Stahlgewitter im Zeitgeist

PDF der Druckfassung aus Sezession 58 / Februar 2014

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

Die Best­sel­ler­lis­ten wer­den bereits seit Mona­ten von Ver­öf­fent­li­chun­gen bestimmt, die irgend etwas mit dem Ers­ten Welt­krieg zu tun haben. Wäh­rend es bis­lang um das letz­te Jahr vor dem Welt­krieg (Flo­ri­an Illies’ 1913) und vor allem um die Vor­ge­schich­te des­sel­ben (Chris­to­pher Clarks Die Schlaf­wand­ler) ging und die ers­ten Volks­bü­cher à la Gui­do Knopp auf der Frank­fur­ter Buch­mes­se zu besich­ti­gen waren, setzt der Hei­del­ber­ger Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­ler Hel­muth Kie­sel wie­der ein­mal edi­to­ri­sche Maßstäbe.

Vor drei Jah­ren ver­öf­fent­lich­te er erst­mals die ori­gi­na­len Kriegs­ta­ge­bü­cher Jün­gers (die soge­nann­ten Klad­den) aus dem Ers­ten Welt­krieg, nun liegt eine his­to­risch-kri­ti­sche Aus­ga­be des dar­aus ver­faß­ten, wich­tigs­ten Buches aus der Erleb­nis­per­spek­ti­ve vor: Ernst Jün­gers In Stahl­ge­wit­tern (Stutt­gart: Klett-Cot­ta 2013, 2 Bän­de, 1245 Sei­ten, 68 Euro). Über den Sinn sol­cher Edi­tio­nen läßt sich tre­fflich strei­ten. Meis­tens sind sol­che Unter­neh­mun­gen rei­ne Dritt­mit­te­lein­wer­be­ma­schi­nen, die den Bear­bei­tern (aus dem uni­ver­si­tä­ren Mit­tel­bau) eini­ge Jah­re Arbeit und damit Lohn und Brot geben. Und zu Jün­gers Kult­buch, das er aus den Tage­bü­chern des Gra­bens extra­hier­te, will solch eine Edi­ti­on schon gar nicht pas­sen. Die Jün­ger-Jün­ger haben ihre Lieb­lings­aus­ga­be im Regal und wer­den sich den Lese­spaß nicht durch einen rie­si­gen Vari­an­ten­ap­pa­rat ver­der­ben las­sen. Für Leu­te, die mit Jün­ger bis­her nichts anfan­gen konn­ten, dürf­ten sich über tau­send Sei­ten nicht gera­de als Ein­stieg anbie­ten. Doch die Begrün­dung für die­se Aus­ga­be liegt im Text selbst.

Kie­sels Edi­ti­on ist auf zwei Bän­de ver­teilt. Im ers­ten Band, dem eigent­li­chen Text­band, fnden sich sowohl die Erst­aus­ga­be von 1920 als auch die Aus­ga­be letz­ter Hand, die Jün­ger für die zwei­te Werk­aus­ga­be erstellt hat­te und die seit­dem auch unver­än­dert als Ein­zel­aus­ga­be im Buch­han­del zu haben ist. Zur Prä­sen­ta­ti­on hat sich Kie­sel etwas Beson­de­res ein­fal­len las­sen: Auf der lin­ken Sei­te fndet sich die Aus­ga­be von 1920, auf der rech­ten die von 1978, die ent­spre­chen­den Text­sei­ten par­al­lel gegen­über­ge­stellt. So läßt sich leicht erse­hen, was Jün­ger ver­än­dert, ergänzt und gestri­chen hat. Da es jedoch nicht nur die­se bei­den Fas­sun­gen gibt, son­dern min­des­tens sie­ben, sind die ent­spre­chen­den Pas­sa­gen unter­schied­lich far­big mar­kiert und mit Jah­res­zah­len ver­se­hen, wann sie ein­ge­fügt oder gestri­chen wur­den. Ergänzt wird das Gan­ze durch das aus­führ­li­che Vari­an­ten­ver­zeich­nis (320 Sei­ten) im zwei­ten Band, in dem wirk­lich jede Zei­chen­än­de­rung ver­merkt ist. Das hät­te man natür­lich auch ins Inter­net ver­frach­ten kön­nen, doch immer­hin ist nun ein für alle­mal geklärt, was ver­än­dert wurde.

Der eigent­li­che Wert des Ban­des liegt aber an ande­rer Stel­le: in der aus­führ­li­chen Ein­lei­tung des Her­aus­ge­bers, die sicher die kun­digs­te Ein­füh­rung in Jün­gers Haupt­werk über­haupt sein dürf­te und den Mate­ria­len, die im Anhang abge­druckt sind, wobei vor allem die Aus­füh­run­gen zum Absatz des Buches und die Bei­spie­le der Rezep­ti­on von Inter­es­se sein dürf­ten. Wenn man bedenkt, daß die ers­te Aufla­ge im Selbst­ver­lag erschien und sich Jün­gers Vater um Kon­tak­te zum Buch­han­del und um Rezen­sen­ten bemüh­te, sind 2000 ver­kauf­te Exem­pla­re in einem Jahr kei­ne schlech­te Zahl. Auch nach dem Wech­sel zum renom­mier­ten Ver­lag Mitt­ler & Sohn blieb es bis 1929 bei rund 2000 Exem­pla­ren pro Jahr. Die guten Jah­re began­nen ab 1929, als Jün­ger sich auch mit ande­ren Büchern einen Namen gemacht hat­te und Remar­que reüs­sier­te, und hiel­ten bis 1943 an. Erst 1961 erschien dann eine Nachkriegsausgabe.

Ein Best­sel­ler war Jün­gers Erst­ling also nie. Eher ein Long­sel­ler, denn bis heu­te haben sich, nach Schät­zung Kie­sels, ins­ge­samt (mit Über­set­zun­gen) maxi­mal 400000 Exem­pla­re ver­kauft. Das sind, auf einen Zeit­raum von 93 Jah­ren gese­hen, im Schnitt 4300 Exem­pla­re pro Jahr – ver­gli­chen mit Remar­ques Im Wes­ten nichts Neu­es, von dem 30 bis 40 Mil­lio­nen ver­kauft wor­den sein sol­len, nicht viel. Und auch Kriegs­bü­cher mit ver­herr­li­chen­der Ten­denz erleb­ten höhe­re Aufla­gen, so Hans Zöber­leins Der Glau­be an Deutsch­land (fast eine Mil­li­on). Aber kei­nes hat sich als so gül­tig erwie­sen und so lan­ge in der Dis­kus­si­on hal­ten kön­nen wie Jün­gers In Stahl­ge­wit­tern.

Der ent­schei­den­de Grund für das Erschei­nen der nun vor­lie­gen­den his­to­risch-kri­ti­schen Aus­ga­be ist die Tat­sa­che, daß Jün­ger sein Buch bis zu, wie er selbst ein­mal an Armin Moh­ler schrieb, zwan­zig­mal über­ar­bei­tet hat. Das wird anhand der Rezep­ti­ons­ge­schich­te erst recht spät deut­lich, weil die Bear­bei­tun­gen der ers­ten Jah­re nicht so ein­schnei­dend waren und es der phi­lo­lo­gi­schen
Kärr­ner­ar­beit bedurf­te, um die­se Din­ge auf­zu­spü­ren. Aller­dings hat, wie Kie­sel aus­führ­lich dar­stellt, der zeit­wei­li­ge Sekre­tär Armin Moh­ler bei Erschei­nen der ers­ten Gesamt­aus­ga­be in meh­re­ren Arti­keln auf die­se Tat­sa­che hingewiesen.

Der Tenor lau­te­te: Jün­ger wei­ge­re sich, sei­nen Büchern eine Mün­dig­keit zuzu­ge­ste­hen. Sti­lis­ti­sches dür­fe man ändern, den Sinn nicht: »Es sind Schrif­ten, die um ihres geschicht­li­ches Zeug­nis­wer­tes wil­len auch jeder nach­träg­li­chen Zen­sur … ent­zo­gen sind.« Über die­se Aus­ein­an­der­set­zung ist es zum Bruch zwi­schen Moh­ler und Jün­ger gekom­men, der lan­ge nicht geheilt wer­den konn­te. Moh­ler sah kei­nen Grund, sei­nen Vor­wurf zurück­zu­neh­men, Jün­ger habe sei­ne Bücher, die in der ursprüng­li­chen Form über das Schick­sal einer Gene­ra­ti­on ent­schie­den hät­ten, »ad usum demo­cra­torum« umfrisiert.

Jün­ger hat die Stahl­ge­wit­ter tat­säch­lich mehr­fach bear­bei­tet, eben nicht nur in sti­lis­ti­scher, son­dern auch in inhalt­li­cher und ideo­lo­gi­scher Hin­sicht. Und auch wenn Kie­sel meint, das sei nichts Außer­ge­wöhn­li­ches, ver­weist er als Beleg jedoch nur auf Tho­mas Manns Betrach­tun­gen eines Unpo­li­ti­schen, von denen es genau zwei Fas­sun­gen gibt. Es dürf­te schwer­fal­len, ein Werk der Welt­li­te­ra­tur zu fin­den, das der Autor ähn­lich exzes­siv bear­bei­tet hat, wie das Jün­ger mit den Stahl­ge­wit­tern tat.

Jün­ger hat die­se Bear­bei­tun­gen nicht ver­schwie­gen und in die Neu­aufla­gen Ver­mer­ke wie »völ­lig neu­be­ar­bei­tet« ein­fü­gen las­sen. Ihm ging es dabei um die Annä­he­run­gen an die voll­kom­me­ne Form eines Wer­kes, die »Her­aus­schä­lung des Kerns«, die Schär­fung des Aus­drucks, aber auch um die Säu­be­rung von Stel­len, die er eben jetzt nicht mehr haben woll­te. Und da wird man zum einen eine Ent­fer­nung von der Unmit­tel­bar­keit (und auch Unbe­darft­heit) des Urtex­tes kon­sta­tie­ren kön­nen als auch eine gewis­se Zeit­geis­tig­keit, der sich Jün­ger wohl nicht ver­schlie­ßen konn­te – selbst dann nicht, wenn er die natio­na­lis­ti­schen Ten­den­zen der spä­ten zwan­zi­ger Jah­re Anfang und Mit­te der drei­ßi­ger Jah­re wie­der tilg­te, weil ihm klar­ge­wor­den war, daß das jetzt Kon­junk­tur hat­te und einem Klas­si­ker schlecht zu Gesicht stand.

Die ers­te Ver­lags­aus­ga­be (1922) war gegen­über der Erst­aus­ga­be nur leicht ver­än­dert wor­den. Es han­delt sich meist um Zuge­ständ­nis­se an ein grö­ße­res Publi­kum, das nicht mehr unbe­dingt um die glei­chen Erfah­run­gen wie Jün­ger ver­fügt. Details und auch eini­ge »Ele­men­te des blu­ti­gen Humors« wur­den ergänzt. Die nächs­ten Ver­än­de­run­gen sind inhalt­lich gra­vie­ren­der, dar­auf weist schon das Jahr 1923 hin, als die Über­ar­bei­tung statt­fand. Jün­ger war aus der Reichs­wehr aus­ge­schie­den, stu­dier­te in Leip­zig und ent­wi­ckel­te sich zum wich­tigs­ten Autor des Neu­en Natio­na­lis­mus. Kie­sel: »Das Kriegs­er­leb­nis wird durch die Strei­chung sub­jek­tiv wer­ten­der Stel­len objek­ti­viert und als Basis eines natio­na­lis­ti­schen poli­ti­schen Enga­ge­ments pro­f­liert … der Ton wird käl­ter und schneidender.«

In der Aus­ga­be von 1934 wird das alles wie­der gestri­chen und der Text ins­ge­samt geschmei­di­ger (lite­ra­ri­scher) gemacht. Jün­ger hat die­se Ten­denz in den Aus­ga­ben, die bis 1935 erschei­nen, fort­ge­setzt und das Buch dann bis 1943 unver­än­dert gelas­sen. Die Aus­ga­be von 1961 schließt dann die Erfah­rung des Zwei­ten Welt­kriegs mit ein, so daß Jün­ger sein Buch wei­ter huma­ni­sier­te und es gene­rell mit einer ver­söhn­li­chen Ten­denz ver­sah. Für die zwei­te Gesamt­aus­ga­be hat Jün­ger den Text 1978 nur noch gering­fü­gig sti­lis­tisch überarbeitet.

Was die Moti­va­ti­on der Über­ar­bei­tung betrifft, unter­schei­det Kie­sel zwei The­sen. Die – auch von Jün­ger ver­tre­te­ne – Fina­li­täts­the­se zielt auf die Bear­bei­tung zur Her­aus­bil­dung des best­mög­li­chen Tex­tes ab. Die zwei­te, die Oppor­tu­ni­täts­the­se von Moh­ler, geht davon aus, daß Jün­ger damit auf den Zeit­geist Bezug neh­men woll­te und somit weni­ger unab­hän­gig war, als er selbst immer behaup­tet hat. Kie­sel sieht eine Ver­schrän­kung der bei­den Moti­va­tio­nen, die sich in jeder Fas­sung unter­schied­lich stark zeigen.

Wel­che Fas­sung die bes­te ist, bleibt umstrit­ten. Kie­sel ver­tritt die Auf­fas­sung, daß die lite­ra­ri­sche Qua­li­tät mit jeder Aus­ga­be zunimmt, ande­re geben der Aus­ga­be von 1934 den Vor­zug, weil sie noch nicht so sehr mit ethi­schen Refle­xio­nen bela­den sei.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

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