liert wer­den: „Es muß eine see­li­sche Bezie­hung bestehen, bevor sich zwei Men­schen bereit­fin­den, eine so enge kör­per­li­che Berüh­rung zu voll­zie­hen, wie sie der Geschlechts­akt dar­stellt. Der Mensch hat die rein bio­lo­gi­sche Instinkt­hand­lung ver­edelt und sie einem höhe­ren Zweck als nur dem der Art­erhal­tung unter­wor­fen.” Den heu­ti­gen Sexpäd­ago­gen der Bra­vo dürf­te sol­che Defi­ni­ti­on über­kom­me­nes Pipa­po sein. In der aktu­el­len online-Aus­ga­be etwa wer­den den kind­li­chen Lesern „schar­fe Tips: Intim­ra­sur für Girls” dar­ge­bo­ten sowie eine Erläu­te­rung jener Vor­tei­le, die ein one night stand mit sich brin­gen kön­ne: „Es kann Spaß machen, einen frem­den Kör­per zu erfor­schen. Und weil man dabei nichts zu ver­lie­ren hat, kann man sich und sei­ne Lust ganz unver­krampft ausprobieren.”
Das dicke, bun­te Bra­vo-Geburts­tags­buch, her­aus­ge­ge­ben unter der Ägi­de des berufs­mä­ßi­gen Jugend­ver­ste­hers Klaus Farin vom Ber­li­ner Archiv für Jugend­kul­tu­ren, lie­fert durch den Abdruck von Aus­schnit­ten ver­gan­ge­ner Zei­tungs­jahr­zehn­te ein eben­so belus­ti­gen­des wie bedrü­cken­des, in jedem Fall aber viel­sa­gen­des Pho­to­al­bum des­sen, wozu der Euphe­mis­mus „Jugend” seit den Sech­zi­gern ver­kom­men ist. In ihrer Dop­pel­funk­ti­on als Vor- und Spie­gel­bild des­sen, was als „ange­sagt” zu betrach­ten ist – von Klin­gel­tö­nen fürs Tele­phon über Geni­tal­mo­den bis hin zu mög­lichst coo­len Ver­hal­tens­mus­tern – stellt sich die Bra­vo bei­na­he seit Beginn ihres Erschei­nens als papier­nes role model für gan­ze Gene­ra­tio­nen von Her­an­wach­sen­den dar. Lan­ge bevor das Kabel­fern­se­hen mit ganz­tä­gi­ger Rund­um­be­spa­ßung frag­wür­di­gen Inhalts den Platz als „heim­li­cher Erzie­her” in Kon­trast zu elter­li­cher Auto­ri­tät ein­neh­men konn­te, hat­te Bra­vo die Zer­set­zung als über­kom­men emp­fun­de­ner Wert­vor­stel­lun­gen ein­ge­lei­tet. Die Bun­des­prüf­stel­le für jugend­ge­fähr­den­de Schrif­ten argu­men­tier­te 1972 übri­gens wie folgt: „(…) Das ent­wick­lungs­be­ding­te Bedürf­nis die­ser Alters­stu­fe (zwölf bis sech­zehn Jah­re), sich mit Vor­bil­dern zu iden­ti­fi­zie­ren, wird durch einen pene­tran­ten Star­kult gera­de­zu aus­beu­te­risch dazu benutzt, direkt oder indi­rekt Bedürf­nis­se in den Jugend­li­chen zu wecken, die sie zu kri­tik­lo­sen Kon­su­men­ten machen oder in eine Traum­welt füh­ren, die für ihr eige­nes Leben nie­mals erreich­bar sein könn­te. Die Dar­stel­lung angeb­li­cher Vor­lie­ben oder Gewohn­hei­ten der sys­te­ma­tisch auf­ge­bau­ten Stars muß auch bei ihren Fans ähn­li­che Bedürf­nis­se wecken oder schon sehr früh zu Frus­tra­ti­on und Mut­lo­sig­keit füh­ren, die eine Aus­ein­an­der­set­zung mit der eige­nen Welt unmög­lich machen. Die­se eige­ne Welt wird über­haupt nicht erwähnt, bedeu­tet sie doch ent­we­der Schu­le oder Lehr­stel­le – bei­des Insti­tu­tio­nen, die Pflich­ten mit sich brin­gen und nicht sin­gend oder Musik hörend allein durch­lau­fen wer­den kön­nen. (…) So wird all­mäh­lich die für puber­tie­ren­de Jugend­li­che wich­ti­ge Fra­ge: Wer bin ich eigent­lich umge­münzt in die Fra­ge: Wie ähn­lich bin ich mei­nem Star?” An der nor­ma­ti­ven Wirk­mäch­tig­keit der Bra­vo ände­re sich selbst dann nichts, „wenn Jugend­li­che die gebo­te­nen Scha­blo­nen als bil­li­gen Kin­topp durch­schau­en. Sie behal­ten den­noch ihren Wert für die For­mu­lie­rung per­sön­li­cher Lust­an­sprü­che, Part­ne­ridea­le, Lebens­in­halt und Lebens­stil.” Den frei­zü­gi­gen Sex­re­por­ta­gen wird beschei­nigt, „aus­ge­spro­che­nen Auf­for­de­rungs­cha­rak­ter” zu haben, hier wer­de „wie­der eine Traum­welt der (Schein)befriedigungen, die sehr leicht zu haben sind, ange­bo­ten. Recht und Lust auf Befrie­di­gung hat jeder”, so umschreibt die Prüf­stel­le den Grund­ton der dar­ge­bo­te­nen Auf­klä­rung, „erlaubt ist alles, wenn es vor allem bequem ist, kei­ne wei­te­ren Umstän­de macht (…)”. Dem ist auch aus heu­ti­ger Sicht wenig hin­zu­zu­fü­gen. In ver­ant­wor­tungs­be­wuß­ten Eltern­häu­sern hat­te die Bra­vo nie ihren Platz. Jugend­li­che Unter­schei­dungs­be­dürf­nis­se und hor­mo­nel­le Ent­wick­lungs­schü­be pfleg­ten hier mit höhe­rem Anspruch kana­li­siert zu werden.
Im neu­en Jahr­tau­send übri­gens ver­kauft sich die Bra­vo schlecht wie nie. Die ver­kauf­ten Exem­pla­re haben sich wäh­rend des ver­gan­ge­nen Jah­res auf unter 500.000 ein­ge­pen­delt. Über die „Jugend von heu­te” sagt das wenig aus. Ande­re Blät­ter von ähn­li­chem For­mat ste­hen zur Aus­wahl, Markt­füh­rer bleibt unan­ge­foch­ten Bra­vo. Und die hat ihre Zie­le ja längst.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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