Chronik des Bombenkriegs: 12. März 1945 – Das Massaker von Swinemünde

Swinemünde (heute Świnoujście) auf der Insel Usedom, Kleinstadt an der Mündung der Peene und...

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

Vor­ha­fen des pom­mer­schen Stet­tin, war ab dem spä­ten 19. Jahr­hun­dert für sei­nen Kanal und preu­ßi­sche Fes­tungs­an­la­gen bekannt. Nach 1933 wur­de ein U‑Boot-Hafen für die Mari­ne (Tor­pe­do­boo­te) ange­legt. Ab Febru­ar 1945 war die Stadt, die 1939 ca. 26 500 Ein­woh­ner zähl­te, Kno­ten­punkt deut­scher Flücht­lings­strö­me aus den über­rann­ten Ostgebieten.

Täg­lich kamen tau­sen­de Per­so­nen an; selbst 900 Geret­te­te der unter­ge­gan­ge­nen “Wil­helm Gustl­off” wur­den nach Swi­ne­mün­de gebracht. Zehn­tau­sen­de Ver­trie­be­ne und Flücht­lin­ge war­te­ten auf ihre Ver­schif­fung nach Däne­mark oder Nord­west­deutsch­land. Den­noch wur­de die Stadt von über 650 Bom­bern heimgesucht.

Her­vor­zu­he­ben ist, daß die west­al­li­ier­ten Luft­streit­kräf­te über kaum eine Stadt so gut infor­miert gewe­sen sind, wie dies bei Swi­ne­mün­de der Fall war. Das nahe­ge­le­ge­ne Pee­ne­mün­de war V‑2-Test­ge­län­de und daher im per­ma­nen­ten Fokus. Dem­entspre­chend kann­ten die Auf­klä­rungs­ein­hei­ten der US-Ame­ri­ka­ner auch die über­quol­len­den Lager in und um die Stadt, in denen sich Tau­sen­de Ost­deut­sche, die dem Wüten der Roten Armee ent­ka­men, dräng­ten, und auf den Trans­fer Rich­tung Wes­ten war­te­ten, sei es per Bahn, Schiff oder Treck.

Hin­zu kamen am 12. März 1945 14 wei­te­re über­füll­te Flücht­lings­schif­fe, die noch am Kai lagen. Als Flie­ger­alarm ertön­te, ver­such­ten die Men­schen, über­has­tet den Hafen zu ver­las­sen. Das Cha­os in Swi­ne­mün­de wur­de dadurch wei­ter ver­stärkt. Dann war­fen die US-Bom­ber gegen 12 Uhr aus gro­ßer Höhe über 1500 Ton­nen Bom­ben ab (vor­wie­gend Spreng- und Split­ter­bom­ben), ins­be­son­de­re auf den Bahn­hof, den Hafen, den Kur­park. An allen drei mar­kan­ten Orten waren unzäh­li­ge Flücht­lin­ge konzentriert.

Der Angriff auf die Klein­stadt dau­ert etwa eine Stun­de, sei­ne Bilanz war ver­hee­rend. Offi­zi­el­len Anga­ben zufol­ge star­ben 23 000, inof­fi­zi­el­len Anga­ben zufol­ge gab es jedoch bis zu 28 000 Opfer. Weni­ger als 2 000 konn­ten iden­ti­fi­ziert wer­den, denn die Mas­se der Ermor­de­ten setz­te sich aus nicht regis­trier­ten Flücht­lin­gen zusam­men: Kin­der, Frau­en, Grei­se. Hin­zu kam die Wir­kung der Spreng­bom­ben, die zahl­lo­se Kör­per zer­fetz­ten und so eine Iden­ti­fi­zie­rung unmög­lich mach­ten, sowie die ver­schie­de­nen Brand­her­de. Den­noch ver­merk­te die ame­ri­ka­ni­sche Luft­flot­te die Ein­äsche­rung der schutz­lo­sen Flücht­lings­stadt lapi­dar als “Angriff auf Rangierbahnhöfe”.

Das “Mas­sa­ker von Swi­ne­mün­de” (Jörg Fried­rich) wur­de voll­endet durch Tief­flie­ger­an­grif­fe der US Air Force auf die ankern­den Schif­fe. Meh­re­re wur­den ver­senkt; Hun­der­te wei­te­re Men­schen star­ben. Die Toten, die gebor­gen wer­den konn­ten, wur­den auf dem bereits erwähn­ten Hügel Golm in Mas­sen­grä­bern beer­digt; er ist mit 69 Meter über dem Mee­res­spie­gel der höchs­te Punkt der Insel Use­dom und ist mit bis zu 14 000 Bom­ben­to­ten eine der größ­ten Gedenk­stät­ten Deutsch­lands über­haupt. Auf einer pri­vat gestif­te­ten Tafel ist die Gra­vur zu lesen:

20.000 Opfer des Bom­ben­an­griffs am 12. März 1945 auf Swi­ne­mün­de. Eine Stadt sank in Trüm­mer. Ver­ge­ben, doch nicht ver­ges­sen. Wir geden­ken der Toten.

Und in der offi­zi­el­len Gedenk­stät­te Golm wird gemahnt:

Golm

Lite­ra­tur­hin­wei­se:
Gün­ter Zemel­la: War­um muß­ten Deutsch­lands Städ­te ster­ben? Eine chro­no­lo­gi­sche Doku­men­ta­ti­on des Luft­krie­ges gegen Deutsch­land 1940–1945, 648 S., 24.90 €.
Björn Schu­ma­cher: Die Zer­stö­rung deut­scher Städ­te im Luft­krieg, 344 S., 24,90 €.

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

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Kommentare (8)

Altbayer

12. März 2015 09:48

Kurze Anmerkung zu der Rubrik Literaturhinweise:

Es gibt ein lesenswertes Buch zum Luftangriff auf Swinemünde von Helmut Schnatz. Titel: "Der Luftangriff auf Swinemünde. Dokumentation einer Tragödie".

Karl Martell

12. März 2015 13:30

Der Krieg gegen Zivilisten begann schon ganz gezielt im amerikanischen Bürgerkrieg.

"Sherman hatte die ganz präzise Order: Kill and destroy,
die Parole des jungen Washington im
Unabhängigkeitskrieg. Sie war wörtlich gemeint, und der
»tüchtigste Feldherr der Union« nahm sie auch wörtlich.
Er begann einen mörderischen Verwüstungszug durch
die unschuldigen Städte und Dörfer, der später unter
dem Namen »Anakonda« eine erbärmliche Berühmtheit
erlangte. Wo die Heeresschlange erschien, ließ sie in
einer Breite von hundert Kilometern alles in Schutt und
Asche zurück. Es wurde vernichtet, was man fand,
Häuser, Fabriken, Maschinen, Farmen, Tiere,
Pflanzungen, Getreide, Baumwolle, Zuckerrohr, Straßen
und Brücken. Wenn die Anakonda, die Riesenschlange,
abgezogen war, brannte das Land, und die Viehherden
verfaulten auf den Weiden. Zum erstenmal in der
modernen Geschichte praktizierte Amerika den totalen
Vernichtungswillen.

Moltke, der es ja von Europa aus mit ansah, hatte recht
(obwohl er ein Deutscher ist), wenn er sagte: Das sind
keine Soldaten mehr, das ist eine Bande von entfesselten
Marodeuren. Ich habe mir früher nie erklären können,
wie es zur »Anakonda« kommen konnte. Sie war
unnötig, der Krieg war ja praktisch entschieden. Ich
glaube, seit 1945 weiß ich es: Die »Anakonda« war ihr
erstes Hiroshima."

Joachim Fernau, Halleluja - Die Geschichte der USA

Bernhard

12. März 2015 22:28

Das Buch von Schnatz ist auf keinen Fall zu empfehlen, da er mit für mich nicht nachvollziehbaren, spekulativen Thesen die Opferzahl drastisch herunterrechnet. Schnatz hat auch ein merkwürdiges Buch über Dresden geschrieben, in dem er die Tieffliegerangriffe bestreitet.

Altbayer

13. März 2015 14:45

@ Bernhard:
Das Dresden-Buch kenne ich nicht.

Meier Pirmin

13. März 2015 14:52

Ich hörte im Herbst 1997 an der Universität Zürich Winfried Georg Sebalds Vorlesung zu seinem Luftkrieg-Buch. Von den Recherchen her weniger bedeutend als von der Wiederaufnahme des Themas nach Generationen, nachdem über Jahrzehnte nur die Auschwitz-Opfer zählten. Sebald sprach über "die Unfähigkeit einer ganzen Generation deutscher Autoren, das, was sie gesehen hatten, aufzuzeichnen und einzubringen in unser Gedächtnis". Wichtiger als die Schilderung der realen Verhältnisse sei ihnen die Wiederherstellung ihres eigenen Selbstverständnisses gewesen. Dabei hatte Sebald selber Probleme mit seinem Selbstverständnis, leugnete seinen Vornamen Winfried, indem er sich nur W.G. Sebald nannte. Der Allgäuer bleibt aber einer der ganz wenigen bedeutenden deutschen Autoren einer ansonsten "Null-Epoche" der muttersprachlichen Literatur. Er starb 2001 an den Folgen eines Verkehrsunfalls, hat nach seinem Hinschied in Sachen Rezeption sehr vorwärts gemacht.

Bernhard

13. März 2015 18:52

Schnatz hat im Jahr 2000 "Tiefflieger über Dresden?" veröffentlicht, das nicht nur bei Dresdnern für Empörung gesorgt hat. Es ist doch ein starkes Stück, die Augenzeugenberichte quasi als eine Art der kollektiven oder individuellen Halluzination zu bezeichnen. Man denke nur an den Augenzeugenbericht von Victor Klemperer.

Können Sie vielleicht Schnatz Methode der Schätzung der Opfer in Swinemünde in seinem Buch nachvollziehen? Ist es nicht ein durchsichtiger Versuch die Zahl möglichst zu minimieren? Ich halte mich da lieber an die Schätzungen der Zeitzeugen, der Interessengemeinschaft Golm und der Kriegsgräberfürsorge. Die erscheinen glaubwürdiger.

Karl Martell

14. März 2015 09:51

@ Bernhard

Oft sind ausländische Zeugen ehrlicher als deutsche "Historiker" (ein akademischer Klüngel, dem es in der Regel weniger an Kopf als an
Charakter gebricht).

Die englische Wissenschaftlerin und Autorin Freda Utley, die das zerstörte Nachkriegsdeutschland bereiste und dort im Austausch mit vielen wichtigen Personen der damaligen Zeit stand (unter anderem wiederholt mit Carlo Schmid), berichtete 1949 in ihrem detailreichen Buch „The High Cost of Vegeance“ („Kostspielige Rache“, dt. 1950) in dem Kapitel „Unsere Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ über

„unsere Angriffe auf nicht militärische Ziele wie Dresden, wo wir in einer Nacht mehr als eine Viertelmillion Menschen den gräßlichsten Tod brachten, den man sich nur ausmalen kann, indem wir dieses unverteidigte und von Menschen, die vor dem russischen Vormarsch westwärts flohen, vollgestopfte Kulturzentrum mit Phosphorbomben belegten […] Diese Greueltat gehört zu unseren größten Kriegsverbrechen, weil wir damit demonstrierten, daß Mord an Zivilisten unser Ziel war. Wir machten sogar Jagd mit Maschinengewehren auf Frauen und Kinder, die aus der lodernden Stadt aufs Land hinaus zu fliehen trachteten".

Martin

16. März 2015 16:38

Heute ist der 16.03. - Kommt evtl. auch ein Bericht zu Würzburg?

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