Buchrezension: Mythos Israel

Mythos Israel
Ilan Pappe: Die Idee Israel – Mythen des Zionismus (= LAIKAtheorie, Bd. 56), Hamburg: Laika 2015. 375 S., 21 €

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

Der Ham­bur­ger Lai­ka-Ver­lag stellt ein­mal mehr unter Beweis, daß er auf dem deut­schen Buch­markt die Hei­mat der klu­gen Zio­nis­mus­kri­tik ist. Fern vom ein­fäl­ti­gen Anti­zio­nis­mus links­dog­ma­ti­scher Sek­ten (oder auch alt­rech­ter Schwarz-Weiß-Maler) bie­tet das mar­xis­ti­sche Haus Autoren wie Mos­he Zucker­mann, Mos­he Macho­ver und Ilan Pap­pe einen Publikationsort.

Vor allem Pap­pes nun in deut­scher Spra­che vor­lie­gen­des Werk Die Idee Isra­el hat es in sich, denn seit Zeev Stern­hells Grund­la­gen­werk The Foun­ding Myths of Isra­el (1999) ist nicht mehr so luzi­de, so unauf­ge­regt, so kennt­nis­reich über Paläs­ti­na, Isra­el und den Zio­nis­mus als wirk­mäch­ti­ge Ideo­lo­gie geschrie­ben wor­den wie in die­sem Buch. Es gibt gleich­wohl meh­re­re Unter­schie­de zwi­schen den bei­den Leucht­tür­men der Zio­nis­mus-For­schung: Pap­pe ist noch kon­se­quen­ter in sei­ner Ver­ur­tei­lung expan­si­ver und chau­vi­nis­ti­scher Ideo­lo­ge­me inner­halb des israe­li­schen Natio­na­lis­mus; er geht somit über Stern­hell hinaus.

Und: Bei­de Autoren sind Wis­sen­schaft­ler, aber Pap­pe schreibt dabei ein Stück weit per­sön­li­cher. Der in Exe­ter leh­ren­de Poli­tik­wis­sen­schaft­ler unter­sucht die dem Staat Isra­el zugrun­de lie­gen­de Idee – ver­kürzt: die Schaf­fung eines homo­ge­nen jüdi­schen Staa­tes mit hege­mo­nia­ler Stel­lung in der Regi­on – aka­de­misch, fügt aber sine ira et stu­dio per­sön­li­che Erfah­run­gen mit dem israe­li­schen Wis­sen­schafts­be­trieb sowie mit Künst­lern, Jour­na­lis­ten und Poli­ti­kern an.

Pap­pes Werk ist ideen­po­li­tisch aus­ge­legt, prüft und weist aber stets nach, wel­che Ideen und Mythen kon­kre­te real­po­li­ti­sche Wir­kung ent­fal­ten. Er dekon­stru­iert dabei zual­ler­erst den für alle zio­nis­ti­schen Spiel­ar­ten kon­sti­tu­ie­ren­den „Mythos vom lee­ren Land für ein land­lo­ses Volk“. Paläs­ti­na war selbst­re­dend nicht „leer“, son­dern von Ara­bern bewohnt, die aber als ver­nach­läs­sig­ba­rer Fak­tor betrach­tet wur­den (und werden).

Pap­pe sieht den Beginn der Her­ab­wür­di­gung einer gan­zen Volks­grup­pe zu Beginn des 20. Jahr­hun­derts grei­fen, als eine ers­te Sied­ler­ge­nera­ti­on das his­to­ri­sche Hei­mat­land erreich­te. Bereits damals wur­de der Grund­stein für eine bis heu­te andau­ern­de Geschich­te der Dis­kri­mi­nie­rung gelegt, die eine frap­pie­ren­de Kon­ti­nui­tät des Ara­ber­has­ses inner­halb der jüdi­schen Sied­ler­ge­mein­den des 20. und 21. Jahr­hun­derts nahe­legt. Pap­pe kon­sta­tiert im Hin­blick auf die Behand­lung der ansäs­si­gen ara­bi­schen Bevöl­ke­rung durch Gene­ra­tio­nen von Neu­an­kömm­lin­gen – nicht zuletzt mani­fest in israe­li­schen, mythen­bil­den­den Fil­men über die Gene­se des Staa­tes – „eine Kom­bi­na­ti­on aus ras­sis­ti­schem Über­le­gen­heits­kom­plex und patho­lo­gi­schem Hass“.

An spä­te­rer Stel­le zeigt Pap­pe, daß die Dis­kri­mi­nie­rung nicht nur Ara­ber (also christ­li­che und mus­li­mi­sche Paläs­ti­nen­ser) trifft, son­dern daß auch das israe­li­sche Volk ein zutiefst gespal­te­nes ist: Er ver­weist auf eine Hier­ar­chie des eth­ni­schen und sozia­len Abwer­tens inner­halb der ohne­hin stark frag­men­tier­ten jüdi­schen Gesellschaft.

Der­art ener­gi­sche Urtei­le erschwe­ren Pap­pes Stand in der israe­li­schen uni­ver­si­tä­ren For­schung und dar­über hin­aus in wei­ten Tei­len der israe­li­schen Gesell­schaft unge­mein; mit sei­ner vor­ur­teils­frei­en, aber apo­dik­ti­schen Hal­tung zählt er zu einer klei­nen intel­lek­tu­el­len Mino­ri­tät. Deren meist uni­ver­si­tä­re Prot­ago­nis­ten – „Anti­zio­nis­ten“ und „Post­zio­nis­ten“ – stellt Pap­pe in werk­bio­gra­phi­schen Exkur­sen der euro­päi­schen Leser­schaft vor (von Uri Avnery bis Ilan Hale­vi) – wohl auch, um den ent­ste­hen­den Ein­druck zu wider­le­gen, Isra­els Intel­li­genz wäre ein mono­li­thi­scher (pro­zio­nis­ti­scher) Block.

Denn die Annah­me einer ein­heit­li­chen Stoß­rich­tung aller Israe­lis ist eben­so ein Mythos des Zio­nis­mus wie die Front­stel­lung „Wir“ gegen den „Rest“ der Welt. Pap­pe weist nach, das die­ses iden­ti­täts­stif­ten­de Nar­ra­tiv von den sich selbst schüt­zen­den Israe­lis gegen eine von Anfang an feind­li­che Umge­bung (inklu­si­ve der Welt­po­li­tik) vor allem dem Schlie­ßen der eige­nen Rei­hen und der Set­zung selek­ti­ver Geschichts­schrei­bung dient. Tat­säch­lich ent­fal­tet Pap­pe ein Pan­ora­ma israe­li­scher His­to­rie – mit den wich­tigs­ten Zäsu­ren 1948, 1967 und 1994 –, das mit dem eher­nen Grün­dungs­my­thos und wei­te­ren fun­da­men­ta­len Legen­den des Zio­nis­mus nicht viel gemein hat.

Für die Zukunft eines fried­li­chen Neben­ein­an­ders von Isra­el und den Paläs­ti­nen­ser­ge­bie­ten spen­det Pap­pe wenig Hoff­nung. Zu stark die neo­zio­nis­ti­sche Visi­on, die von Sied­lern, Natio­nal­re­li­giö­sen und säku­la­ren Natio­na­lis­ten glei­cher­ma­ßen geteilt wird; zu stark die Sehn­sucht nach der eini­gen­den Kraft durch neo­zio­nis­ti­sche Ver­ein­fa­chung kom­ple­xer gesell­schaft­li­cher und poli­ti­scher Pro­zes­se; zu stark schließ­lich die mythi­sche Wir­kung natio­nal­chau­vi­nis­ti­scher Theo­re­me in offi­ziö­ser israe­li­scher Geschichts­schrei­bung und Medienwelt.

Zu guter Letzt kann mit Pap­pe auch die der­zei­ti­ge israe­li­sche Aggres­si­on gegen das säku­la­re Syri­en begrün­det wer­den: Die direk­te Stär­kung neo­fun­da­men­ta­lis­ti­scher Ter­ror­grup­pen wie der Al-Qai­da-Filia­le „Nus­ra-Front“ sorgt dafür, daß aus dem Staats­zer­fall Syri­ens ein neu­er „isla­mi­scher Dämon“ (Pap­pe) hervorgeht.

So kön­ne Isra­el auch zukünf­tig einen wei­te­ren lieb­ge­won­ne­nen Mythos pfle­gen: Jenen von Isra­el als „Hort der Sta­bi­li­tät“ inmit­ten ara­bisch-mus­li­mi­scher Barbarei.

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Ilan Pap­pe: Die Idee Isra­el – Mythen des Zio­nis­mus (= LAI­KA­theo­rie, Bd. 56), Ham­burg: Lai­ka 2015. 375 S., 21 €

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