nach dieser Devise funktioniert es noch immer prima mit der Karriere in Politik, Verwaltung, Medien und, wer hätte das gedacht, auch in der sogenannten freien Wirtschaft. Der Gemeine Empörkömmling (m/w) kann überdies sicher sein, neben fortgesetzter Duldung und materieller Entlohnung und auch das Wohlgefühl moralischer Überlegenheit einzufahren. Kennen wir ihn und seinesgleichen nicht zur Genüge?
Der Gemeine Empörkömmling begreift sich – nur weil er sich derzeit lautstark gegen rechts empört – nicht zwangsläufig als links. Der Empörkömmling ist – auch wenn er im Politik- oder Medienbetrieb tätig ist – seinem Wesen nach unpolitisch. Daß er faktisch Politik prägt, ist ihm nicht bewußt. Der Empörkömmling ist wohlfühlorientiert und wittert jede Chance zum persönlichen Fortkommen. Und er nutzt sie.
Würde der Wind von anderer Seite wehen – er wäre der erste, der sein Mäntelchen eiligst in den Wind zu drehen sich anschickte. Er ist der zeitgenössische Wiedergänger von Heinrich Manns Diederich Heßling. Auch Erich Fromm hat diesen obrigkeitshörigen, sadomasochistisch veranlagten Typus als „autoritären Charakter“ ausführlich und treffend beschrieben.
Die Mittel, derer sich der Gemeine Empörkömmling bedient, sind ebenso ein- wie vielfältig. Als leidenschaftlicher Trittbrettfahrer der gerade angesagten Meinung surft er gern auf den Wellen des Zeitgeistes, plappert eifrig nach und hält sich darin (zumal in der Hipster-Spielart) für höchst originell und zuweilen gar für außerordentlich mutig – doch es ist nur der wichtigtuerische Mut des kleinen Wadenbeißers, der sein Herrchen stets hinter sich weiß, der die Stimme seines Herrchens stets wiedererkennt und ihr bedingungslos folgt.
Der Empörkömmling wäre nicht er selbst, wenn er aus seinem Verhalten nicht jederzeit einen persönlichen Vorteil zu ziehen bestrebt wäre. Darum versucht er hellwach die Gunst der Stunde zu nutzen, indem er, wo immer er im Geiste seines Herrchens Empörenswertes wittert, dies seinem Herrchen sogleich durch aufgeregtes Schwanzwedeln und geiferndes Kläffen anzeigt. Dabei geht er auch über Leichen – sein moralisches Empfinden ist also recht einseitig ausgeprägt.
Doch Empörung ist mehr als nur gewerbsmäßiger Opportunismus. Solche Empörung ist zugleich ein probates Mittel, sich jeder Kritik an der eigenen Lebensführung zu entziehen. Betrachtet man die Existenz des Gemeinen Empörkömmlings näher, fällt als erstes oft seine mangelnde Eigenständigkeit und eine Tendenz zum Versagertum (beruflich, als Freund, als Partner, als Eltern) auf. Nicht selten unfähig zum Leben auf freier Wildbahn, ist er in seiner umfassenden Unentwickeltheit und Talentlosigkeit ganz und gar auf die Brotspende seines Herrchens angewiesen.
Doch indem er sich die Sache seines Brotgebers zu eigen macht, kann er seine Dürftigkeit geschickt kaschieren. Niemand würde wagen, ihn auf seine mangelnde Lebenstüchtigkeit anzusprechen, solange er sich nur der einen großen Aufgabe widmet, mit Empörungseifer zur Stelle zu sein. Er sonnt sich in den wärmenden Strahlen der Teilhabe am aktuell Richtigen und vermeintlich Guten.
Indes: Was wird mit dem Gemeinem Empörkömmling geschehen, wenn die wärmende Sonne der Kälte des Winters weicht, wenn dereinst der Wind sich wirklich dreht und ihm die wendehälsige Neuausrichtung mißlingen sollte?
Zugegeben: Das bringt uns jetzt ein wenig auf die spekulative Ebene. Doch ich frage ganz ernsthaft (und ehrlich beunruhigt durch die seit einiger Zeit auffällige Zunahme düstern drohender Kommentare auf diversen EU‑, islam‑, regimekritischen Foren bezüglich der Frage, wie mit den heutigen Machthabern, ihren Zustimmern und Zuträgern nach dem Tag X zu verfahren sei): Würde es unter umgekehrten Vorzeichen anders oder würde es genauso weitergehen wie es heute zu unser aller Leidwesen üblich ist? Würde man auch dann wieder geistige Dünnbrettbohrerei, Speichelleckerei und Denunziantentum fördern, solange es nur unter richtiger Flagge geschieht?
Wird menschliche Niedertracht sich immer und unter allen Umständen durchsetzen? Werden auch dann wieder jene Typen obenauf schwimmen, die geschickt auf jeder Welle des Common sense mitsurfen und sich durch zeitgemäßes Empören erneut in beifallheischende Positur werfen? Oder wird es einen echten Stilwechsel geben, der Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit höher schätzt als das maulfertiges Nachplappern und eilfertiges Empörertum?
Die Frage anders gefaßt: Der „autoritäre Charakter“ hat Regime und Gesellschaften unterschiedlichster Art geprägt und überlebt – stünde ihm nach einem Paradigmenwechsel nur eine erneute Wiederkehr bevor? Entkommt man dem Typus Heßling niemals? Wie sähe der Prüfstein aus, an dem sich künftig die Geister von den Ungeistern scheiden würden? Wie müßte das neue Haus gebaut sein, um auch in dieser Hinsicht sauber zu bleiben?
Coon
"Würde man auch dann wieder geistige Dünnbrettbohrerei, Speichelleckerei und Denunziantentum fördern, solange es nur unter richtiger Flagge geschieht?"
Klares Ja. Bezogen auf die deutsche Geschichte der letzten 100 Jahre plädiere ich dafür, alle 30 Jahre alles von den Füssen auf den Kopf zu stellen, damt der Schmutz ausgeklopft werden kann.