Das Internet vervielfältigt den Ansturm an Informationen. Wenn jemand sich vom Bekanntwerden eines Fakts einen Vorteil verspricht, meist politischer Natur, so kann er diesen nun mit seinen Freunden „teilen“. Ein persönlicher Kommentar dazu zeigt, daß sich der Urheber über die Entwicklung Gedanken gemacht hat, ihm der Sachverhalt am Herzen liegt und er die Meldung nicht aus bloßem Pflichtgefühl verbreitet.
Ebenso stimmen Freunde und Bekannte ein. Immerhin herrscht ja der Konsens, über politische Entwicklungen informiert sein zu müssen. Und so hat jeder seine eigene persönliche Meinung, die dem geteilten Inhalt entweder zusätzlichen persönlichen Wert verleiht – oder seine Legitimität in Frage stellt. Denn meist, wenn der Urheber seine „Filterblase“ noch nicht von Dissidenten gesäubert hat, gibt es jemanden, der mit der politischen Message ganz und gar nicht übereinstimmt und einen Kommentar als Fehdehandschuh ins Feld wirft.
Der resultierende Diskurs ist in den seltensten Fällen fruchtbar, da jeder Teilnehmer von seiner politischen Lage überzeugt ist und genügend Material findet, um seinen Standpunkt zu untermauern (oder die Position des Anderen als grundsätzliches Übel zu entlarven – was oft als gleichwertige Argumentation erachtet wird).
Da es mühsam und anstrengend ist, über Informationen, die man „teilt“, weil sie wichtig und natürlich erscheinen, fruchtlose Grundsatzinformationen führen zu müssen, geschieht es häufig, daß die „Freunde“ im sozialen Netzwerk entfernt – oder ohne direkte Entfernung „ausgeblendet“ – werden. Im Gegenzug greifen auch die Leser gerne zur Säuberung ihrer sozialen Medien, die die politischen Mitteilungen eines besonders aktiven, jedoch auf der „falschen“ Seite stehenden Freundes als kontinuierlichen Affront werten.
Die vielbeschworene „Filterblase“, in der das eigene Weltbild stetig von Freunden derselben Meinung gespeist wird, entsteht. Wie kann man nun damit umgehen?
Die naheliegende Reaktion wäre, das soziale Netzwerk einfach vollständig zu meiden. Wer jedoch im Zeitalter der virtuellen Kommunikation großgeworden ist, möchte eventuell die Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme nicht missen. Nun könnte man einfach die „geteiten“ Mitteilungen kategorisch ignorieren und das Netzwerk zu genau jenem Zwecke nutzen, den man sich erhofft.
Doch was tun, wenn die Freude an öffentlichem, aktualisiertem Meinungsaustausch gar zu groß ist? Vielleicht wäre ein Ansatz, sich genau auf den Zweck des „Teilens und Kommentierens“, des sozialen Netzwerkens an sich, und der politischen Überzeugung zu besinnen:
Man teilt, und vor allem kommentiert man, weil man Freude daran hat, mit seinen Bekannten in Kontakt zu treten. Ein grimmiges, verbissenes Hacken auf die Computertasten scheint daher vom eigentlichen Zweck der Übung weitestmöglich entfernt zu sein. Warum sollte man auch böse werden? Immerhin – das gilt es nie zu vergessen – ist der eigener Glaube an das Richtige an keinem Zeitpunkt in Gefahr, man kann daher entspannen – und sich ansehen, was in den motivierten Köpfen der politischen Gegner nun geschehen ist.
Wenn man zudem noch im Kopf behält, daß die demokratische Politik von einzelnen Neuigkeiten so gut wie gar nicht beeinflußt wird – geschweige denn, von den damit zusammenhängenden Kommentaren –, kann jegliche geteilte Neuigkeit als bizarres Schauspiel der Absurdität betrachtet werden. Eine weitere Stilblüte eines Systems, das bereits jenseits jeder vernünftigen Idee verzerrt liegt. „Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst.“
Daß es mit dem System im Argen liegt – darüber kann man sich gerade in dieser Zeit der Radikalisierung und Polarisierung wohl selbst mit dem größten politischen Feind einigen. Gut tut es daher, sich daran zu erinnern. Wir lesen unbesorgt die neueste politische Farce, nehmen den bizarrsten Absatz heraus, zitieren ihn ins Kommentarfeld und versehen ihn, der neuesten Kommunikationsmode gerecht werdend, mit „Face with Tears of Joy“.
„Tears of Joy“ wurde 2015 vom Oxford Dictionary zum „Wort“ des Jahres gekürt, da es als dominantestes „Emoji“ universalen Charakter hat. Es ist mit einem Fünftel aller geschriebenen „Emojis“ bei weitem das meistbenutzte und löst jede Spannung oder Kälte, die bei Kommunikation über geschriebene Worte leicht als Abneigung oder Ärger interpretiert werden könnte, schnell in Freundlichkeit auf – es ist quasi das gesteigerte „mit Augenzwinkern“; eine Aussage unter Freunden in guter Laune.
Oder kurz: Es drückt aus, weswegen wir uns eigentlich mit Freunden unterhalten wollen.
Es gibt auch Menschen, die an dieser sorglosen, aufs Gute vertrauenden Art, die Welt zu sehen, Anstoß nehmen – so unter anderem Abi Wilkinson, die im Guardian das „Face with Tears of Joy“ als das „schlimmste aller“ Emojis diskrediert – es sei ein Zeichen des überhandnehmenden „gefühllosen Mißachtens“.
Um so unverständlicher diese Argumentation, als ein Mißachten ja das uns allen wohlbekannte unbeeindruckte Überlesen zur Folge hätte – und ein herzhaftes Lachen schon rein biologisch durch seinen ungehemmten Fluß von Emotion das Gegenteil von Gefühllosigkeit darstellt. Die Autorin sieht „Tears of Joy“ jedoch in engem Zusammenhang mit den Neuen Rechten stehen – vermutlich, weil diese sich, im Gegensatz zu ihr selbst, besagter Seelenruhe sicher sein können.