Fortan versuchte man, durch sinngebende Erzählungen noch die sinnwidrigste Politik zur Erfolgsstory zu machen.
Zuletzt betraf das bekanntlich die politisch erzwungene Massenmigration. Ob „Flüchtling“, „dringend benötigtes Talent“ oder „Fachkraft“: Sämtliche angebotenen Narrative dieser Art scheiterten binnen kürzester Zeit. Sie scheiterten an der Faktenlage und damit an sich selbst.
Dieser Erledigung der Migrationsnarrative für Gutgläubige folgte umgehend ein weiteres Narrativ: Das des Postfaktischen – überall lauern böswillige Verdreher der Wirklichkeit, verantwortungslose Stimmungsmacher, gewissenlose Populisten.
Das Narrativ des Postfaktischen richtet sich ironischerweise gerade gegen jene, die auf die der Migrationspolitik widersprechenden, nüchternen und nachprüfbaren Fakten verwiesen.
Fakten sind, das lernen wir daraus, nicht immer Fakten. Fakt ist offenkundig das, was amtlich zum Faktum erklärt wird.
Doch wie müsste so ein Narrativ, wie müsste das Storytelling eigentlich beschaffen sein, um nachhaltig erfolgreich zu sein? Erfolg ist hier identisch mit einer langfristig stabilen Gewinnung des öffentlichen Vertrauens.
In allererster Linie müsste das Narrativ also wohl glaubwürdig und durch die Realität wenigstens in soweit gedeckt sein, daß es nicht auf den ersten Blick als Konstrukt entlarvt werden kann. Narrative sind nämlich kein Freibrief für Lüge und Vertrauensmißbrauch, sondern sollen im Gegenteil Vertrauen stärken.
Zweitens kommt es auf die motivierende und mobilisierende Wirkung auf die Masse an. Im Fall des Migrationsnarrativs war das der Appell an das Gute im Menschen, an die Hilfsbereitschaft, an Barmherzigkeit, soziales Empfinden und die Bereitschaft, diese Welt zu einer besseren zu machen, an eine Mentalität also, die in Deutschland vielleicht stärker verbreitet ist als in anderen Ländern.
Das war als Schuß mitten ins Herz an sich sehr gut gezielt, doch was das Narrativ trotzdem schnell zum Scheitern brachte, war die allzu offensichtliche Diskrepanz zwischen Inhalt und Realität, zwischen Produktbild auf der Verpackung und Produktwirklichkeit – hier war einfach nicht das drin, was drin sein sollte. Das versprochene Filet erwies sich als falscher Hase.
Die schnell geplatzte Vertrauensblase ließ die Verantwortlichen nicht etwa am Inhalt des Narrativs zweifeln, sondern zu der Einsicht gelangen, daß man die eigene Politik künftig nur besser kommunizieren müsse. Was nichts anderes besagt, als daß man das Narrativ formal optimieren müsse. Was wiederum – das dürfen wir hier einfach mal unterstellen – nichts anderes als die Ankündigung der nächsten, noch dickeren Lüge und damit der nächsten Bauchlandung sein dürfte.
Storytelling als Kunst guten Marketings ist eben mehr als der Versuch, die Leute systematisch hinter die Fichte zu führen. Die Politik hat nicht einfach Werbung, sie hat schlechte Werbung kopiert. Und das gleich mehrfach hintereinander.
Dieses Versagen spricht allerdings nicht gegen die Verwendung von Narrativen generell, sondern nur gegen deren falsche Anwendung.
In Vorwegnahme weihnachtlicher Besinnlichkeit möchte ich anregen, über unsere eigenen Narrative nachzudenken – das konservative Narrativ, das rechte Narrativ, vielleicht sogar ein besseres linkes Narrativ –, kurzum: das ganz andere Narrativ. Brauchen wir überhaupt ein Narrativ? Haben wir überhaupt solche Geschichten zu erzählen, die schwer Faßbares gleichsam in einem klaren Bild kristallisieren?
Was sind das für Geschichten, wer sind ihre Protagonisten, wer erzählt die Geschichten massenkonform? Sind sie für die Gegenwart nachvollziehbar oder zu sehr auf Historisches fixiert und im schlimmsten Fall gar vorgestrig? Sind sie hinreichend glaubhaft einerseits und packend genug andererseits?
Die Weiterreichung der Frage an das Publikum möge mir bitte nicht als Arbeitsverweigerung ausgelegt werden – ich wäre an substantiellen Antworten ehrlich interessiert. Vor allem natürlich an solchen, die einen anderen als den gewohnten Blick wagen.
Winston Smith 78699
Haufenweise Narrative hier von Bosselmann in "Kapparoth Deutschland?" (14.8.2013), auch in den Kommentaren (mir gefällt "Mucki" Pinzner):
sezession.de/40234/kapparoth-deutschland
Kann verstehen, wenn das erstmal oder gar nicht freigeschaltet wird, man such ja nach neuen.