Sie hatte “Thank you, Bomber Harris” darübergepinselt und posierte so vor der Dresdner Elbuferkulisse. Derlei kam der Dresdnerin Gerda Schulz ihr ganzes Leben lang nicht in den Sinn: Sie hatte die Bombardierung ihrer Heimatstadt überlebt. Das Interview mit ihr mußte dem mit Anne Helm weichen. Wir haben es gesichert:
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ZEIT: Was war das für ein Anruf?
Gerda Schulze: Es ging um Dresden. Bei einer Frau Anne Helm sei der Aufruf aufgetaucht, die Bombardierung der Stadt noch einmal zu wiederholen, weil wir noch da seien. Bevor ich das auch aus der Presse erfahren würde, wolle man mich lieber gleich informieren. Damit ich nicht erschrecke.
ZEIT: Wie dieser Aufruf aussah und ob er ankam, hat man ihnen aber nicht erzählt?
Gerda Schulze: Nein, das wurde mir nicht mitgeteilt. Man könne mir derzeit nicht mehr sagen. Auch nicht, ob noch weitere Informationen über mich wie meine Anschrift oder dergleichen auf der Liste vermerkt sind.
ZEIT: Die Nachbarschaft sieht also keine akute Gefahr?
Gerda Schulze: Ja, das wurde mir so gesagt. Ich habe das im ersten Moment auch so hingenommen, weil ich dachte, nun ja, das ist eben wieder einer dieser Mitteilungen, die ich seit Jahren ab und an bekomme. Eigentlich fand ich das Gespräch aber sehr unbefriedigend und irritierend.
ZEIT: Die Nachbarschaft sprach nicht von Terrorliste oder Todesliste, wie es in verschiedenen Medien zu lesen war. Woher kommt diese Information?
Gerda Schulze: Die Nachbarschaft hat mir diese Information tatsächlich nicht gegeben, also weder verneint noch bestätigt. Ich habe gestern allerdings gestern mit einer jüngeren Bekannten gesprochen, die Internet hat. Die hat mir bestätigt, dass Anne Helm tatsächlich “Bomber Harris” gratuliert hat und daß er in diesem Zusammenhang aufgefordert worden sei, Dresden wieder zu bombardieren.
ZEIT: Sie sagen, Sie bekommen häufiger Anrufe der Nachbarn wegen Nachrichten von Menschen, die etwas gegen ihre Herkunft haben. Was macht Sie zum Ziel für solche Leute?
Gerda Schulze: In den Augen solcher Menschen bin ich schon wegen meiner Herkunft aus dem Osten gefährdet, völkische Ideen verinnerlicht zu haben und keine gute Demokratin sein zu können. Folglich läuft alles, wofür ich stehe oder woran ich arbeite, den Zielen solcher Leute zuwider.
ZEIT: Wofür engagieren Sie sich konkret?
Gerda Schulze: Ich engagiere mich für meine Nachbarn, gehe die besuchen, wenn sie krank sind, schaue mal im Pflegeheim vorbei und jede Woche treffe ich mich einmal mit der blonden kleinen Tochter der Nachbarn. Für Leute, die etwas gegen blonde Mädchen aus Deutschland haben, habe ich nichts übrig. Ich hatte schon nichts übrig für Leute, die etwas gegen sorbische Kinder hatten. Dass das eine gut und das andere schlecht sei, ist ein künstlicher Widerspruch. Deshalb koche ich der Nachbarstochter auch öfter mal Spargelsuppe.
ZEIT: Aber sie bringen ihr auch mal etwas bei: Kochen und Backen und sogar Häkeln!
Helm: Ja, sonst lernt sie das ja nicht, da muss man doch was tun. Ich wollte mich eigentlich gar nicht so sehr persönlich engagieren. Aber ich fand das traurig, dass deutsche Mädchen sowas nicht mehr können. Und deshalb muss ich jetzt erfahren, dass Dresden wieder bombardiert werden soll. Dabei lebe ich schon lange nicht mehr dort.
ZEIT: Wie sahen die Drohungen gegen Sie aus?
Gerda Schulze: Eben eine Bombardierungsdrohung. Die Menschen in Dresden wurden bei lebendigen Leibe verbrannt und verschüttet und erschlagen; wie es in einem Krieg eben so zugeht. Wenn sie Glück hatten, ging es schnell und es blieb nicht mal etwas zum Bestatten übrig. Aber manche erlitten Verbrennungen oder Verletzungen, die sie nicht sofort getötet haben, sondern an denen sie langsam und elendiglich verreckten. Die Versorgung war zusammengebrochen, Krankheiten breiteten sich aus. Es gab viele Tote. Auch Frauen und Kinder, auch Gegner von Hitler. Und die Überlebenden denken auch nicht gerne daran.
ZEIT: Wie erfahren Sie von Menschen, die das gut fanden, weil es sich gegen Dresdener, also Deutsche, richtete?
Gerda Schulze: Das meiste davon erreichte mich über die Nachbarschaft. Ich mach schon gar nicht mehr den Fernseher an und ich lese nur noch Lokalblättchen, weil dort nicht soviel davon steht. Ich kenne noch Leute, die waren verschüttet und sind traumatisiert. Wenn die mit solchen Forderungen konfrontiert werden, bekommen die ganz schlimme Angst.
ZEIT: Aber die Nachbarn informieren Sie?
Gerda Schulze: Ja, irgendwie sind wir alle in den Fokus geraten, obwohl wir damals ja noch klein waren. Das teilt man sich untereinander schon mit.
ZEIT: Und was machen Sie anschließend mit so einer Information?
Gerda Schulze: Hoffen, dass man solchen Verblendeten nicht eines Tages im Pflegeheim begegnet.
ZEIT: Was war mit der Bomber-Harris-Aktion anders?
Gerda Schulze: Der Unterschied ist, dass es eben keine leere Drohung ist; sondern genau so schon einmal geschehen ist, obwohl wir alle dachten, dass Dresden eben kein militärisch interessantes Angriffsziel wäre. Davon, dass wir ausgelöscht werden sollten, wussten wir ja nichts.
ZEIT: Die sonstigen Drohungen verstehen Sie also eher als Einschüchterungsversuche?
Gerda Schulze: Ja, zumindest versuche ich sie als solche einzuordnen. Aber in diesem Fall war offenbar geplant, den Briten zu signalisieren, dass sie alles richtig gemacht haben. Und das macht natürlich noch mehr Angst. Auch weil ich mir nicht vorstellen kann, das die Anne Helm das ganz alleine geplant hat. Man muss jetzt herausfinden, ob da ein Netzwerk dahintersteht. Das ist zwar bislang nicht klar. Aber es würde mich sehr wundern, wenn es nicht so ist.
ZEIT: Sie glauben nicht an zwei verwirrte junge Frauen?
Helm: Wir haben einfach ein großes Problem mit rigorosen Moralisten in diesem Land. Und das wird noch immer sehr wenig beleuchtet. Mehrmals wurden jetzt von sogenannten Antifas auch Baseballschläger gefunden. Ich weiß nicht, was die als nächstes tun.
ZEIT: Verteidigungsministerin von der Leyen hat die Bundeswehr nun für einen in Teilen vorherrschenden falsch verstandenen Korpsgeist kritisiert. Hat sie Ihrer Meinung nach ein drängendes Problem verstanden?
Gerda Schulze: Ich finde es beunruhigend, dass man erst eine Armee einrichtet und mit Waffen ausstattet – und erst danach darüber debattiert, was genau diese Armee verteidigen kann und soll. Bei der NVA wussten wir das, das war immer eindeutig. Und als die Mauer fiel, gab es auch ein eindeutiges Signal, dass dieses Ziel nun obsolet ist; deshalb hat ja auch keiner geschossen. Die Befehlskette hat funktioniert. Was passiert, wenn man sich in der aktuellen Debatte nicht einig wird, mag ich mir gar nicht ausmalen.
ZEIT: Was fordern Sie für den konkreten Fall?
Gerda Schulze: Das Wichtigste ist, jetzt aufzuklären, wie weit das Netzwerk auch in die Institutionen reicht. Damit meine ich alle Institutionen im Land. Es wäre fatal, wenn man die Rechte der Bürger nun einschränkt. Vielmehr sollte darauf geachtet werden, dass die Leute in den Institutionen erwachsen genug sind, um anhand von sachlichen Kriterien zu entscheiden und nicht anhand von Ressentiments.
ZEIT: Sie glauben, dass auch die Gesinnung ein Problem sein könnte?
Gerda Schulze: Ich glaube, dass man die Gesinnung anderer letzten Endes nicht kennt und das die Frage danach einen viel zu großen Stellenwert einnimmt. Die Frage ist, ob jemand integer ist. Aber wenn man sieht, dass nach Parteibuch eingestellt wird, dann erinnert mich das an die DDR.
ZEIT: Wie meinen Sie das?
Gerda Schulze: Weil damit geworben wird, sich über die Gesinnung anderer zu erheben. Da stehen Sätze drin wie: Sie haben es in der Hand. Sie können frei entscheiden. Sie können wichtige Entscheidungen über das Schicksal von Menschen fällen. Das klingt fast danach, als gebe es weniger Richtlinien, als persönliche Auslegung.
ZEIT ONLINE: Wie werden Sie jetzt mit ihrem Wissen um die Drohung mit Bomber-Harris umgehen?
Gerda Schulze: Wir sind ja alle in derselben Situation. Keiner von uns kann etwas tun.
Frieda Helbig
Grandios. Danke.