Statt dessen solle man ruhigbleiben und einfach so weiterleben wie bisher. Freilich sei auch passive Traurigkeit erlaubt, aber Wut oder Haß – nein, das ginge doch gar nicht, schon gar nicht in einem aktiven Sinne.
Dieses haarsträubende Gerede ist leider nicht nur auf die vor Empathie nur so strotzende Lügenpresse beschränkt. Bundesjustizminister Heiko Maas geht sogar noch einen „mutigen“ Schritt weiter. Er will aktiv etwas gegen Haß tun. Also nicht etwas für die Empathie (denn das würde ja einen ehrlichen Dialog zwischen ihm und seiner Gegenseite erfordern), sondern gegen Haß. Also quasi aus Antipathie gegen die Antipathie.
Definiert man Empathie als Gegenstück zur Antipathie, so bleibt der werte Herr Maas auf der ach so verachteten Seite der Verächter. Weiß dieser Mann eigentlich, wovon er redet? Wenn man den Film Die nervöse Republik einmal anschaut, so ist relativ schnell erkennbar, daß der Innenminister der BRD Empathie lediglich großschreibt, da es sich um ein Substantiv handelt. Ihn interessiert der Bürger nicht, das gibt er offen zu, besonders wenn dieser nicht geneigt ist, seine Interessen zu untermauern.
Oder tut er lediglich das, was ein Politiker eben so tut, wenn er einmal an der Macht ist? Er versucht seine Macht zu erhalten. Und wenn dafür so etwas zutiefst Menschliches wie das Gefühl Haß unterdrückt werden soll, dann ist er eben auch dazu bereit, ganz egal, ob er sich dafür zum Don Quichotte macht oder nicht.
Nach dem Anschlag von Manchester schrieb Brendan O’Neill einen aus meiner Sicht korrekten Artikel. Er erkannte die Intention unserer Politiker völlig zutreffend: Haß soll in ein Gefühl von Hilflosigkeit und Ohnmacht kanalisiert werden. Dabei ist vor allem eine Betroffenheitskultur vonnöten, die am Ende nur ein Ziel kennt: Die Wut auf das eigene Selbst zu lenken, die Ohnmacht als selbstverschuldet zu erleben, zu verstärken und damit sogenannten „Symptomstreß“ zu erzeugen. Man wird sprichwörtlich zum Kaninchen vor der Schlange.
Gerade im Hinblick auf den Versuch, Haß als etwas Pathologisches in der Gesellschaft zu verankern, lassen sich interessante Widersprüche erkennen. Die Systemmedien versuchen, übrigens nicht nur in Deutschland, Haß als etwas Pathologisches zu definieren. Der Träger soll dabei als möglichst psychisch krank beschrieben werden, den man von daher für nicht ganz voll nehmen sollte. Das wiederum fußt auf der von Angst geprägten Milchmädchenrechnung, daß, wenn Empathie gut ist, Haß (logischerweise!) schlecht sein müsse.
Daß Haß auch etwas Gutes oder Nützliches haben kann, wird dabei ausgeblendet, schließlich gilt es, ein dichotomes Weltbild eines Viertkläßlers zu retten. Dieses freilich infantil wirkende Weltbild hinterläßt bei Rechten dann oft den Eindruck von Dummheit. Besonders dann, wenn der Umgang mit Rechten nun alles andere als empathisch ist und zeitgleich Mitgefühl auf eine ganz bestimmte Gruppe reduziert wird, obwohl man sich angeblich ganz frei von Rassismus bzw. Chauvinismus wähnt. Spätestens hier wird die Projektion erkennbar, die Linke bekämpft unerwünschte Eigenschaften ihres Selbst.
Diese Infantilisierung spricht meiner Meinung nach aber auch von einer allgemeinen unreifen bzw. schlichtweg fehlenden Sichtweise auf die Funktion unserer Emotionen. Vielerorts besteht eine Grundannahme, das Positive zu wollen und das Unangenehme eben nicht. Das ist freilich verständlich (wer reißt sich schon um einen Zahnarztbesuch?), aber dennoch unreif (mittel- und langfristig sind Zahnarztbesuche eben notwendige Maßnahmen zur Erhaltung der Gesundheit). Letztlich spiegelt sich das dann in der nichtexistenten Debattenkultur wider. Unerwünschte, weil unangenehme Meinungen sollen verschwinden. Oder anders gesagt: Die Schmerzen in den Zähnen sind böse, aber das hat auf gar keinen Fall etwas mit dem eigenen Verhalten zu tun.
Diese Infantilisierung der Gesellschaft wird medial bewußt vorangetrieben, indem klares Denken durch emotionale Agitation ersetzt wird. Dieses neurotische Mantra kann (leider) nur durch persönliches, schmerzhaftes Lernen korrigiert werden, wenn überhaupt. Logische Argumentationen finden auf der in dieser Situation falschen Ebene statt, der kognitiven. Man kann aber etwas Emotionales nicht mit etwas Logischem beantworten. Das wäre wie eine Frage auf italienisch, der auf chinesisch geantwortet würde. Unverständnis.
Auf diese Weise bleibt das Mantra verführerisch: Es bietet den billigen Rausch, die Illusion, das Gute ohne jegliche Anstrengung haben zu können, indem man das „Böse“ einfach wegließe. Leider ist die Welt aber nicht so einfach.
Nun haben Maas und Konsorten allerdings eine Sache nicht bedacht, die ich als Psychotherapeut immer wieder gelernt habe: Die Seele ist, weiß Gott, nicht doof. Drückt man Haß weg, so kommt er eben an einer anderen Stelle wieder auf. Er sucht sich seinen Weg, kanalisiert sich mit den schillerndsten Facetten, und das muß er auch. Er läßt sich nicht bequatschen, auch nicht mit den perfidesten Methoden.
Haß zeigt letztlich nur ein klar artikuliertes „NEIN“, welches sich auch gern mal als Abscheu oder Wut, als Zorn oder als Verachtung erkenntlich zeigt, allerdings in der Regel mitnichten vom Gegenüber verstanden werden will. All die verschiedenen Facetten können vereinfacht unter dem Begriff der Antipathie gesammelt werden. Antipathie hat jedoch eine wichtige Funktion in unserer Psyche und verdient es in keinster Weise, so stiefmütterlich behandelt zu werden:
- Wut aktiviert. Sie treibt den Puls hoch, zeigt, daß etwas nicht stimmt, macht die Atmung flacher und engt den Fokus ein. Wir werden auf Kampf eingestellt. Wir werden darauf eingestellt, für uns selbst einzutreten, für das Eigene. Ohne diesen Impuls gäbe es weder Mensch noch Tier. So basal ist Haß, und kein evolutionärer Prozeß wäre ohne Antipathie denkbar. Doch das soll jetzt krankhaft sein?
- Antipathie macht Probleme dauerhaft erkennbar und liefert uns eine Art Veränderungsenergie und Orientierung. Die Künstlerin Rebecca Horn erkannte das schon völlig richtig: „Hate can be a useful source.“ Wir sind also gezwungen, uns mit unseren Werten auseinander zu setzen.
Tun wir dies nicht, stellt sich auf die Dauer der Haß gegen die eigene Person. Man verachtet sich selbst ob seiner eigenen Mutlosigkeit. Ein neurotischer Kreislauf der Ohnmacht kann hier beginnen (was durch gezielte Manipulationen durch die Systempresse forciert wird, indem der Träger des Hasses als das Problem definiert wird).
Erst durch einen aktiven Prozeß der Differenzierung und Auseinandersetzung mit eigenen und fremden Vorstellungen können wir uns als Selbst begreifen. Kein Ich ohne Antipathie, kein Selbst ohne Trennung vom Fremden. Das ist für viele nicht besonders attraktiv, aber in etwa mit einem Zahnarztbesuch vergleichbar. Der ist auch nicht sonderlich sexy, aber mittel- und langfristig die bessere Entscheidung. Hier macht sich eine Infantilisierung der Gesellschaft bemerkbar, wo viele glauben, sie könnten in Ewigkeit ihrer unauthentischen Harmonieblase frönen. - Zorn bringt den Thymos zurück. Er zwingt dem durchschnittlichen Mitteleuropäer, der bereits beim Überqueren roter Fußgängerampeln die intrapsychischen Alarmglocken hört, neue, gesündere Verhaltensweisen auf. Unsinnige Regeln müssen überdacht, in Frage gestellt und ggf. auch über Bord geworfen werden. Das gilt in besonderem Maße, wenn die Regeln die autochthone Bevölkerung aktiv benachteiligen oder diese zum Mitwirken an ihrem eigenen Untergang verpflichten sollen. Das stumpfe Akzeptieren und Anwenden bestehender Regeln funktioniert nicht mehr. Haß fordert die Erneuerung bzw. die Veränderung und kann auch schon mal den gesunden Menschenverstand aktivieren, vorausgesetzt, man läßt nicht einfach nur den Emotionen ihren Lauf, sondern nimmt sie als Anlaß zur Selbstreflexion.
Das führt zur entscheidenden Frage, was man mit seiner Wut macht. Das hängt natürlich vor allem davon ab, was man glaubt, wofür die Antipathie denn nun gut sein könnte. Hier gehen die Geschmäcker schnell weit auseinander.
Beispiel: Nicht jedem fällt es gleich leicht, der Kriegserklärung der Fussballfans von Dynamo Dresden an den vor Korruption nur so strotzenden DFB etwas Lebendiges, Kreatives oder Einigendes abzuringen. Dennoch haben die Elbflorenzler wohl offensichtlich mehr Thymos, als es dem Konsens lieb ist, ja vielleicht bangt sogar mancher, daß die Hooliganszene einen Einfluß auf gesellschaftliche Prozesse haben könnte, etwa wie in Ägypten.
(Noch) hat nicht jeder den Mut für patriotischen Aktivismus, der hilfreich wäre. Schnell entstehen hier unproduktive Diskussionen oder gar Vorwürfe über das „richtige“ Maß der Dinge. Wichtig ist hier erst einmal, daß die Wut über die aktuellen Zustände in Aktivität übergeht, sei sie auch noch so klein und symbolisch. Ob Sie dabei Ihrem Schwager bei einer Familienfeier widersprechen, auch wenn es Ihre Frau nicht so gerne hat, oder Sie Ihr lautes Nein einbringen wie beim „Eklat beim evangelischen Kirchentag“, ist erst einmal sekundär.
Wichtig ist erst einmal die Erfahrung, daß es geht. Danach kann mehr Mut wachsen. Der Übertritt von gesetzlichen Rahmenbedingungen ist dabei weder zwangsläufig sinnvoll noch unbedingt nötig, es ist nur der willkommene Anlaß, den berechtigten Widerstand in seiner Aktivität zu diskreditieren. Um so besser! Das spornt die Kreativität und die Cleverness in der Bemühung um Angemessenheit an.
Fazit: Stellen Sie sich Haß oder Antipathie eher als psychisches Benzin vor. Natürlich könnten Sie – im übertragenen Sinn – damit irgend etwas anzünden. Das kann, muß aber nicht unbedingt besonders sinnvoll sein. Sie können aber auch Ihren Motor damit betanken und kraftvoll eine wichtige Reise machen – vorausgesetzt, Sie behalten Ihren Kopf und wissen, wohin Sie wollen.
Der_Jürgen
Ein interessanter Beitrag, mit einer heiklen These. Ich persönlich bin der Ansicht, dass das, was manche als "Hass" bezeichnen, in unserem Lager meist nur hilflose Wut ist. So richtig hassen können wohl die wenigsten von uns. Das können andere sehr viel besser, besonders jene, die am lautesten von "Toleranz" und "Diversity" schwatzen. Dazu gehören nicht zuletzt die Angehörigen der Piratenpartei, von denen einer sich kürzlich vor Freude in die Hosen machte, nachdem ein Verbrecher eine deutsche Polizistin in den Kopf geschossen hatte:
https://michael-mannheimer.net/2017/06/14/piraten-politiker-thomas-goede-jubelt-in-twittermeldung-ueber-schuesse-auf-muenchner-polizistin/
Wenn man dann das Programm dieser merkwürdigen Partei liest, stösst man rasch auf einen Artikel, in dem gefordert wird, alle "130.000 tschetschenischen Homosexuellen" (was bedeuten würde, dass in Tschetschenien jede(r) zehnte, einschliesslich Neugeborener und hundertjähriger Urgrossmütter, homosexuell ist; diese Kerle projizieren ihre eigene Abartigkeit auf andere) nach Deutschland einzuladen, denn diese 130.000 liessen sich ohne weiteres aufnehmen.
Wenn man dergleichen liest, ist es in der Tat schwer, keinen Hass zu empfinden. Zumal nicht die geringsten mildernden Umstände für solche Schreibtischtäter ersichtlich sind.
Hass kann natürlich den Anstoss zu fruchtbarem Schaffen geben. Als Dante ihm missliebige Päpste wegen "Simonie" (Verkaufs geistlicher Ämter) in den dritten Übelgraben des achten Höllenkreises verbannte, tat er dies zweifellos aus Hass. Ein solches Ausmass an Hass könnte ich niemals empfinden. Nicht einmal auf die Merkel oder auf Piratenpolitiker. Solcher Hass würde, um den verstorbenen Kinoregisseur Fassbinder zu paraphrasieren, meine Seele "aufessen", und das mag ich nicht zulassen.