»Un génial philosophe et un nazi« – das Bonmot des telegenen Franzosen Bernard-Henri Lévy, der sich selbst gern fragwürdiger Politik vorspannt, bringt auf den Punkt, was noch immer das Skandalon des deutschen Denkers Martin Heidegger ausmacht. Führt es tatsächlich »in ein Extrem« (wie der Philosophiehistoriker Dieter Thomä im Heidegger-Handbuch vermutet), wenn man plausible Gründe dafür sucht, daß sich auch außerordentliche Geister auf eine »Kollaboration« mit »dem Nationalsozialismus« einließen? Vor dem Hintergrund seiner enormen internationalen Wirkung bleibt Heideggers Einsatz für den »Umbau« des Staates 1933 offenbar ein Pfahl im Fleisch derer, die sich noch ernsthaft mit Philosophie befassen: Läßt man sich auf seine Sprache und sein Denken ein, keimt stets die Sorge, auf diese Weise an das Stellholz einer Falle zu geraten, die zuschnappen und uns in eine prekäre Lage, auf gefährliche Gedanken bringen könnte. Theodor W. Adorno etwa befürchtete als heimlicher Adept gar, jenes raunende Denken des Freiburger Philosophen sei von Grund auf »faschistisch«.
Ausgangspunkt solchen Verdachts war vor allem Martin Heideggers Tätigkeit als »Führer« der Albert-Ludwigs-Universität zu Freiburg im Breisgau, die er im Bewußtsein eines kollektiven Aufbruchs und im Vollgefühl einer historischen Chance im April 1933 ergriffen hatte. Sein taktisch gut vorbereitetes Rektorat sollte Anlauf auf eine grundlegende und reichsweite Reform der deutschen Universitäten nehmen und damit die künftige Elite des neuen Deutschland aus dem »ursprünglichen« Geist des alten Griechentums prägen. Ihm und seinem philosophischen Gefährten Karl Jaspers, mit dem er sich später entzweite, schwebte schon 1930 eine »aristokratische Universität« vor, die den ganzen Menschen erfassen und bilden sollte. Dies war freilich in ähnlicher Form die Idee manches ambitionierten, meist jüngeren Philosophen und Dozenten, als sich Anfang des Jahres 1933 die innenpolitische Lage im Deutschen Reich grundlegend änderte und die NSDAP an die Macht kam. Den Kern einer »nationalsozialistischen« hochschulpolitischen Phalanx wollten daraufhin neben Heidegger vor allem auch der eher handfeste Pädagoge Ernst Krieck und der ambitionierte Philosoph Alfred Baeumler bilden, um sich mit den politischen »Avantgarden« in den Allgemeinen Deutschen Studentenausschüssen an die intellektuelle Spitze der Bewegung zu setzen. Vor allem Baeumler und Heidegger verfochten dabei reichlich »privatnationalsozialistische« und wenig offiziöse Konzeptionen, die, genau betrachtet, freilich keineswegs besonders originell oder aber außergewöhnlich waren und einander ähnelten. Nachdem Krieck in Frankfurt am Main als Rektor und Baeumler nach Berlin in ein eigens für ihn gegründetes Institut für politische Pädagogik berufen worden waren, schien sich für kurze Zeit auch eine institutionelle Kooperation abzuzeichnen, die indessen bald zerstob. Heideggers Versuch einer exemplarischen nationalsozialistischen Universitätsreform mit Freiburg als Nukleus einer von neuem Geist befeuerten »Reichsuniversität« versandete aus seiner Sicht allzu schnell in »Organisation« – schon im April 1934 trat er daher vom Rektorat zurück. Was aber wäre an solchem Scheitern, an solchen durch die Historie erledigten Vorgängen heute überhaupt noch der Aufmerksamkeit wert? Es ist die ungebrochene, auch für uns greifbare Aktualität der dort verhandelten Fragestellungen und Probleme der deutschen Universität.
Das »Bewußtsein vom Verfall, nicht nur der Universitäten«, sondern überhaupt »der ganzen überkommenen Bildung war schon seit Burckhardt, Lagarde und Nietzsche so allverbreitet, daß die verschiedenen Gruppen der deutschen Intelligenz eine gemeinsame Destruktion betrieben, die nur dem Ziel nach verschieden war – sofern ein solches bestand«, hielt Karl Löwith 1940 im Rückblick fest. Der Systemwechsel 1918/19 hatte zu einer weiteren Flut von Überlegungen geführt, wie das Bildungssystem und insbesondere die Hochschulen der nunmehr zu etablierenden Republik gestaltet werden sollten. Auch der Orientalist und Hochschulreformer Carl Heinrich Becker, der damals Unterstaatssekretär des sozialdemokratischen Kultusministers Konrad Haenisch wurde und später selbst als parteiloser Kultusminister wirkte, hatte sich 1919 programmatisch mit der Kulturpolitik und sodann mit der Hochschulpolitik im Deutschen Reich befaßt. Umfassendes Ziel einer jeden Kulturpolitik war für ihn die »bewußte Einsetzung geistiger Werte im Dienste des Volkes oder des Staates zur Festigung im Innern und zur Auseinandersetzung mit anderen Völkern nach außen.« Im Sinne einer Demokratisierung der Universität wollte er diese auch als Staatsbürgerschule im deutschen Volk verwurzeln und auf das Volk hin prägen, um überhaupt erst eine »geschlossene Nation«, eine deutsche »Art Normaltyp« zu schaffen. Das gesamte »Erziehungs- und Bildungsproblem« müsse daher unter den »Einheitsgedanken des Volkes« gestellt werden: »Was wir zunächst brauchen, ist Bewußtsein unserer selbst als Volk«. Die dazugehörigen Ideale seien, so Becker, »mit dem vielgestaltigen kulturpolitischen Apparat bewußt dem deutschen Volke einzuhämmern«. Von diesen Überlegungen um 1919 führt ein Weg auch zu Martin Heideggers später umstrittener Rektoratsrede aus dem Jahr 1933 (Die Selbstbehauptung der deutschen Universität, Breslau 1933). Dabei finden sich zahllose Debatten über die Frage, wie die Universitäten reformiert werden sollten – daß sie einer Umgestaltung bedurften – Löwith hat es angedeutet –, stand offensichtlich außer Frage: Von November 1931 bis zum Januar 1932 bezogen beispielsweise 19 »zumeist renommierte Autoren« in der Frankfurter Zeitung Stellung zu der von Paul Tillich aufgeworfenen Frage: »Gibt es noch eine Universität?«. Dabei ging es auch darum, ob Fachhochschulen und Universitäten eine Einheit oder besser zu trennen seien, aber vor allem um ein adäquates Leitbild, an dem sich die Universität insgesamt auszurichten habe. Der Neuhumanismus Humboldtscher Prägung befand sich längst in der Defensive, und die Reformrezepte oszillierten in einem Spektrum von pragmatischem Abwarten bis zur Forderung einer grundsätzlichen Neubestimmung der Universität. Die Debatte wurde auch andernorts aufgegriffen und zog sich über den 30. Januar 1933 hinaus weiter fort. Sieht man von Entwürfen wie denen Heideggers oder Baeumlers zunächst ab, die »ganze Zeitalter versinken lassen möchten«, zeigt sich zumindest auf dieser Ebene, »daß 1933 kein Kontinuitätsbruch stattfand« (Christian Tilitzki). Aber auch bei denen, die »auf dem Boden des Griechen- oder Germanentums« neu anfangen wollten, nden sich Fragen und Denkbewegungen, die in ähnlicher Form schon lange diskutiert wurden.
Woran aber krankte denn nun jene Universität? Der Zuwachs an Studierenden, eine Überfüllung, schien noch das geringste Problem. Für Hans Freyer, der 1933 mit einem eigenen »Vorschlag zur Universitätsreform« unter dem Stichwort Das politische Semester antrat, hatte der Positivismus »die Einheit der geistigen Welt« zerstört, der Materialismus ihre Autonomie aufgehoben und der Liberalismus »die Wirklichkeit in eigenständige Bezirke« aufgesplittert: Damit hielt er die Grundlagen der alten Bildungsidee für obsolet. Freyer weist hier nicht naiv Schuld zu, sondern hat den Anspruch zu diagnostizieren, um daraus mit Nietzsche als Folgerung für die Philosophie abzuleiten, sich nicht für die allgemeine Bildung zuständig zu halten, sondern »Philosophie für Staatsmänner zu sein«, die aus der geschichtlichen Lage heraus und auf diese hin agieren können sollten. Dieser Ansatz akzeptiert einerseits die Notwendigkeit, an den Universitäten durchaus spezialisiert für bestimmte Berufe auszubilden, andererseits aber einen integralen Bildungsauftrag in der Erziehung zum »politischen Menschen« zu verwirklichen, nicht zuletzt durch ein für alle bindendes »politisches Semester«. Zentrale Bezugsgröße solcher politischen Erziehung sollte das Volk als »die Substanz der politischen Geschichte« bilden, und ihr Ziel war »der politisch Gebildete ›mit geistiger Souveränität‹« und entsprechender Urteilskraft. Auch in Heideggers Überlegungen zu seinem Rektorat 1933 stößt man auf solche Fragen und Denkfiguren, die nicht nur Freyer, sondern auch schon Becker beschäftigt hatten – doch setzt der Philosoph bemerkenswerte eigene Akzente.
Wie viele Deutsche hatte auch Heidegger auf Hitler und seine Bewegung gesetzt, den 30. Januar 1933 als Aufbruch erlebt. Am Beispiel seines Konkurrenten Baeumler wurde schon gezeigt, wie sehr die Entscheidung für Hitler als Volkskanzler durch den historischen Kontext bestimmt und wie wenig sie im philosophischen Weg vorgezeichnet war – die bürgerlichen Parteien einschließlich einer korrumpierten Sozialdemokratie hatten abgewirtschaftet, in den Augen der Zeitgenossen schlicht versagt. An der Schwelle des Bürgerkriegs stehend, schien als Alternative nur Ernst Thälmann und das »Heil Moskau!« seiner Kommunisten oder eben deren national-sozialistisches Pendant zu bleiben. Über die Massaker in Sowjetrußland und die Kulakenausrottung in der Ukraine war man zur Genüge im Bilde – eine ähnliche Schreckensbilanz war für Deutschland daher trotz aller Drohungen eher von der KPD als von der NSDAP zu erwarten. Heidegger hoffte, so eine Tischrede im August 1933, auf »Dauer und Stetigkeit« des von Hitler geschaffenen »neuen Staats«. Daß er sich 1947/48 gegenüber seinem ehemaligen Schüler Herbert Marcuse rechtfertigte, er habe von Hitler eine »geistige Erneuerung des ganzen Lebens, eine Aussöhnung sozialer Gegensätze und eine Rettung des abendländischen Daseins vor den Gefahren des Kommunismus« erwartet, kann nicht als fade Entschuldigung abgetan werden – es ist historisch plausibel.
In jenem historischen Moment wollte Heidegger jedenfalls, alten Vorbildern folgend, als Philosoph und Universitätslehrer eingreifen, Richtung und Ziel der Bewegung beein ussen oder gar lenken: Ein »herrlich erwachender volklicher Wille«, der »in ein großes Weltdunkel« hineinstehe, so eine Aufzeichnung in den Schwarzen Heften (Überlegungen II–IV, Frankfurt a.M. 2014), wird ihm zum Ausgangspunkt seiner Idee, die Universität, vor allem die klassische, nunmehr ebenfalls auf neue Grundlagen zu stellen. Dabei agiert Heidegger in der konkreten historischen Lage und aus dieser heraus. In seiner Rektoratsrede am 27. Mai 1933 geht es ihm formal um die »Selbstbehauptung der deutschen Universität«, die ohne eine Besinnung darauf, »wer wir selbst sind«, und ohne den Willen, dieses Selbst wesenhaft zu leben, nicht denkbar sei. Funktional »gilt uns« die Universität »als die hohe Schule, die aus Wissenschaft und durch Wissenschaft die Führer und Hüter des Schicksals des deutschen Volkes in die Erziehung und Zucht nimmt« – damit ist sie mit Dozenten und Studenten strikt auf das Volk als Basis verwiesen. Wissenschaft wiederum sieht Heidegger nicht als Fachwissenschaft, sondern als grundsätzlich stets philosophisches Fragen aus »innerster Notwendigkeit« und aus einem Wissen um die Unverfügbarkeiten in einem »deutschen Schicksal«. Um eine solche »Wissenschaft« zu gewinnen, mußte das »Unheil der Geisteswissenschaften – wie sie alles Geistige über uten und zerstreuen und entkräften« – überwunden werden (Schwarze Hefte): Heidegger beschwört dagegen in seiner Rektoratsrede jene »Macht des Anfangs«, die weiland mit den alten Griechen den abendländischen Menschen »aus einem Volkstum kraft seiner Sprache erstmals … gegen das Seiende im Ganzen« aufstehen, dieses befragen und begreifen ließ. Großartig ist nun, wie er dieses zunächst etwas verblasen anmutende Programm radikal zuspitzt und faßbar macht: Wenn es nämlich »wahr ist, was der leidenschaftlich den Gott suchende letzte deutsche Philosoph, Friedrich Nietzsche, sagte: ›Gott ist tot‹ –, wenn wir Ernst machen müssen mit dieser Verlassenheit des heutigen Menschen inmitten des Seienden, wie steht es dann mit der Wissenschaft?« Dann allerdings ist man völlig ungedeckt ausgesetzt »in das Verborgene und Ungewisse, d.i. das Fragwürdige«. Das Fragen wird vor dieser Herausforderung »selbst die höchste Gestalt des Wissens«, es zwingt »zur äußersten Vereinfachung des Blickes auf das Unumgängliche« und fordert äußerste Anspannung. In diesem Ungewissen gilt es nun, das Naheliegende aufzugreifen, die gegebenen Bindungen »durch das Volk an das Geschick des Staates im geistigen Auftrag« tätig zu gestalten und die Herausforderung des Daseins aufzunehmen.
Auf drei Säulen sollte die Praxis solch hochgespannter Tätigkeit beruhen: dem studentischen »Arbeitsdienst« als aktive Teilhabe an der inneren »Volksgemeinschaft«, dem »Wehrdienst« als der Teilhabe am Volk in seinen Außenbeziehungen und dem »Wissensdienst« als Bindung an den »geistigen Auftrag« des Volks, dessen Teil man ist. Hier versuchte Heidegger nun auch selbst in die Praxis zu greifen, indem er nicht nur Wehrübungen, das Prinzip von »Führung und Gefolgschaft«, aber auch das Hordenlager für Dozenten und Studenten einzuführen versuchte – beides war in der Jugendbewegung, besonders der bündischen Jugend populär geworden. Allerdings entwickelte die konkrete Praxis in und um Freiburg bald ihre eigene unleidliche Dynamik: Zwar sei der »Parlamentarismus des Senats und der Fakultäten« beseitigt, vermerkte Heidegger in seinen Schwarzen Heften, an dessen Stelle aber sei »ein Rätesystem getreten, das die Führung der Hochschule heute noch unmöglicher macht als früher«. Es komme »die reine Spießbürgerei an die Macht«, die »das Entstehen jeder schöpferischen nach vorne drängenden Grundstimmung« verhindere, während ihm das »sozialistische Getue der Studentenschaften« als »blödeste Romantik« erscheint, eine »Flucht vor der eigentlichen Aufgabe«. Zudem fühlt Heidegger sich in seinem Führungsanspruch verkannt, Pläne wie eine spezielle Dozentenschule zerschlugen sich, so daß er im April 1934 schließlich den Rückzug vor dem »Vulgärnationalsozialismus« antrat: »Der Zeitpunkt meines Einsatzes war zu früh, oder besser: schlechterdings überflüssig«. Was blieb Heidegger nach alledem? Immerhin konnte er hier und jetzt auf ein bewährtes Modell zurückgreifen, sich an einen anderen Abschnitt des »Verborgenen und Ungewissen« begeben und dort treu auf dem Posten verharren: »Wir werden in der unsichtbaren Front des geheimen geistigen Deutschland bleiben.«