Der Versuch, Martin Heideggers Ergründung der Technik nachzuvollziehen, soll mit der keineswegs banalen Überlegung beginnen, daß »das Wesen der Technik ganz und gar nichts Technisches« ist. Die Technik verweist immer auf den Menschen und sein Verhältnis zur Welt, weshalb Heidegger auch eine bis heute gültige Warnung ausgesprochen hat: »Am ärgsten sind wir jedoch der Technik ausgeliefert, wenn wir sie als etwas Neutrales betrachten; denn diese Vorstellung, der man heute besonders gern huldigt, macht uns vollends blind gegen das Wesen der Technik.«
Diese Sätze stammen aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg und verweisen auf einen längeren Reflexionsprozeß. Schon seit 1932, seit dem Erscheinen von Ernst Jüngers Der Arbeiter. Herrschaft und Gestalt, setzte sich Heidegger mit der Thematik auseinander, um schließlich über das Wesen der modernen Zivilisation und ihrer ausgreifenden Technik die fundamentale Gefährdung von Mensch und Welt zu entziffern. Die zwischen 1934 und 1954 entstandenen Materialien zu Ernst Jünger, die, wie könnte es anders sein, Reflexionen zum historischen Kontext von Kommunismus, Nationalsozialismus und Weltkrieg darstellen, füllen den gesamten Band 90 der Heidegger-Gesamtausgabe. Der 1942 einsetzende, dreißig Jahre währende freundschaftliche Kontakt zu Ernst Jüngers Bruder Friedrich Georg, dessen Perfektion der Technik schon seit 1939 als Manuskript vorlag, hat Heideggers Denken ebenfalls nachhaltig geprägt. Nach 1945 schließlich bildet der Vortrag Die Frage nach der Technik, 1949 noch als Das Gestell, 1955 dann mit neuem Titel und in erweiterter Form, eine Summe des Heideggerschen Denkwegs.
Heidegger war durch Jüngers »Arbeiter« zu einem neuen Blick auf die Gegenwart, den »heutigen Weltzustand« herausgefordert. Jünger begriff den »Arbeiter« als »Gestalt« einer neuen Menschheitsepoche, als Repräsentation eines Willens zur Macht, der die bürgerliche Gesellschaft hinter sich lasse und in »die planetarische Herrschaft des unbedingten Arbeitsplans des Arbeiters« (Heidegger) überführe. Eine »totale Revolution«, eine »außerordentliche Rüstung«, eine »totale Mobilmachung der Materie« und eine »ihr parallel laufende Mobilmachung des Menschen« zeichneten sich am Horizont ab. Diesem »Manifest eines visionären Faschismus« (Jürgen Manthey) zufolge hatte das Individuum abgewirtschaftet, um in einem maschinengleich organisierten Arbeiter- und Ameisenstaat aufzugehen. Vorbei sei es mit christlicher Tradition, personaler Würde, Individualität, Liberalismus, Bürgertum. Das alles gehöre längst, mit elementarer Gewalt hinweggedrängt, einer zu Ende gehenden Epoche an. Ein neues Menschentum deute sich an, eine »stählerne Ordnung«, eine »Befehlsordnung«, in der Freiheit und Gehorsam »identisch« seien. Waren hier nicht die Umrisse des totalitären Staates vorweggenommen, Führerkult und Führerstaat, Stalins Paraden, die Reichsparteitage, Gesellschaft als Fabrik, Militarisierung der Arbeit, rücksichtslose Industrialisierung, Speers Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion, Bombenkrieg und Atombombe, gar Maos »Kulturrevolution«?
Aus jungkonservativer Perspektive sah Max Hildebert Boehm viel Richtiges in Jüngers Arbeiter-Prophetie, wies aber schon Weihnachten 1932 die »verhängnisvollen Irrlehren« dieses »abgewandelten Bolschewismus« zurück: »Nationalstaat, Volk und Volkstum, christlicher Glaube werden zu bürgerlichen Vorurteilen, Person, Individuum und Masse zu bloßen Begleiterscheinungen geschichtlicher Umstände, die verschwinden werden, sobald der Typus des Arbeiters die ›Herrschaft‹ übernimmt und die ›Scheinherrschaft‹ des Bürgers ablöst. Zwischen den anderthalb Jahrtausenden, die für uns namentlich im Vergleich zu den neuerschlossenen geschichtlichen Räumen noch Gegenwart sind, zwischen der christlichen Völker- und Staatenwelt des germanisch-romanisch-slawischen Kulturkreises und dem Kommenden sieht diese Grundhaltung eine absolute Kluft und will mit einer rein diesseitigen dämonisch-technischen Welt von vorn beginnen. Diese Haltung aber nennt man Bolschewismus.«
Soweit Boehm. Heidegger neigte jedoch zunächst dazu, Jüngers Vision positiv auf den Nationalsozialismus zu beziehen, der die alten Klassenschranken in der »Volksgemeinschaft« einebne und einen neuen »großen Willen des Staates« schaffe. Nach und nach, ab 1934/35, verschob sich Heideggers Perspektive schließlich. Die UdSSR und die USA erschienen ihm 1935 als »dieselbe trostlose Raserei der entfesselten Technik und der bodenlosen Organisation des Normalmenschen«. War ihm der Nationalsozialismus anfänglich noch als Alternative zu jener ökonomisierten, technisierten, banalisierenden Moderne erschienen, konnte er deren tiefere Verwandtschaft nun aber nicht mehr übersehen, denn auch »wir rüsten im Sinne der Technik und der Organisation (in einem gesagt: wir rüsten für die Machenschaft)«, zweckrational, beherrschend, bemächtigend. Entsprechend betonte Heidegger 1939/40 Jüngers diagnostische, prophetische Leistung: Was Jünger klar vorhergesehen habe, seien »die Erscheinungen der Technik als der Grundweise der Einrichtung und Sicherung des Wirklichen als Wille zur Macht«. Anders formuliert: Ob man es nun politisch, moralisch, philosophisch begrüße oder nicht, Jünger habe sichtbar gemacht, daß es Träger eines Willens zur Macht gebe, die sich die Welt einrichteten und ihre Herrschaft ganz grundsätzlich technisch vollzögen. Das »wirksamste, das unbestreitbarste Mittel der totalen Revolution« sei, so Jünger, die Technik, die in Diensten der Herrschaft des »Arbeiters« stehe. Durch den Weltkrieg wurde diese Entwicklung nur noch beschleunigt.
Anhand von Lenins berühmtem Diktum »Sozialismus (d.h. Kommunismus) ist Sowjetmacht + Elektrifizierung« exemplifizierte Heidegger diese mathematisch-schematisch-technokratische Zukunftsperspektive. »So ist demnach die Handhabung und der Vollzug der totalen Mobilmachung in der Hand Weniger auf dem Wege der vollständigen Technisierung. ›Elektrifizierung‹ ist hier nur der Name für die gerade erreichte Höchstform der technischen Meisterung der Kräfte und deutet somit zugleich an, daß für den ›Sozialismus‹ die Vollendung der Technik und ihre Beherrschung alles ist.« Ebenso zeige diese Definition, »was der Sozialismus nicht ist und nicht im Wesensgrunde ist«, sicherlich nicht »Pflege des ›Sozialen‹«, »Fürsorge für das Volk«. Hinter dem bunten und blutigen ideologischen Schauspiel vollziehe sich statt dessen ein ganz anderer Prozeß, der zutreffend als totale Mobilmachung, Gleichschaltung, »stählerne Ordnung« beschrieben war. So daß Heidegger zu dem Ergebnis gelangte: »Die jeweiligen Staatswesen, die demokratischen, faschistischen, bolschewistischen und ihre Mischformen sind Fassaden.«
Die Wahrnehmung der Brüder Jünger spielte hier ebenfalls mit hinein. Ernst Jünger hatte 1939 mit Auf den Marmorklippen seinen »Abschied von der Technik« (Daniel Morat) genommen, sein Bruder Friedrich Georg eine fundamentale Kritik der technischen Zivilisation formuliert. Die Technik müsse »als das riesenhafte Tretrad erkannt werden, in dem der Mensch sich fruchtlos abmüht«; die von ihm selbst geschaffene, den Menschen aber nur noch verknechtende Mechanisierung nehme einen zunehmend totalitären Charakter an, mit ihren auf Effektivität eingestellten, bürokratisch verwalteten Massen. Die Technik fresse sich selbst auf, als ein gewaltiges Ineinander von Macht, Technik und Krieg. Heidegger dachte in gleichen Bahnen: »Weil Macht stets Übermächtigung ist, gehört zu ihr die Vernichtung; deshalb wachsen dort, wo das Seiende im Ganzen im Sinne der totalen Mobilmachung das reine Wesen der Macht entfaltet, die Zerstörungsvorgänge notwendig ins Riesenhafte.« Es folgten Bombenterror, Vernichtungskrieg und Völkerverschiebung. Fern jeder Fortschrittsgläubigkeit mußte man »hinweisen auf die Weltkriege und Weltrevolution und somit Zerstörungsvorgänge im Großen, auf die ›Verflachung‹, Versimpelung und Verlümmelung der ›Welt‹ und des Menschen«.
Der von Jünger 1932 evozierte »Anbruch einer neuen Zeit« war, so sah Heidegger es 1939/40, aber »nur die Einleitung … zum raschen Veralten alles Neuesten in der Langeweile des Nichtigen, in dem die Seinsverlassenheit des Seienden brütet«. Womit der Übergang von der totalen Mobilmachung zur totalen Ökonomie, zur konformistischen Technokratie, zur »Langeweile unserer Zivilisation« (Herbert Gruhl), deren tiefster Sinn im Konsum liegt, beschrieben wäre.
Nach all diesen Verwerfungen war das »Wesen des Menschen aus den Fugen« geraten. Doch jede Rückkehr zum vorindustriellen, technikfernen Zeitalter, jede »Postkutschen-Träumerei« (F.G. Jünger) mußte verstellt bleiben. Daher gilt Heideggers »Frage nach der Technik« nach 1945 nicht der Ablehnung oder Verteufelung der Technik, sondern einem neuen Verhältnis, einer »freien Beziehung« zur Technik. Man kann sie nicht einfach abschaffen, sie ist Teil des menschlichen Daseins – wobei aber zu unterscheiden ist zwischen der konventionellen und der modernen Technik. Die Technik als Instrumentarium, als Mittel läßt sich als ein »Her-vor-bringen« verstehen, der Mensch bringt etwas hervor, um seine Existenz zu erleichtern oder abzusichern, er schafft etwas, das vom Sein, von einem größeren, den Menschen beherbergenden, uneinsehbaren Ganzen bereitgehalten wurde, doch bisher im Verborgenen ruhte. Für diesen Vorgang findet Heidegger den Begriff des »Entbergens«. Technik ist also ein Akt des Entbergens, des Ans-Licht-Bringens der Wahrheit. Dieses Verständnis hat Heidegger im Rückgriff auf die griechische Philosophie formuliert. »Alles liegt daran, daß wir das Her-vor-bringen in seiner ganzen Weite und zugleich im Sinne der Griechen denken.« So gedacht, meint »Technik« niemals nur einen technischen Apparat, sondern stets auch ein Moment der Wahrheit des menschlichen Daseins.
Gilt dies auch für die moderne Technik? »Das in der modernen Technik waltende Entbergen ist ein Herausfordern«, also kein Her-vor-bringen mehr, sondern ein Her-aus-fordern, »das an die Natur das Ansinnen stellt, Energie zu liefern, die als solche herausgefördert und gespeichert werden kann.« Damit verändert sich das Verhältnis des Menschen zur Umwelt. Wenn ein Feld vom Bauern »bestellt« wird, ist dies ein Vorgang des Hegens und Pflegens. »Das bäuerliche Tun fordert den Ackerboden nicht heraus.« Doch das ist Schnee von gestern, denn »Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernährungsindustrie«. Zwar haben wir es immer noch mit einem Akt des Entbergens zu tun, wenn ein Landstrich durch die Kohleförderung ausgebeutet wird: »Das Erdreich entbirgt sich jetzt als Kohlenrevier, der Boden als Erzlagerstätte.« Aber die »Naturenergien« werden nicht hervorgebracht, sondern herausgefordert. »Das Entbergen, das die moderne Technik durchherrscht, hat den Charakter des Stellens im Sinne der Herausforderung. Diese geschieht dadurch, daß die in der Natur verborgene Energie aufgeschlossen, das Erschlossene umgeformt, das Um- geformte gespeichert, das Gespeicherte wieder verteilt und das Verteilte erneut umgeschaltet wird. Erschließen, umformen, speichern, verteilen, umschalten sind Weisen des Entbergens.« Dazu bedarf es aber komplexer, »vielfach verzahnter Bahnen«, logistischer Prozesse, Steuerungs- und Sicherungsmechanismen, und diese werden »sogar die Hauptzüge des herausfordernden Entbergens« bzw. der modernen Technik.
Wenn der Mensch also nicht mehr hervor-bringt, sondern nur heraus-fordert, geht es ihm nicht mehr um das Hegen und Pflegen, sondern um das Hervorholen und Herausziehen, um das Ausbeuten mit aller Gewalt und technischen Machbarkeit. Die Natur wird unterworfen, in Dienst genommen, und es liegt auf der Hand, wie sehr sich das Naturverhältnis des modernen Menschen und damit auch das Verhältnis des Menschen zu sich selbst verändert hat. Denn was über die totale Machbarkeit verlorengeht, ist die Einsicht, daß der Mensch zwar ein Hervor-Bringer, nicht aber der Schöpfer selbst ist. Es ist fatal, wie das »Wesen der modernen Technik« den Menschen auf einen Irrweg schickt, »auf den Weg jenes Entbergens, wodurch das Wirkliche überall, mehr oder weniger vernehmlich, zum Bestand wird«, zu Verfügungsmasse, Rohstoff, Ressource. Die moderne Technik stellt aus diesem Grund »die höchste Gefahr« für den Menschen dar. In ihr wird der Wille, sich vor den Gefahren der Natur zu schützen, sich eine sichere Ernährungsgrundlage zu schaffen, zu einem Willen zur Macht gesteigert, um die Natur vollständig zu beherrschen, bis jede Grenze, jede Vorsicht, jede Scham und Ehrfurcht geschwunden ist.
So »geht der Mensch«, der sich zum Herrn der Erde »aufspreizt«, »am äußersten Rand des Absturzes, dorthin nämlich, wo er selber nur noch als Bestand genommen werden soll«. Als Selbsttäuschung erweist sich auch der Eindruck, der Mensch begegne sich in einer von ihm selbst gebauten und geformten Welt »überall nur noch sich selbst«, in seinen hervorgebrachten und herausgeforderten »Gemächten«. »Indessen begegnet der Mensch in Wahrheit gerade nirgends mehr sich selber, d.h. seinem Wesen.« Derart ist der Mensch befangen in der modernen Technik, daß er sich selbst, sein begrenztes, bedingtes Wesen gar nicht mehr erkennt. »Die Bedrohung des Menschen kommt nicht erst von den möglicherweise tödlich wirkenden Maschinen und Apparaturen der Technik. Die eigentliche Bedrohung hat den Menschen bereits in seinem Wesen angegangen.« Die Herrschaft der Technik verstellt dem Menschen den Weg, »in ein ursprünglicheres Entbergen einzukehren«, zurückzufinden zu einer »anfänglicheren Wahrheit«.
Hatte Max Hildebert Boehm also doch recht, als er 1932 vom »Arbeiter« als dem »letzten luziferischen Triumph einer allbeherrschenden Technik« sprach? Ja, hatte er. Heidegger fragt aber auch nach dem »Rettenden«, das aus der Seins- und Wesensvergessenheit des Menschen herausführen kann, und erblickt es in dem, was in der Antike ebenfalls einmal téchne war, die Kunst, die »ein her- und vor-bringendes Entbergen war«. Hier, in diesem ursprünglich verwandten Bereich der Kunst soll die Auseinandersetzung mit der Technik stattfinden. »Ob der Kunst diese höchste Möglichkeit ihres Wesens inmitten der äußersten Gefahr gewährt ist, vermag niemand zu sagen. Doch wir können erstaunen. Wovor? Vor der anderen Möglichkeit, daß überall das Rasende der Technik sich ein-richtet, bis eines Tages durch alles Technische hindurch das Wesen der Technik west im Ereignis der Wahrheit.«
Eine »andere Möglichkeit«, ein anderes Verhältnis zur Welt, ein anderes Verhältnis des Menschen zu sich selbst zu denken – darum geht es Heidegger in dieser Auseinandersetzung, vermittels der schönen Kunst, um in ihr zur Besinnung zu kommen und ursprünglichere Wahrheiten wiederzufinden. Ungleicher könnte ein Kampf kaum sein.